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6.2.2012


Schmuddelkind

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Liebe Babsi,

 

am Tag darauf haben wir wieder so lange miteinander gesprochen und gestern erneut bis in die späte Nacht hinein, da alles umher so schön still war und es nichts weiter gab als Sannys Stimme. Wie viel reichhaltiger ist die Welt, wenn sonst alles verstummt! Da ich aber wusste, dass sie heute früh aus dem Bette steigen musste, drängte ich immer wieder gegen all mein Verlangen darauf, das Gespräch bald zu beenden. Doch sie ließ sich einfach nichts einreden: "Ich will noch nicht gehen. Erzähl mir noch etwas, du Lieber!" 


Also ließ ich das Thema zu unserer gemeinsamen Leidenschaft, der Dichtkunst, hingleiten, wollte ich sie doch ohnehin bewegen, ihre Texte einem Verlag zukommen zu lassen. Es ist nämlich bedauerlich, dass so wenige Menschen nur dazu kommen, diese Schönheit zu besehen. Mit einem Gedichtband wäre dies sicher anders. Jedoch lehnte sie überzeugt ab: "Ich weiß, was Menschen mit Ideen machen. Sie malen sie bunt an, besetzen sie mit Lügen und lassen einen Hampelmann so tun, als wären es seine. Das möchte ich nicht mehr", womit sie auf ihre Vergangenheit als Sängerin verwies. Dazu habe ich auch ein Foto aus jener Zeit gesehen, weswegen ich ihr nur recht geben konnte. Babsi, was sie aus dem schönen Mädchen machten! Sie haben einen bunten Papagei aus ihr gemacht. Wie bin ich froh, dass sie dieser Welt entschlossen den Rücken kehrte!


Ihren Gedanken schloss sie mit den wahrsten Worten ab: "Für das, was ich liebe, will ich kein Geld und keine Bestätigung. Nein! Nur das Gefühl, mich selbst darin wiederzuerkennen." Als ich gerade versuchte, mich ob so reiner Lebensweisheit und Integrität zu sammeln und daraus zu lernen, griff sie plötzlich wie ein Wetterumschwung zur Gitarre und sang mir ihre Lieder. Sie besang die Liebe, die Trauer, die Hoffnung und den Mut und all diese Empfindungen haben sich zu ihrer Stimme vereinigt. Und ich, ich hörte einfach nur zu. Ich dachte an nichts, ich sehnte nach nichts. Zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich einfach nur zu.


Schließlich musste das Gespräch wohl doch noch ein Ende gefunden haben, aber seither füllt eine ungeahnte Erwartung mein ganzes Denken, da sie vorschlug, mich einmal zu besuchen, um mit mir eine gemeinsame Ballade zu schreiben, wobei jeder von uns einer Figur seine Gedanken und Empfindungen verleihen solle. Da wäre das Leben in der Poesie enthalten und die Poesie im Leben. Meine Begeisterung darüber konnte ich ihr nicht vorenthalten und ihr wurde wohl in diesem Augenblick erst gewahr, was sie preisgab: "Oh, ich hoffe, ich war jetzt nicht zu mutig. Nicht, dass du es am Ende noch bereust! Ich kann nämlich ganz schön eigenwillig sein." Nachdem ich ironisch erwiderte, dass mir das noch gar nicht aufgefallen sei, ergingen wir uns in verspielter Neckerei, bis wir einander eine gute Nacht wünschen konnten.

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