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16.1.2012


Schmuddelkind

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Gut Babsi,

 

wir werden nicht mehr darüber reden. Doch dann lassen wir auch meine Magisterarbeit unter den Tisch fallen.

Oh ja, die Poesie ist mir ein Leuchtturm der Seele. Sie lässt mich wissen, auch wenn ich mich einsam wähne, dass es etwas Größeres, Bedeutsameres gibt als mein vergängliches Leid, obgleich dieses im Moment des Schreibens ganz im Mittelpunkt meiner Anschauung liegt. Jedoch in der Ferne dieses Licht zu erahnen, das mir den Weg weist, das mich erkennen lässt, wo ich bin, weitet meine Vorstellung von dem, was greifbar ist, fast als könnte ich die ganze Welt umgreifen, weil ich so viel mehr erschaffen kann, als die irdische Beschränktheit des Lebens preisgibt. Ja, so viel bedeutet mir die Poesie! Ob ich dafür jüngere Beispiele habe, fragst du? Erinnerst du dich noch an folgendes Gedicht aus glücklicheren Tagen?

 

Gartenfest

Der Garten war voll von geladenen Gästen.

Ich fühlte mich einsam, verloren und fremd.

Du lugtest so vorsichtig zwischen den Ästen

bestimmt auf den Rotweinfleck auf meinem Hemd.

 

Ich saß auf dem Bänkchen und zählte die Streben.

Ich haderte. Sicherlich tat ich dir leid.

Und plötzlich und unverhofft saßt du daneben

in deinem gehäkelten weiß-beigen Kleid.

 

„Du bist ja ein Tollpatsch; da muss ich dich hegen!“

erwogst du und deutetest auf meine Brust.

Zum Glück, ach ergoss sich ein prasselnder Regen.

Wir stellten uns unter die Tanne, bewusst.

 

Jüngst habe ich dieses Gedicht so ziemlich verunstaltet und da bemerkte ich, dass ich einen Abschluss suche, dass ich nicht mehr am Alten und Trügerischen hängen möchte:

 

Gartenfest II

Kaum bist du gegangen, ging ich in den Garten,

wo schüchterne Blicke sich trafen zurück,

wo willige Lippen, kaum fähig zu warten,

sich labten einstmalig am flüchtigen Glück.

 

Hier stehe ich nun, meine Hoffnung verwaschen.

Hier stehe ich nun und zerschlage die Bank.

Hier stehe ich, trinke nun Rotwein aus Flaschen

und proste der Tanne zum zynischen Dank.

 

Hier sehe ich mich, mit mir selbst traurig tanzen,

ich tanze mit Rotweinfleck auf meinem Hemd.

Nach allem, was war, bliebst im Großen und Ganzen

du wie auf dem Gartenfest immer mir fremd.

 

So viel Verwirrung, Enttäuschung und Wut, wie in dem Gedicht zu finden ist, so viel davon ist mir nun abgenommen. Gewiss, ich denke immer noch an sie und ja, ich widme ihr auch noch immer meine Gedichte, aber ich suche meinen Schmerz auf, stelle mich meinen Empfindungen, um irgendwann einmal nicht wieder zurückblicken zu müssen. Das Leid ist ein Dämon, der einem im Nacken sitzt, solange man die Augen vor ihm verschließt. Man muss ihm in die Augen blicken und ihn niederringen. Und dazu verhilft mir die Poesie.

 

Du fragtest auch nach meinem Umgang. In der Welt der Dichter finde ich die Gespräche, die mich vervollständigen, neben dem Briefaustausch mit dir natürlich. Da könnte ich dir eine ganze Reihe von einzigartigen Persönlichkeiten aufzählen, die alle mehr Zeit wert sind, als der Tag Stunden hat. Am meisten erfreue ich mich an den Unterhaltungen mit einer gewissen Sanny aus Berlin, die die zartesten Gedichte schreibt - Worte, die mir in ihrer Schlichtheit und Wärme durch all mein Erinnern streifen, ehe ich sie verstehe, als seien sie ihrem unbefangenen und doch so klaren Weltempfinden, an dem ich seither in einigen Briefen Anteil nehmen durfte, entflogen in eine Ganzheit, wovon man sich als Leser als einen Teil empfindet. Das ist Poesie, wie sie zuvor nicht vorstellbar war! Nicht weil sie nach Größe trachtet, sondern weil man sich ihrer Bescheidenheit und Natürlichkeit nicht entziehen kann.

 

Ich werde dir demnächst davon weiter berichten. Sanny hat mir gerade geschrieben. Und ich möchte noch rasch antworten, bevor ich zu Bett gehe.

 

Gute Nacht!

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