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Nachtfuchs

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  1. Eine Weile saß er still in der dunklen Küche, bevor es aus ihm herausbrach und er hemmungslos zu heulen begann. In derartiger Intensität waren die Tränen noch nie aus seinen Augen geströmt, überhaupt konnte Lainer sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt geweint hatte. 

    Er hörte Margareta gar nicht in die Küche kommen. Bevor sie fragen konnte, sprudelten die Worte aus ihm heraus, mehrmals verschluckte er sich beim Reden. Es war, als würde sich etwas in seinem Inneren lösen, seine Ausführungen gingen weit über die Geschehnisse vom Jahrmarkt hinaus. Da war der Wanderausflug, bei dem er Jonas` ständiger Meckerei zum Trotz dessen Bergschuhe in den Wald gepfeffert hatte. Der erste Tag am Gymnasium, von dem Jonas tieftraurig zurückgekehrt und Lainer nur schroff reagierte, er solle sich gefälligst nicht so anstellen. Die schier endlose Diskussion um ein verkorkstes Diktat, bei dem sein Sprössling es fertiggebracht hatte, das Wort Mannschaft fehlerhaft zu buchstabieren und anschließend trotzig dagegenhielt, er spiele eben in einem Team (insgeheim mochte Lainer diese Pfiffigkeit an seinem Jungen). 

    Während ihm Margareta still und regungslos zuhörte, redete er weiter ohne Unterlass, aus tiefstem Herzen rauschten die Worte weiter aus seinem Mund wie Wasser aus einer endlosen Quelle. Er ließ alles raus, redete bis er buchstäblich nicht mehr konnte und erschöpft in Margaretas Schoß sank. 

    Als Erstes nahm er nach dem Erwachen ihre Stimme wahr. Mit fester Stimme telefonierte sie gerade offenbar mit einem Beamten der Polizei.

    „Ja genau, Lainer Jonas. Zuletzt hat mein Mann ihn gestern Abend auf dem Jahrmarkt gesehen. Okay, vielen Dank, ich hoffe, Sie finden etwas heraus. Wiederhören.“

    Er bewunderte die Klarheit seiner Frau in diesem Moment, wenngleich ihn die nüchterne Tonlage doch etwas irritierte, es klang fast so als würde sie ein vermisstes Schmuckstück melden. Lainer selbst wusste ob seines Berufes auch in schwierigen Situationen selbstbewusst aufzutreten, bei familiären Problemen dagegen misslang ihm dies regelmäßig. Dann wurden seine Ausführungen brüchig, abgehackt und er gab Laute von sich, die man am ehesten einem stimmbrüchigen Teenager zuordnen würde. Während er sich aufrappelte und sich routinemäßig zur Kaffeemaschine schleppte, versuchte er einen Blick von Margareta zu erhaschen. Er war unschlüssig wie sie auf seinen Offenbarungseid vergangene Nacht reagieren würde. Mittlerweile hatte sie den Telefonhörer beiseitegelegt und die Küche verlassen. Lainer rekapitulierte nochmals den gestrigen Abend. War ihm etwas entgangen? Hatte er in seiner Aufregung wichtige Details übersehen?  

    „Karl-Heinz!“ drang es zu Lainers Ohren und er wurde jäh aus seinen Überlegungen gerissen. Du musst noch in der Gemeinde anrufen!" Lainer hatte ganz vergessen, dass er ja noch einen Job besaß. Termine mussten abgesagt, Sitzungen verlegt werden, sein Stellvertreter würde übernehmen. Ein flüchtiger Blick zur Uhr verriet ihm, dass es bereits nach acht Uhr war. 

    „Wir nutzen den Tag heute am besten dafür, um alle möglichen Indizien zu sammeln und zu ordnen. Sprich, wann genau hast du Jonas zum letzten Mal gesehen. Wo seid ihr überall gewesen. Hast du irgendetwas seltsames bemerkt?“ 

    Margareta sprach mit der Frequenz eines Maschinengewehrs, Lainer hatte Mühe mitzukommen. Sie verlor jedoch keine Silbe über Lainers Monolog von letzter Nacht, fast so als wäre es nur im Traum geschehen. 

    Es verwunderte ihn, wie schnell seine Frau in den Kampfmodus geschaltet hatte und alles Unwichtige auszublenden wusste. Lainers Gefühlschaos gehörte offenbar zur letzteren Kategorie. 

    Der schrille Ton der Kaffeemaschine ließ ihn aufmerken, wie ferngesteuert nahm er die volle Tasse und begab sich zum Küchentisch. 

    Margareta setzte sich zu ihm und sah ihn zum ersten Mal direkt in die Augen. „Karl-Heinz, es geht hier um unseren Sohn. Ich kann mir vorstellen, was du aufgrund eures schwierigen Verhältnisses gerade durchmachst. Ich habe selbst kein Auge zugemacht, seit du gestern nach Hause gekommen bist. Und glaub mir, auch ich habe eine Heidenangst, unseren Jungen nie wieder zu sehen. Aber wir müssen uns jetzt zusammenreißen, die ersten Stunden nach dem Verschwinden sind bei der Suche am wichtigsten. Deine Eindrücke von gestern sind noch frisch, vielleicht kannst du dich noch an Details erinnern, die dir gestern in der Aufregung nicht aufgefallen sind. Verstehst du, wir dürfen keine Zeit verlieren, nur zusammen schaffen wir es unseren Sohn zu finden. Wir sollten heute nochmal den Jahrmarkt besuchen, vielleicht hat jemand der Standbetreiber etwas beobachtet. Wir dürfen uns keinesfalls zu sehr auf die Polizei verlassen, die legen solche Fälle inoffiziell schnell zu den Akten. Das heißt wir müssen selbst tatkräftig ermitteln, wenn wir den Entführer aufspüren wollen“.

    Befand sich Lainer seit dem Erwachen noch in einem tranceartigen Zustand, packte ihn nun Margaretas feurige Tatkraft, instinktiv überkam ihn der inadäquate Wunsch an Ort und Stelle mit ihr zu schlafen. Entschlossen hievte er sie auf den Küchentisch, rasch kam er zum Orgasmus.

    Als er sich keuchend seine Hose wieder hochzog, stutzte er plötzlich: „Woher weißt du so sicher, dass es sich um einen Entführer handelt?“

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  2. Unter Strom

     

    Für einen Samstagabend war die U-Bahn gut besetzt, platzte aber, anders als an Wochentagen, keineswegs aus allen Nähten, wodurch man nicht nur in den Genuss einer Sitzgelegenheit kam, sondern obendrein – solange man nicht ins Visier eines Schaffners geriet – seine Beine bequem am freien Platz gegenüber anlegen konnte. Den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt betrachte Philipp seine Finger. Mit jeder Station, der er sich seinem Ziel näherte, hatte sich das Zittern intensiviert und machte sich nun daran, auch von seinem Unterarm Besitz zu ergreifen. Wenige Minuten zuvor hatte er sich im Hotel noch einen eigens mitgebrachten[1]Single Malt einverleibt und spürte zwar sogleich dessen sanft brennende Wirkung durch die Bahnen seines Körpers strömen, seine Nervosität allerdings war damit nicht zu bändigen.

    Obgleich er, so gut es eben ging, seine Muskelzuckungen im Zaum zu halten versuchte, verstand er die körperliche Unruhe als positives Zeichen. 

    Schon immer war er aufgeregt gewesen, wenn etwas Bedeutendes bevorstand. Ganz gleich, ob es sich um eine wichtige Prüfung handelte, Vorträge vor großen Zuschauerscharen oder prestigeträchtige sportliche Wettkämpfe: Die Nervosität erwies sich als ständig wiederkehrender Begleiter, dessen Auftauchen den Dingen eine Wertigkeit zuzuordnen wusste. 

    Zu Philipps Glück trat diese Aufregung meist nur äußerlich in Erscheinung, innerlich empfand er in besagten Momenten für gewöhnlich eine tiefe Ruhe und Ausgeglichenheit. Es kam ihm in jenen Augenblicken so vor, als hätte er alle verfügbaren Antennen seines Körpers ausgefahren, sämtliche Sinne seines Körpers aktiviert, das Höchstmaß seines Konzentrationsvermögens erreicht. Das Geschehen vor ihm schien langsamer von statten zu gehen und seine Augen nahmen Eindrücke in derart scharfer Präzision wahr, dass er im Anschluss beinahe seine Sehkraft zu verlieren befürchtete. 

    So sollte sich Leben anfühlen, echt und unverfälscht, lebendig und aufregend, messerscharf und sonnenklar. 

     

    Freilich war ihm bewusst, wie es die meisten Leute wissen, dass dieser Zustand nicht von ewiger Beschaffenheit war und, ebenso launisch wie das Wetter, seine Beschaffenheit jederzeit zu ändern vermochte. Doch wo auf Regen eigentlich wieder Sonne folgen sollte, fühlte sich Philipp seit geraumer Zeit in einem Nebelschleier abgestumpfter Emotionslosigkeit gefangen und sehnte sich nach seinem aufgeregten Wegbegleiter, der ihn aus dem grauen Wolkendickicht herausführen würde. Er vermisste das lebendige Gefühl, es war ihm entglitten, abhandengekommen, schlichtweg nicht mehr aufzufinden. Er glich einem Chefkoch, der das Geheimrezept seiner Lieblingsspeise verloren hat und damit gleichbedeutend auch jeglichen Appetit. 

     

    Aber heute schien sein verschollener Gefährte zu ihm zurückzufinden, der Hunger wiederzukehren, der Nebel sich zu lichten. Heute schienen die Dinge endlich wieder eine echte, wertvolle Bedeutung zu besitzen: 

     

    Heute würde er zum ersten Mal Marie begegnen.

     

    [1]in der naiv-vagen Hoffnung, er könne die Flasche am selbigen Abend noch teilen

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  3. Sei es noch so schwer im Leben

    Mit dir man immer scheint zu schweben

    Dein herrlich unverfälschtes Lächeln

    Lässt noch so starke Gegner schwächeln

     

    Im wirren Wunderland der Wünsche

    Behältst du in der Hand die Trümpfe

    Bist und bleibst ein froher Realist,

    für mich nie und nimmer ein Statist

     

    In deinen grünen grauen Augen,

    die nicht selten mir den Atem rauben,

    liegen reichlich Hoffnung und Vertrauen –

    weg ist jede Angst und jedes Grauen

     

    Von oben kühle, nasse Regentropfen,

    prasseln nieder Zeit für Zeit.

    Bis zum Halse unsre Herzen klopfen,

    ist das jetzt Vollkommenheit?

     

    Erst wenn wir uns sind ganz nah,

    wird mir urplötzlich sonnenklar

    dass Glück ist nicht gleich Perfektion,

    sondern eine Herzaktion.

  4. Der grünen Halme säuerlicher Duft,

    schwebt in meine Nase aus der Luft

    Zarte Sonnenstrahlen kitzeln das Gesicht,

    Ein Frühlingstag, so schön wie ein Gedicht

     

    Ameisen direkt vor meinem Augenlicht,

    grade tummeln sich in kleinen Paaren

    als ein Rotkehlchen, noch jung an Jahren

    mit viel Gesang durch das Dickicht zu mir spricht

     

    Klare Karaffen voll mit kühlem Nass,

    Warten freudig frisch am Gartentisch,

    glitzernde Perlen tropfen ab vom Fass

    Im trüben Teich schwimmt ein goldener Fisch

     

    Im weichen Grün der saftigen Wiese,

    entfliehst du jeder durchlebten Krise

    Wirre Gedanken haben hier stets Pause,

    es ordnet sich das mentale Zuhause

  5. Momentaufnahme

     

     

    Im Bruchteil eines Augenblicks,

    Nur du und ich, ganz ohne Tricks

    Ort und Zeit spielen keine Rolle

    Soll es kosten was es wolle

     

    Kein Trommelwirbel, kein Feuerwerk

    Auf der Stille liegt das Augenmerk

    Oft Ins Leere läuft viel Energie,

    in der Schlichtheit meist liegt die Magie

     

    Im verführerischen Dunkeln,

    nicht das poetische Funkeln,

    vielmehr deiner Augen Klarheit,

    welche mich verzückt in Wahrheit

     

    Die Unbekümmertheit der Jugend,

    ist unser beider größte Tugend

    Sturm und Drang statt Angst und Sorgen

    Hier und jetzt, kein bisschen morgen

  6. Die ewige Suche

     

     

    Du bist am Zenit und willst doch weiter,

    trotz stechender Wunden immer noch heiter;

    du steigst die Stufen des Erfolgs empor,

    der schwerste Gegner allerdings steht noch bevor

     

    Im Wunderland der Wünsche

    bleibst du stets Realist,

    Selten spielst du aus die letzten Trümpfe;

    Im Angesicht des ganzen Glücks du bleibst Statist?

     

    Du vereinfachst jede Gleichung,

    die ultimative Formel aber bleibt auch dir verborgen;

    willst dich aller Ängste entsorgen,

    die sich finden auf deines Körpers Zeichnung

     

    In den schimmernden Scherben der Illusion,

    erkennst du im Schatten aller Konfusion,

    dass Glück ist nicht gleich Perfektion,

    sondern eine Herzaktion.

  7. Zwiegespalten

     

    Ich steh` am Ursprung,

    noch kenn` ich die Richtung nicht;

    es ist Zeit für den Absprung,

    der Aufbruch erscheint ganz dicht

     

    Bin hellwach zu später Stunde,

    eine Flut an Gedanken liegt dem zugrunde;

    Im Kopf schwirren die wildesten Ideen,

    doch genauso heftige Zweifel, die nicht wollen vergehen

    Möchte frei sein und fliegen,

    endlich den Zwiespalt besiegen

     

    Auf zu neuen Ufern

    wo die Sorgen sind klein und die Luft ist rein;

    Auf zu neuen Ufern,

    wo die Hoffnung erblüht und die Leidenschaft nie verglüht

     

    Inmitten allen Überschwangs,

    erwachsen zarte Knospen des Widerstands

    die Leichtigkeit und Zuversicht des Anfangs

    leise schwindet in den Wirrungen des eigenen Verstands

    Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte

    Was, wenn die Entscheidung nicht ist die rechte?

     

    Einzig das Ungewisse ist verlässlich;

    so schreit voran und wag den Neustart,

    selbst wenn es scheint kräftezehrend und hart;

    der Lohn dafür ist unvergesslich

     

    Auf zu neuen Ufern,

    wo die Sonne scheint und sämtliches Glück ist vereint

    Auf zu neuen Ufern,

    wo die Luft ist rein und die Sorgen so klein

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