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14.7.2012


Schmuddelkind

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Ach Babsi,

 

wie mir weder das Gefühl der Wachheit noch der Müdigkeit in meine Sinne gelangen will und ich dennoch aufstehe, um nicht liegen zu bleiben und zu Bett gehe, damit der Tag vorüber geht, als sei ich ein zum Tode Verurteilter, der jeden Abend einen Strich an die Zellenwand zeichnet, nur um zu sich selbst sagen zu können, er habe einen weiteren Tag hinter sich gebracht, wohl wissend, dass es lediglich ein Tag des stumpfen Wartens war, wie ich mich mit jedem Gedanken entmenschliche, indem ich mich zur bloßen Folge meines Daseins mache, wie ich mich erdulde und an der Duldung kranke! Dies alles hat viel Undeutliches und Widersinniges, wofür ich mich schäme.

 

Und ist das Menschsein nicht gemeinhin Grund zur Scham? Dieses stete Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit im Wissen um die bloße Denkmöglichkeit eines reichen, erfüllten Lebens, das vor allen Ausschlägen eines wankelmütigen Schicksals wie ein großer karger Fels hervorsticht, mag denjenigen nicht berühren, der entweder aus Verderbtheit und Dekadenz diese Diskrepanz erträgt oder sie aus Einfältigkeit gar nicht sieht. Ach, wie sind sie zu beneiden, die schlichten Gemüter und die abgestumpften Zynisten, die Naturmenschen und die vollkommenen Bürger! Und je länger ich darüber nachdenke, umso ärger beneide ich die, die darüber keinen Gedanken verschwenden und umso mehr erschrecke ich vor mir selbst.

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2 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Wie berühren mich diese Texte Schmuddelkind. Weil sie eine Hilflosigkeit dem Schicksal gegenüber aufzeigen, die an Grenzen stößt, sich dem Unwiderbringlichen und vor allem dem nicht steuerbaren Schicksal ergeben zu müssen. Um ein Leid darzustellen, das man, wenn nicht involviert in dieser Tiefe, weder erfühlen noch erahnen kann und das einem trotzdem innehalten lässt im Bewusstsein des Glücks, bis jetzt "davongekommen" zu sein. Gerne würde man seine helfende Hand ausstrecken, um diesem Schmerz die Intensität zu nehmen. Unglaubliche Briefe.

Ganz lieben Gruß

Sonja

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Vielen Dank für deine empfindsamen Worte, liebe Sonja!:smile:

 

Du hast es ganz gut auf den Punkt gebracht mit deiner Ausführung über das Unwiederbringliche. Das Leben ist eine Einbahnstraße. Man kann kein Wort wirklich zurücknehmen und muss mit den Konsequenzen seiner Handlungen leben. Das ist manchmal verdammt schwer zu schlucken, aber es kann uns auch dazu anhalten, das Beste aus dem Augenblick zu machen, in dem Bewusstsein, dass es einem sonst noch lange verfolgen könnte.

 

LG

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