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Waldjunge

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Beiträge erstellt von Waldjunge

  1. DIE WITWE

     

     

     

    Er starb im Sommer, als in den warmen Nächten
    die Glut der Tage aus der Erde kroch.
    Sein Gang ins Anderswo, zu unbekannten Mächten,
    war Erlösung. Und war erschütternd doch.

    Jetzt ist es Herbst. Die Witwe lehnt
    vor einer kleinen Leselampe, hält ein Buch,
    und draußen klatscht der Regen, lang ersehnt,
    an Tür und Fenster, legt sich wie ein Tuch

    auf Garten und auf`s Haus, das mittlerweile
    so seltsam still ist wie ein leiser Traum.
    Sie sind noch eins, wenn auch getrennte Teile
    in zwei Welten, so doch noch in einem Raum.

     

    • in Love 1
    • Schön 3
  2. der tod wird ein kosmisches ereignis sein

    ich nehme die milch aus dem kühlschrank

    und drei millionen lichtjahre weiter

    zerspringt eine sonne

    nichts ist geschehen:

    ich trinke milch

    doch noch bevor ich sie wieder in den kühlschrank stelle

    sacke ich auf dem weg

    vom schlafzimmer zur küche zusammen

    und zerspringe wie eine hauchdünne  porzellantasse

    und drei millionen jahre später

    erlöscht auf einem schwarzem firmament ein kleiner gelber punkt

    dazwischen wird gerudert das klima gewandelt kaffee geerntet

    wetten abgeschlossen skateboard gefahren elefanten gejagt

    und seiltanz und rechtswissenschaften gelehrt

    vielleicht eine spezies unseres planeten abgeschafft

    und am nächsten morgen weht der wind

    ein staubkorn von der fensterbank

    in den kollektiven orbit aller erinnerung

    • in Love 1
    • wow... 1
  3. später samstagnachmittag im dorf, wenn die
    straßen glänzen in neutraler sauberkeit, geharkt
    die wege für einen kurzen augen blick, schon zertreten
    die stille minute, die sekunden zerstreut wie kleine
    lämmer, die sich in der großen weiten welt
    verlieren, die so fern ist wie ein häher schrei, ganz weit
    überm fernen wald, und nicht zurückfinden in den
    schoß einer beschaulichkeit, die nur noch in der
    erinnerung der alten brütet, vergessenem aus vielen
    jahrzehnten, ohne internet, mit der dorfkneipe, dem ersten
    fernseher, nordmende, die längst verstorbenen
    gesichter sind längst nicht mehr da, die geharkten
    wege

    • Schön 2
  4. morgens im stehcafe
    bei croissant und zeitung
    ende des sommers
    mit diesen sandfarbenen morgen-
    und abenddämmerungen
    dem tau auf der haut
    wanderten meine gedanken

     kurz zu rita hin
    die jetzt plötzlich

    aus ihrem lebenslangen sumpf

    aus konjunktiven
    geschlüpft war

    sie lächelte noch einmal
    auf der letzten seite

    der zeitung
    ich musste los
    wie immer auf der flucht
    vor dem sommer

    dem herbst

    den konjunktiven
    ich wünschte

     

    • wow... 1
    • Schön 1
  5. in dem kinderbuch

    mit diesen dicken seiten aus unzerstörbarer pappe

    das nach 1967 roch

    war der bagger feuerrot

    in einem feuerrot

    wie es nie wieder ein feuerrot gab

    die pflaumen in einem pflaumenblau

    der jäger in einem waldesgrün

    und der löwenzahn in einem sonnengelb

    in dem kinderbuch

    mit diesen dicken seiten aus 1967

    das später auf dem dachboden lag

    und in den neunzigern

    aus dieser welt verschwand

    in diesem kinderbuch

    in diesem kinderbuch

    heute denke ich an

    einen bagger

    einen jäger

    an löwenzahn

    an pflaumen

    die ich nicht mehr schmecke

    und farben

    die es nicht mehr gibt

    und doch

    ist alles in mir drin

    • in Love 1
    • wow... 1
    • Schön 2
  6. Vielen Dank, Andreas und Perry, für eure Meinungen.

    @ Perry: das graue Glas des Ackers ist eher ein Bild der flirrenden Hitze, die verschwommen über erde wabert.

     

    ...und klar, die Großeltern nehmen natürlich 1973 ihren Mittagsschlaf und sind in der Erinnerung des Lyrich längst verstorben, aber es erschien mir geeignet als ein Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart....

    • Gefällt mir 1
  7. da ist er noch

    der knisternd brütend frühe sommernachmittag

    so still und so heiß

    leer der hofplatz

    katzen und hühner entschwunden

    in das land der schatten

    die längst verstorbenen großeltern

    ruhen im dämmer der kleinen stube

    neunzehnhundertdreiundsiebzig

    eine stunde aus der zeit hinaus gefallen

    alles fügt sich in dieses eine bild

    das nur einen augenblick

    in diesem august gerinnt

    die blätter der buchen

    wie kleine silberne spiegel

    die flirrende luftschicht kocht

    über dem grauen glas des ackers

    traumgefangen der flug der schwalben

    blind in eine zeit hinein

    die nie vergeht

    und doch verschwindet

    • Gefällt mir 1
  8. auf der landkarte meines lebens:
    abends strömen die flüsse unentwegt
    in die länder des vergessens,
    kleiner und kleiner
    zerbersten die winzigen adern
    in das, was nie wieder zurückströmt.
     
    abends am strom.
    arm in arm im sonnenuntergang
    zwischen mücken
    und grasgrünen fröschen
    ersten sternen
    halten wir uns fest

    • Gefällt mir 2
  9. Dienstags um zwei

    ist Andacht .

     

    Gott schüttet

    Sonnenlicht

    an diesem Septembertag

    in den Raum,

    der hell ist

    und still.

     

    Nur das Gemurmel der Alten,

    die Augen sanft und trübe

    wie traurige Tiere

    in ein Innen

    oder in eine Ferne

    gerichtet.

     

    Wie leise der Nachmittag ist,

    lautlos und golden

    in seiner Fassbarkeit.

     

    Jedes Staubkorn

    im Sonnenstrahl

    ist gezählt und sinnvoll,

    der Abend ein Freund.

     

     

     

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    • Schön 2
  10. so mild und sanft und traurig:

    das abendlicht über dem küchentisch bei meiner mama;

    und zwischen uns wie ein äquator

    die bedienungsanleitung der neuen telefonanlage

    der limes zwschen den generationen

    ich will das nicht mit dem anrufbeantworter

    und dann diese lange nummer

    und was kann ich alles falsch machen

    nichts mama das ist ganz einfach

    aber ich will das nicht

    ich bin mit dem ganzen computerzeug nicht groß geworden

    und hilflos waren diese lieben augen

    einundachtzig  jahre blickten mich aus übersee an

    dem sohn der von ihr das leben bekam

    und ich nahm ihr den schrecken der neuen alltäglichkeit

    wir erzählten noch ein wenig von einst

    von der heuernte und tante hedwig und opa

    als er noch lebte und dem selbst gemachten rharbarbersaft

    und wir schlenderten über den äquator

    eine endlose stunde am abend

     

    • Gefällt mir 1
    • in Love 1
    • Schön 1
  11. zugeknöpft die kleine stadt
    und noch kleiner als zuvor
    jetzt am ende des sommers
    ist die gegend gelb wie honig und sand
    sie verwischt wie der wenige regen
    auf dem staubigen feldweg
    unlesbares trommelt
    und auch zugeknöpft die fenster
    mit hinabgelassenen jalousien
    erst am abend öffnen die flügel
    wie gähnende verschattete mäuler
    als schwarze schneisen
    für die irren zweiundzwanziguhr-fledermäuse
    zugeknöpft die kleine stadt
    und leiser als sonst
    die daheimgebliebenen
    in den friedlichen gärten

    • Gefällt mir 1
    • in Love 1
  12.  

     

     

    endlich dein blaublütiger saft

    sag was du zu sagen hast

    schnell versiegen die worte

    ebenso endlich

    in einen schwammigen boden-

    los dein schweigen

    wenn du da liegst wie ein

    gewöhnliches stück plastik-

    müll das nichts mehr von

    sich und seiner vergessenen

    und großen geschichte

    weiß

    weiß

    weiß

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