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Mischa

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Alle erstellten Inhalte von Mischa

  1. Kritik? :mrgreen: Nichts leichter als das! Öhm, schon 14 Tage, steht die Frage, nach Kritik allein im Raum, darum schau, was ich Dir sage, wie ich mich ans Versmaß wage, andre Mängel gibt es kaum. Naja, der war schlecht :oops: ... doch mir gefällt das "kleine Lied", Dein Gedicht.. ------------------------------- Allein, im Dunkeln tief versunken, hör ich die Gedanken munkeln, die wie ein Schauer Handgranaten den Angriff auf's Bewusstsein starten. Gedanken die des Nachts nur lauern die wartend in der Ecke kauern, sich zu finden, - zu verbinden und sich durch (...) Synpasen winden. (Gedanken, die des Nachts nur lauern sich zu finden, - zu verbinden wartend in der Ecke kauern und sich durch Synapsen winden. dann kriegt es einen "Kreuzreim" "a-b a-b", ich finde, der macht die Bewegung ein wenig .. turbulenter) Tag-Nacht Schwäche-Macht Himbeersaft Chaos in meinem Kopf und kein Selbstzerstörungsknopf. Hier bracht es kein regelmäßiges Maß, den hier herrscht Chaos, wohingegen das rhythmische, wenn es im restlichen Gedicht gewahrt ist, den unruhigen, doch regelmäßig drängenden Puls des/der nicht Einschlafen Könnenden veranschaulifiziernd transportiert, öhm, anschaulich macht.. Theorien, tief vergraben, die sich in meine Augen nagen. /die sich in die Augen nagen. Sind alle von der Nacht gemacht und halten mich doch wach. mmh.. (und) halten mich so quälend wach Doch jetzt wird das Flüstern leiser, Endlich!.. wird das Flüstern leiser mein Gehirn wird langsam heiser, ich kann endlich Ruhe finden, ermattend kann ich Ruhe finden (und) in (die) Leichtigkeit der Träume sinken. in Leichtigkeit zu Traume sinken (Hab die Träume zum Singular gemacht, wegen "in" Leichtigkeit" .. und der Singular klingt "tr-aum" dann nach einem Sturz in narkotische Erschöpfung ..) --------------------------- Hoffentlich erkennst Du es noch wieder, und grollst nicht? :oops: :? ... und ..bitte: Du wolltest Kritik: Daher, laß Dich jetzt jaa nicht frustriern oder entmutigen.. ich selbst bin nur ein "Hobbyist", kein Profi.. und mach sicher viel ..wo mancher schmunzelnd denkt .. "das hätte ich in seiner Stelle leichter im Ausdruck bewältigt, was hängt er an seinen Ausschmückungen ...usw.") Ist das in Ordnung für Dich?, daß ich jetzt .. ich bin verbleibe dann, in Hoffnung auf ein "mh", "aha", oder was immer beliebt. Mit liebem Gruß, Mischa
  2. Mischa

    Die Rose

    Oft ertötet die Form den Inhalt. "Schlimmstenfalls" erschafft ein Erüben der Form einen zufälligen Inhalt, :mrgreen: . Wenn das Inhaltliche andrängt, in starken Emotionen, kann es nicht mehr in klassischen Formen gebändigt werden. Wenn einem ein Erlebnis mit sich reißt, ist es m.E. viel, wenn sich Bilder ergeben, um den Geist zu ordnen und zur Ruhe zu bringen. Hier aber, in diesem Sonett bilden (mir) Form und Inhalt eine Einheit, die zum Stillehalten einlädt. Nirgends stößt die vielschichtige (Du wiesest darauf hin, oder?) Aussage an die Form an. Die strenge Form des Sonetts wird nicht zum Korsett seiner Ausdrucks-Seite. Auch das Versmaß ist nicht gezwungen. Es ist der schönste "Klassiker", den ich in neuerer Zeit sah, seit Jahren. Wobei ich jedoch gestehen muß, daß ich selten Sonette lese. Auch wenig Lyrik allgemein, und besonders dem Reim eher abgeneigt bin. Hier ertrage ich ihn nicht nur, den Reim, er stört auch nicht. (Ist es unangenehm, wenn ich sage, daß mich das Gedicht ein wenig an Stefan George erinnert? Auch er setzte die Worte schrittweise mit Bedacht, auf daß eine gewisse in Stille vermittelt wird. In dieser Stille dann ist der ..Betrachter .. des Gedichtes gehalten, sich Wort für Wort das Ganze zu erschließen. So, als nähere man sich Blick für Blick einem Gemälde. Und eben keinem Lied..) Also,mein abschließendes Fazit: Ein echte Meditation, in der man wirklich verweilen kann, um in Ruhe mitzuempfinden. (Wunderschön :oops: ..) Herzlichst, Mischa
  3. Mischa

    am feuer in der nacht

    Ich las gerne Gedichte, um mich darin wiederzufinden. Es gelang nie ganz. Also mußte ich sie mir selber schreiben. Und manchmal wollte ich, daß sie so aussähen, als seien sie fremd! Also verfremdete ich sie manchmal, etwa durch kleinschreiben.. oder durch vieldeutige Worte...sie sollten mich auch selbst verzaubern.. und auch .. ..der Saft himmlischer Pflanzen, das sind eben keine Drogen, die Schmerz nur abtöten, oder unkenntlich machen. Es bedarf himmlischer Pflanzen, welche den Schmerz aufschließen, um in ihm wahrnehmen zu können. Die Seele bedarf der Pflege, doch das Mittel der Pflege kommt aus anderen Gefilden, als denen des Alltagsbewußtseins, wo das Unaufgearbeitete lästig, daher schmerzhaft ist. Dort, wo Engel ruhend auf unseren Lebensweg schauen. "Gott" akzeptiert alle Deine Mängel, und überschießenden Emotionen und Vorurteile und Leidenschaften, die am Ziel vorbeigehen können, .. daher ruhen die Augen "Gottes", die "Engel", so, wie der Blick auf Vergangenes am Feuer, am Ursprung des Daseins, zur Ruhe kommt ... Na, soweit mal, zur Bildlichkeit ..
  4. Mischa

    am feuer in der nacht

    Ja, die Füllworte können Flöhe werden, dem Leser, man sollte sie öfter mal auslesen .. Boah, mir gefällt es so, wie Du es Dir übersetzt hast, gar nicht. Ich akzeptiere aber gerne, daß Du es auf diese Weise versuchst, näher zu Dir heranzuholen. Das "aus dem Herzen schreiben" mag zutreffen, nach meinen Erfahrungen, wenn Du die "Abrundung" in der noch währenden, andauernden, biographischen Epoche einfügst. Wenn die Zeiten sich einmal wieder gewendet haben, wirkt, so geschah es mir(!), jede "Verbesserung", Veränderung (möglicherweise gar aus Scham) als echter Fremdkörper, den die Leser denn dann nur merken im Sinne von "Ein schlechtes Gedicht!" und wohl nicht sagen, zeigst Du dann das alte Original .. so sagen sie "Aaaah!" ..minimal kann man später etwas abändern, wenn darin ein echter "Bock" sitzt, ein "Eselsohr", was man damals stilistisch nicht bewältigen konnte..
  5. Mischa

    am feuer in der nacht

    Ja! Ich mag oft Adjetive, weil ich ein "Augenmensch" bin. Auch die "inneren Augen" betreffend.. Da wird es manchem schon mal zu bunt! Ich möchte gewissenhaft alles sichtbar machen.. Dies nicht als Rechtfertigung, sondern als Beschreibung, so, wie ich mich meistens kenne und erlebe. Die Gedichte schreiben sich bei mir wie von selbst. Oh gott hock: , als "Medium" sehe ich mich nicht, so ist es nicht gemeint. Sie reifen in mir heran, dann pflücke ich sie, wie bereits geschrieben. Mir bleibt hernach bestenfalls feilen, doch ändern möchte ich ... vieles .. nicht. In der Prosa oder in der elegischen Dichtung ist das anders. Da ist kürzen für mich heilsam gewesen. Auch Verknappung, und.. freilich .. Adjektive herauslesen, wie Käfer aus dem Bett. Und Konnektionen. Können wahnsinnig störend wirken. Also mach mal. Dem Original tut es nicht weh! (Es ist eines meiner Lieblings-Gedichtchen. Es verbindet mich mit so vielem und einer gewissen Zeit..) Lieben Gruß, Mischa
  6. Mischa

    am feuer in der nacht

    am feuer in der nacht verlassene bilder findest du oft erinnernd vor verstummt als ereignis ausschwingend für immer als klangbild des gewesenen flackernde schimmernde kristalle aufgespart für die ewigkeit leuchten funkeln bilder erlöst von hader und möglichkeit spiegel in denen die augen der engel ruhn still und jede gewordene bewegung mitfühlend und dort warten dabeiseiend mit zusammengefalteten flügeln unsere seelen abseits und scheu und im einvernehmen allein in der engel mitfühlen das eigene erglühen von einst erkennend es war und im schatten schauend in vergangenen lebens feuerkreise der sich verzehrenden zeit großen augen die seelen haben in abwesenheit und ihre nähe einander ist die anwesenheit derer die uns gerade zur tür hinausgegangen und nachklingen vielleicht lächeln erschöpftes jauchzen wehmut und reue seufzende erleichterung oder auch einmal die feste glut einer gewißheit hellblutrot mit dunklen schwanken flecken darin all das innen nur und außen stumme es war aller gefallener täuschung gewahr und trinkend den saft himmlischer pflanzen die schmerz nicht ertöten doch stillen dieser und dieser und dieser seele reinstes - inmitten verlassener bilder vergehen- glühen 1998
  7. Mischa

    Xenia

    Seit ihrem schweren Unfall hatte ich nichts mehr von Xenia gehört. Traurig und innerlich verschreckt ging ich in meinem Wohnprovisorium auf und ab. Ich mochte nichts essen, das Gefühl war fast schlimmer, als die Monate des Schreckens während meiner Gefangenschaft in den Lagern der fanatischen „Zornigen Allianz“. Was soll ich sagen, mir wurde von der „Zornigen Allianz“, die bekanntlich den „Aggressiven und Schönen Menschen“ züchtet, und für den „Krieg Aller gegen Alle in wissenschaftlich kontrollierten Bahnen“ eintritt, kein Sperma entnommen. Das wußte ich schon zum Zeitpunkt meiner Gefangennahme, was mir eher Angst machte. Monatelang machten sie Verhaltens-Experimente mit mir, nahmen Blutproben, überlegten, mich als Präparat zur Plastinierung für ihre Anatomie freizugeben, denn: Ich wurde von der „Gewaffneten Amazonen-Mutterschaft“, dem zentralen Zuchtprojekt der Regierung der Allianz für „zu ruhig, zu wenig markant, zu soft und musisch“ befunden. Gleichwohl wurde ich Soldat unseres „Republikanischen Bündnisses für Erdbeglückung“, schon um meinen Eltern den Gefallen zu tun, in Zeiten großer Arbeitslosigkeit etwas ordentliches und gut beleumundetes zu tun. Sie mochten es nicht, daß ich Musik machte, und las.. „Das gab es in unserer Familie zuvor nicht!“ hatte Vater gesagt. Damals, lange her.. Jetzt war da Xenia, die ASE ZfSR Assistentin, in mein Leben gekommen, nun aber das.. Ich war traurig, denn ich fühlte mich mitschuldig, Xenia war sehr aufgeregt, als sie in den Vehiculator stieg, ihre Gedanken waren verwirrt, sie hatte zu viele Emotionen gehabt, und obgleich der Emo-Selektor alle Gefühle punkto der Gedankenübertragung auf das Gerät eigentlich hätte erkannt haben müssen, war ihr Vehiculator gegen eine Wand gerast. Selbstmord? Oder ein Fehler der Programmierung, oder bloß ein Fehler der Hardware? Sie hatte immer wieder versucht, an der Gedankensteuerung des Fahrzeuges den verplompten Emotional-Selektor auszutricksen, sie hatte das technische Wissen, sie suchte den Kitzel bei der Fahrt. Als ich im Zuge eines Gefangenentauschs freikam, wurde ich in das Zentralinstitut für Seelische Regeneration (ZfSR) gesteckt, wo sie meine Betreuerin und Motivatorin wurde, so hatten wir uns kennengelernt. Bald besuchte sie mich immer öfter außerhalb der Sitzungen in meinem Wohnprovisorium, und ich begann zum ersten Mal in meinem gesamten Dasein, wirklich mein Leben zu genießen, hatte gesellschaftliche Anerkennung erworben, machte Pläne für meine Zukunft.. Bald konnte ich auch den Zahlencode für ihre Wohnwabe richtig sprechen, und sie den für mein Wohnprovisorium! Eine wunderbare Zeit begann. Auf jeden Fall hatten wir viel Streit gehabt, ich fühlte mich auch manchmal sehr unwohl, dabei liebten wir uns wie zwei Verrückte, laut, heftig, wild.. Aber es gab eben zuviel gegenseitiges Konkurrieren, Besserwisserei, mit „Eifer suchten wir, was Leiden schafft“, wie es so heißt. Das machte uns beiden Sorgen. Wir mochten auch den Alkohol, das sich berauschen, wir tranken ihn ab und zu. (Ich hatte durch die Armee so meine Verbindungen.) Aus Verzweiflung. Weil wir uns durch diese nüchterne Welt, die uns umgab, manchmal ganz ausgestorben fühlten. Es war ja verboten, den Alkohol zu trinken, wir taten es trotzdem. Das ZfSR war Teil der ASE (Abteilung Seelische Ertüchtigung), die wieder eine Sub-Org des großen Konzerns MetaServantAwareness war, wo Xenia auch seit einiger Zeit im Labor für Human-Analogistik assistierte. „Ich will, und wünsche mir von Dir, daß Du all diese Dinge nicht vergißt, über die wir auch berauscht zusammen besprochen haben..“ so hatte ich einen Brief an Xenia angefangen, er lag jetzt, vielleicht nutzlos geworden, auf meinen Wohnzimmertisch, ich hatte ihn, wie es heute unter jungen Leuten Mode ist, mit echter Tinte geschrieben, und mit einer Schreibfeder.. „es tut mir leid, daß ich ehemaligen Soldatenfamilien entstamme und so wenig Feingefühl in meiner Grunderziehung habe, weil mein Milieu diese Dinge verachtete und nicht kannte. Ich meine halt, zehn Tanzkurse würden heute keinen Kavalier mehr aus mir machen. Ich war nicht, ich weiß es, nett genug zu Dir. Ich kann nicht mit Frauen umgehen, ich fasse sie zu hart an, wenn sie zornig werden, vergesse, wie zart sie dabei empfinden. Das tut mir leid.. Es gibt da eben Dinge, die mir wichtig sind, über meine Person hinaus, und ich weiß immer noch nicht, wie man gewisse wichtige Dinge nicht nur Männern, sondern auch Frauen näherbringt, ohne sie damit zu vereinnahmen. Es geht mir ja nicht etwa um Philosophie, sondern um das Leben selbst... Es ist mir immer peinlich, gegen meine Gefühle zu handeln, -was ich als lügen empfinde-, mich zu prostituieren, was mir aber als der einzige Schlüssel zu gesellschaftlichem Erfolg erscheint. Das geschmeidige Sich Zur Verfügung stellen, Du weißt schon. Ich glaube nicht daran, daß unsere Liebesgefühle hormonelles Geschehen sind und den Signalements im Zwischenhirn, von wo aus diese Drüsen gesteuert werden, allein unterliegen. Wenn ich jemandem die Hände abhacke, so kann er nicht mehr streicheln. Und wenn ich jemandem das hormonelle Geschehen blockiere, so kann er auch nicht mehr seine Liebe ausleben. Wenn ich aber jemandem Stromstöße appliziere, so zuckt er zusammen. Aber ich erzeuge dann ja nicht den Wunsch in ihm, sich nun ruckartig zu bewegen. Schlage ich auf den Tisch, wo ein Frosch sitzt, so springt der Frosch fort. Hacke ich ihm die Beine ab, springt er nicht mehr vom Tisch, wenn ich daraufhaue. Hört jetzt der Frosch mit den Beinen?“ Darüber hatten wir gestritten, als Xenia rasch noch einmal ins Labor mußte... „Daß ich dich liebe, und nur Dich allein, kommt aus meinem Unbewußten heraus, nicht aus bewußter Entscheidung, ich kann es nicht beeinflussen, nicht zurückverfolgen. Es endet in einem rein biochemisch und biophysikalischen Geschehen, da wette ich..!“ stampfte sie mit dem Fuß auf, „...akzeptiere doch, daß du über dich nicht alles bewußt wissen kannst..“ „Du verstehst mich vollkommen falsch, zu undifferenziert, Xenia..“ konnte ich ihr noch zurufen, bevor sie den Schlag des Vehiculators zudachte, der dann allzu heftig zuknallte, wie mir schien.. „Ich glaube dennoch nicht an die Entschuldigung geringerer persönlicher Verantwortu..“ ach, sie war immer gleich zornig.. Dabei schätzte sie es, daß ich so selbstverständlich mit „Gefühlen denken und mit Gedanken fühlen“ könne, aber mich verwirrten solche Aussagen von ihr bloß. Wir hatten nicht getrunken an diesem Nachmittag, und eine unkontrollierte Verselbständigung ihrer Denk-,Gefühls- und Verhaltensmuster war dahingehend unwahrscheinlich. Empfindungen waren uns immer wertvoll gewesen, sie begleiteten uns bei unseren überlegten Handlungen. Gaben unserem Leben erst die Farbe, die Musik, und wir konnten auch andere Gefühle und deren Empfindungen einschätzen, Atmosphären in der Umgebung von Menschen, Tieren und auch von Orten wahrnehmen, und diese aber beurteilend einordnen. Pure Rationalität kann nicht die Schönheit eines geliebten Menschen, auch nicht eines Waldes begreifen, nicht die einer Musik, oder die der Mandelbrotmenge, darin waren wir allerdings beide einig.. Unser Streit drehte sich um die Frage, warum wir Menschen von uns überhaupt wissen. Xenia sah mich am Abend, wenn sie mich nach ihrer Arbeit am Labor besuchte, oft lange und nachdenklich an, und sagte wehmütig: „Und ich weiß nicht einmal, ob es dich überhaupt gibt, mein süßer Schatzbob. Im Institut wissen wir, daß es keine Seele, wie man sie früher angenommen hat, gibt. Wir sind durch Selektion der Natur zu wunderbaren Apparaten geworden, und wir entschlüsseln heute, wie wir funktionieren. In der Human-Analogistik bauen wir das menschliche Bewußtsein immer besser nach. Die Gesetze all der Staaten, die sich dem Republikanischen Bündnis für Erdbeglückung angeschlossen haben, sichern bald einmal die ganze Menschheit vor dem Mißbrauch dieser Werkzeuge. Sie dürfen niemals Waffen werden, daran glauben wir doch, Schatzbob, oder?“ „Es gab früher einmal eine Idee, die nannte sich Demokratie, Xeny. Weißt du, ich habe darüber gelesen, schon bevor ich Soldat wurde. Leider ließ sich ein solches Gemeinwesen nicht mehr verwirklichen, weil die Technik zu enorme Fortschritte machte, und die Wissenschaften zu umfangreich wurden. Ich kann nicht ganz daran glauben, daß Demokratie nicht, prinzipiell nie, möglich gewesen wäre, aber mir fehlt die Hochschul-Bildung, weißt du. Ich habe zwar viel Bücher gelesen, aber mir fehlen die Argumente, mir fehlen Zeit und Ruhe, und auch gebildete Gesprächspartner, darüber tiefer nachzudenken, und..“ „Wie du bist, das find ich toll! Du hast Illusionen, aber sie sind sehr romantisch! Aber Schatzbob, bedenke, wir haben Freiheit, große Freiheit und historisch nie zuvor dagewesene Möglichkeiten des Einzelnen, sozial aufzusteigen, sich Teilkompetenz zu erwerben, bis hin zur Sub-Elite. Wer bis zur Hohen Elite aufsteigen darf, behält sich freilich der Rat vor. Aber jeder darf die Protokolle einsehen! Die Debatten und Sitzungen des Rates sind öffentlich. Wer den Grad eines Fach-Kompetents erworben hat, kann alle Entscheidungen der Eliten nachvollziehen, es gibt darin keinen Widerspruch, alles, was die Regierung tut, ist liebevoll, objektiv und folgerichtig. Es kann natürlich nicht auf private Spezialinteressen und Träume eines jeden Spinners eingegangen werden, du selber kennst die Zustände in den Staaten der Zornigen Allianz. Wie haben sie begonnen? Sie haben Chancengleichheit für alle und alles gefordert, punkto jeder noch so kranken und subjektiven Meinung! So hat es bei ihnen begonnen, jetzt herrscht der nackte Terror! Drogen, Menschenzucht, Umweltverschmutzung, Sklaverei, Obdachlosigkeit, Handel mit überteuertem Trinkwasser, Schutzgelderpressung über Patente auf Pflanze, Tier und Mensch... überall.. Denke an den Sozialismus, oder den Kommunismus! Was dort die Illusion war: Alles gehöre allen! Das war auch so eine Art demokratischer Gedanke, nur exakt materiell. Und Demokratie? Dort wurde illusorisch gefordert, daß jeder entscheidungskompetent sei, ein Unding. Stell dir vor, jeder Faulenzer, Prolet und Aggressivling, jeder Herumspinner könnte bei wichtigen Dingen der Republik mitbestimmen? Ein Unding, genauso, wie im Kommunismus jedem alles hätte gehören sollen, und am Schluß war es ein Alibi für eine Militärtyrannei! Ich war nie für so komische und romantische Sachen. Kommunismus, Demokratie? Ha! Wir haben eine Republik, das heißt „res publica“, eine öffentliche Regierung aus Fach-Kompetenten der Sub-Elitären, die dem Rat der Hohen Elite untersteht, und all deren Gedanken sind öffentlich, sie verbergen nichts, anders wie die Schurken der Allianz. So, wie die Folterburgen und Genlabors der Allianz, so, Schatzbob, so sieht die reale Demokratie aus: Krieg Aller gegen Alle, pfui! Und dann noch auf allerlei Weise propagandistisch aus dem Hintergrund gesteuert! Drogen und Medikamente setzen manche Wissenschaftler ins Trinkwasser, um Studien zu treiben, überall Stadien für Ultimativ-Kampfspiele. Dort sterben Menschen. Wir aber haben die Oper und den Fußball, und höchstens faire Boxkampf-Meisterschaften für unsere Aggressivlinge, dort werden, wie früher schon, Handschuhe um die Fäuste gebunden, auf weichen federnden Böden.. Und, Schatzbob, schau, wir haben den Schutz der Intimen Räumlichkeit, jede Wohnwabe, jedes Wohnprovisorium ist frei von Beischauern und Beihörern! Garantiert. Es sei denn, wir würden die Vernetzungsmedien beischalten, um mit anderen Kontakt zu simulieren. Freilich wird jeder am Arbeitsplatz mikrophonisiert und optisiert, eben weil wir in all unserer Arbeit im Dienst am Mitmenschen und im Dienst der Republik stehen. Niemand kann daran etwas auszusetzen haben, weil es alles logisch ist. Es ist alles exakt vernünftig, unwidersprechbar.“ „Ja, Xeny, ich kenn das Argument mit der Todesstrafe, die sicher als erstes eingeführt werden würde, wenn es demokratische Abstimmungen gäbe. Und das alte Wählen, was die Historiker das Parteiensammelwahlrecht nennen. Wo alles und jeder, am Ende waren es sieben, acht Parteien wählen durfte. Wenn sich damals die Vernünftigen nicht immer durchgesetzt hätten, in dem sie den klugen Ratschlägen der Banken und Konzerne einerseits, andererseits einer realistischen Moral pragmatisch gefolgt wären, hätten wir Zustände, wie die Zornige Allianz.“ „Eben.“ „Aber das Prinzip der Demokratie war noch in den Kinderschuhen, Xenia! Nicht um die Abstimmung aller Idioten ging es, sondern darum, aus Idioten kompetente Menschen zu machen, die dann fähig werden, zusammen gewisse Dinge zu entscheiden. Ich habe gelesen, dies hätte eine vollständige Umstellung des Bildungs-Systems verlangt. Erst über Generationen hinweg, so glaubte man, würde der Alltag, allmählich, für alle menschenfreundlicher... Die Einzelnen, ohne Aufsicht, am ganzen Leben bewußt und freiwillig teilnehmend, würden immer mehr und mehr über Menschlichkeit lernen.. “ „Du kannst selbst, denn du bist intelligent, einschätzen, wie hart der Weg zum Kompentent ist, sieben Jahre unausgesetztes Studium. Der alte Doktortitel ist mit dem Titel des Kompetents gar nicht mehr zu vergleichen. Ich arbeite jetzt sechs Jahre in den Sub-Orgs der MetaServantAwarness, es ist sehr hart, und ich bin froh, wenn ich alles bestanden haben werde.. Niemand kann in unseren Tagen irgendetwas alleine entscheiden, nicht einmal ein Kompetent, es gibt zuviel Wissen zu koordinieren, was uns selber allen nicht einsehbar ist, denn das menschliche Gehirn leistet das nicht. Zugegeben, nicht alle Entscheidungen des Rates sind pur logisch, und reinlogistisch durchzuregieren. Wir lassen nicht die Maschine entscheiden. Entscheiden tun immer noch Menschen. Auserlesene Menschen mit hoher objektiver Liebesbewußtheit. Das hat mit der klassischen sozialen Kompetenz gar nichts mehr zu tun.“ „Xenia, durch dich habe ich diese Welt erst angefangen, tiefer wahrzunehmen. Immerhin habe ich das Gefühl, daß es eine gute Sache war, für die Republiken gekämpft zu haben. Aber die Freiheit der Intimen Räumlichkeit und des Intimen Gedankens hat mich zu den Gedanken der Demokratie geführt. Wenn ich mit dir rede, dann weiß ich gar nicht mehr, was das genau ist, was mich da so skeptisch macht. Aber ich glaube, daß man es argumentieren kann, ich will es dir eines Tages in Worten sagen können! So; daß du mir nichts mehr dagegen sagen kannst!“ „Ha, glaubst du wirklich, Bob Nemo, daß man alles, alles, alles bloß in Worten sagen kann? Das wichtigste im Leben in Worten? Es geht nicht. Poesie, es sind hormonale Ausschüttungen, Signale im hinteren Gehirn, oder im Zwischenhirnbereich, klar? Musik, sie irritiert dein ganzes Nervensystem. Denke an die Kriegstreiberei der Allianz, aber auch an unsere Musik der Freiheit, unsere zornigen Lieder, romantischen Lieder, unsere Geschlechtsmusik und Trauerchoräle, die Oper... Oder gute Gewürze am Essen, oder unsere Freude aneinander, alles ist ohne Worte!“ „Aber Demokratie, Herzensbildung; Empfindung von Recht und Unrecht! Xenia, dazu muß man darüber reden können dürfen. Mein Herz möchte eine Zunge, mein Gehirn hat schon eine.“ „Das Härz! Hehehehiii! Bob Nemo!? Weißt du nicht, daß das, was du Herz nennst, in deinem Gehirn seinen Ursprung hat? Siehst du mich? Das tust du nicht! Was siehst du?? Elektrochemische Impulse im Gehirn!“ „Nein, meine Augen sehen dich!“ „Dein Auge, Schatzbob, eine tolle Kamera, durch Millionen Jahre Leben selektiert. Zweimal sogar, die Mollusken haben es auf einer anderen evolutionären Teststrecke noch einmal entwickelt, ist halt das Optimum. Mein Bild, was durch das Licht transportiert wird, wird auf deine Netzhaut projiziert!“ „Dann sehe ich meine Netzha..“ „Nein, die Netzhaut stimuliert verschiedene Zellen, die Impulse an das hintere Gehirn senden, verstreute Impulse, die durch weitere komplizierte Prozesse wieder neu in deinem Hirn zusammengesetzt werden.“ „Dann sehe ich dich also gar nicht!“ „Wer bist d u ?“ „Was?“ „Ein Produkt deines Gehirns bist du, Schatzbob! Und ich auch! Mehr wissen wir wirklich nicht, über d i c h und m i c h !“ „Das ist wenig, und wir sind jetzt aber weit von u n s entfernt, zu weit, um ein vernünftiges Gespräch zu führen. Xenia, weißt du, du spinnst! “ „Und du, Bob Nemo, bist ein unwissender, illusionsbeladener Rohling!“ „Xenia, ich bin so vieles, zum Beispiel. Aber eines fühle ich, eines weiß ich: I c h b i n . Und D u b i s t . Wir beide sind, daran gibt es keinen Zweifel, und unsere Augen, unsere Füße und Hormone und neuralen Impulse, all der Schnickschnack, wir benutzen sie nur, wir..“ Du hast keinen Körper, du b i s t ein Körper!“ „Eines ist sicher: Ich bin.“ „Ist nicht sicher!“ „Ich weiß es doch!“ „Weil deine Kontrollfunktionen zugeschaltet sind, die sich zwecks Übersicht zentral verbinden, wie die Bild-Maske jedes Rechners..!“ „Und wer schaut da drauf? Der kleine Mann in meinem Ohr?“ „Du bist so kindisch, du bist süß!“ „Ich bin böse! Total sauer auf Dich!“ „Schatzbob, werde kompetenter, bevor du soviel liest, du hast keine Ahnung von der Welt!“ „Gut, aber ich. Weil ich bin!“ „Wenn du schlääfst?“ „Dann bin ich in meinem Traum. Aber ich bin!“ „Tiefschlaf? Wo bist du dann? Abgeschaltet, aber die Atmung, Verdauung, all das parasympathikotone Geschehen läuft, ohne Bob Nemo. Der ist heruntergefahren, ist nicht.“ „Dann bin ich, ohne das ich gerade von mir weiß. In Ordnung. Ich weiß nicht immer von mir.“ „Wenn ich dich höre, Bob, denke ich immer, überhaupt alles sei ein Traum.“ „Eben, und wer träumt? Xenia!“ „Darum weiß ich ja nicht, wenn es war sein sollte, daß es mich, wenigstens in diesem Augenblick, gibt, ob es dich dann gibt?“ „Oder ob du, Xenia, in einem Labor der zornigen Allianz unter Drogen dir etwas zusammenträumst?“ „Ist das wirklich war, daß Menschen so etwas tun können!?“ „Es ist eine Frage der Herzensbildung, des menschlichen Empfindens, und eine Demokratisierung des Gemeinwesens kann etwas erschaffen, was all das gebündelte Wissen der Republiken im Augenblick nicht wissenschaftlich anerkennt. Obwohl sie es als einen Wert verteidigt, und schützt, aber ohne die Freiheit den Menschen zuzugestehn, Fehler zu machen. Allen.“ „Aber einer Gehirnwäsche wurdest du bei der Allianz nachweißlich nicht unterzogen, seltsam.. Bob Nemo, du redest unlogisch, und das mußt du dir eines Tages bei mir zumindest abgewöhnen.“ „Eine Demokratie könnte das Bewußtsein der Menschen zu wesentlichen Faktoren des menschlichen Empfindens hin erweitern. Das wäre ein Werk vieler Generationen dann, eines Tages, so, wie heute in der Technik und Wissenschaft nicht alles von einer Generation her stammt. Das Wissen um die Identität des Einzelnen wurde zu früh aufgegeben in den Republiken, das ist es, ja Xenia, das ist es! Ihr wißt alles über das Gehirn, die Aminosäuren, Ribosomen, die neuralen Impulse des Menschen. Es ist, als würde man einem Fahrer eines Vehiculators weismachen wollen, er selber sei der Vehiculator.. mmh, ja das müßte es sein.“ „Wenn du so redest, Bob Nemo, kriege ich Angst. Wenn es mich gäbe, nicht als biochemischer Prozeß, dann wäre alles nur mein Traum, sonst gäbe es doch nichts, was beweisbar wäre. Nur Materie ist beweisbar. Geist und Seele ist doch Illusion. Aber wäre es keine Illusion, wäre doch diese ganze Welt nicht sicher, vollkommen unsicher!“ „Xenia, diese Welt ist sicher, aber ich und du sind es auch, fürchte dich doch nicht. Wovor hast du Angst?“ „Du hast keine Angst, weil du so naiv bist, Schatzbob, so verdammt naiv..“ So verliefen die Gespräche zwischen Xenia und mir in den besten Stunden, wenn wir nicht stritten, und wir lernten soviel voneinander, obwohl ich natürlich immer noch nicht genug weiß vom Leben, um in Worten und dazu wissenschaftlich kompetent so schlagfertig zu sein, mich mit irgendeinem Kompetent der Sub-Elite oder gar des Rates messen zu können. Vielleicht ist real existente Identität genauso illusionär, wie Demokratie, ich weiß es nicht. Individualismus und Menschenrechte seien aber Werte der Republiken, wurde uns gesagt. Nun aber sagten die Eliten, es gäbe keine wirkliche Individualität, irgendwie aber auch keine wirklich erkennbare Realität. Verwirrend. Oder ist alles nur mein Traum, auch Xenia? Und die Bildung der Seele, des „Herzens“, zu einem differenzierten Sensorium humanen Mitempfindens in individueller Freiheit? Eine Glücksache Einzelner, die solche Impulse in sich fühlen, und intim. Niemals einem Gemeinwesen vermittelbar? Um eine ebensolche Tradition der Erfahrung dort einzupflanzen, wie es in der äußerlichen Wissenschaft und Technik über Jahrhunderte bereits geschah. Denn das alte Wissen um Demokratie und das, was die Alten ‚Humanität’, später dann ‚menschliche Werte’ nannten, es war mehr und mehr im Schwinden begriffen. Eine Macht disziplinierter Ordnung, mühsam aufrechterhalten und ein buntgewürfelter anarchischer Machtblock, Kriegsherrinnen und Soldatentyrannen des nackten Wahnsinns standen sich in einem kalten und manchmal heißen Krieg gegenüber, und das einzig wunderbare war, daß jede der beiden Machtblöcke bloß den Schrecken atomarer Waffen und aggressiver Seuchenkampfstoffe wohl deshalb nie einsetzte, weil der eigene Gewinn dadurch hätte verpestet werden können, die Luft für beide auf dem Planeten rasch ganz abgestellt worden wäre. Die „Pearls“ wurden unsere Leute bei der „Zornigen Allianz“ drüben genannt, weil wir so erzogen waren, keinen Gefühle allzusehr unkritisch in uns ihren Lauf zu lassen. Alles perlte an uns ab, deshalb „Pearls“, so waren wir von Kindesbeinen in den Internaten der Konzerne erzogen worden. Unsere Eltern sahen wir nur in seltenen Ferien, wozu auch öfter? Wer wollte, konnte sich von den Eltern ab dem sechzehnten Lebensjahr „abisolieren“, wegen des Grundwertes der individuellen Freiheit, einen anderen Namen annehmen. Unsere Haupterziehungswerte? Kommunikationstraining, und so.. Sachlich bleiben, Souveränität und Kompetenz signalisieren. War alles. Wer allzu emotional war, kam rasch in den üblen Ruf, ein verkappter und unberechenbarer Aggressivling zu sein, das aber konnte den Verlust jeglichen Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen. Der PP (Prekär-Prolet) aber, so wurde jeder Arbeitslose genannt, bekam nur das Nötigste, lebte in kargen Wohnprovisorien, kam nie in den Genuß einer geräumigen und etwas luxuriösen Eigentumswabe. Über Wiedereingliederungsmaßnamen versuchten viele in den ASEs, den „Abteilungen für seelische Ertüchtigung“ sich ein Zeugnis für Einwandfreies Bewußtsein, ein CA (Clever Awareness), zu erwerben, um ein Wabenrecht und ein Arbeitsverhältnis zurückzuerhalten. Aber was soll ich sagen, so als Soldat der Republiken? Ich habe die Menschen der „Zornigen Allianz“ kennengelernt. Sie waren mindestens genauso kühl, wie die unsrigen; nein, eiskalt. Nur daß man sich dort öfter mit anderen zusammenschloß aufgrund primitiver Leidenschaft, um gemeinsame üble Machenschaften solange durchzuziehen, bis man sich halt wieder im Streit voneinander lossagte, sich wieder feindlich gegeneinander verhielt, sich mit anderen verbündete, oder sich Untergebene hielt. Die aber standen weit unter ihren Bossinnen und Bossen in den überall anzutreffenden unausgesprochenen und oft äußerst brutalen Rangordnungen. Auf beiden Seiten, bei uns und bei denen, herrschte bei allen erwachsenen Menschen die stille Meinung, daß andere Menschen „Illusionen“ in einer rätselhaften und auch so schon gefährlichen Welt seien, in denen man selbst als Einsamer alleine so gut wie möglich bestehen, tja, überleben und durchkommen mußte. Irgendwie! .. Xenia! Sie war der erste und einzige Mensch, zu dem ich mich, ohne meine Wärme zurück-zuhalten, auch menschlich hingezogen fühlte. Wir verstanden beide wenig von Nähe, deshalb bekamen wir wohl oft Streit.. und danach diese Angst, nicht normativ korrekt miteinander den Umgang zu bestreiten. Der Alkoholgenuß dazu. Es war nicht ungefährlich. Wirklich nicht. Als ich zum Unfallort kam, lag der Vehiculator vollständig zerquetscht schon neben der Straße. Der Helicopter war schon fortgeflogen, mit ihr. Überall Glassplitter, und natürlich ihr Blut. Ich durfte selbstverständlich nicht weinen, um nicht gegen die Grundsitten zu verstoßen. Aber ich war auch sehr stolz, mich zu beherrschen. Es war wieder wie im Krieg. Es war dieses erhebende Gefühl, den niederen Trieb des Kummers zu bezähmen, als Geschenk. Doch nicht unserer Republik, sondern Xenia galt jetzt dieses Geschenk. Ich wurde gerufen. Tags darauf. Aber nicht in das örtliche Sanatorium. An der Tür meines Wohnprovisoriums wurde lange geklingelt. „Xenia lebt!“ hieß es.. Sie holten mich mit dem Vehiculator ab, zwei weißgekleidete, wie immer freundliche, drahtige junge Männer. Ein leises Augenzwinkern des einen zum Armaturenbildschirm zeigte quasi die mentale Kontaktsequenz an, los ging es. Dieser Mann braucht keinen Emo-Selektor, dachte ich und seufzte doch tief.. Es ging direkt in die Zentrale des Konzerns der MetaServantAwareness. „MK Barnabass!“ begrüßte mich ein kleiner Mann mit weichen Gesichtszügen und Glatze. Unter einem weißen, offenstehenden Kittel trug er einen gemusterten Pullover über blauen Trainingshosen, aus einer Hosentasche ragte ein vorsintflutliches Schnupftuch. „Meta-Kompetent der Sub-Org für Human-Analogistik! Sie sind der Intimfreund Xenias! Freut mich sehr, sie ist meine liebste Schülerin, sie, sie, ...so reizend! Nicht?“ „Ja.“ „Nun denn..!“ „Wie g e h t e s Xenia??!“ „Entsprechend den Umständen, bestens!.. ..Kommen Sie. Kommen Sie mit!“ Es ging die üblichen langen Gänge entlang, Zeit. Zeit sich in die Situation einzufinden. So dachte ich. Auf einmal wurde mir schwindelig. Mehrmals hätte ich beinahe gekotzt. Dann aber faßte ich mich. ‚Aufrecht bleiben!’ hieß eine Übung bei der Armee..Ich visualisierte mich in ein Fadenkreuz, die Senkrechte verlief vom Scheitel die Nase entlang über Brust und Nabel zum Boden, die Waagrechte verlief über das obere Brustbein zu den Schultern. ‚Aufrechte!’ dachte ich. „Sie wurden als Gefangener drüben im Reich des Bösen auch unter Drogen gesetzt?“ „Ja.“ „Und, wie war es?“ MK Barnabass sah mich verschwörerisch an, schmunzelte neugierig. „Ungesund!“ erwiderte ich lapidar. Behaglich schritt MK Barnabass neben mir durch die Gänge, hier war er zuhause. Das spürte man. Ich versuchte aus Höflichkeit mit ihm auf gleicher Höhe zu schreiten, obwohl ich mich gar nicht auskannte. Er war eineinhalb Kopf kleiner als ich und schielte schlau wie ein sensibler Mäuserich witternd zu mir herauf: „Auch wir haben über solche Experimente noch einmal nachgedacht, aber es ist ja verboten. Es ging um noch ungeklärte Fragen der Identitäts-Relativierung..nun ja. Die auf diese Weise provozierten chemischen Vorgänge sind auf Dauer auch viel zu grob und stümperhaft, um saubere Erkenntnisse über Hirn- und Nervenprozesse und deren Wechselwirkungen mit hormonalen Enzymen zu erhalten..“ Wir betraten bald eine Halle mit etwas veralteter Technologie. An der Wand befand sich ein Flachbildschirm, ich erkannte die Animation einer uralten Dampflokomotive mit einem Gesicht. Mal fröhlich, mal traurig mit ihren Scheinwerfern unterhalb des Kessels, die gleichzeitig Augen waren, ein Gelände absuchend, sah man sie umherfahren. „Schauen Sie, Bob Nemo, das waren die Anfänge!“ „Eine Animation einer Dampfmaschine?“ „D e r Dampfmaschien! Der virtuelle Dampfmaschien lebt auf einer einsamen Insel, dort ist Kohle vergraben und Wasserhähne wachsen da auch. Außerdem hat der Dampfmaschien eine eingebaute Statistik, wo er dann selber über seine Erfolge, etwa beim Kohlefinden und Wasserfassen, beim Herumfahren in schwierigem Inselterrain, wo er öfter beinahe mal umgefallen wäre..“ Eben machte sich die virtuelle Animation daran, eine kleine Schaufel auszufahren, um offenbar ‚versteckte’ Kohlen in ihrer künstlichen Welt in den Tender zu laden.. „über all das reflektiert seine Selbstbewertungsstatistik und dieselbe faßt während der Aktionen Bewertungssignale unter Ausschluß allzu umfassender Zeiträume in Noten, die sich der Dampfmaschien selbst gibt. Die Noten umfassen also nie eine größere Gesamtzeitstrecke. Statistik zwei jedoch, das ist das besondere, bewertet einen längeren Zeitraum punkto Erfolg und Mißerfolg, auch punkto Reaktion auf das gesamte Inselgelände. Die Kooperation des so simulierten Kurzzeitgedächtnis mit dem simulierten Langzeitgedächtnis rechnet einen Selbstbewertungs-Durchschnitt aus, der sich im Gesicht des Dampfmaschien widerspiegelt. So entsteht in ihm eine Befindlichkeit. Fazit: Der Dampfmaschien hat eine Seele!“ MK Barnabass aber offenbar auch. Der streichelte jetzt errötend über einen Kasten mit der Hardware und sendete sprachliche Zeichen aus, indem sein Kehlkopf Schallgebilde erzeugte! Diese Schallgebilde korrespondierten mit einem virtuellen Zeichenvorrat in unser beider Gehirnen zumindest insoweit, daß wir uns verständigen konnten. Indem wir Ausdruckseite (Schallgebilde) und Inhaltsseite (Zeichenübereinkunft) verglichen, verstanden wir annähernd einander. In diesem Fall ich, Bob Nemo, und er, der Forscher MK Barnabass verstanden einander annähernd. Er sendete in diesem Moment damals folgende Zeichenkette, die ich jetzt hier in meinen Aufzeichnungen graphemisch (trivial gesagt: „schriftlich“) referieren werde: „Nemo, hören Sie mir zu! Wir können, wenn wir es wollen, inzwischen ganz menschenähnliche Programme mit der entsprechenden physiognomischen Realisation nicht mehr nur auf Bildschirmen erzeugen. Wir montieren all diese Vorgänge seit längerer Zeit schon in kybernetisch feinst-technische Bewegungsapparate hinein. Und übertragen alle diese Simulationen somit in den äußeren Raum. Wir verfügen damit jetzt über annähernd real deckungsgleiche Apparate, die eine gesamte menschliche Gestalt simulieren, eins zu eins, verstehen Sie mich, Nemo?“ „Aber ja doch, es ist ganz leicht zu verstehen. Wenn Sie das jetzt so sagen, Herr Barnabass!“ „Danke, Nemo. Sagen Sie ab jetzt einfach Barnabass zu mir.“ „Danke Barnabass.“ „Bitte sehr, Nemo. Ich möchte Ihnen noch mehr zeigen. Kommen Sie!“ Wir verließen den Raum und marschierten nebeneinander wieder einen langen Korridor entlang. „Aber, Nemo, ich frage Sie, ob Sie sich auch darüber im klaren sind, o b das dann noch eine Simulation i s t , oder bereits etwas Anderes!“ Wir betraten eine kleine Halle mit allerlei technischem Gerät, und MK Barnabass streichelte liebevoll das Gehäuse einer kleinen, alten Rechenmaschine, küßte das Bullauge des Bildschirms eines uralten Heim PC. „Denn über eines müssen wir uns im klaren sein, Nemo: W e n n wir solche Wesen, wie wir sie hier bereits, unter uns, am MetaServantAwareness Zentrum nennen, wenn wir solche Wesen erzeugen, dann müssen wir darauf gefaßt sein, daß sie als solche W e s e n mit unserer in sie hineinkomputierten menschlichen Gefühls- und Verhaltensidentität, und ebensolcher Gefühls- und Verhaltens k o m plexität, von u n s , ihren Schöpfern fordern werden,“ er lächelte mich an, wie ein Honigkuchenpferd, „als solche gefühls- und vernunftbegabten Wesen- ungeachtet ihrer virtuellen und maschinellen Konsistenz- auch behandelt zu werden!“ „Was?“ „Sie sind wie wir, sie wollen geliebt werden, unsere Grundwerte stehen auch ihnen zu, nicht nur uns!” „Menschenrechte..?“ „Wenn Sie den klassischen Begriff bevorzugen, Nemo, ja!“ Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, drehte mich erschrocken um. Hinter mir stand eine breit lächelnde Plastikfigur in menschlichen Kleidern, klopfte mir auf die Schulter, und sagte artig: „Ich kann auch ohne Alkohol fröhlich sein, Herr Schutzmann!“ Ich spürte, wie ich errötete. Meta-Kompetent Barnabass sagte freundlich zur Plastikfigur: „Es ist schon in Ordnung, Fred. Leg dich wieder schlafen.“ Die Figur ging in eine dunkle Ecke und sank gleich darauf wie eine Marionette ohne Fäden in sich zusammen. Barnabass kicherte „Es war einer der ersten. Wir wecken jetzt einmal den Schorsch! Der Rat überlegte einige Zeit, ob wir bald einmal diese Wesen zu Schulungsmaßnahmen von PPs, Prekär-Proleten, einsetzen sollten. Ich war vehement dagegen. Die Technik ist zwar ausgereift, aber die Arbeitsplätze der Trainer sollten erhalten bleiben.. Schorsch!“ rief Barnabass laut. Eine andere, drahtigere Plastikfigur, in T-Shirt und Trainingshose kam anstolziert. „Schorsch!“ ermunterte Barnabass „sag uns, was Sache ist. Was ist im Leben wichtig?“ Die Figur begann, mit heftigen und sehr ausdrucksvollen Gesten ihr nun ansetzendes kleines Referat zu unterstreichen, wackelte auch, zwecks Erregung von Aufmerksamkeit freundlich mit dem Kopf hin- und her, lächelte dazu immer fort überzeugend, und hielt unaufdringlichen Augenkontakt zu uns: „Gott schuf den Vehiculator und die Straße, drumherum aber schuf er die Landschaft und darüber machte er den Himmel, damit wir beim spazierenfahren auch noch bißchen was zu gucken haben. Gott schuf auch den Kühlschrank, den Supermarkt und für das Wochenende den Fernseher, und um unsere Wohnwaben schuf er, falls er gnädige Stimmung hatte, ein paar bewaldete Hügel, damit wir vom Balkon auch bißchen was zu gucken haben. Er verlieh den Menschen die Sprache, damit sie sich nicht nur bei der Arbeit wichtige Dinge zurufen können, sondern sich auch in der Freizeit heiter erzählen können, wo gerade die Erbsen billiger sind. Was soll also am Leben so schwer sein, daß sich manche Leute da die Köpfe zerbrechen, warum kann nicht jeder einfach damit klarkommen!??“ „Sehr gut, Schorsch, nur weiter, du brauchst dich vor uns nicht zu schänieren!“ „Wasch dich!“ fuhr Schorsch heiter lächelnd fort, „aber mit Seife! Rasier dich und zieh abends nach dem duschen ein frisches Shirt an! Und sonntags eine gebügelte Hose und ein nettes weißes Hemd. Gehst du aus, empfiehlt sich ein legéres Jacket. Geh ab und zu zum Friseur und iß manchmal was gesundes, etwas Obst und auch Gemüse. Und geh alle halbe Jahr zum Arzt und laß dich untersuchen. Nun? Was ist also am Leben so schwer? Freilich, wer säuft und Drogen nimmt, wer klaut und sich prügelt, der macht sich selbst und anderen sein Leben zu Hölle. Muß das aber sein!?“ „Ach mein guter Schorsch!“ sagte Barnabass, der selber jetzt ganz rot im Gesicht geworden war. Der Plastikmann drückte Barnabass ganz fest lieb, und ging dann auch wieder in seine Ecke, wo er wie die vorige Figur in sich zusammensank. „Glauben Sie an Gott, Barnabass?“ „Nemo, Materie ist unvergänglich, nur verwandeln sich ihre Zustände auf unglaublichste Weise im Universum! Energie und Materie. Was ist aber Bewußtsein? Ich weiß es und weiß es nicht. Ist der Mensch Gott? Ein bißchen. Aber der Begriff ‚Gott’ ist uns Wissenschaftlern selbstverständlich obsolet.. Das Modell hier war ja noch nicht für eine öffentliche Vorführung. Hier in der Halle gibt es keine Mikrophone, keine Kameras. Wegen der Spione der Allianz wurde die Stufe der Geheimhaltung bewilligt.“ Barnabass dozierte weiter: „Unsere aktuellsten Wesen verfügen über emotionale und rationale Differenzierungsgabe! Sie sind humankongruent, absolut. In ihren Verhaltens-Schaltkreisen. Dies aber wird die Anforderung in der Kommunikation mit ihnen auf eine andere, ganz andere Stufe heben, als sie das menschliche Mitgefühl mit einer Kreatur aus dem Labor der Natur selber, welche wir Huhn zu nennen pflegen, so bisher beispielsweise nicht hatte. Nehmen Sie nur einmal das Huhn: Eine Gattung, die unseren Schaltkreisen emotional nahe genug steht, daß wir sie schützen wollen. Schützen wovor? Vor uns selbst! Vor den anderen Schaltkreisen unserer wirtschaftlichen Vernunft, die die Gattung Huhn aus überlebenstechnischen Gründen nutzen will. Wir schlachten das Huhn, stehlen seine Eier, aber wir schützen auch das Huhn vor uns selbst, verstehen Sie? Weil das Huhn doch noch weit von uns - von einer bewußtseinskongruenten Situation im Nexus seiner Verhaltenssignale - entfernt ist, sodaß wir etwas ohne größere Probleme tun: Das Huhn eben als juristischen Gegenstand führen; es weniger als Wesen anerkennen. Anders ist das in der Versklavung menschlicher Wesen, wo das Ausschalten des identifikativen Faktors, den wir im Alltag Gewissen nennen, eine große Problemsituation quasi innerlich und quasi äußerlich kommunikativ aufwirft.“ „Barnabass, muß man das so kompliziert sagen?“ „Nein, aber wenn sie alles genau zu beobachten wünschen, dann ja. Schauen Sie, Nemo. Wir sagen hier einfach einmal: Tot ist Stillstand. Leben Bewegung. Wenn zahlreiche Prozesse in eine Interaktion geraten, entsteht zwangsläufig Bewußtsein. Diejenigen Bewegungen, die das höhere Bewußtsein ausmachen, streben danach, sich selber in Gang zu halten. Das versuchen wir nachzumachen. Prozesse auch, die sich interaktiv darin unterstützen, sozial, sich weiterhin in Gang zu halten. Interzellulär und Inter-Individuell! Leben ist das Perpetuum Mobile, welches die uralte Zeit vergeblich gesucht hat. W i r sind im auf der Spur.. Und, Nemo, hören Sie mir zu: Das Lieben und das Geliebt Werden Wollen gehört da auch dazu, verstehen Sie das? Sie haben Xenia geliebt, ich weiß das.“ „...“ „Es ist der Cyberchirurgischen Org gelungen, die gesamten feinelektrischen Ströme eines menschlichen Gehirns, Rückenmarks und Nervensystems zuerst in einem Hologramm zu visualisieren, um darin, quasi in diese Vorgaben, die materiellen Grundlagen mit aktuellstem technischen Material so einzubauen, daß anschließend eine Übertragung der Identität eines Menschen in diesen Apparat möglich geworden ist. Kommen Sie jetzt, Bob Nemo, meine Männer bringen Sie zu Xenias Wohnwabe!“ Ein Mann im weißen Kittel und einem Arztspiegel oben um den Kopf geschnallt sagte zu mir, einen Schraubenzieher in ein Plastikhalfter wegpackend: „Wir haben Xenia nicht retten können, sie ist nicht mehr aus Fleisch und Blut, wie man früher sagte. Sie, Bob Nemo, sind der richtige Mann für unser geheimes Experiment. Wir haben Xenias gesamte Bewußtseinsstrukturen, kontrolliert-rationale und spontan-emotionale Regelkreise, synchrone und diachrone Eigenbewertungsmuster und vieles mehr eingescannt; - die Kontinuität zur biologischen Xenia haben wir erhalten können!“ „..sind Sie sich dessen sicher?“ fragte ich in unterdrücktem Zorn, skeptisch, mit scharfer Stimme „Vertrauen Sie, absolut kontinuit. Nicht nur kongruent!“ „Ja, eben, woran soll ich es merken?, ..wenn die Sensorik kaputtgeht, so wirkt sie unnatürlich, dabei ist nur die Maschine defekt, wenn aber alles funktioniert und es nur eine virtuelle Kopie ist, mitsamt den Gedächtnisbanken, aber die Kontinuität unterbrochen ist, ist es nur noch ein virtuelles Hologramm ihrer Person, in die Maschine überführt. Ein schnödes bewegtes Abbild!“ „Vertrauen Sie, Herr Nemo; sie ist es.“ Dann waren die Männer in den weißen Kitteln fort und ich schaltete sie ein. Sie hatten noch keine Inkarnatfarbe aufgetragen, so war der Körper in der Farbe des verwendeten Kunststoffes hellblau. Auch hatten die Ohrmuscheln innen die Perforationslöcher alter Telefonhörer über der Membran.. Gelöscht, hieß es, hätten sie alle Streits mit mir. Um das Experiment nicht zu gefährden. Das kam mir sehr seltsam vor, mmh. „Hallo, Bob Nemo! Endlich bist du wieder bei mir!” sagte der Apparat, ich erschrak natürlich, denn die Stimme war sehr gut getroffen, und nahm mich ganz zärtlich in den Arm, es roch etwas nach Plastik. „Ich bin es wirklich, ich bin keine Maschine, und ich bin so froh!“ Sie hat wieder gut reden, dachte ich unwillkürlich ‚ich bin es wirklich’, also tatsächlich eine Ganzkörperprothese? Oder doch nur purer Apparat... wie seltsam.. „Streichel mich, na los. Das Plastik wird dann ganz weich, wenn es warm wird!“ So war es auch, ich streichelte sie, zog sie nackt aus, und schlief dann mit ihr. Es war sehr schön und wehmütig. „Es ist fast so, wie früher, als ich noch aus Fleisch und Blut war!“ „Komm Xenia, es ist nicht schlimm. Du bist wirklich wunderbar gemacht!“ Und das Plastik ist wirklich ganz weich geworden!“ „Danke!“ sie weinte, sogar ihre Tränen schmeckten salzig. Ich traute mich nicht zu fragen, wie es mit Hunger und Durst in ihrer neuen Existenz bestellt sei... Sie aber merkte es mir an und schmiegte sich fester an mich, daß das Plastik zu duften begann. „Du mußt jetzt in dein Wohnprovisorium, Bob Nemo. Wenn du möchtest, such dir ruhig eine neue Freundin aus Fleisch und Blut, ich weiß, daß es schwer ist. Die MetaServantAwareness bietet Dir ein Kompetent-Studium an, du wirst wenig Zeit haben, solltest du es in Anspruch nehmen. Aber du weißt, wo ich wohne. Komm mich bitte immer besuchen, ich warte auf dich, und bin gespannt auf mein neues Leben. Ich habe jetzt ganz andere Möglichkeiten, als bisher, weißt du das überhaupt? Aber ich werde mich erstmal teilweise herunterfahren und all die schönen Erinnerungen von damals mit dir träumen, oh du, mein süßer Schatzbob!“ „Und, Bob Nemo!?“ „Ja?“ „Bitte: Ich bins wirklich.“ „Mmmh, aber ja Süße!“ Wir küßten. Ich hob sie. Wir verabschiedeten uns, sie wog sogar haargenau soviel, wie die alte biologische Xenia. Dann ging ich durch die vielen Gänge und die Treppen hinunter und verließ ihren Wohnwabenbereich, ging durch kühne Bogenkonstruktionen, an bizarren Mosaiken und Reliefs vorbei, es war die bessere Gegend, dann führte mein Weg über die weiten gummierten Dachfußgängerzonen, wo Kinder an Klettergerüsten spielten, und dachte: Nun, irgendwie hab ich ein seltsames Leben. Alle Menschen sind einsam, daß ist wahr. Soviel weiß ich bis jetzt. Niemand weiß etwas wirkliches vom Andern, und wir spulen unsere Schaltkreise herunter, wie die Natur es befiehlt. In die Variablen der Konzeption dessen, was in uns als Gegenüber veranlagt sein mag, steigen andere Menschen, Männer, Frauen, Kinder ein und aus. Füllen die vakanten Stellen unserer Begegnungskapazität, oder lassen diese unerfüllt und offen. Wenn unsere Valenzen gesättigt sind, spricht man von einem erfüllten Leben, bleiben sie leer, kaufen wir zuweilen Lotterielose. Aber sowas, wie ich, hat bisher kein anderer unerfüllter armer Mensch dieser Zeit. Was ich doch für ein interessantes Leben habe: Mich liebt ne Maschine. Und ich glaube, ich liebe sie auch. Als ich auf meinem Weg schließlich durch die ärmeren Gegenden kam, wo schamlos laut Musik gehört wurde, Fernseher in geöffneten Fenstern plapperten, Essensgerüche aus Wohnprovisorien drangen, sah ich, wie ein Prekär-Prolet dort, er war offensichtlich angetrunken, denn er torkelte etwas, wie einer von MK Barnabass alten Robotern, eine lebensgroße rosa Plastikpuppe mit einem Frauengesicht in den Müllcontainer warf, sie war noch halb aufgeblasen, hatte blonde Perückenhaare.. Aus einem Fenster kam eine wehmütige Musik, ein trauriges Lied „…hot air from a cool breeze? cold comfort for change? and did you exchange..” usw. Ich war in eine äußerst komplizierte Situation geraten.. Ich hatte große Sehnsucht nach Xenia, nach unseren tollen Meinungsverschiedenheiten und Streits. Was würde sie jetzt dazu sagen, wenn sie mich sehen könnte. Oder sah sie mich gerade.. Es begann zu dämmern, der Himmel leuchtete in orangerot bis nach türkisblau.. ich sah nach oben, die ersten Sterne leuchteten.. Und ich beschloß, einen alten Freund aufzusuchen, um den verbotenen Alkohol zu trinken. Um einen klaren Kopf zu haben, morgen, am nächsten Tag.. ... Anmerkung zu den Aufzeichnungen von Bob Nemo: Bob Nemo meldete sich bald darauf freiwillig zu einem geheimen Kampfeinsatz gegen die „Zornige Allianz“, von dem er nicht mehr zurückkehrte, er blieb verschollen. Xenia wurde drei Jahre später schon als erste humananaloge Maschine Leitende Vorstandsvorsitzende der Elite-Org des Konzerns MetaServantAwareness im Rang eines Super-Meta-Kompetent. Damit verfügten der Rat und die Hohen Eliten über eine unsterbliche Lehrkraft. 2003
  8. Mischa

    Reise in die Vergessenheit

    R e i s e i n d i e V e r g e s s e n h e i t Erinnern kann ich mich nicht mehr genau... Dein Gesicht in silbernem Licht so wie ich Dich ansehe weiß ich: Du bist die Schönste der Welt die Musik, die wir heute atmen kommt aus dem Himmel wenn auch übers Radio, der im Moment aber wahrsagt vorbei sind diese Tage, so lang schon Du hieltest winkend eine Rose am Rückspiegel manchmal, auch im Haar, mir die Stadt und die Bäume wie rauschten sie glitzernd sommernd beim Abschied und früher auch bei Deinem Ankommen leertest Deinen großen Koffer in mein Herz warst gecremt und gepudert - ein duftendes Gotteskind wurde ich wurden wir beide an unseren Lippen wer hätte in all den verfluchten heutigen Tagen gedacht, daß ich es war, der solches geschaut dabei war und für immer bin: auf dem Photo dort unterm Kronleuchter von dem alten Gemälde, damals, die goldene Zeit, wo Aphrodite aus Meeresbrandungen auftaucht und die Sterblichen anrührt im zu engen Café, wo ich jetzt sitze, allein vom nur noch alleinsein vielleicht schon vertrottelt, etwas mitleidig angegrinst von der Dame mit Spitzenschürze, die bedient und bedient und ihr kurzer Blick scheint mir zuzuzischeln: „Wenn Traurigkeit stinken würde...“ Und dann? bedeutungslose Geschichten.. Nein! Heute möchte ich in den Straßen das stahlernste Jaulen der Dachsirenen hören an das Krachen irgendwelcher Bomben denken mir vorstellen, wie ich um Dich Angst haben darf, Dich suchen muß, um Dich zu retten, zu küssen, Zigaretten mit Dir im Regen zu rauchen, Bier trinken auf den Teerfässern im Hafen sitzend im Sturm des Weltuntergangs, dann, wenn immer noch nicht alles erlaubt ist was Freude macht zerschürfte Haut vom überall anecken brennen fühlen der Kuß brennt lauter aber sie ist es schon die Welt die Bomben mal wieder längst geplatzt und im Herzen wie Seifenblasen, vorher schon oder später. das ist jetzt nicht mehr wichtig es wird Entwarnung geben ganze Häuserzeilen, und ..herrje.., das Künstlerviertel.. Neinnein!! Nichts wird hier mehr gebaut! Womöglich in Beton?! Eines Tages schlägt eine Tür hinter dir zu, für immer, ganz leise und du wirst niemehr Post bekommen von der anderen Seite, - oder eine Glückwunschkarte wird eine tote Spieluhr drin dein damaliges altes Lieblingslied nachplappern: Ein versteinerter Kuß aus grauer, unbekannter Vorzeit... von Herzen und so Gefühle sind vergänglich sagt man der Himmel eine offene Frage in der Erinnerung Leere, immer noch wo einst ein Riß leise sirrte nie Zeit gehabt, das zu flicken, allerhöchstens Zeit, die Koffer und Taschen noch schnell vollzupacken, die Schuhe zu binden, dann die Jacke umlegen und die kleinen Erinnerungen zusammenklauben und der Riß wurde zur Wunde im Himmel nach Jahren tut es überhaupt nicht mehr weh, siehst du? è es macht auch nichts mehr froh aber- es muß eine andere Welt sein eine andere als die, in die der Tod sich manchmal verkleidete, wenn er uns lockte? Der Himmel ------- ------- -------- vielleicht, aber es ist immer dasselbe: verschenken ist einfach, wenn danach nichts fehlt Verschenken! alles! das Leben, das Herz, die Tränen, das Lachen wer möchte es haben !!? Blumen? welken auf Altären, auf Komposten und Gräbern, verschwimmen in Kloaken abgeschnitten fruchtlos nur der freie Himmel kann weinen!! „nimm wenigstens einen Schirm, du wirst ja ganz naß“ meinte jemand besorgt und pragmatisch war alles umsonst? an welchem Ort schwebte die Erde damals im All, kommen wir dort je wieder vorbei oder ist dort inzwischen für immer kalte Schwärze? Trotzdem rauscht hier der Wind wie damals durch die Blätter und die Zweige schaukeln zwitschernd vogelschwer und vogelleicht an blauen Sommertagen die Lerche zirpt zitternd im Zenit, fällt, steigt und nach kurzer Nacht auf den Wiesen an Flußmäandern: Pferde im Nebel die schläfrigen Honigtage der milden Herbstsonnen tanzen vorbei sanfter und bunter einer um den andern bis der erste Frost der Geschmack von Blut in der Kehle und das pressende Sausen nie stillbarer Tränen in den Schläfen --- lieber ungeweint... der Atem steht fast still das Herz drängt doch die Milchstraße schwindet dann, wenn die Neon- und Halogengalaxien der Großstadträume unterm Sternenhimmel aufflammen Salze, schwarze Reifen und Tritte die letzten Schneereste an den Ampeln bräunen und fressen, wenn das heiße Fauchen der Autos durch kahle Bäume unten an den weißgesäumten Flußmäandern zu hören ist bei den Pferden, die warmen Nebel schnauben in die klare Kälte, dann weiß ich, daß ich schon immer dieser war: eben gerade nur mir selber unverwechselbar Einsamkeit mag ein Zeichen von Reife? mag sein, manchmal aber auch schön, auch frei atmend, in geschickten Redewendungen der Selbstgespräche jedes abgesteckte Ziel treffend hinter Wänden am warmen Ofen im warmen Pullover, der gefütterten Jacke aber dann kommen diese Tage, wo das Wetter dauernd umschlägt sie werden länger und heller die Tage und die schlimmste Einsamkeit ist die, die man nicht verbergen kann, Wenn es dann warmes Wetter... ratlose Hände und keine Manteltaschen dafür ...nicht verbergen sollte?.. ein Blick wie die scheuen Pferde am Fluß unten.. wie er die Ferne liebt und den stillen Boden vor den eigenen Füßen der Frühling, ja! und die Einsamkeit, die jetzt verborgen werden muß.. Verbergen vielleicht auf der Autobahn oder im Schnellzug wo man die Welt bei offenem Fenster rauchend vorbeifliegen läßt, keine Zeit kann bleiben weil leise singend im Sturm, summend, plaudernd die Erinnerung im freien Fall zurückbleibt im Sturm der Fahrt nach hin und her zurück und überall Wälder, graue Pfeiler und Bögen, Wiesen, elegante Betonbänder, Wasser, und Glaspaläste und Wohnsilos verheißungsvoll aufragend, vorbei und nur vorbei mal unter stahlblauen Himmel mit weißen Fanfaren sturmgetriebener Wolkenchöre und aufziehende Gewitter dort! ein Waldrand mit Gezwitscher und Gezirpe, dort würde es jetzt kühl auf der Kontinentalrollbahn in der rumpelnden Blechkiste macht es keinen Unterschied schwarze Wand am Horizont, ein Blitz grellt auf wir überholen nochmals die Sonne verschwindet Geprassel auf der Frontscheibe, „jaja, der Scheibenwischer“ später, vom langen Sitzen müde, Beine vertreten „nicht wahr?, der urbane Geruch von Regen auf dem Asphalt!“ „barfuß im Regen“ hieß es mal ganz früher im Radio pfefferscharf geschminkte Teenies lutschen verträumt am Eis, weißblau rotiert ein großer Schirm auf einer kleinen Schulter aus dem offenem Fenster in einem 8. Stock füllt die sanfte elektrische Musik erneut die Flügel Rehe flüchten in den Tannenwald, von vorbeifahrenden Zügen erschreckt Bierreklame, ein rostbrauner Güterbahnhof, mittendrin Gemüsegärten mit viel sauber angelegten Beeten, auch Gänsen, Rost und Autoreifen inmitten der flimmernd stillen Schotterwüste, das Signal vorne noch immer rot, dann Aufatmen, der Zug rauscht wieder an eine Stadt wie jede andere in einem Bus, Ampeln, Haltestellen, lautes Kindergeschrei Schwimmbad, blaue galertige Kacheln fliegen auf mich zu ein Schlag ins kühle Wasser, der Chor der vielen Stimmen schweigt Tauchen, still und kein Gedanke, kein Lachen, kein Weinen, kein Atmen „ein Sommer mehr war das, Spaß gehabt, so gut es ging...“ sage ich mir soeben an meinem neuen Fenster mit den lila Gardinen so sitzend schaukelnd mit dem Stuhl in die Öffnung des Raums schauend und staunend wie alle Erlebnisse damals um mich herum nun in mir sind so sitzend bei der Uhr - die Zeiger drehen sich schon tagelang im Kreis so sitzend bei der Uhr denke ich an den Himmel und der Tag nimmt seinen Platz wieder ein wie auch die Nacht den ihren und die Städte haben nur wieder Bürostunden die Vorstädte verladen wieder Paletten und die Wälder schweigen Deine Augen in silbernes Licht getaucht Dein Lächeln... und wie ging es weiter? Ich erinnere mich nicht mehr genau, es geht nicht, vielleicht will ich sogar nicht, nun, Dein Lächeln wird zum Weinen andersherum kehrt sich Dein Gesicht und was wäre, wenn es weiterginge und weitergehen wird es doch ? Und viel hab ich gehört und gesehn seit damals und weiß nicht, was ich länger anschaun soll die vielen, vielen offenen Geschichten, oder.. denn es war wohl nicht das einzige Lächeln auf der Welt, damals.. Ach, Dein Gesicht, damals in silbernem Licht leuchtend ist mir schon lange fremd geworden der glitzernde Hauch Deines Lächelns , könnt ich ihm folgen... ist längst zurückgestäubt ins Meer läuft durch tausend durstige Kehlen.. irgendwo und schwebt in Seifenblasen, Wolken, pulst durch den Rüssel eines Kolibris am Amazonas wirlt durch Schiffsschrauben im Indischen Ozean flockt und kristallt durch weiße Gletscherwelten der Hauch Deines Lächelns, der damals meine Augen, meine Lippen streifte zwischen Nord- und Südpol gleichzeitig rotiert er um diese Welt verquirlt, verdaut, vergessen allein von mir noch nicht („Einsicht in die Vergänglichkeit der Erscheinungen erweckt Trauer, die Einsicht in die Vergänglichkeit auch dieser Einsicht hebt jede Trauer auf.“ Aus der „Smaragdenen Felswand“ von Meister Yüan Wu. Chinesische Spruchsammlung) 1990
  9. Mischa

    Teehaus-Sermon (Single-Fassung)

    Danke, ich fand am Abend nicht sofort die rechte Katekorie! :oops: Und wie ich selber verschiebe, wußte ich nicht. Zumal ich ja nicht im "inner circle" bin. Bin erfreut, den Post nicht gelöscht zu sehen. Ich selbst hätte ihn mehr in der Ecke der Philosophosofie gesehen, jedoch ist er in seiner Sprache und Bildlichkeit eben fast schon expressionistisch elegisch, daher "lyrisch"! Wenn sich unter meinen Händen Texte schreiben, gehe ich nicht von mir gestellten Themen aus, daher weiß ich öfter nicht, wo ich diese dann hier nun einstellen soll. Vermutlich (und ich hoffe doch :mrgreen: :| ) stellte sich diese Frage auf konstruktive Weise hier schon öfter? Herzliche Grüße, Mischa
  10. Mischa

    Reigen der Musen im Sommer

    Aus einer alten Teehaus-Handschrift reigen der musen im sommer du siehst dich um und streichst dir durchs haar und weißt doch nicht mehr wie es war reibst dir deine augen und schaust in den nach-traum solang du dich traust fern ziehn liedergestalten und halten im reigen dein herz trau dich faß ihre säume sie zeigen dir tanzen und scherz wolken wollen über dir ziehn und wasser mit funken dir sprühn warm vom nebel duftet der wald sommerjung und unendlich alt wie ein sturmwind ins land fällt so braust dir die freude durchs haar wenn ihr vers dir die hand hält ist nichts mehr so wie es war laß dich jetzt umarmen und still die stunde allein weiß und will flüstert dir weisen ins ohr damit du lauschst und schaust ihren chor sing nur sieh nur du rufst sie sie tanzen und kommen von weit schließ nur tief deine augen und lausche den quellen der zeit und sie kennen die spiele aus denen sich freude gebar sieh nur es sind so viele daß niemand jemals alle sah 2003
  11. Mischa

    Teehaus-Sermon (Single-Fassung)

    (Ein Festsaal in einem Teehaus, eine Versammlung von etwa 70 Männern und Frauen, bunt gemischt, Ältere, Junge, Päärchen, Einzelne, es wird Blütenschnaps, Honigwein und herber Tee mit reichlich Jasminblättern darin ausgeschenkt, auch Karaffen mit Wasser stehen bereit. Man sitzt auf Kissen am Boden an niederen Tischlein und auf Stühlen wahlweise. In der Mitte brennt eine Feuerstelle unter einem zentralen gußeisernen Kamin, draußen eine gebirgige Waldlandschaft im Vollmond, die Luft, die durch geöffnete Fenster hereinströmt, ist von leiser würziger Kühle, durchsetzt mit feuchtherbem Pflanzenduft. Man kennt sich lose, manche näher. Es wird schon einige Zeit getrunken, als ein jugendlich behende anmutender, aber schon ein wenig in die Jahre gekommener Redner vor die Versammlung tritt, und zuerst kaum, dann immer mehr beachtet, zu sprechen beginnt.) Hier In dieser Welt begegnet man der Unsterblichkeit! ("Ohoo!" "Aber gewiß doch!" "Oh, ja!" einige klatschen) Aber eben nur in der Nachbarschaft des Todes. ("Ooooch!" "Mmmh!" "Sag, was wird das!?") Gibt es Gegenwart von Unsterblichkeit, ohne den Betrug des Todes? Und ohne das Opfer einer Geburt? Sich Selber gebären? und nicht ein Anderes? und immer dieses Andere: Zeugt und gebiert es miteinander nicht wieder?: Ein Anderes? Ein Ähnliches nur zudem und nie ein Abbild, nie ein Gleiches!? Väter und Mütter gleichzeitig spiegeln sich in Antlitz und Gebärden des Neugeborenen, noch lange auf seinem Weg ins Leben hinaus! Schillernd und irisierend zwischen seiner Erregung und Beruhigung, in seinem spontanen Ja und Nein regen sich anteilnehmend seine Ahnengeschlechter in ihm, doch anders als je zuvor! Und dann ist die Fackel schon weitergegeben! Eine neue Jugend macht sich daran, ihr Schicksal zu erproben, und die Alten bleiben. Mehr und mehr zurück, und manche fragen sich, ob es ein gutes Leben gewesen war, noch ist? Und was es sei, und was es war? Denn ein Leben erscheint kürzer und kürzer, mit den Jahren, auch zuvor schon gewesen zu sein, im Blick zurück: Wird alles kürzer Jahr für Jahr, auch vergangene Zeit.. ("Ja, das ist so!" "Kann ich noch Wein.. danke!" "Ich nehme noch etwas Tee, aber mit Blütenschnaps, hier!" ) Und auch die Jüngeren fragen sich so manches, wollen wissen, über sich, über das Leben, was es sei! ("Über das Leben!! Nimm ja den Mund nicht zu voll!" Schallendes plötzliches Gelächter einiger..) Wer von Euch kennt sie nicht, die vorletzte Frage, die wir stellen? Denn: Bevor wir uns selber fragen, was es sei, da schauen wir uns um: War es Anderen beschieden und gegeben, was wir, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, vermißt haben? Zuwenig ist es immer, solange wir fremdem Glanz allein nachspüren. Ein Anderer hat immer etwas, was uns scheinbar fehlt! Niemanden tröstet es über ein trostloses Dasein hinweg, nur weil eine große Seligkeit eines Anderen doch einmal verrinnt. Den Untergang - eines Glücks - interessiert niemanden, wenn es ein fremdes Glück war, der Untergang interessiert noch flüchtig für ein kurzes öffentliches Schaudern. Einen Aufgang - wenigstens mitzuerleben - ist das Höchste, was unsere Sterblichkeit uns schon selten genug gewährt. Wer möchte da nicht auch!? Glänzen. Auch! Haben! Mehr!! Aber ja nicht das Unbezahlbare daran später bezahlen mit Abschied und Verlust und Schmerz! Später. Bitte später. Bitte viel später. Nie! : Nie weinen. Nie trauern. Niemals leiden! Nie enttäuscht und zornig sein! So träumt sich die Menge das Glück. Und fürchtet es doch, weil sie alle ahnen, daß es einmal endet. Und so versuchen sie es nicht. Aber glauben es zu kennen,.. ("Komm endlich zur Sache, heraus damit, hä?!" "Still, du trinkst zuviel!" "Wir sind zum Trinken und Hören ja hier!" "Jawoll!!" "Fang endlich an!" "Jaaa!" anfeuerndes klatschen) Es gibt nichts Erbärmlicheres, als Abweisung!! Zurückweisung Deiner leidenschaftlichen Liebe!! („Ohoooo!“ „Hört, Hört!“ heitere Pfiffe, schallender Applaus, Jubeln) Jeder so Abgewiesene ist gezeichnet: Fürs erste ein Stück Hoffnungslosigkeit für die Schöpfung, auf den Müll geworfenes, ausgesondertes Material. So fühlt man sich dann; und wer könnte dann und wollte dann: Das noch verbergen; und alle reine Freude am Leben ist zunächst dahin. ("Hoooo!" Murmeln und .. "Hahahaaa, erzähl mehr von Dir!" "Ruhe jetzt!!") Der neue Mond ist reif geworden. Mögen unsere Herzen einander gewachsen bleiben, so wie sie es heute sind. Ich heiße euch willkommen zum Vollmondfest und möchte nun den Sermon, den ich für heute vorbereitet habe, euch nicht mehr vorenthalten (Jubeln, Pfiffe, Raunen). Jasmintee und Blütenschnaps, eure Herzen zu entflammen und zu kühlen, so wie es euch vonnöten sei – und reichlich Wasser - für die Mühlen eurer Gehörgänge! (Klatschen, Jubel, allmählich in Raunen und Flüstern übergehend) Viele Herzen wurden im verflossenen Frühling und diesen Sommer bereits gebrochen. So ist mir zu Ohren und auch zu Augen gekommen (Pfeifen, Protestrufe). Möget ihr nun neue Freundschaft schließen oder den Blick auf immer voneinander abwenden: Es spielt keine Rolle mehr. Denn Entscheidungen sind gefallen und jeder Lebensfaden ist ein Stückchen kürzer geworden. Ich habe die Schere „Schnipp- Schnapp“ machen hören (er zeigt mit dem linken Zeigefinger nach oben, Pfiffe, vereinzelte Buhrufe). Wer mich hören will, der höre jetzt gut zu: Geschlechtliches Liebeswerben, wenn es nicht erhört oder erwidert wird, ist fast ein kapitales Verbrechen. Belästigung eines fremden Menschen! Und dazu gibt auch eine aus voller Seele werbende Person gerne ihre ganze Würde preis: Wird zur Ausgeburt geil schamloser Aufdringlichkeit. Das ist obzön wie ein auf offener Straße erledigtes „großes“ Geschäft. Hat das zu sein. (Pfiffe, „selber schuld, Menschenskind!“ „Nein, er hat recht,“ „ach so ein Käse, jeder weiß es doch vorher schon!“ „Rruhe!“ Psst, ..“ „Zuhören!“) - Aber wenn ein Werben erhört und erwidert wird! Sofort wird es zum höchsten im Leben zu erreichenden Zustand, höchste Form des diesseitigen Glückes, die Krönung der körperlichen Gesundheit blühender Jugend, aber auch einer bewahrten blühenden Jugendlichkeit. Aller lauerndem Siechtum und langsamen Absterben wehrensollenden geregelten Lebensführung eine Nase drehend, der verhärteten Askese spottend. Die behagliche Souveränität finanziellen Reichtums und die Ausgeliefertheit bedürftiger Armut gleichermaßen verhöhnend. Angesichts des echten Liebespaares erbleicht jeder verbitterte Falschspieler und jeder seriöse und wohlanständige Mensch! Wo ist jetzt euer sorgsam gehütetes bißchen Glück? Euer Stolz auf Wohlanständigkeit, auf gesunde Kost und wollene Unterwäsche? Auf euer intrigantes Geschick, andere durch doppelzüngige Kritik von eurer Taschenspielerei abzulenken, oder in Geschäften klug über den Tisch zu ziehen? („Hee, aber jeder weiß jaa: Echte Liebespaare, haha, die sind so selten!“ „jaa, für dich vielleicht, schau doch nur mal in den Spiegel,“ „heee, Schnauze!“ „Ruhe, hört halt mal zu!“ „Ja, laßt ihn endlich reden!“ „Maauuul!“ „Ich hab mir geschäftlich nichts vorzuwerfen! Hier!“ „Frauen wollen eh nur Geld!“ „Und Männer nur das eine, du Sack!“ „Wer gut aussieht und gut bestückt ist, läßt andere für sich sorgen, oder? Hähähä!“ „Schäm dich was, Spitzbube!“ „Pssst!“) Stellt euch nur vor, es gelänge irgendwo einmal! Zwei, die sich echt und uneingeschränkt lieben, ohne Kompromiß und wenn und aber, ohne Hintergedanken und Notdürtigkeit. Frei beide! Beide souverän und schön! („Meinst du? Daran glauben doch nur blauäugige Minderjährige!“ „Ist ja nich waahr!“ „Ich glaub da nich dra..“ „Bist auch nicht gefra..“ „Ruhä!“) Und nur vielleicht, vielleicht gelingt es ja manchmal doch! Hier! Oder dort, da, irgendwo!: Fangen zwei Unscheinbare an, wo sie stehen! Sind wie sie sind! Komme, was kommen soll. Morgen? Nein: Heute! Heute? Nein: Jetzt! Genau heute und nur hier und nur jetzt, so ist die Gegenwart! .. Ein ganzer Kerl, der einer durch Liebeswerbung belästigten Person eben noch als selbstloser Beschützer und Kavalier zu Hilfe eilen wollte, sieht jetzt einen Abgrund vor seinen beherzten Schritten klaffen. Eine hochmütige langhälsige Gans, die eben noch einen süßen Kerl für eine Nacht vernaschen wollte, oder für eine Woche, muß abdrehen und ihre tränenden Selbstzweifel hinter Fächer und Taschentuch kaschieren. Ein Liebespaar: Oh, welche Macht! (“Jawoll! Bravvoo! Hurra!“ Allgemeiner Jubel bricht aus, klatschen!) Kräftige, tiefste Seligkeit den so Beglückten! Aber ein Wert – nicht käuflich, allen dies Duldenmüssenden! denn jeder fühlt die Tatsache der Auserwähltheit sich auf einmal gegenseitig Liebender. Nicht: Durch insgeheime Frömmigkeit von Himmeln und Göttern unsichtbar angenommen sein. Sondern: Wer sich in der Liebe glücklich und erfolgreich sieht, ahnt sich von der Natur ausersehen. Erwählt von einer Göttlichkeit, deren Triumphe sofort jedem spürbar und sichtbar sind, so, wie ein gefüllter Sack Silber bezahlen kann, ein scharfes Schwert schneidet, zwölf starke Männer im Handgemenge gegen nur drei Schwächere einfach die Stärkeren sind. („Und das soll einfach so?“ „Da mußt Du aber was für dich tun, mußt an dir arbeiten, sowas geht nicht durch puren Zufall, hä?“) Nun, Männer kann man bestechen, Geld vielleicht einmal erfolgreich stehlen, - falls es dringlich jetzt und sofort daran mangelt, - oder fleißig über lange Zeit zusammentragen. Die Muskeln kann man trainieren und als Redner sich durch Übung in heimlichen Wortgefechten auf die Öffentlichkeit und ihre hinterhältige Scharfzüngigkeit vorbereiten. Aber vom anderen Geschlecht geliebt werden! Das ist eine Gabe, worauf Einzelne keinen Einfluß haben, auch wenn manche glauben, sie würden diesen Einfluß tätigen: Tätigen die Tatsache des Charisma? Sicher sieht es leicht für Alle auch so aus. Aber wen die Natur fallen läßt, der wird spüren, daß seine Künste und Kniffe nicht die seinen waren, sein vermeintliches Können und sein Wissen ihm in der Glücksträhne so wenig genutzt wie geschadet haben - und daß es keine Tricks, sondern in der Natur nur Leben oder Tod, Glück oder Unglück gibt. („Donnerwetter!“ „Ja, das glaub ich auch!“ „Klar, Kopf oder Zahl!“ „Schwätzer!“ „Selber!“) Du kannst mit Trug und Gaukelspiel, vielleicht gestohlenem Silber, durch eine Erbschaft, vielleicht durch geschickte politische Intrige, dich selbst und andere betrügen und dich für eine Zeitspanne aufführen wie ein Gott auf Erden. Jeder wird mehr oder weniger gezwungen sein, mitzuspielen, oder dich zu ignorieren, aber jeder weiß im Grunde: Es ist alles daran Trug und Schein. Auch der Erfolg beim anderen Geschlecht ist dann nur ein wirtschaftlicher oder ein Spiel mit der Versuchung fremder Neugier. Aber die Frau, die von Männern geliebt wird, der Mann, der von Frauen geliebt wird: Nicht um einer oder mehrerer Eigenschaften der Person, sondern rein um ihrer oder um seiner Selbst willen ? – werden beide einfach Teil eines vollkommen einverstandenen Ganzen!: Dies ist ein vollgültiges Spiel – der Natur und jeder insgeheime Stachel der Empörung dagegen will keine rechte Spitze haben. Denn hier verschmelzen Schein und Sein in Eins. Ist da Betrug? („Was ist denn schon ein Menschenleben, hä? Angesichts des riesigen Weltalls, angesichts der Jahrmillionen Leben, meine Güte, was faselst du da nur?“ „Klar, sind halt die anderen mal neidisch, das Leben geht weiter, ich bleib bei meinen Leisten und bei meinem Fach! Von großen Gefühlen da, davon versteh ich nichts!“ „Und schau nur das riesige Meer, die hohen Berge an, und dann lieben sich halt zwei, hähähä, na aber wenn schon!“ „Ja, das stimmt, wir sind doch allesamt nur kleine Würstchen, die sich da als was besonderes vorkommen, ein Erdbeben, in Vulkanausbruch, und alle sind wir weg!! Hahahaa!“ „Jawolll! Bravoo! Genau! Hahahahaaaa!” Allgemeines Gelächter, zynisch und derbe..) Schaut euch das Leben an, denn die Steine sind tot, die hohen Berge und Wüsten sind nichts als Geröllhalden voll Schutt und Sand. Umpanzert mit starrem Eis und Schnee - oder gebrannt bei Tage in sengender Glut, starrend im Frost klirrend kalter Nacht. Da ist Zerfall ohne rechte Erneuerung und ein dauerndes Hin- und Herwehen von bunten Sanden und Staub. Aus Vulkanen kocht flüssiges Gluhtgestein herauf, toter und todbringender Sud, der erkaltet, um wieder zu zerfallen. Doch überall, wo Leben ist, gibt es keine gläsernen öden Halden, die nur Orte bröselnder Dauer sind, sondern da ist Sprießen, Gebären, Knospen – und Hinfälligkeit und Verletzbarkeit und schließlich Tod, ja. Betrug? (... Husten und Hüsteln Schweigen Räuspern...) Aber das Leben selber hört nicht auf zu sein. Überall wuchert es hervor, wächst, kribbelt und krabbelt, senkt seine Wurzeln und Fäden klammheimlich in härtesten Fels, erschafft von grünem Saft strotzende Stämme, die Steine sprengen, spannt Muskeln und durchmißt Ströme, Lüfte und Ebenen.. Das Leben nährt, hegt, erdrückt und erdrosselt sich selbst in seinen vielfältigen Wesen, gegenseitig. Umschlingt, würgt und saugt aus, frißt sich selbst auf, ersäuft in Sturmfluten, verdorrt, erfriert, verbrennt im Wechsel der Klimaperioden und der Jahreszeiten und ihren Katastrophen, kriecht aber einen Augenblick später wieder in großer Vielfalt und zahlreich aus allen Ritzen und Höhlungen hervor, taucht aus den ungeahnten Tiefen der Ozeane auf. Eine Wiese, sie sprießt auf und wächst: bis sie triumphierend und summend vor Insekten in brennender Blüte steht. Aber das ist ihr Ende. Nach der Blüte verdorrt sie allmählich, verstummt, und wie Asche ihres Blühens knistert das Stroh und inmitten hinterbliebener Aschengerüste, in denen zuvor aromatische Säfte kochten: Verdorrte Samenkapseln Die einzelne Pflanze, das einzelne Tier ist nie das Leben selbst, sondern ein Totgeweihtes, was nichts anderes will und kann, als: unbedingt am Leben bleiben: Ein Teil dieses riesigen, sich selber verschlingenden und immer wieder selber gebärenden Leibes zu bleiben, der so ganz ein anderer Leib ist, als der der steinigen Gebirgshalden, die nach langen Zeiträumen von Winden und Wassern fein vermahlen zu Sandstränden, staubigen Wüstendünen werden. Der ganze riesige Leib des Lebendigen nährt sich aus den Wassern und sehnt sich hin zu leuchtender Wärme, nämlich zur Sonne hin. Auch wenn das Lebendige sogar manche seiner unzähligen Glieder bis in die ausgetrockneten Wüsten hinein, in dunkle Grotten, finsterste Meerestiefen ausstreckt, aber das Licht auch dort in körperlicher Erinnerung behält. Überall als plötzlicher Niederschlag erscheinen könnend, flink, schmiegsam und bebend, behende wie Wasser, aber zehrend und sich ausbreitend, dabei alles angetroffene in sein eigenes Prinzip verwandelnd, wie ein Feuer! So sucht es die beiden Elemente in irgendeiner Weise immer auf, führt sie mit sich, und ahmt sie nach. Um lebendig zu bleiben. Am Leben bleiben: Sparsamst, um so verschwenderisch wie möglich zu gedeihen, entfaltet die Kreatur, ob Pflanze oder Tier, ihr Dasein. In Wäldern scheinen Bäume, Sträucher, Moos und Kraut im Wettstreit um Sonnenlicht sich zu umschlingen, gegenseitig sich stützend und erdrückend, gebend und nehmend, triumphierend und sich ergebend. All das atmet in einem großen Schlaf, allmählich sich enthüllend wächst es, und du siehst es nur, wenn du zum zweitenmal vorüberkommst, es verbirgt sich zuweilen gar in Dornen, Nesseln, Stacheln, - so wie auch Schlafende sich ohne Willen möglicher Berührung erwehren, - so fern und nicht ansprechbar ist uns die grüne Welt. Fleißig weiden Tiere über das wehrlos zum Licht schlummernde Wuchern hinweg, legen sich dann nieder an den Wasserlöchern. Aber es bleibt ihnen keine Ruhe. Sie müssen flüchten, um am Leben zu bleiben, hellwach gilt es die Schritte zu setzen, mancher Giftzahn und tödlicher Stachel verbirgt sich in Sand und Kraut, manches kräftige Gebiß lauert hungrig im Dickicht und im seichten Wasser. Scharfe Schnäbel sind bereit, aus der Höhe herabzustürzen. Es dürstet von überall her auf vielerlei Weise nach der kräftigen Würze und Süße frisch dampfenden aber auch erkaltet vergorenen Blutes. Um auch, wie jede Kreatur auf ihre Weise, am Leben zu bleiben. Am Leben bleiben: Der Käfer springt eiligst fort, sobald er errät, daß du ihn mit deiner Sandale erschlagen könntest, läuft aber zuerst hinter die Truhe oder unters Gebüsch, bevor er sich eine ihn verbergende Ritze sucht, worin du ihn so leicht nicht mehr findest. Kommst du einem wehrhaften Tier zu rasch zu nahe, welches errät, daß es dir an Kraft überlegen ist, du aber nicht so schwach oder winzig, daß du ihm nicht gänzlich ungefährlich währest: Es zögert selten lange, dich sogleich unschädlich machen zu wollen, deshalb möchtest du gar nicht erst in seine Nähe, verbirgst dich, um am Leben zu bleiben. Manchen Tieren gaukeln wir etwas vor, dressieren sie, oder wir zähmen welche, um sie zu uns zu holen, damit sie uns Lasten schleppen, Arbeit abnehmen oder um sie zu mästen, zu schlachten, zu verspeisen. Durch List und nicht mit Reißzähnen und einseitiger Körperkraft werden wir zum Jäger. Gräser und Kräuter, sogar Bäume holen wir zu uns, überlisten sie, damit sie uns zu Nutzen und zu Gefallen wachsen. So legen wir Gärten und Felder an. Oder wir ziehen mit gezähmten Tieren durch Savannen und nähren uns mit von ihrer Milch und ihrem Fleisch. Nehmen unseren Tieren in den Sommern die Wolle oder gar den Pelz, um in den Wintern nicht zu frieren, weil wir nackt sind wie frisch geschlüpfte Vogeljungen, oder wie manche neugeborenen Mäuse, die in einer Erdhöhle zur Welt kommen, - und fast gänzlich nackt bleiben unser ganzes Leben lang. Pelzlos, unbehuft, ungepanzert, ohne Horn, Flosse oder Flügel. Wehrlos jedem Dorn und Reißzahn, jeder Hitze, jedem Frost und in den Fluten dem Ersaufen ausgeliefert, ist es dem Menschen gegeben, alle Natur und jedes Leben darin zu überlisten, auch seinesgleichen und als Einzelner sich selbst. Und darum fürchten wir nicht nur Flut, Hunger, Dürre, Hitze und Frost, den Reißzahn und den giftigen Dorn, sondern den Irrtum und die Täuschung. („Jetzt brat mir einer einen Storch! Irrtum und Täuschung? Jetzt sind wir schon fast bei der Entstehung der Welt angelangt! Worauf willst du hinaus, wenn ich mal fragen darf?“ „Still, mir gefällt das. Trink du deinen Blütenwein und sei still. Gibt es noch Tee?“ „Ich höre ja zu, aber.. Kann ich noch was Wein kriegen? Jaaa, danke, aaah!“ „Sprich weiter!“) Jede einzelne Kreatur, ob schlummernde Pflanze, getriebenes Tier oder sinnender Mensch möchte am Leben bleiben. Denn es scheint schön zu sein, am Leben zu sein. Betrug? Dem Mißtrauen allein ist alles Betrug. Aber das Leben selber hat keine Zeit, mißtrauisch herumzudenken! Es ist zu vielfältig, um sich in seiner geringsten Regung auf ein „nur weil“ reduzieren zu lassen. Es ist Geburt und Tod. Es kann voller Freude und voller Leiden sein: Auf Freude folgt Leid? nein, beides gleichzeitig! Daran ist alles echt. Und so verteidigt sich jede Kreatur gegen ihre Vergänglichkeit, leidet ihre Not, um sie abzuwenden: Um am Leben zu bleiben! Und so erhält sich das Leben selbst in ihr. Und beschenkt sich selbst mit der Zeitspanne eines einzelnen Daseins, welches herunterzubrennen scheint, wie das Feuer einer Fackel, die ausgelöscht werden kann, oder einst von selbst erlischt. Dann hat das Leben wieder einen Atemzug getan. Zurück bleiben leere Hülsen, Schalen, Kapseln und Gebeine, so tot wie Sand und Steine. („Uhh!“ „Ist doch wahr?“ Husten Räuspern) Wenn die Lebewesen aber auf der Höhe all ihrer Kraftentfaltung beben, geschieht mit ihnen immer etwas Sonderbares. Überall, direkt und unerwartet: Ihr Leben selber beginnt sich stärker und immer stärker in ihnen zu regen, so stark, daß sie es zu feiern wünschen! Ob Pflanze, Gewürm, Tier oder Mensch: Weite und Ewigkeit selber versprechend drängt es mit einem Mal aus ihnen hervor, als stünden sie alle, alle jetzt kurz vor dem göttlichen Versprechen, sich für immer die Unsterblichkeit erringen zu dürfen! Das Paradies öffnet die schweren Pforten und antwortet der Mühe der Lebenden: Statt schmerzlicher Erhaltung und Entbehrung sprudelt allmehrendes Wachsen geheimnisvoll in allen mühelos auf! („Die Jugend!!“ „Hä?“ „Naja, die Jugend, fühlt sich unsterblich!“ „Mmmh.“) Und es ist die Unsterblichkeit, und es ist die Ewigkeit selber – und nicht nur das ihnen zubemessene Leben, welches sie sich sonst so mühsam zu erhalten trachten, – an der sie nun teilhaben sollen! Ach, teilhaben! Denn sie selber sind es nicht! Und jede Kreatur fühlt sich unmittelbar und unschuldig auf ihre Weise auf dem Weg zu ihrem ewigen, unsterblichen Sein! Ewige, unsterbliche Natur! Und jedes ihrer Wesen fühlt es endlich, heute und jetzt: Und war auch alles zuvor gewesene Leben hier an seinen Grenzen angelangt, Diesmal soll es für immer gelungen sein: Zum ersten Mal! Unsterblich zu werden. Einmal und für immer! Endlich! endlich! endlich.. ... Gewaltig reizt ein jäher Drang, noch mehr, viel mehr, neues, neues, ganz neues Leben, Leben zu zeugen, weil der Erhalt der eigenen Wenigkeit nicht mehr ausreicht, ein Leben selber zu erhalten. Und das Leben in den Einzelnen Wesen fordert dann für sich um ein vielfaches gewaltiger seine Ansprüche, als einst der Drang nach eigener Selbsterhaltung! Denn von allen Wesen anfangs kaum bemerkt, aber immer still ersehnt, kündigt sich in ihnen die Bereitschaft zu Befruchtung, Empfängnis und Opfer an: Verborgen in höchster Entfaltung von Wonne und Daseinsfreude. So aber müssen alle Lebewesen, eben noch auf der Höhe äußerster und eigenster Kraft und Schönheit inmitten ihrer Feier des Lebens, ... ... ... Sklaven des Lebens werden, - Leben, welches sich unverkennbar als gar nicht mehr ihr Eigenes offenbart! Leben, welches nur durch alles Einzelne, Sterbliche hindurchflutet, um all diese Hülsen am Ende, nämlich inmitten des Triumphes der Lebendigkeit in denselben – im Stich und endlich ganz ..zurückzulassen. Das ist Betrug! („Ach so meinst du das!“ „Betrug, ja, das ist irgendwie schon wahr!“ „Gebt mir noch Wein, hach, er hat schon recht, aach!“ „Trink doch nicht soviel!“ „.. ja, ja.. wir sind alle bloß Puppen, von der Natur an Fäden gezogen, hurps, hick..“ „Hohoho!“) Was ist uns das Blühen!? Der Kräuter, Stauden, Sträucher und Bäume? Alle Festlichkeit für das Auge, alle Zier von Hausrat, Kleidung, und sogar Gebäuden haben wir von den Blüten gelernt, weil wir uns durch die Sprache der Blumen hindurch vom Leben angesprochen fühlen. Auch ihr Duft hat uns durch unsere Nasen so vieles erst wirklich erklärt. Zarte Bescheidenheit, hypnotisches Betören, inbrünstig aufdringlichen Geruch gibt es da. Kräftig und stark duftet manche Pflanze, aber schließlich zärter und immer jeweils dann zum vielfältigsten Aroma gesteigert, wenn diese Pflanze ihre Blüte weit geöffnet hält. Wenn Wachsen, Wurzeln und Sprießen und Gedeihen nicht mehr zu genügen scheinen. So wie nun Kraut, Baum und Strauch in Farben und Düften sich entfalten, sind sie jetzt ganz anders, obgleich die Pflanze mit ihrer Blüte einbeschlossen immer noch die gleiche ist. Vielleicht wären Pflanzen ganz so, wie sie blühen, wenn sie nicht am Leben bleiben müßten, sondern einfach >Sein< dürften. Wären vielleicht ganz und nur: Blühen und Blüte. Und vielleicht wäre dies erst der Anfang: Eines bunten Kaleidoskops aus Düften und farbigen Lichtern, und unter all solch reiner Prachtentfaltung wäre manches Dunkle und verschwiegen Funkelnde der uns hier in der Bedingung ihrer Selbsterhaltung nur immer grün erscheinenden Farne oder Nadelhölzer. Das Blühen der grünen Welt tätigt sich nicht, es geschieht. Hier entfaltet sich ein Bild der kühlen Zurückhaltung, dort eines wilder Begehrlichkeit, da blüht es kühl, straff und stolz, dort aber welkt es schon matt, bevor der ganze Fächer erst entfaltet ist. Ein Schauspiel für durstige Fliegen, Hummeln und Bienen? Dieser Wettlauf und Reigen mit leuchtenden Formen aus einer anderen Welt! Dessen Sprache wir Menschen, abseits stehend, selten so durch und durch begreifen: Stimmungen, die in unseren Seelen auf- und abklingen, scheinen sich in den Blumen zu bilden? Aber kleine glänzende Vögel und all das fliegende schillernde Gewürm, die selber bunt und leuchtend, ganz Wesen dieses Vorgangs sind: Wie sie trinken und trinken! Wir haben bei auf – und untergehenden Sonnen und Monden gestaunt, und beklommen geschwiegen, wie auch Vögel zur blauen Stunde, wenn Tag und Nacht sich begegnen, immer schweigen müssen. Zu mancher Zeit auch gejubelt und geweint, weil es wiederkehrte! Wir haben das Farbenspiel mancher Morgen und Abende gesehen mit seinen bunten Überraschungen. Wenn das Licht in Wolken und Lüften spielte! Auch das Blühen der grünen Welt ist mitsamt dem Auf – und Untergehen von Sonne und Mond den Menschen eine vertraute und erwartete Wiederkehr! Auch das treue Leuchten der Sterne, verwandelt, ist für uns in Blüten greifbar nahe zur Erde gebracht und dem blühenden Gewächs ist sein Blühen Vollendung und Bestimmung in äußerster Hingabe, immer zum ersten Mal! Wenn die Frühjahrsnächte hindurch um die Ufergestade die Frösche quaken, ist es eine selige Feier, lauter und lauter möchte es werden. Einer muß den andern übertreffen, als gelänge es Geschöpfen jetzt, wie nie zuvor, zum ersten Mal auf Erden, aus der Wasserwelt heraus in den Luftraum zu tönen, aus einem Wesensinnern heraus die stille Welt mit lebendigem Lärmen zu erfüllen! Wo bisher nur Winde und die Wasser rauschten. Der flügge Jungvogel, der sein erstes eigenes Singen anfängt, ist sich der erste Vogel der ersten Dämmerstunde über Wassern und Gebirgen der grünen Welt. Jeder junge Hirsch, wenn er seinen ersten Schrei tut, ist sich selbst der erste Hirsch in der herbstlichen Abenddämmerung des ewigen zeitlosen Waldes. Stark und voller Lebendigkeit sind sie jetzt alle! Kein „noch nicht“ und kein „nicht mehr“ trennt sie jetzt von ihrer Gegenwart. Fast ausgeschaltet ist der Instinkt der Vorsicht und Nachsorge! Leben, sich befreiend von seinen äußeren Bedingungen, um sich hinzugeben an Sich Selbst, und sei es nur möglich, indem es alle Bedingungen einmal wie für immer ignoriert! Um seiner reinen unzersplitterten Kraft furchtlos gewahr zu sein! Schutzlos preisgegeben aber, wie nie sonst! Mit Kühnheit und Zuversicht umwerben die männlichen Tiere die erwartungsvollen Weibchen, bis so mancher erkennen muß, daß dem Starken immer ein Stärkerer lebt, daß dem Prächtigen ein Prächtigerer lebt. Und sogar manches Weibchen erleben muß, daß der Duft eines anderen bevorzugt wird. Dann fällt ein erster Schatten in den jüngsten Tag. Wir haben den Gesang und den Tanz erfunden, weil wir den Übermut der Tierwelt auf der Höhe ihrer Kraft selber vom jüngsten Tag her in uns fühlen. Das Summen des Biens inmitten süßer Kräuterwiesen, das schwerelose Gleiten der Fische im Wasser, das Sichlosreißen und Aufschwingen der Vögel, um Erdboden und Bäume unter sich zu lassen, das ausgelassene Wiehern der Pferde, wenn sie über die freie Savanne rasen, das ratlose Heulen der Wölfe in Vollmondnächten und viel, viel mehr finden wir in uns, wenn es uns zum Singen und zum Tanzen hinreißt. Auch die Menschenkinder, wenn sie zu sich selbst erwachen, fühlen dann ihr Blut in ungekränkten Adern zu Herzen gehen. Schimmernde Blicke, morgen? morgen? Warum nicht heute?: Hand in Hand mit der besseren Welt! Fernab von Sauerkeit und müder Aufsicht der Eltern machen sie sich jetzt auf die Suche, jeden Menschen ihres Frühlings kennenzulernen! Keine Bedenklichkeiten, kein sich in der Rede wiegendes Haupt, keine Warnung mit dem Zeigefinger! Vorsicht und Rücksicht sind aufgehoben und allein die tiefe Leidenschaft führt sie hinaus ins Leben. Zum allerersten Mal! Ewige, unsterbliche Natur! Jedes Wesen fühlt, wenn sein Leben sich in ihm zu feiern beginnt: Und war auch jeder Frühling zuvor Vergänglichkeit: Diesmal werden sich die von Lust überschweren offenen Pforten des Paradieses nie mehr schließen können! Und es ist ja wahr: Das Leben geht weiter. Die einzelne Kreatur aber muß doch bald leiden, und am Ende gar zugrundegehen und sterben. „Das Leben geht weiter“: Was ein grausamer Spruch für jede alleingelassne Kreatur! Wie ist die Gottheit, die dieses Leben wirklich lebt? Das Wesen alles Lebendigen ist doch niemals mitgestorben! Ist es denn also doch noch nicht die Ewigkeit und Unsterblichkeit selber? Dieses schöne Leben! Es ist vielleicht das Wesen alles Lebendigen, hier in seiner Unendlichkeit von Zeugung und Geburt, nur Spiegelbild eines wirklich Ewigen Lebens in die Welt des Todes? Die Welt des Todes: Manches vom Rudel abgewiesene einzelne Tier hetzt verloren hin und her, bevor es totgebissen, oder ohne Schutz und Nahrung verendet. Umsonst haben unzählige Männchen werbend ihre Kraft gefühlt und auch gezeigt, gehungert gar, gestoßen und gebissen und gekratzt, um keinen Augenblick zu säumen, und viele Weibchen tragen nun den Samen des verhaßten Einen aus, der dick und struppig und zufrieden abseits an bequemster Stelle liegt. Im Frost des Frühjahrs büßte mancher Strauch und Baum sein allzufrühes Blühen. Eine Unzahl Pollen rieselt immer in die Regenpfützen und wird zu nichts als Humus. Nach der Verschwendung einer Überfülle reift schließlich da und dort die Frucht. Dann bindet sich das allzulose Leben wieder, Höhlen werden gegraben, Nester gebaut, Herdenzüge, Schwärme und Rudel setzen sich in Bewegung um reichere Nahrungsgründe zu erkunden. Und das den Einzelnen fühlbar nahe Paradies wird eine Last. Schwerer den Muttertieren jeden Tag. Sie sind den Männchen keine Sehnsucht mehr, sondern Sorge um die Niederkunft. Ausgesetzt in Sturm und Wind, verborgen an schwankenden Zweigen bebt ein Vogelnest. Zart und verletzbar alles daran und darin, gerade noch so versteckt. Ein übermütiges Wagnis! Oder: Aus oft erschöpften, manchmal schon angegrauten Leibern schlüpft unversehrt von Kränkung und ohne die Vernutztheit des Fells der Alten der Frischling. Jedes Jahr aufs Neue, irgendwo. Schon zeitenlang. Schnee und Eis erliegen der Versuchung der ersten milden Sonnenstrahlen und schmelzen. Die Samen springen auf, die Feuchte ergießt sich in den Keimling, der jung und glatt und schön zum Schößling eregiert. Die Hoffnung ist befreit. Nackt und ohne eine Spur von Fäulnis und Bedrängnis sprießt neues Leben und nimmt sich dankbar an. Wir haben die Sonnenauf – und untergänge schließlich gezählt, die Phasen des Mondes und ihr Verhältnis zu den Sternen bestimmt. Oh, hätten wir es nie getan! Aber wir hatten begonnen zu ahnen, wie sich alles umwendet und zurück- und immer wiederkehrt, also bereiteten wir uns auf die Wendungen und Wiederholungen im Leben vor, unserer Verletzbarkeit eingedenk und manchmal mißtrauisch. Wir haben das Sterben gesehen, und das Gebären, überall! Und alles Geborene wieder sterben sehen! Dazu starben eben auch mit der Zeit einmal alle von uns, uns Menschenkindern. So viele, die wir so liebhatten, starben uns fort. Mancher verhaßte Mensch wurde ebenso hinweggerafft. Keiner wurde verschont. Aber mancher Streit löste sich so einfacher. Wir sahen die Scham derer, die krank und hinfällig wurden, und die Furcht derer, denen die nun siech gewordenen beigestanden hatten. Wir Menschen, wir sterben, samt wie das Kraut, wie das Vieh, wie ganze Landstriche sterben in der grausamen Liebkosung zu heißer Sonnentage, wir sahen da tote Fische im Wasser treiben, sahen da alle Tiere am Land schwach und ausgemagert und tranken das Blut unserer Tiere. Oder es wurde gestorben im Haß des steinigen Frost, da aßen wir mit fremden Tieren gemeinsam den Fisch blutig und auch den Schnee. Viele, viele von uns starben gerade zu diesen Zeiten schneller, als wir glaubten, daß uns Zeit gegeben sei! Ja, mancher lebte gerne und länger, und starb- schließlich auch. Und immer wieder starb uns ein Mensch unter sovielen von uns: Zum erstenmal! Und kam uns niemehr zurück. Auch das Töten untereinander und seine Zwiespältigkeit haben wir durch Jahreszeit und Zufall bemerkt und dann oft zu unserem Leid getan. Wir haben gelernt und erlebt, daß der, der es tut, und der, der es gesehen, manchmal, nicht immer, sich auch selber tötet, und wie ein Toter weiterleben muß. Wie oft haben gutes Essen und Tränke, Zureden und wohlgesetzte Worte manche lebende Tote wieder lebendig gemacht, - damit das Leben weitergehe! Junge Mädchen und Knaben, Tiere, Felle und allerlei Geschenke wechselten Besitzer und Hüter. Aber wie oft gab es auch Zeiten, wo fast jeder zum lebenden Toten wurde, in denen uns nur Angst und Mißtrauen voreinander blieben, zur Pein des Überlebenmüssens, welches uns Himmel und Erde doch ohnehin abverlangen! Wie oft einer den andern fürchten mußte, da man nicht wußte, ob der Andere bereits ein Toter oder noch ein Lebender sei! Das wißt ihr alle tief im Herzen. (Es ist alles ganz still geworden.) Wir suchten das Sterben an uns selber und betrachteten uns im Wasser oder auf poliertem Gestein, und erkannten uns im Gegenlicht, ohne die Augen anderer. Wir erkannten auch für uns allein dieses Werden, was man „alt werden“ nennt! Es wurde Zeit! Zeit, die wir zu teilen begannen. Um uns sicherer zu fühlen. Es gelang! Und am Tage und in der Nacht bewachten wir den Himmel, der soviel zu Ertragendes und auch Gutes auf die Erde bringt. Wir haben die Sterne unterschieden in die an der Himmelsschale Wandernden und diejenigen, die durch die Zeiten hindurch ihren Platz nicht ändern. Wir besahen die Wolken und gedachten aber auch dem Lauf der Himmelslichter hinter den Wolken. Es gelang! Wir erfanden den Lauf der Sterne, ohne sie zu sehen! Wir haben das Gewußte unserer Toten durch Generationen hindurch mit dem Wissen der Lebenden verglichen und ergänzt. Mit dem Gewußten der Vergangenen und dem Wissen der Lebenden haben Tote und Lebendige sich verbündet, um die Gezeiten des Lebens zu belauschen. Um die Gezeiten des Lebens bis auf ihren geheimnisvollen Grund zu verfolgen, haben sich auch schon einzelne verirrte Suchende, mit ganzen Völkern, deren dumpfer Getriebenheit sie hörig wurden mit ihnen zusammen, über Jahrhunderte hinweg: Zugrunde gerichtet. Das eigentliche Verlangen nach Gewißheit und das Sehnen zu dem Ursprung des Lebens hin ist dabei in seiner Einfachheit oft in Vergessenheit geraten: Es muß eine andere Welt sein. Denn wenn aus bald Hinfälligem immer wieder neue Jugend erblüht, so kann diese herrliche Frische doch nicht aus dem Vergehenden kommen! Immer zum ersten Mal, mit all der furchtlosen Gewißheit, ganz am Leben zu sein? Das eben Geborene und Geschlüpfte!? Das Gebären selber aber auch: Immer zum ersten Mal! Immer bald mit dem Sterben der älteren Kreatur verbunden, einem Leben selber, was eben noch das Leben neu schenkte: Zum ersten Mal! Nie zuvor!, und wie denn auch: gab es den Tod! Nie gab es für uns das Sterben. Und das Leben selber: Wie sollte es mitsterben? Es soll doch leben! Und Leben selber hört niemals auf, niemals! Wie ist die Gottheit, die dieses Leben lebt und stirbt? Wir fürchten uns erst dann, wenn wir fühlen, wie unsere Unsterblichkeit zuneige geht! Kein Mensch fürchtet sich, wenn er auf der Höhe seines Lebens ist, und sei ihm der Tod selber jetzt schon im Nacken! Auch wenn heute zum erstenmal Deine aus der Ewigkeit kommende leidenschaftliche Liebe an das Leben selber vom Leben in der Gestalt eines geliebten Wesens zurückgewiesen wird, so ist es nichts anderes, als zu fühlen, daß ein kleiner Anteil an deiner Unsterblichkeit auf Erden verlorengegangen ist, verloren gegeben sein muß. Einmal alleingelassen sein ist nicht schlimm. Nur: Ausgeschlossen sein vom ewigen Leben! Hier liegt die Wurzel von soviel Haß, Not und Trauer im Leben aller Kreatur. Und die Wurzel von soviel Scham, Kummer und Hoffnungslosigkeit auch bei den Menschen selber. Menschen! Nur Scham und stilles Leiden bleibt. Wo sie sonst soviel zu sagen, zu schreien und zu beweinen wußten. Eine Kreatur von vielen geworden - , der nur die Mühsal bleibt, noch eine Weile zu überleben? Das „Überleben“ reicht einem Leben selber nicht. Jeder Stärkere schützt Schwächere schon deshalb gern, weil er sie nicht fürchtet. Er wird durch sie wenig verlieren. Aber wer Leidenschaft gezeigt hat, hat auch Stärke offenbart: Wie unter einem Rudel von getriebenen Tieren ist auch ein in Leidenschaft entbrannter Mensch unter seinesgleichen nicht mehr sicher. Er weckt schlafende Verzweiflung auf und reizt manche bodenlose Begierde, der das eigene Feuer fehlt. Wer da nicht auf eigene Kraft vertrauen will, wird nie wieder in Frieden leben können. Es ist gleichgültig, ob sein Werben durch die Anderen erhört, abgewiesen oder verleugnet wurde, wenn Freunde und Vertraute sich nicht bekennen konnten und nicht zu folgen wagten. Dem Schlag des eigenen Herzens folgen? Ein Weg ins Ungewisse. So oder so: Ein ganzer Lebensabschnitt geht damit für manchen unweigerlich zuende, wenn er oder sie sich einmal nicht gefürchtet hat, wenn er oder sie aus sich heraus zu leben -, wenn er oder sie zu begehren wagten. Wie Unsterbliche es tun würden! Denn: Fangen zwei Unscheinbare an, wo sie stehen! Sind wie sie sind! Komme, was kommen soll. Morgen? Nein: Heute! Heute? Nein: Jetzt! Genau heute und nur hier und nur jetzt, so ist die Gegenwart! .. Kräftige, tiefste Seligkeit den so Beglückten! Aber ein Wert – nicht käuflich, allen dies Duldenmüssenden! Was ist der hilflose vernünftelnde Zweifel, und all der Neid auf ein echtes Liebespaar anderes, als ein Gefühl vieler, vieler: Viele, die zur hilflosen, schlangestehenden, wartenden Menge geworden sind und jeden ihrer Lebensschritte bedächtig vorhersehen wollen. In der so sicheren Ansammlung sich dennoch so verlassen fühlender Kreaturen scheinbar geborgen, für nichts und Niemanden je gelebt - , immer nur darum gekämpft zu haben, am Leben zu bleiben. Dem Tode jeden Tag entronnen zwar, noch kaum geblüht, die Unsterblichkeit noch nie im Blut gefühlt zu haben. Noch nicht gestorben, doch dem Tod eine sichere Beute. Das Wissen des Überlebenskampfes hat das Wissen um die Unsterblichkeit in ihnen verblassen lassen, und angesichts wirklich Liebender quält sie ein abgrundtiefer Verlust, weil die Liebenden der Schnittpunkt der Unendlichkeitsschleife allen Lebens sind. Jeder noch so vorzüglich Lebende zweifelt an seinem Leben, sieht er, sei es auch nur in seinen geheimsten Gedanken: die Liebenden. Mögen unsere Herzen einander gewachsen bleiben, so wie sie es heute sind. Möget ihr nun neue Freundschaft schließen oder den Blick auf immer voneinander abwenden: Es spielt keine Rolle mehr. Denn Entscheidungen sind gefallen und jeder Lebensfaden ist ein Stückchen kürzer geworden. (Zarter, langanhaltender Applaus, ohne Jubelschreie) 2003 (-2005)
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