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7.5.2012


Schmuddelkind

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Liebe Babsi,

 

ich habe nun schon so viele Male angesetzt, dir alles genau und wohlgeordnet zu beschreiben, aber die letzten Tage und Nächte sind zu einem wundervollen Gesamteindruck verschwommen, der keine Zuordnung mehr gestattet. Ich kann dir bestenfalls eine Ahnung dieses Eindrucks geben, indem ich dir Szenen schildere, die mich seither gefangen halten. Eines weiß ich jedenfalls noch sehr genau - dass ich mit meiner Sanny die glücklichsten fünf Tage meines Lebens verbracht habe und ich kann mit guten Gründen daran zweifeln, ob in der Welt der Menschen überhaupt größeres Glück zu erlangen ist.

 

Alles war voller Freiheit, Schönheit und Leichtigkeit. Wie ich mich in ihrer Wohnung so heimisch gefühlt habe, wo die beiden Katzen ungezähmt um uns herumtollten und das helle Grün ihres Zimmers und die liebevoll gepflegten Pflanzen auf dem hübschen Holztischchen in der Raummitte eine heitere Natürlichkeit ausstrahlten, als verlöre sich irgendwo bei dem großen Fenster die Grenze zu dem dicht bewachsenen Wald davor oder als greife der Wald in das Zimmer hinein! Da umfing mich so eine tief empfundene Ruhe, die im Kontrast zu den Spielereien der Katzen - wie sie einander fingen und um alle Möbel herum rannten und die Kleinere auf den Sessel neben mir sprang, um eine Streicheleinheit von mir zu erzwingen - umso friedlicher erlebt wurde.

 

Babsi, sie ist das hinreißendste Geschöpf, das man sich vorstellen kann! Das sehe ich jetzt noch viel klarer, obschon ich es doch vorher wusste. Als ich sie zum ersten Mal sah, in ihrem weißen, sommerlichen Kleidchen, ihrem langen, ungezähmten dunklen Haar, ihrem lebhaften Lächeln, meinen Namen als Ausdruck von Seligkeit rufend, ach, mir war so wohl! Zur Begrüßung haben wir uns lange und herzlich umarmt wie zwei Liebende, die einander nach Jahren zum ersten Mal wieder sehen. So oft musste ich mich selbst daran erinnern, dass wir uns vorher noch nie getroffen hatten, was mir angesichts dieser angenehmen Vertrautheit schwer fiel. Wir lachten viel und - oh Babsi, wenn sie lacht... da hatte ich den allergrößten Anreiz, meine Späße zu machen, für die sie einen Sinn hat.

 

Als wir bei herrlichstem Maiwetter einen Spaziergang machten, da hat sie auf einmal mit freudigem Blick den Arm Richtung Wald ausgestreckt und voller Entschlossenheit ausgerufen: "Querfeldein!", als fänden die unzähligen Reize der reichen Natur umher durch sie ihren Ausdruck. Ich habe noch gelacht, da gingen wir bereits durch das Gebüsch. Bald hatten wir keine Ahnung mehr, wo wir waren, doch als ich inmitten des dichten Strauchwerks ihre Hand hielt, da kümmerte uns das nicht mehr, wussten wir uns doch in gediegener Sicherheit. Ich war erfüllt von einer unbestimmten Dankbarkeit, so dass die Anregung, sie zu küssen mit zutunlicher Macht über mich kam, ohne einen Beweggrund oder eine Absicht dazu nennen zu können. Oh, dass der Mensch immer nach Absichten fragt! Sind Absichten nicht nachträgliche Rechtfertigungen vor den Erwartungen herrenloser fremder Mächte, vor denen wir unsere Gefühle zu verbergen suchen? Dieser Kuss war eine gegenseitige Offenbarung der menschlichen Ursprünglichkeit, in welcher sich meine Leibhaftigkeit aufzulösen schien! Ich habe keine Erinnerung daran, aber ich weiß, dass wir irgendwann wohl doch noch nach Hause gefunden haben müssen.

 

Es war mir alles in allem so, als ob wir keine ähnlichen Empfindungen hatten. Nein! Wir nahmen teil an derselben Unmittelbarkeit einer wesenlosen Naturerscheinung, so dass alles, was wir taten ganz und gar den Gedanken und Empfindungen des Anderen preisgegeben war. Davon könnte ich dir hunderte Beispiele geben, wovon mir folgende Begebenheit am eindringlichsten in Erinnerung geblieben ist: An einem wolkenverhangenen Nachmittag zog es uns zu den Gärten der Welt am Rande der Stadt, wo die exotischen Gartenkünste aus aller Welt zu bestaunen waren. Beide hatten wir ein genaues Auge für dieselben Wesenszüge der fremden, bunten Blüten. Doch als wir auf unserem Weg einen Spielplatz erblickten, da konnte keiner von uns mehr seine Vorfreude verbergen - ich schreibe bewusst Vorfreude, da es in der Klarheit des Moments keinen Zweifel am weiteren Hergang gab - wir stießen zugleich ein kindlich anmutendes "Karussell!" aus und eilten dorthin, um uns dem geschwinden und unschuldigen Spaß hinzugeben. In ihren Augen konnte ich sehen, wie rein ihre Freude über dieses simple Geschehen war und wie bin ich begeistert, dass sich ein solch feiner Verstand eine derartige Offenheit für das reine Erleben erhalten hat.

 

Eines Abends, wir lagen nebeneinander auf ihrem kreisrunden Bett, ergab es sich, dass wir Gedichte rezitierten, Heine, Eichendorff und viele Andere, die uns so faszinierten. Als ich Eichendorffs "Abendlich schon rauscht der Wald" zum Besten gab und kam an die wunderschönen letzten Verse "Hier in Waldes stiller Klause, Herz, geh endlich auch zur Ruh", da entfuhr ihr ein neckisches, leicht schelmisches "Zur Ruh?! Wieso denn zur Ruh? Ich will raufen!". Ehe ich mir einen Reim darauf machen konnte, rang sie mich wild zu Boden und lachte laut und herzlich dazu. Darauf hielt sie mich mit Armen und Beinen gefangen, während ich mich mit raschen Bewegungen herauszuwinden versuchte; so ergab sich ein ständiges Kämpfen um eine nicht festgelegte Stellung nach unbekannten Regeln, ein Herumwälzen vom Bett auf den Boden und wieder zurück, ein heftiges Liebesraufen. Und je mehr es am Spielerischen verlor, umso mehr gewann es an Nähe, bis wir nichts weiter waren als zwei Stimmen derselben wunderschönen Melodie, die ein zärtliches, aber in Anbetracht des uns Beide führenden eingänglichen Rhythmus' beinahe überflüssiges "ich liebe dich" ausstießen.

 

Oh, wie ist es so erfüllend, seine Muse zu lieben! Ich lag auf dem Bett und schrieb:

 

Du Brunnen meiner tausend Sinne,
du Anregung in allen Dingen!
Ganz tief will ich in dir versinken
und in dem Rhythmus leichter Minne
schwere Atemnot bezwingen
und endlich ganz in dir ertrinken.

 

Sogleich griff sie nach ihrer Gitarre, spielte und sang für mich, sang mein Gedicht mit der kräftigsten Stimme, mit der man ein Liebeslied zärtlich singen kann. Ach, wie ihre zauberhafte Stimme mir ganz tief in Mark und Bein geht und an jeder Stelle meines Körpers heilige Spuren hinterlässt! Der Mensch kann von Schönheit nichts wissen, der diesem Moment nicht beiwohnte.

 

Voller Mut blicken wir nun einer verheißungsvollen Zukunft entgegen, auch wenn die Situation gewiss nicht einfach ist. Wir sponnen unsere Gedanken, äußerten Ideen, sie könne vielleicht nach Frankfurt ziehen oder ich eröffne in Berlin einen Buchladen oder wir ziehen gemeinsam aufs Land und halten uns einen Hof. Dies sind gewiss alles keine Dinge, die wir in naher Zukunft verrichten werden und den meisten in unserer Lage würde da Angst und Bange, aber dass wir völlig ungezwungen darüber sinnieren konnten, ohne einen Zwang oder Druck zu verspüren, bezeugt unser gegenseitiges Vertrauen. Nichts ist versprochen, doch alles ist möglich und das ist eine süße Gewissheit.

 

Als ich mich auf den Heimweg machte, da war mir so unwohl, als zöge ich von zu Hause aus. Eine Kraft, so stark, dass jedes Leugnen, jeder Verweis auf die Unsinnigkeit metaphysischer Bilder keine Macht mehr hatte, hielt einen wesentlichen Teil meinserselbst zurück, während mein Körper durch die wildwuchernden Wälder Brandenburgs reiste und sich bald zwischen den grünen Hügeln Thüringens wiederfand. Mich erreichte zum ersten Mal eine Ahnung, wie schön dieses Deutschland sein muss, das mir doch so fremd ist. Aber diese Schönheit kann die Sehnsucht nach Heimat nicht befriedigen, die ich endlich in Berlin fand.
 

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9 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Liebes Schmuddelkind,
es liest sich sehr kurzweilig und interessant. Da ich ungeduldig bin, habe ich es mir jetzt als E-book auf meinen Kindle geholt.

Beste Grüße

Elmar

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Am 7.5.2020 um 17:50 schrieb Freiform:

Juchu

:rofl2:

Danke, dass du deine spontane Freude nicht zurückgehalten hast, lieber Freiform.:classic_smile:

 

vor 21 Stunden schrieb Elmar:

Liebes Schmuddelkind,
es liest sich sehr kurzweilig und interessant. Da ich ungeduldig bin, habe ich es mir jetzt als E-book auf meinen Kindle geholt.

Oh, vielen Dank! Dass du gezielt danach gegoogelt und es sogleich gekauft hast, ist ein unvergleichlich ehrliches Lob für mich.:classic_smile:

Ich hoffe sehr, dass du die 2,99 EUR als vernünftige Investition verbuchen kannst, wenn du das Buch durch hast.

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Da bin ich beruhigt, dass es sich für dich gelohnt hat.:classic_smile:

Unterbezahlt - naja, ich finde, in einer guten Welt wäre das ein angemessener Preis für ein Buch.

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Danke, aber eigentlich war das keine Leistung, weil ich es ja quasi selbst publiziert habe. Ist auch nur so ne Spielerei am Rande. Reich wird man davon nicht, aber mehr Leute haben die Möglichkeit, das Buch zu lesen, wenn sie es denn als E-Book lesen wollen.

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