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Vorwort zu meinem Buch "Immer ein leises Gehen" von Herrn Peter Demetz


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Vorwort/Brief von Prof. Dr. Peter Demetz an den Autor  (siehe unten: Link)

Lieber Herr Jürges,

ich will Ihnen in meinem Briefe danken, dass Sie mir eine Sammlung Ihrer Gedichte hierher übersandt haben. Die Zeit, in welcher man Gedichte liest, ist nie ohne Geschichte, und der Raum nie leer – Moment und Ort entscheiden darüber, wie ich Lyrik lese. Ich lebe hier in einer reinlichen akademischen Vorstadt im Staate New Jersey, und da leben, mit mir und in meiner Nachbarschaft, Koreaner und Ungarn, Chinesen und Mexikaner, orthodoxe Juden und Italiener (um nur einige Gruppen zu nennen). In dieser
Welt ist die Gegenwart eines deutschen Gedichtes von einer Deutlichkeit, die der Lyriker, der sie schrieb, in seiner fernen Heimatstadt nie voraussehen konnte, und seine Texte, schwarz vom weißen Papier abgehoben, erzwingen, auf ihre Art, eine Konzentration meiner Aufmerksamkeit , von der sich ihr Autor, in seiner deutschen Lebenswelt, wohl keine Vorstellung zu machen vermochte.

Es wäre allzu einfach, Sie als Freund der Tradition zu bezeichnen, aber Sie erschweren mir die Frage nicht, welche Lyriker der Vergangenheit für Sie bedeutsam sind, denn einzelne Gedichte nennen Namen, George („in alten Schriften steht zu lesen”), Morgenstern ( das verwirrte Reh im Kernkraftwerk), und Eichendorff („so träum ich mich ins Weite”). Ich glaube gar, Eichendorff steht Ihnen näher als andere , denn Sie reden ihn unmittelbar an, und wenn mir einer fehlt, dann ist es der langvergessene
Alfred Mombert, mit dem Sie (Sie verzeihen das große Wort) die kosmische Weite der Perspektive gemeinsam haben, denn Sie vergessen nie, dass sich der Einzelne zugleich in seiner Einsamkeit und in einem Dasein befindet, dem sich die Himmel öffnen und das Irdische die Sterne reflektiert.

Das Romantische, das war Zwiespalt, und deshalb haben so viele ihrer Gedichte einen romantischen Klang, aber nicht im billigen Sinne, sondern im ursprünglichen Verstande der Polarität und des Gegeneinander. Eine Harmonie der Widersprüchlichkeit; das Gedicht „Dasein” stellt die wesentliche Frage und antwortet zugleich mit einem „Vielleicht”, der Einzelne, in seinem Dasein, tastet nach dem „wahren Dasein”, das sich ihm entzieht – es sei denn ein „Gesang”, der sich herniederlässt, „streifend wie ein milder Hauch”; ob in den Städten, wo wir Einzelnen „in schweren Zimmern” leben und die Traurigkeit wie unter einem Tuch „herausschaut“, oder in der grünen Offenheit, in der wir in „seidener Stille” hören wollen, welcher Wille uns in das einzelne Leben gestellt hat, in diese Zerstreuung, in der allein der Wind die einstigen Orte berührt hat, in denen wir lebten.

Ich bin geradezu versucht, Ihnen auf den Kopf zuzusagen, dass Sie kein Kind der Großstadt sind, und wenn Sie von den „Wäldern meiner Kindheit” reden, ist das keine nützliche Fiktion. In Ihren Gedichten findet der Einzelne selten Ruhe; Sie sagen zwar, das Leben „im Hiesigen” bestünde aus „ruhen, lieben, handeln”, aber aller Nachdruck liegt auf dem Lieben und Handeln, die sich mit einer unverlierbaren menschlichen Unruhe verbünden, die ihren festen Ort sucht. Auffallend, wie in vielen Ihrer Gedichte Bäume und alles in der reinen Natur Gewachsene Ruhe, Standhaftigkeit und eine Festigkeit ausstrahlen, die (ich wage fast zu sagen) einen Stoizismus , der dem umhergetriebenen Menschlichen fehlt – ob es nur ein „alter Baum” ist, der Hoffnung ausstrahlt, ein Baum, der „Sturm und Kälte überdauert“, oder „Der Eichenbaum”, der „Ewigkeit im Rindensaum” birgt. Aus vielen Gründen zähle ich Ihr Gedicht „Roter Waldholunder” zu den bedeutsamsten, die Sie geschrieben haben, denn in ihm verbinden sich viele Motive, Gedanken und Bilder, die Sie sonst in andere Gedichte verstreut haben, die „wilde Schönheit”, verschwistert mit Sonne und Wind, sich „selbst genug”, und dennoch, gerade im Selbstgenügen, das dem rastlosen Menschen fehlt, in eine höhere Ordnung gerückt, in die „Güte” der Schöpfung.

Ich glaube, lieber Herr Juerges, sie lassen sich als Lyriker, durch vergangene Diskussionen darüber, ob man schreiben soll oder was Gedichte sein sollten oder nicht, wenig anfechten, und setzen darauf, die lange Historie des Gedichtes auf Ihre Art wagemutig fortzusetzen. Der Literaturhistoriker (ich bin einer) wird natürlich einwenden, dass Arno Holz, der störrische, schon in der Tiefe des 19. Jahrhundert erklärte, die Lyrik, wie wir sie kennen, hätte als Kunst der Großväter längst bankrott gemacht; und er schiebt die Schuld an diesem Bankrott dem gereimten Wort zu, das auf die althergebrachte Weise fortlebt, obwohl, wie er sagt, 75% Prozent aller deutschen Worte nicht gereimt werden können. Deshalb reduziert sich der Horizont der Lyrik im Vergleich zur umfassenden Wirklichkeit, auf bloße 25% (gar nicht zu reden, von der alten Leier der Reime), und er empfiehlt, als Allheilmittel, den „Rhythmus”, in welchem die Realität „um Ausdruck ringt”, einschließlich der blühenden Apfelbäume, die auch er bewunderte.

Der Literaturhistoriker wird aber auch daran erinnern, dass einer der Kapitäne der Moderne nicht gewillt war, den Klang des Gedichtes zu ignorieren. Ich meine Ezra Pound (nicht den abwegigen Ideologen, sondern den Dichtungstheoretiker), der in seinem Aufsatz „How to read“ (Wie soll man lesen, 1931), darauf bestand, Gedichte seien Kombinationen aus Sinnhaftigkeit, optischen Elementen und ihrem Klange, oder ihrer „Melopoeia”, den musikalischen Qualitäten.

Ich schreibe das alles, um mir selbst Klarheit über Ihre Gedichte zu schaffen, Verse in der Tradition von der Romantik bis auf Rilke, und was Sie bestimmt, sich in dieser Tradition zu bewegen. Ihre Gedichte sind Augenblicke der Meditation, des Nachdenkens über den einzelnen Menschen im Zusammenhange der Natur, und nicht nur der grünen; und diese Gedichte wollen, gerade in ihrer Sprachstruktur, nicht verleugnen, dass es Gedichte sind, also etwas Besonderes und Magnetisches, das die Aufmerksamkeit, um nicht zu sagen, die Bereitschaft zur Einfühlung, auf sich ziehen will – das Besondere ist eben die Weite der Perspektive und das Begrenzte der Sprachgestalt, nur drei oder vier Takte in jeder Zeile, die im Wenigen das Viele bereithält. Jede Leserschaft steht ja heute in einem Sprachregen, nicht nur der alten Medien, sondern auch der neuen elektronischen, mit denen man, im wahrsten Sinne des Wortes, hantiert. Das Gedicht, das in Ihrem Sinne darauf besteht, ein Gedicht zu sein, eröffnet die Chance innezuhalten und an unerwarteten Bewusstseinsbewegungen teilzunehmen. Man tritt ein, liest und hört zu, freiwillig und bald beglückt, und, wie im Fluge, in und außerhalb der Welt zugleich.

Mit den freundlichsten Grüßen,


Ihr Peter Demetz
Anfang Januar 2012 (Yale)

 

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