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Lainer hasste Volksfeste. Eifrige Ramschverkäufer, pöbelnde Freizeitalkoholiker und immer diese Ansammlungen von Halbstarken. Er verabscheute das ganze Schauspiel. Blöd nur, dass er als Bürgermeister der örtlichen Gemeinde kaum umhinkam, sich auf derlei Veranstaltungen zumindest blicken zu lassen. Am schlimmsten waren dabei jedoch die Erinnerungen.

Es war Margaretas Idee gewesen. „Geh doch mal mit Jonas auf den Jahrmarkt, du weißt doch wie sehr es ihm dort gefällt“, riet ihm seine Ehefrau, obgleich sie sich Lainers Aversion vollends bewusst war. Nicht zum ersten Mal herrschte eisige Funkstille zwischen Vater und Sohn. Die Pubertät halt, das lege sich irgendwann ganz von allein, vernahm Lainer aus seinem Umfeld. Er registrierte es mit einem Achselzucken. 

Die meiste Zeit in sein Arbeitsleben vertieft, hatte er die Erziehung zu großen Teilen Margareta überlassen. Eine echte Verbindung zu seinem Jungen verspürte er, wenn überhaupt, in dessen frühen Lebensjahren, kurz nachdem er zur Welt gekommen war. Danach fiel es ihm schwer ihn zu verstehen, den mangelnden Ehrgeiz, die latente Faulheit, die schlechten Schulleistungen und und und. Vereinzelt ließ er den Gedanken zu, ob Jonas überhaupt von ihm sei. Letzterer dagegen litt unter der häufigen Abwesenheit seines Vaters, ständig kämpfend mit dem Gefühl ihm nie etwas recht machen zu können. Es entwickelte sich über die Zeit ein wortkarges Zusammenleben, geprägt von Missverständnissen und mangelhaften Kommunikationsversuchen, selbst Margareta wusste die Spannungen nicht immer auszugleichen. 

Und dann war er weg. 

Nachdem sie eine halbe Stunde schweigend über den Festplatz getrottet waren, hatten sie elf Uhr als Treffpunkt beim Eingang vereinbart. Zuerst dachte Lainer an einen Scherz, Jonas würde ihm bestimmt eins auswischen wollen. Ein grandioser Einfall dieser Jahrmarktbesuch, der Bengel würde was erleben. Mitternacht ging vorbei, Lainer bekam es langsam mit der Angst zu tun, lief planlos durch das Getümmel. Er fragte bei Jugendlichen nach, die er für Jonas` Freunde hielt. Sie hätten nicht einmal gewusst, dass er heute hier gewesen sei, hatte er nicht Hausarrest? 

Lainer versuchte sein Glück bei den Süßwarenständen, klapperte jedes Fahrgeschäft ab. Nichts. Er durchstreifte das große Bierzelt, inspizierte jede Sitzreihe. Die feiernde Meute blickte ihn an als stamme er von einem anderen Planeten. Keine Spur. Von Minute zu Minute wurde er fahriger, fühlte etwas Dickes in seinem Hals heranwachsen, verspürte den Drang sich zu übergeben. 

Mit zittrigen Fingern tippte er Margaretas Nummer, erwischte zweimal den falschen Kontakt, beim dritten Versuch entglitt ihm das Handy aus den schweißbenetzten Händen.

Lainer unternahm gar nicht erst den Versuch das in seine Einzelteile zerfallene Mobiltelefon vom Asphalt aufzusammeln, sondern rannte einfach los. Rannte, bis seine Lungen brannten. Rannte durch, bis er zuhause ankam und hoffte beim Eintreten, wie er noch nie auf etwas gehofft hatte.

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