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Ein Freund hat mir die Puppe geschenkt.

Er erzählte, sie käme aus Russland.

Es war ein Tiger und sein Fell war versengt.

Er gefiel mir nicht, wie er so dastand.

 

Die Tatzen erhoben wie zum tödlichen Schlag,

das Maul weit grimmig aufgerissen,

stand er auf den Hinterbeinen, am selben Tag

beschloss ich, der wird weggeschmissen.

 

Mein Freund verließ mich nach einigen Tagen

und ich griff mir das Biest an den Ohren.

Im Spiegel im Flur sah ich mich sagen:

'Ich erzähl' ihm ich hätt' ihn verloren.'

 

In dem Moment poltert's und ich erschrecke.

Die gestreiften Beine liegen leer auf der Erd'.

Stumm steh ich da und entdecke

des Tigers geheimen Mehrwert.

 

Aus dem restlichen Korpus rutscht langsam

ein Dämon mit Hörnern und Fledermausschwingen.

Seine Züge sind teuflisch, sein Blick ziemlich grausam.

Er sieht aus, als könne er jeden bezwingen.

 

In meiner Hand hängt ein schlaffes Fell.

Ich laß es fallen und bücke mich zu ihm.

Angst durchschneidet mich wie ein Skalpell,

so hocke ich vor ihm auf meinen Knien.

 

Kurz fürchte ich, er würde sich bewegen,

doch seine Flügel pendeln kraftlos umher.

Fast wünsche ich, er würde sich regen,

doch er bleibt eine Puppe, nicht mehr.

 

Dann seh' ich die Linie, die sich gleichmäßig zieht

rund um seinen Leib, von vorne bis hinten.

Ich begreife und ehe man sich's versieht

zieh' ich an ihm, gespannt was neues zu finden.

 

Und richtig, ich brauche nur wenig Gewalt,

da fällt krachend das Unt're vom Ober'n.

Statt des Dämons Fratze erhalt'

ich ein altes Weib, ziemlich verschroben.

 

Eine warzige Nase, ein dürres Gesicht,

ein geflickter Rock, ein buntes Tuch.

Naja, wen mit der der Hafer sticht,

der hätt's wohl besser als Eunuch.

 

Und auch um ihres Leibes Mitte

zieht sich der feine, unscheinbare Riss.

Ich fasse sie knapp unterhalb der Titte

Und prompt seh' ich die nächste Miss.

 

Aus der Hülle der Alten schäle ich

die Puppe einer nackten jungen Schönheit,

wobei sich Begehren in meine Kehle schlich

und meine Hose spannt plötzlich vor Geilheit.

 

Ich setze mich mit ihr in der Hand,

vor wilder Lust möcht' ich schreien.

Ich stelle fest, daß mein Wille verschwand,

mich von diesem Geschenk zu befreien.

 

Mein Daumen reibt über ihre Brüste,

Ich frage mich, warum sie mich so erregt.

Mühsam überwinde ich meine Gelüste,

bis ich auch sie endlich zerleg.

 

Die Puppen werden immer kleiner,

und mein Blick haftet jetzt plötzlich

auf einem Baby, nackt, fast unscheinbar,

hilflos, starr und verletzlich.

 

Es blickt zurück wie aus lebendigen Augen.

Ich spüre ein Echo in mir und wie eine Bürde

fühle ich Schuld, als würde ich es berauben.

Doch das wäre unmöglich, es besitzt zuviel Würde.

 

Zu sehr berührt - es ist zu unschuldig -

zerbreche ich nach den ersten paar Tränen

die zarte Gestalt hastig und ungeduldig.

Ich erwarte nicht, etwas Schlimmes zu sehen.

 

Doch leider trieb ich damit einen bösen Scherz,

an dessen Schuld ich bis heute noch trage.

Aus des Kindes Leib fällt ein lebendiges Herz,

rotsprudelnd und noch kurze Zeit schlagend.

 

Nach einiger Zeit halte ich das tote Organ

in der Schale meiner beiden Hände.

Ich begreife nicht was und wie es geschah.

Blut rinnt über Boden und Wände.

 

In meiner Erstarrung knie ich lange

hilflos, gedankenlos, gefühllos im Flur.

Ich bin in meinem Entsetzen gefangen,

das mir die Luft nimmt wie um den Hals eine Schnur.

 

Zuletzt zerbricht auch das Herz dieses Kindes;

von selbst diesmal, ohne mein Zutun.

Ich seh' etwas auf dem dunklen Boden verschwinden.

Ich taste danach, zittrig, voll Unruh'.

 

Im Dunkel ergreife ich etwas, es ist klein und hart.

Und noch eins und heb' beide ehrfürchtig ins Licht.

Ich halte zwei Kristalle, vor Jahrtausenden erstarrt

in Form von zwei Tränen, in denen die Sonne sich bricht.

 

Zwei geschliffene Tränen in Weiß und in Rot,

ein strahlender Brilliant und ein funkelnder Rubin.

Das letzte Geheimnis der Puppen, die mich bedroht,

sollte ein Rätsel bleiben, wie mir schien.

 

Dann vibrieren die Steine in meinen Fingern

befreien sich und schweben vor meiner Nase.

Ich weiche etwas zurück vor den Dingern,

dabei bin ich sonst kein solcher Angsthase

 

Sie umkreisen einander in Art eines lautlosen Tanzes.

Sie nähern sich, steh'n still und aus Zweien

wird durch Berührung und Verschmelzen ein Ganzes.

Etwas zerreißt und ich beginne zu schreien.

 

Als ich erwache hängt an einer Kette vor meiner Brust

ein unmögliches Kunstwerk aus seltsamer Magie.

Zwei Edelsteine, die allein durch göttliche Lust

sich aneinander bargen, in einem Prozess der Poesie.

 

Aus zwei Tränen in den Farben von Schweiß und Blut

wurde ein kristallenes weiß-rotes Herz.

Untrennbar verbunden durch eine zu heiße Glut,

als daß ich es abtun könnte wie einen Scherz.

 

Ich begriff bis heute nicht des Geschehens Bedeutung,

doch ich trage Kette und Herz mit mir umher.

Ich warte noch auf die Stunde der Erleuchtung,

aber fragt mich nie nach meinem Freund -

ich kenne ihn nicht mehr.

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