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Mein Vater, der zur SS wollte


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In den Tagen der graublutigen Auspeitschungen

als wir unser Blut vergossen und ihr Blut tranken

in den Wochen des krallenbewehrten Zerreißens

als uns das Fleisch von den Knochen sprang und wir es aßen

in den Monaten des fruchtlos mutigen Schmerzes

als wir unsere Herzen operativ entfernten und verbrannten

in den Jahren der schöpferischen Grausamkeit

als wir tausend neue Wege fanden uns zu quälen

fühlten wir uns so lebendig

lebendig genug, um dafür zu sterben.

 

In den Stunden der schlaflos kalten Nächte

als wir uns an Hass und Einsamkeit wärmen mussten

in den Minuten des heißgeriebenen Denkens

als wir den Weg der bitteren Unterscheidung wählten

in den Sekunden der wölfischen Entscheidungen

die wir heldenhaft und selbstlos ihnen antaten

in den Augenblicken der unglaublichen Realität

als wir sahen und zu glauben begannen, was wir taten

fühlten wir uns noch lebendig

lebendig genug, um dran zu glauben

 

Bei der Ermordung der so unglaublich vertrauten Fremden

das wir in treuer Liebe zu IHM bewirkten

im Sterben der uns so lange fremden Kameraden

die in Tod und Erinnerung unsere Freunde wurden

im Leiden des eigenen und des fremden Selbst

das wir jagten am Tag und das uns folgte in die Nächte

im Kampf hinter allen bekannten Fronten

den wir gegen alle – einschließlich uns selbst – fochten

fühlten wir uns so lebendig

lebendig genug, dass unsere Seelen

letztendlich dran glauben mussten

 

 

(Dies ist eine Fiktion. Mein Vater wollte zwar wirklich zur SS - er war Jahrgang 1913 - wurde aber abgelehnt, weil er mit 1,72 ein paar Zentimeter zu kurz war (erzählte meine Mutter). Stattdessen blieb er der normale Soldat, der er bereits zur Weimarer Zeit geworden war, um dem väterlichen Bauernhof zu entgehen. Der Text ist meine Vorstellung von dem, was ihm dadurch erspart blieb. Aber völlig fiktiv. Mein Vater hat so gut wie nichts und niemals von sich aus von der damaligen Zeit erzählt. Bis ins hohe Alter blieb aber erkennbar, wie sehr die braune Propaganda den damals jungen Mann geprägt hat.)

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Hallo, Ruedi,

 

in einem anderen Faden hier schrieb ich etwas über 'Leithammel' und 'Schafe', die ihnen folgen, über die Identifikation mit Gruppen, den menschlichen Nachahmungstrieb, wie groß dessen Macht ist, wie sehr er uns doch beherrscht - ob wir das wahrhaben wollen oder nicht; es ist eine traurige Tatsache ...

 

Wie sehr prägt und formt uns doch unser Umfeld, wie sehr orientieren wir uns an anderen. Manchmal frage ich mich schon, wie es mit unserem 'Freien Willen' wirklich aussieht und ob er keine Illusion ist. Gerade junge Menschen suchen nach ihrer 'identität', daher sind sie oft so 'schwierig', sie suchen 'Leit- und Vorbilder', um sich irgendwann selbst zu finden. Und wie übel kann es sein, wenn das von gewissenlosen Menschen für ihre niederen Zwecke missbraucht wird.

 

18 oder 21, das sind Zahlen, die deshalb verallgemeinern, weil Menschen unterschiedlich lange brauchen, für das Erreichen einer gewissen 'Reife', man nennt es auch 'Erwachsen werden'. Ich persönlich glaube, es ist zum einen individuell (manche Menschen sind 'Spätzünder', was die Reife anbetrifft - mit Intelligenz als solcher hat das gar nichts zu tun) und zum anderen sind diese 'Altersangaben' lediglich politische Mittel zum Zweck - für Wahlen. Wenn ich daran denke, wie gutgläubig ich noch in so manchem war, als ich im Alter von 21 heiratete - ja, diese Ehe ging schief. Auf meiner Seite viel zu wenig Lebenserfahrung, viel zu wenig Menschenkenntnis. Ganz banal - ich ließ mich hinters Licht führen und wurde erst 'aus Schaden klug'.

 

Wenn es Menschen gibt, die ich durchaus verurteile, dann sind es die Leithammel. Aber nur in besonderen, extremen Einzelfällen ein Schaf - 'denn sie wissen nicht, was sie tun'.

 

Ein Beispiel: 'Neo-Nazis', genauer 'Skin-Heads'. Springerstiefel sind ja eins ihrer 'Markenzeichen'. Und hier lässt sich exemplarisch verdeutlichen, was ich mit 'Schafen' und 'Nachahmungstrieb' meine, sie ahmen nach, aber denken nicht nach und wissen tatsächlich nicht, was es mit diesen Stiefeln auf sich hat. Die Springerstiefel wurden ursprünglich in der Punk-Bewegung getragen - schwarze (manchmal auch dunkelbraune) Stiefel mit weißen Schnürsenkeln. Dieses 'Schwarz und Weiß' sollte symbolisch für dunkel- und hellhäutige Menschen stehen, symbolisch verbinden - im Sinne von 'gleich viel wert', beides zusammen = Menschen. Was nun überhaupt nicht zur 'Ideologie' von Skinheads passt. Nein, sie ahmen nur nach, denken nicht nach, hinterfragen nicht und haben keine Ahnung, was sie an den Füßen tragen. Gilt übrigens ganz ähnlich auch für die 'Glatzköpfe'. Ein Leithammel nimmt (oft willkürlich) etwas, verfremdet es, behauptet etwas und - dann finden sich genug, die gedankenlos folgen und keine Fragen stellen. Was ein Problem ist - wie mit einem Menschen diskutieren, mit dem man gar nicht diskutieren kann? Weil er nur Behauptungen wiederholt? Darauf besteht. Ich persönlich vermute ja, weil sie nicht nur darauf bestehen - sondern 'daraus bestehen'. Ihre persönliche Identität (Psychologie) daran 'festmachen'. Was dann der Grund dafür ist, dass auch die besten Argumente, selbst Beweise überhaupt nichts bewirken.

 

Dein Gedicht hat auch mich tief berührt.

 

LG,

 

Anonyma

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