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THE HOLY GROUND


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THE HOLY GROUND

 

 

Es ist ein schöner Morgen.

 

Die Sonne wärmt das Land.

 

Nebel liegt, wie ein sauberes, leichtes Tuch über den Wegen.

 

Die ersten Vögel singen und machen mich froh.

 

Le Roux, der Waldsänger, mit seinem grauen Federkleid, erfreut mich jeden Tag durch seinem Gesang. Die kleinen, gespendeten Brotkrumen pickt er zügig aus meiner Hand, um dann sein Tagewerk fortzusetzen.

 

Mit leichtem Herzen wandere ich weiter. Die Bäume rechts und links an meiner Seite sind groß und stark. Mein wacher Geist ist konzentriert auf das, was um mich herum passiert.

 

Bojangels, ein junger Dachs, durchstreift raschelnd den Wald.

Mit seiner empfindlichen Nase findet er Insekten und kleine Nager, die er schmatzend vertilgt. Er ist furchtlos und kümmert sich nicht, um das Weh und Ach der Anderen. Ist sein Bauch voll, hat alles seine Richtigkeit.

 

Ich liebe auch die kleinen Tiere. Gerade sie, halten sie Welt am Laufen.

 

Sara, die nette Spinne, die ihr Netz zwischen zwei Ästen gesponnen hat, schaut mich verwundert mit ihren riesigen Augen an.

Leichter Wind bringt ihr Geflecht zum Vibrieren und der stetige Lufthauch kühlt, während er über unsere Erde flieht, auch meine Haut.

 

Wenn alles noch schläft und der Tag beginnt, sind meine Gedanken jung.

Wie die Küken im Nest. Dann ist alles gut. Dann ist alles schön.

 

Dieser Moment ist mir der Liebste.

 

 

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Ich heiße Jimmy. Eigentlich James, aber alle rufen mich Jimmy und ich bin 13 Jahre alt. Meine Mama heißt Betty und sie kommt aus Afrika.

Wir leben auf einer Plantage mit riesigen Baumwollfeldern.

Wir sind Pflücker. Cotton Picker.

 

In der Erntezeit arbeiten wir uns die Finger blutig, damit unser Master zufrieden ist. Die Arbeit ist anstrengend. Sobald der Tag beginnt, stehen alle auf den Feldern und machen ihren Rücken krumm, denn die Sträucher, von denen wir die Wolle pflücken, sind niedrig und dornig.

Wenn wir uns stechen und die weißen Knäuel rot färben, setzt es Schläge.

 

Die Mittagssonne ist gemein. Sie zwickt und brennt auf unserer Haut.

Sie trocknet aus und macht die Körper nass. Unerbittlich präsentiert sie sich den Dingen, die nicht fliehen können. Jenen, die an einem Ort verbleiben müssen.

Die durstig sind. Doch wie viel sie auch trinken, den Brand nicht löschen können.

 

Wolkenlos und blau ist der Himmel über uns. Mein Blick geht oft nach oben.

Dann blinzle ich in das Licht und wünsche mich hinein in einen Vogel.

Schwerelos und Gott ganz nah.

 

Mama erzählt mir oft von Gott und einem heiligen Ort, den alle nur

THE HOLY GROUND nennen.

 

Ich möchte Gott kennen lernen und ihn fragen, ob alle Menschen fröhlich sein dürfen? Und warum manche prügeln und andere es erleiden müssen?

 

Mama sagt, das Gott keine Zeit für solche Dinge hat, weil er sich um so viele Menschen kümmern muss. Ob, wir denn keine Menschen sind? ,frage ich.

 

Sie zieht mich an den Ohren und lacht. Dann nimmt sie mich in den Arm und beginnt zu schluchzen. Ich fühle mich sehr schlecht dabei, weil ich sie traurig mache und nehme mir vor, keine dummen Fragen mehr zu stellen.

 

Am Abend singen wir Lieder, und tun so, als wäre alles in Ordnung.

Wir reden nicht von der Mühsal und der Arbeit. Wir sitzen einfach zusammen und wollen den Tag vergessen.

Der Mond ist hell und die Sterne sind auf unserer Seite. Sie sind weit weg und

schauen auf uns herab. Ich stelle mir vor, das sie unsere Freunde sind.

Das sie zur Familie gehören.

 

Das ist schön und ich spiele einen glücklichen Sohn, der in einem großen Haus lebt und jede Nacht satt und zufrieden einschläft und vom frischen, warmen Apfelkuchen träumt.

Doch, das wird auch diese Nacht nicht geschehen. Geister werden mich erwarten und zu sich in das Erdloch ziehen, um mich zu brandmarken.

Die Welt ist voller Liebe und schöner Bilder, lügt Mama leise, wenn ich schweißnass und voller Angst in ihrem Arm erwache.

Ihre Worte beruhigen mich, aber ich denke an die Bücher, die in meinem Versteck auf mich warten.

 

Durch unseren alten Haussklaven, Washington, habe ich lesen und schreiben gelernt. Das ist eigentlich verboten, deshalb darf es keiner wissen, nicht mal meine Mama.

Washington sagt, wenn der Master es erfährt, wird er totgeschlagen und ich auch und unsere abgezogene Haut tragen dann die Schweine.

 

Das will ich nicht, denn schließlich passt meine Haut nur mir.

 

Unter der Veranda gibt es einen gemütlichen Platz. Da ist es kühl und keiner stört mich. Da unten höre ich sie dann. Wie sie reden und lachen und sich streiten.

 

Manchmal belausche ich die Gespräche der Herrschaften in ihren edlen, teuren Kleidern mit den schwarzen Schuhen, deren Hacken so schön auf dem Holz klacken, wenn sie von einer Ecke zur Anderen schreiten.

Sie wohnen in einem großen, sauberen Haus, das die gleiche Farbe, wie ihre Haut hat und majestätisch aus dem Boden gewachsen ist.

Drei Stockwerke ist es hoch und Säulen aus Stein säumen es, wie Soldaten und geben ihm den Anschein einer unbezwingbaren Burg.

 

König Artus und seine Ritter wohnen darin. Immer bereit den Armen und Geschwächten zur Seite zu springen und den Kopf der Bestie abzuschlagen.

In seinem Blut zu baden und dadurch unverwundbar und unangreifbar für die Feinde zu werden.

 

Die Geschichte ist aus einem Buch, das ich sehr liebe.

 

Siegfried der Drachentöter

 

Die Veranda ist aus Akazien Holz und besitzt eine große Schaukel mit weichen Kissen. Die Mistress mit ihrem hellen Haar und ihre Tochter sitzen oft darauf und reden laut und kichern.

 

Die Herren stehen abseits, trinken Wein und rauchen Zigarren.

 

Sie sagen: Wir leben in einer großartigen Zeit. Voller Fortschritt und Humanität.

Das heißt Menschlichkeit.

Das muss wohl die Wahrheit sein, weil alle zustimmen und es in Büchern steht.

Die Misses hilft, einmal im Monat, im Waisenhaus, den armen Kindern. Dann ist sie fürchterlich erschöpft und ruht 2 Tage in ihrem Zimmer, während ihr kühle Luft zu gefächelt wird.

 

Wir hören ihre matte Stimme aus dem geöffneten Fenster:

 

„Oh, diese armen Kinder. Man muss ihnen helfen. Sie sind allein und schwach.“

„Mutter. Es können dich alle hören.“ ,spricht ihre Tochter.

„Sollen sie mich ruhig hören und von dem Leid dieser armen Kinderchen.“

„Mutter!“ ,sagt die Tochter ernst.

„Ich brauche mehr Kühlung, du dummer, herzloser Trottel.“ ,schnauzt die Mutter Washington an, um sogleich wieder jammernd vor sich hin zureden.

„Oh, diese armen, armen Kinder.“

 

Es fällt uns schwer das Lachen zu unterdrücken und heimlich spielen wir

Lady Greenwood nach:

 

„Mich deucht, Euer Hochwohlgeboren, die Eier der Legehennen sind heut` kleiner, als am Tag zuvor. Oh, diese armen, armen Eier. Sie brauchen Liebe und Zuwendung, sonst wachsen sie nicht.“

 

Wenn die Mistress wüsste, was wir tun, würde sie uns sicher in das Loch werfen lassen, in das alle kommen, die nicht fügsam sind.

 

 

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„1861 ist das Jahr der Veränderungen.“, sagt Hamilton, der älteste Sohn der Familie Greenwood und der muss es wissen, denn er studiert im Norden von Amerika und kehrt nur in seiner freien Zeit in den Süden zurück.

Hamilton nennt den Norden, das freie Land, weil dort jeder werden kann was er will, sogar die Neger.

 

„Dort hausen die Nigger in dreckigen Kloaken und werden von den reichen, dicken Säcken ausgenutzt.“ ,sagt immer sein Vater.

„Bei dir etwa nicht?“ ,schreit dann sein Sohn. „Dort sind sie wenigstens frei.“

„Frei? Das ist keine Freiheit. Das ist Abhängigkeit. Bei uns haben sie wenigstens ein sauberes Haus über dem Kopf und ausreichend zu essen.“

„Das glaubst du doch selber nicht.“ ,gibt Hamilton trotzig von sich.

„Was soll das heißen, du grüner Rotzlöffel. Die Nigger werden nur geschlagen, wenn sie es verdienen.“

„Also jeden Tag.“

„Du hast doch keine Ahnung, was dieses Gesindel denkt und treibt. Das sind, im besten Fall, Kinder. Kleine Kinder. Oder Hunde. Und genau, wie Tiere müssen sie diszipliniert werden.“

„Du machst mich krank, Vater.“

 

Empört und verärgert verlässt Hamilton das Haus und wirft die Tür mit lautem Getöse ins Schloss, das die Scheibe birst und in tausend Stücke springt.

 

Dann streift er durch die Gegend und schnaubt vor Wut, wie ein wilder Stier.

Mit einem Stock schlägt er auf die Äste, die seinen Weg kreuzen ein und bricht sie so entzwei. Umbringen könnte er jetzt jemanden, so außer sich ist er.

 

Soll er zu den Niggern gehen und Einen prügeln? Oder soll er sie befreien, nur um dem Vater eins auszuwischen?

Sein Kopf ist rot. Der Speichel in seinem Mund ist nicht zu bremsen.

 

Auf dem Weg liegt ein Vogel, der nicht fliegen kann. Sein Flügel ist gebrochen. Behutsam nimmt er ihn auf. Dann wirft er ihn vor sich auf den Boden und schlägt ihn mit seinem Stock tot.

 

So. Nun ist es gut. Jetzt geht es ihm besser. Er atmet durch und singt ein Lied:

 

„In Dixie Land, where I was born in

early on one frosty mornin

look away, look away, look away Dixieland.

 

I wish I was in Dixie

Hooray. Hooray.

In Dixieland I`ll take my stand. To live an die in Dixie.“

 

Oh, ja. Er ist wieder oben auf, unser Master Hamilton.

 

Der Mond ist sein stiller Begleiter. Ein falscher Freund.

Hat er nicht zuvor nur mir geleuchtet und mich getröstet?

Ich will ab heut` vergessen das es ihn je, als Kamerad, gegeben hat.

 

Hamilton lässt sich erst zum Abendessen wieder blicken. Wo er dann wortlos und schmollend am Tisch sitzt. Die Misses versucht es mit süßen Worten:

 

„Deine neue Jacke ist aus einem schönen Stoff.“

„Mutter.“ sagt er nur.

„Eine Jacke macht noch keinen Herren.“ ,setzt sein Vater dazu.

„Da kennst du dich ja aus.“ ,meint Hamilton.

„Genau mein Sohn. Ich weiß, wie das Leben läuft und worauf es ankommt.

„Und solange du in meinem Haus lebst, hältst du dich an meine Regeln.“

„Vater.“ ,meldet sich nun die Tochter.

„Ann-Sophie. Es ist nicht deine Sache, dich da einzumischen. Dein Bruder hat wohl vergessen, wo er her kommt und wie man seine Sklaven erziehen muss.

Es ist wider die Natur, sie wie seines gleichen zu behandeln. Ja, es ist Blasphemie, sie mit der göttlichen Schöpfung auf eine Stufe zu stellen.

Hätte Gott gewollt das sie Rechte bekämen, würden sie jetzt hier sitzen und wir müssten uns den Rücken krumm machen.“ , erklärt der Vater.

„Jetzt hält Ethan wieder einen seiner Vorträge.“ ,wirft Hamilton in die Runde.

„Lass das Ham. Du weißt, wie sehr ich es hasse, wenn du mich bei meinem Vornamen nennst. Sei nicht immer so verdammt respektlos.“ ,weist der Vater ihn zurecht.

„Ethan. Wir wollen im Hause des Herrn nicht fluchen.“ ,schluchzt die Mutter.

„Margret. Dies ist keine Kirche und ich bin nicht der Papst. Ich bin der Herr im Haus und wenn es mir gefällt, lege ich hier alles in Schutt und Asche.“ ,brüllt Ethan Greenwood aus vollem Halse.

„Du versündigst dich.“ ,gibt Margret kleinlaut von sich.

„RUHE!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“ ,schreit er.

 

Und es ist Ruhe. Alle stochern im Essen herum. Vieles bleibt auf dem Teller liegen. Die Stimmung ist dahin.

 

„Washington!“ ,ruft Ethan, den Butler.

 

Dieser alte Mann steht schon lange in den Diensten der Familie. Der Master kaufte ihn vor vielen Jahren, als er selbst noch ein Junge war auf dem Markt und entriss ihn seiner Frau und seinen Kindern. Er erfreute sich an dem Gefühl, die Macht zu haben, Leben zu bestimmen.

Er wollte seiner Schulliebe Betty zeigen, das er in der Welt der Erwachsenen bestehen konnte.

Später heiratete sie allerdings seinen besten Freund. Da wusste er das das Leben nur auf Lügen aufgebaut ist.

 

„Master.“ ,flüstert Washington, als er endlich vor Ethan steht.

„Räum` das weg und verfüttere es an die Schweine. Wir sind hier fertig.“

 

Erbost wischt er sich den Mund mit der blütenweißen Stoffserviette ab, feuert sie aufs Essen und verlässt verärgert den Raum.

 

„Ich war sowieso nicht hungrig.“ ,tönt Ann-Sophie.

„Kein Wunder das du so dürr bist, Schwester.“ stichelt Hamilton.

„Du bist blöd.“ ,kontert sie.

„Selber blöd.“ ,hält er dagegen.

„Kinder. Bitte.“ ,seufzt die Mutter.

 

Washington macht, was ihm aufgetragen wurde und füttert die Schweine mit dem erlesenen Essen, während unsere Mägen, wie wilde Hunde knurren.

 

Die Hütten der Schwarzen, abseits des Herrenhauses, sind einfach.

Sie bestehen aus grob zugehauen Hölzern und sind mit Lehm verputzt.

Sie besitzen keine Fenster und da wir keine Kerzen in unseren Händen halten dürfen, haben wir kein Licht im Innern.

Eine Feuerstelle gibt es nur außerhalb der Hütte. Wir versuchen uns, so gut es geht zu reinigen und uns sauber zu halten, aber Seife ist rar und sauberes Wasser muss vom Fluss geholt werden. Den Brunnen dürfen wir nicht benutzen.

Oft haben wir Magenprobleme und es läuft aus allen Öffnungen heraus.

Für die Säuglinge ist es besonders schlimm und viele sterben daran.

 

Manchmal denke ich, das es vielleicht besser so ist. Dann müssen sie nicht,

als Etwas, einem Master dienen. Denn im Himmel sind alle frei.

Das sagt meine Mama. Ich möchte ihr so gern glauben, aber Petrus, der oben die Tür bewacht, ist auch weiß.

 

Im Sommer läuft uns Tag und Nacht der Schweiß am Körper herunter.

Im Winter frieren wir und klappern mit den Zähnen. Unsere Kleidung ist zerschlissen und alt. Wir bessern sie aus, so gut es eben geht, aber keiner hat eine komplette Hose oder ein Flicken freies Hemd.

 

Wir gehören dem Master. Wir sind sein Eigentum. Wir haben keine Rechte.

 

Wir sind Sklaven.

 

Manchmal erzählt mir Washington von seinem Leben in Afrika und wie er, als Junge, in seinem Dorf gelebt hat.

Er war stark, wie ein Bär, sagt er immer. Ich weiß nicht, ob ich ihm das glauben soll. Er ist alt. Sein Gesicht ist faltig. Der Gang langsam und gebeugt.

Die krausen Haare werden grau.

Die Nase schief, wie ein knorriger Ast und auf einem Auge ist er blind.

Wenn ich ihn frage warum, sagt er nur:

 

„Der Master hat früher jeden Tag getrunken und musste seine Kraft an mir ausprobieren.“

 

Einmal habe ich seinen Rücken gesehen.

Der sah aus, wie ein Schlammweg, nachdem viele Wagen darüber gefahren sind. So viele Furchen und vernarbte Erhebungen konnte ich sehen.

 

Er hat gelacht und gemeint:

 

„Das ist meine Fahrkarte ins Paradies.“

 

Dann wurde er ganz still und setzte sich an Feuer.

 

„Irgendwann kamen sie in mein Dorf, das war

 

Der Tag, als sie meine Seele stahlen.

 

Krieger eines benachbarten Klans schlichen sich, wie Katzen, lautlos heran.

Unsere Männer waren auf der Jagd und so gab es nur Alte, Frauen und Kinder.

Den Alten schlugen sie mit Keulen die Köpfe ein und die Anderen verschleppten sie. Wir kamen auf ein großes Schiff. Dort saßen wir wochenlang aneinander gekettet und hatten fürchterliche Angst, das die See uns verschlingen würde. Viele starben auf der Überfahrt an Krankheiten oder an Schwäche.

Der Gestank an Bord, war durch das Erbrochene und die Eimer voller Kot nicht auszuhalten. Zig tausend Fliegen und Maden siedelten sich an unseren Körpern an und quälten uns. Die Dunkelheit unter Deck wurde manchmal durchbrochen, wenn Männer kamen , die sich die Mädchen und Frauen für Liebesspiele griffen.

Doch dies alles war nur ein schaler Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte.

In der Nähe des Hafens wurden wir in Käfigen gehalten und mussten unsere Notdurft wieder in Eimern verrichten.

Mein guter Freund Mogambe starb. Sie zogen ihn an den Beinen heraus und warfen ihn in den Schweinestall, wo er drei Tage lang blieb, bis sie die Reste

von ihm wegschafften.

Etwas später wurden wir gewaschen und bekamen Blutwurst zu essen.

Unsere Haut wurde mit einem gut riechenden Öl eingerieben und dann wurden wir auf den Markt gebracht.

Dort begutachteten uns allerlei Leute und schauten uns in den Mund.

Ich wurde in den Süden verkauft und kam zu Master Greenwood.

Da gerade ihr Hausbutler gestorben war, übernahm ich die Stelle und musste nicht, wie die Anderen auf den Feldern schuften.

Die erste Frau von Master Greenwood, Gott hab sie selig, unterrichtete mich in Lesen und schreiben. Sie war eine feine Frau und meinte es gut mit mir.

 

„Denk daran.“ ,sagte sie immer. „Die Anderen dürfen nicht wissen, das du lesen kannst. Kluge Nigger sind gefährlich. Sie könnten Dinge erfahren, über die sie nachdenken und dann handeln.

Sie könnten aufbegehren und vielleicht sogar die Hoffnung auf Freiheit erfahren. Aber das dürfen Nigger nicht. Nigger sind Mulis und das sollen sie auch bleiben. Unwissende, dumme Mulis.......“

 

Dort hört die Geschichte von Washington auf.

 

Ich liege oft wach und denke darüber nach.

 

Bin ich auch ein Muli? Ein Ding?

 

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Ich bin ein Nigger von Master Greenwood. Und ein Nigger hat keine Meinung.

Ein Nigger muss gehorchen. Muss springen.

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Wenn ich nicht auf dem Feld arbeite, erledige ich Botengänge für Ann-Sophie.

Das ist die 15 jährige Tochter. Sie ist manchmal nett und manchmal grausam.

Hin und wieder schlägt sie mich mit einem Stock, aber dann tut es ihr leid und sie gibt mir einen Apfel oder ein Stück Kuchen.

 

Ich wünschte sie würde mich nicht schlagen, aber das geht wohl nicht.

 

Wenn ich unterwegs bin, um Garn oder Stoff für Miss Ann-Sophie zu holen, bekomme ich eine Plakette um den Hals, damit ich nicht aufgegriffen und als geflohener Sklave gehängt werde.

 

Auf der Plakette steht:

 

Eigentum von Master Greenwood

 

Ich gehöre nicht mir selbst, sondern bin das Eigentum von jemanden.

Es wurde mir eingebleut, das ich keine Rechte habe. Das mein Wert nur in meiner Arbeitskraft und durch die Treue zu meinem Herrn erklärt wird.

Washington sagt, ich bin mehr wert, als die Mistgabel, aber weniger als der teure Sessel im Salon. Der Master würde eher mich hergeben, als den Sessel.

 

Ich wäre lieber der Sessel, denn der bekommt nie Schläge oder wird mit dem Kopf in die Jauche Grube gedrückt.

 

Meine Mama will, das ich nach der Arbeit meinen Körper wasche, damit ich sauber ins Bett gehe. Das finde ich blöd, weil ich morgens ja doch gleich wieder schwitze, aber Mama sagt:

„Nur Schweine waschen sich nicht.“

 

Ich sehe Jefferson, einen Feld Nigger, hin und wieder beim Waschen am großen Trog. Sein vernarbter Rücken sieht schrecklich aus.

Er meint, das es nicht mehr weh tut, aber als er die 30 Schläge mit der Peitsche bekam und die Haut in roten Fetzen vom aufgeplatzten Rücken hing, dachte er, er müsse sterben.

Doch das reichte dem Master nicht. Er verbot, die Wunden zu verbinden und schickte nach Salz und Pfeffer. Damit rieb er das rohe Fleisch ein und Jefferson schrie wie verrückt. Nach ein Paar Minuten wurde er ohnmächtig.

Der Master ließ ihn 1 Tag zu Hause, dann schickte er ihn wieder auf das Feld und ließ ihn schuften, bis zum Umfallen. Als er sich erbrach musste Jefferson seine eigene Kotze essen. Erst dann ließ ihn Mr. Greenwood nach Hause bringen und versorgen.

 

Danach war Jefferson ein Anderer. Verschlossen und gemein.

Wann immer es ging, sabotierte er die Arbeit. Zerstörte Werkzeug.

Quälte die Schweine und Pferde. Stach ihnen mit einer Nadel in den Körper und trank das Blut. Ohne Grund lachte er manchmal hysterisch auf und versank danach sofort wieder in eine endlose Stummheit.

In der Nacht knurrte er, wie ein Hund und man hörte, wie er die Zähne knirschend aufeinander presste. Fürchterlich.

 

Vorher spielte er oft auf seiner selbstgebauten Fidel. Das machte Spaß.

Jetzt nimmt er sie nur noch selten und wenn, dann spielt er traurige Lieder und Mama muss dann weinen, weil sie das an die Heimat erinnert.

 

Ich weiß nicht was das ist: Heimat.

 

Das muss wohl ein ferner Ort sein, den man sich vorstellt. Etwas das man gern hätte. So, wie die Gnade Gottes oder ein Festessen mit Fleisch oder ein warmes Bett.

 

Heimat? Für Mama ist das Afrika.

 

 

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Auf den Feldern sind wir nie allein.

 

Thomas Pain, unser Aufseher, wird von allen abgrundtief gehasst.

Er ist ein dünner Mann mit tiefliegenden, bösen Augen. Seine Hose ist immer fleckig. Ein alter speckiger Hut liegt auf seinem Schädel, aus dem einige lange, schwarze Haare hervorschauen. Verfilzt und ungepflegt.

Unterhalb des rechten Auges hat sich eine dicke, dunkle Warze breit gemacht.

Seine Haut ist runzelig und sieht aus, wie altes Leder.

Mr. Pain verbreitet einen stechenden und üblen Geruch, bei dem mir immer der Fisch einfällt der 2 Tage in der Sonne lag und zahlreiche Fliegen anlockte.

Der Gestank, war nicht auszuhalten, so das ich mich 2 mal daneben erbrach.

An der linken Hand fehlt ihm ein Teil des kleinen Fingers. Den hatte Joe ihm abgebissen, als er den armen Kerl, mit einem Stock, fast zu Tode prügelte.

Mr. Pain hätte ihn gern tot geschlagen, aber das durfte er nicht, denn Joe gehörte ja Master Greenwood und deshalb schlug der Master ihn selbst tot,

weil wir ja ohne Disziplin nur Tiere wären, sagte er.

 

Mr. Pain schreit den ganzen Tag schlimme Worte:

 

„Drecks Nigger! Schwarzes Hurenvolk! Gottverlassener, verschissener Abschaum!

Von Säuen gezeugtes Gesindel! Stinkendes Niggerpack!“

 

Er hat oft eine Gerte in seiner knochigen Hand, die er gern benutzt, weil sie schöne, rote Striemen hinterlässt.

 

An einem extra Gürtel, aus Schweinsleder, trägt er eine Bullenpeitsche und er sehnt die Tage herbei, an denen er sie wieder benutzen kann.

 

So, wie beim armen Jefferson.

 

Auf meine Mama hat Mr. Pain es besonders abgesehen. Manchmal, wenn er betrunken ist kommt er in unsere Hütte. Dann schickt meine Mama mich raus und er zwingt sie schlimme Sachen zu machen.

Wenn er fertig ist, schlägt er sie ins Gesicht und spuckt sie an:

 

„Du schwarze Hurensau!!!“ ,schreit er dann.

 

Am liebsten würde ich ihn umbringen, damit meine Mama nicht mehr weint.

 

An solchen Tagen sitze oft am Holy Ground und stelle mir vor, wie ich ihn töte.

 

In der Nacht schleiche ich mich in sein kleines, dreckiges Haus und erwürge ihn.

Oder schneide ihm, mit meinem Schnitzmesser, die Kehle durch oder das Herz heraus.

Ich hasse ihn so sehr, das ich meine Zähne stark aufeinander presse und nur schwer den Drang zu weinen unterdrücken kann.

Washington sagt ich solle mich beruhigen, sonst mache ich alles nur noch schlimmer. Manchmal glaube ich, das er schon zu lange Haussklave ist und gar nicht mehr weiß, wie schlimm es in den Hütten und auf den Feldern ist.

 

Aber Jefferson sagt, das er es nicht vergessen hat und erzählt mir eine Geschichte:

 

„Vor 10 Jahren, deine Mama war gerade neu zu uns gekommen ist der Master jede Nacht zu ihr gegangen und hat sie gefesselt. Dann hat er ihr die Kleider runter gerissen und sie genommen. Der Master war immer sehr betrunken.

Eines Nachts hat er ihr solange Mund und Nase zu gehalten, bis sie ganz blau geworden ist. Da hat Washington ihm die Hand weggeschlagen.

Der Master hat ihm seine Hand an die Holzwand genagelt und dort musste er drei Tage und drei Nächte bleiben, bis der Eiter aus der Wunde tropfte.

Danach durfte er wieder ins Haus. Aber nur weil er den Master vor Jahren vor dem Ertrinken gerettet hatte.

Daran siehst du, Jimmy. Wir sind der dunkle Dreck und Washington ist der Einzige der zwischen uns und dem Master steht.“

 

Es tut mir sehr leid das ich so schlecht von ihm gedacht habe und schnitze ihm ein Pferd, weil ich weiß das er Pferde sehr liebt.

 

„Das Leben, unser Leben, wird durch Andere bestimmt. Wir sind abhängig von der Gnade Gottes und der unseres Masters.“ ,sagt Washington.

„Und von Mr. Pain.“ ,füge ich hinzu.

„Genau.“

„Hat Gott gewollt, das wir Sklaven sind?“ ,frage ich.

„Wir büßen für unsere Sünden.“

„Begehen die Weißen keine Sünden, wenn sie uns schlagen und quälen?“

„Sie laden große Fehler auf ihr Lebenskonto, mein lieber Jimmy.“

„Aber warum werden sie nicht bestraft?“ ,bohre ich weiter.

„Das liegt allein in der Hand Gottes.“

 

Ich schaue auf die Blumen im Garten und in die Scheune, in der das Pferd von Master Greenwood steht. Es ist ein schönes, teures Pferd.

Es kostet soviel wie 13 ausgewachsene, gesunde, männliche Sklaven.

Er liebt diese Pferd über alles. Mehr als das Anwesen und mehr, als seine Frau und seine Kinder.

Es heißt James Buchanan. Washington hat mir erzählt , das wir in einer Stadt einen Präsidenten haben, der genauso heißt.

Aber vielleicht hat der Master den Präsidenten auch nach dem Pferd benannt.

 

Ich habe keine Ahnung was das sein soll: Ein Präsident.

Vielleicht verkauft er Süßigkeiten an weiße Kinder und verdient damit viel Geld, denn Kinder lieben Süßigkeiten. Auch schwarze Kinder.

 

John Adams und Madison, zwei Feldsklaven haben sich vor einer Woche verspätet und wurden von Huntern aufgegriffen. Sie vergaßen ihre Plakette umzulegen und wurden mit einem Stock verprügelt, dann wollte man sie aufhängen und nur weil Master Hamilton zufällig vorbeikam wurden sie gerettet.

 

Sein Vater, Master Greenwood war darüber sehr verärgert und hat beiden Sklaven den kleinen Finger abgeschnitten. Nur zur Erinnerung, damit sie ihre Plakette nicht mehr vergessen.

 

Ich habe mir vorgenommen immer an meine zu denken, denn ich finde zehn Finger gut. 5 an jeder Hand. Mit 10 Fingern zu schnitzen ist leichter, als mit 9.

 

John Adams und Madison haben die ganze Woche auf den Master und Mr. Pain geschimpft. Das sie ihn hassen und am liebsten umbringen möchten.

Sie wollen keine Sklaven mehr sein und planen ihre Flucht.

 

Gerade, als ich sie am Abend an der Scheune sehe, spreche ich sie an:

 

„Wie könnt ihr keine Sklaven sein? Ihr seid schwarz!“ ,frage ich beide.

„Wir wurden nicht als Sklaven geboren. Wir hatten Familien. Frauen. Kinder.“

,erklärt John Adams.

„Ja. Ich lebte in einem Dorf. Wir hatten ein gutes Leben, aber dann wurde ich gestohlen. Ich musste zusehen, wie sie meine Frau vergewaltigt und meinen kleinen Sohn ins Feuer geworfen haben. Er war 3 Monate alt. Mach dir keine Sorgen Bimbo. Wir machen deiner Hure ein Neues, haben sie geschrien.“

,presst Madison hervor.

„Das tut mir leid.“ ,flüstere ich.

„Schon gut Junge. Du änderst nichts dran. Wir werden fliehen und wir bringen alle Weißen um, die wir treffen. Und dann werden wir sterben. So ist der Lauf der Dinge. Sie töten uns, aber wir sterben als freie Männer.“

,meint John Adams.

„Aber es muss doch einen anderen Weg geben.?“ ,jammere ich.

„Den gibt es nicht. Nicht für uns.“ ,fährt John Adams fort.

„Dann helfe ich euch!“ ,sage ich. „Wir stehlen das Pferd vom Master. Es trägt euch beide. Ich kann laufen. Ich bin ein guter Läufer.“

„Du kommst nicht mit!“ ,befiehlt Madison.

„Aber ich....“

„Schluss. DU KOMMST NICHT MIT!“

 

Wir trennen uns und jeder geht in seine Hütte.

Ich warte, bis alle schlafen, dann schleiche ich mich heraus und laufe zum

HOLY GROUND.

In einer kleinen Höhle habe ich mir einen gemütlichen Unterschlupf eingerichtet.

Dort sind auch meine Bücher und Kerzen.

Wenn ich traurig oder aufgewühlt bin, gehe ich dort hin, um nachzudenken.

Es ist ein guter Platz. Es ist still.

Man erzählt sich, das hier die Geister ermordeter Sklaven leben.

Das sie, wenn Vollmond ist, Schreien und Wehklagen.

Das sind die Nächte in denen ich zu Hause bleibe, obwohl ich mir sicher bin, das

sie mir nichts tun würden.

 

In meiner Höhle, nah am Fluss träume ich mich in andere Welten. Ich glaube, wenn ich das nicht hätte, wäre ich längst so verrückt, wie Jefferson oder so tot wie Joe. Deshalb ist es wohl okay, das ich hier bin. Auch, wenn es verboten ist.

 

Ich kuschele mich in meine Decke und lese die ersten Zeilen meines Buches:

 

„Das Leben und die seltsamen überraschenden Abenteuer des Robinson Crusoe aus York, Seemann, der achtundzwanzig Jahre allein auf einer unbewohnten Insel an der Küste von Amerika lebte, in der Nähe der Mündung des großen Flusses Orinoco; durch einen Schiffbruch an Land gespült, bei dem alle außer ihm ums Leben kamen. Mit einer Aufzeichnung, wie er endlich seltsam durch Piraten befreit wurde. Geschrieben von ihm selbst.“

 

Ich stelle mir vor, das mein kleiner Fluss der Orinoco ist und ich Robinson bin.

Allein auf einer Insel. Umgeben von Feinden und nur auf mich allein gestellt.

 

Washington erzählte mir, das es einen Neger in dem Buch gibt, der Freitag heißt. Das ist der Freund von Robinson.

Ich würde meinen Freund nicht nach einem Wochentag benennen.

Dann doch lieber Ostern. Oder Weihnachten.

Ich muss ein bisschen lachen, weil die Namen so lustig sind.

Mama hat ein paar Nüsse für mich aufgehoben. Die knabbere ich jetzt, während ich diese spannende Abenteuer Geschichte lese.

 

Es ist mollig warm unter der Decke und ich bin weit fort mit meinen Gedanken.

 

Da höre ich plötzlich ein Knacken im Unterholz. Ich schrecke zusammen.

Sind mir die Hunter auf der Spur? Werden sie nun versuchen, auch mich, am Hals aufzuhängen? Die Angst sticht mir, wie ein spitzer Dolch in den Nacken und raubt mir den Atem.

 

Plötzlich springt eine Gestalt vor meinen Eingang und ruft:

„HAHHHHH! HAB ICH DICH!“

 

Es ist Ann-Sophie, die mir gefolgt ist und mich zu Tode erschreckt.

 

Sie sieht wunderbar aus. In dem weißen Kleid mit den roten Schleifchen erscheint sie mir, wie ein Engel. Das bauschige Unterkleid raschelt herrlich und kitzelt in meinen Ohren.

Sie ist, wie eine Süßigkeit. Nur lebendig eben.

 

„Was machst du hier?“ ,fragt sie unschuldig.

„Nichts.“ ,sage ich, mit laut klopfendem Herzen.

„Du liest. Sklaven dürfen nicht lesen. Das sag` ich meinem Papa.“

 

Die Kehle schnürt sich mir zu. Übelkeit und Schwindel nehmen Besitz von mir.

 

„Du glaubst auch alles. Dummkopf.“ ,lacht sie.

 

Ich atme aus und bin erleichtert.

 

„Am Vollmond treffen sich hier die Hunter zu ihrem Ritual.“ ,flüstert sie.

„Da ist..... die.........Oh mein Gott.“ ,stottere ich.

„Da. Sie kommen gleich.“ ,lacht sie. „Du Angsthase. Die schneiden nur Hühnern die Köpfe ab und tragen weiße Kapuzen. Die sehen dumm und lächerlich, damit aus.“

„Die schneiden Hühnern die Köpfe ab?“ ,bibbere ich.

„Ja, und dann zünden sie ein großes Holzkreuz an.“ ,fährt sie fort.

„Ein brennendes Holzkreuz?“

„Ja. Und sie trinken selbst gebrannten Schnaps von Nathan Stubbelfield aus Kentucky.“

„Selbst gebrannten Schnaps?“

„Ja. Und sie singen und schreien und tanzen, wie Verrückte.“

„Haben sie auch schlimme Dinge getan.“

„Einmal haben sie einen farbigen Jungen eine Schlinge um den Hals gelegt und ihn an einem Ast nach oben gezogen, bis er fast erstickt ist. Dann ließen sie ihn herunter fallen und bestrichen ihn mit heißem Teer und kippten Federn, die sie zuvor Hühnern ausrissen, über ihn aus. Mit Tritten und Schlägen haben sie ihn davon gejagt.“

 

Ich kann nichts mehr sagen. Die Angst nistet sich in meinem Körper ein.

 

„Aber heute ist kein Vollmond. Heute kommen sie nicht.“ ,lacht Ann-Sophie.

„Kein Vollmond.“ ,wiederhole ich leise.

„Wiederhole doch nicht alles, was ich sage. Das regt mich auf.“ meckert sie.

Wir sitzen am Fluß und werfen Steine ins Wasser.

 

„Hast du schon mal ein Mädchen geküsst?“ ,fragt sie.

 

Ich überlege, was ich darauf sagen soll:

Ja? > Dann fragt sie sicher wen, aber was soll ich dann sagen?

Nein? > Dann lacht sie mich sicher aus.

 

„Vielleicht.“ ,spreche ich so nebenbei wie möglich.

„Also nein.“ ,bestimmt sie.

„Hab schon viele geküsst.“

„Ach ja, wen denn?“

 

Mist. Reingefallen. Schnell einen Namen.

 

„Die Mitzi.“

„Mitzi? Die ist dumm wie Stroh und die hat noch keinen geküsst außer ihrem doofen Hund.“

„Dann halt die Bonnie.“ ,spreche ich weiter.

„Dieses dürre Ding, mit den schmalen Lippen und den Schneckenaugen?“

 

Die Situation wird immer enger und ich finde keine Möglichkeit aus ihr heraus zu kommen. Warum quält sie mich so?

 

„Du willst mich bestimmt küssen!“ ,äußerst sie. „Jeder Junge will mich küssen.“

 

Sie kommt ganz nah an mich heran und sieht mir in die Augen. Sie hält mich fest, nur mit ihrem Blick. Meine Hände schwitzen und ich muss vor Nervosität laut lachen.

 

„Blöder Kerl.“ ,ruft sie aus und läuft weg.

 

Ich ärgere mich über meine Dummheit. Aber gleichzeitig bin ich froh.

 

Was, wenn ich mich ganz ungeschickt angestellt, oder schlimmer noch, wenn uns jemand gesehen hätte. Dann, wäre es mir schlecht ergangen.

In einen Sack würden sie mich gesteckt haben und im Fluss am HOLY GROUND ertränken.

 

Dann wär`s aus gewesen mit Robinson und dem geschnitzten Pferd für Washington. Mit dem Wiedersehen von Le Roux, Sara und Bojangles.

Als Geist hätt` ich mich dann rum getrieben und alle zum Fürchten gebracht.

Es beginnt zu regnen und ich verkrieche mich in meinem Unterschlupf.

Im schwachen Licht der Kerze lese ich weiter, aber immer wieder kommt mir das Verhalten von Ann-Sophie in den Sinn.

 

Merkwürdig, das sie mich küssen will. Mag sie schwarze Jungs? Mag sie mich?

 

Mama sagt immer: „Schwarz sein ist, wie in der Nacht spazieren gehen. Man ist nie sicher, ob ein Wolf oder ein Bär in der Nähe ist, der uns in Stücke reißt.“

 

Ich lege mein Buch zur Seite und schnitze weiter an dem Pferd. Es sieht schön aus. Da wird Washington sich freuen.

 

Der Regen lässt nach und ich höre Hufgetrappel, das sich langsam nähert.

Schnell lösche ich die Kerze.

 

„Wo sind diese schwarzen Schweine?“ ,vernehme ich die Stimme von

Master Greenwood

„Der Regen verwischt die Spuren, Sir.“ erklärt Thomas Pain.

„Aber wohin fliehen sie?“ ruft er ärgerlich.

„In den Norden. Sie wollen in den Norden, um zu ihren Nigger Freunden zu kommen.“ ,meint Thomas Pain.

„Diese verdammten Schweine. Wenn ich sie finde ziehe ich ihnen die Haut ab.“

,schreit er.

„Wo ist ihr Sohn, Hamilton, Sir?“

„Hab` ihn wieder zu seinen Nigger Freunden nach Harvard geschickt. Soll er sich da erst mal die Hörner abstoßen. Aber Gnade ihm Gott, wenn er es zu toll mit diesen Hurensöhnen treibt.“

 

Ich mache mich klein und mein ganzer Körper zittert vor Schrecken, der mir in die Glieder fährt und mich fest umklammert hält.

 

Sie reiten im Galopp davon.

 

Ich kann mich nicht bewegen. Bin starr vor Angst.

 

Der Wind wird stärker. Oben in den Wipfeln der Bäume zerrt er an den Ästen.

Ein Sturm zieht über das Land. Regen prasselt auf die Erde.

 

Der HOLY GROUND verwandelt sich in etwas Schlammiges. Etwas Gefährliches.

 

Der kleine Fluss, den alle nur Sweetwater nennen, tritt über die Ufer.

Langsam. Unaufhaltsam.

Ganz nah kriecht er an meine Höhle heran.

Das Grollen des Donners in der Ferne ist wie der Prankenhieb eines furchtbaren Ungeheuers. Ich denke an Robinson und seinen treuen, schwarzen Begleiter Freitag. Ob sie auch Angst vor der Natur hatten.

Ich schäme mich ein bisschen, das ich keine Stärke in mir fühlen kann.

Bin ein Feigling, der sich versteckt.

 

Mit dem ersten Blitz rutschen zwei Gestalten über den Schlick, direkt in meine kleine Behausung.

Es sind Jefferson und Madison. Ihre Augen sind geweitet. Ich sehe, wie ihre Münder sich öffnen, aber ich höre sie nicht.

Die Zeit steht für einen Moment still. Ich sehe in das Auge des Sturms.

Ich lächle, weil alles so friedlich ist. So als hätte Gott die Erde geküsst und den Menschen Frieden gebracht.

Doch dann komme ich zurück in das Jetzt. In meine Wirklichkeit.

 

„Ihr müsst nach Norden!“ ,schreie ich. „Hier ist Brot. Das ist alles was ich habe.“

 

Sie schauen mich nur an, doch in diesem Blick ist alles. Dann sind sie fort.

 

Die Stunden vergehen. Ich zittere vor Kälte.

 

Der neue Morgen beginnt und die Sonne strahlt mit ganzer Kraft auf mich herab.

Langsam trocknen meine Sachen.

 

Etwas später höre ich Thomas Pain und Master Greenwood auf ihren Pferden.

 

Ich sollte mich verstecken, doch ich bleibe einfach auf dem Hügel hocken.

 

Sie sitzen ab und binden ihre Pferde an einen Baum. Der Boden ist noch immer glitschig und aufgeweicht.

 

„Was machst du hier Junge? Hast du eine Besorgung zu machen? Wo ist deine Plakette?“ ,fragt Mr. Pain.

„Ich habe mich verlaufen.“ ,lüge ich.

 

Vielleicht hoffe ich, doch noch mal davon zu kommen, aber Pain packt mich und zerrt mich zum Fluss. Er drückt meinen Kopf unter Wasser. Dann reißt er mich nach oben und wirft mich auf den Rücken. Sein Fuß auf meiner Brust ist schwer und schmerzhaft.

 

„Wo sind sie?“ ,meldet sich der Master zu Wort.

„Wer denn?“ ,keuche ich.

„Die Nigger!“ ,schreit der Master. „Die Drecks Nigger!“

„Ich war die ganze Zeit allein.“ ,sage ich.

 

Mr. Pain reißt mich nach oben und schlägt mir mit der Faust ins Gesicht.

Und dann noch mal und noch mal.

Das warme Blut mischt sich mit dem Flusswasser auf meiner Haut. Sweetwater.

 

Er legt seine dünnen Finger um meinen Hals und beginnt mich zu würgen.

Ganz langsam. Ich sehe ihm an, das es ihm Vergnügen bereitet.

 

Er lacht.

 

Mit letzter Kraft, greife ich nach einem Stein und schlage damit zu.

Er jault auf. Ich krieche auf den kleinen Hügel über meiner Höhle.

 

„Ja. Sie waren hier, aber jetzt sind sie weg. In Richtung Meriwether Ranch. Dort wollen sie alle Weißen erschlagen und ich hoffe das sie jeden Totschlagen den sie dort finden.“ ,kreische ich völlig außer mir.

„Aber das ergibt keinen Sinn Sir. Die Ranch liegt in südwestlicher Richtung.“

„Wer weiß schon, was in so einem Nigger Schädel vorgeht.“ ,sagt der Master. „Den Jungen nehmen wir mit.“ ,setzt er noch hinzu.

 

Mr. Pain bindet meine Hände mit dem Lasso zusammen und befestigt sie am Sattelknauf von Master Greenwood. Das Seil strafft sich.

Langsam dreht er seinen Oberkörper und schaut mir ins Gesicht:

 

„Lust auf eine kleine Rutschpartie?“ ,fragt er lächelnd.

 

Kurz darauf gibt er dem Pferd die Sporen. Die ersten paar Meter versuche ich noch mitzuhalten, doch dann gehe ich zu Boden und werde hinterher geschleift.

Mein Körper rutscht über den Schlick, wie Kufen über das Eis. Aber dann lässt mich der Master durch die Dornenhecke ziehen und über Äste, die mir das Gesicht zerkratzen. Er lacht dabei und freut sich, das sein Pferd so kräftig ist.

 

Mein Körper schlägt gegen einen Felsen. Ich spüre, wie die Rippen brechen.

Mein Arm verhakt sich hinter einem Baum und wird abgerissen.

Ich merke es nicht einmal.

Ich knalle weiter gegen Stämme und Steine. Es ist jedes mal ein dumpfer Ruck, aber Schmerzen spüre ich nicht mehr. Jetzt wird es leicht. Stille.

 

Dann ist es endlich vorbei.

 

Der Master steigt von seinem Pferd und streichelt es.

„Ich bin doch auch ein Mensch.“ ,sage ich langsam.

 

Der Master kommt ganz nah an mein Ohr und flüstert:

 

„Du bist das, was ich dir erlaube zu sein, Nigger.“

 

Am 12. April 1861 beginnt der amerikanische Bürgerkrieg, in dessen Verlauf der Süden verliert und alle Sklaven frei gelassen werden.

 

Alle?

 

Jimmy ist nicht dabei, der liegt unter einem kleinen Hügel in der Erde und verrottet.

Auf seinem Grab steckt ein grob zusammengezimmertes Holzkreuz.

Wenn der Tag anbricht steht Washington davor und hält das geschnitzte Pferd, zitternd in der Hand.

 

 

 

q

 

 

 

Wenn der Tag anbricht und Nebel über die Baumwollfelder kriecht, stehen sie immer noch da draußen.

Die Geister.

Und pflücken sich die Hände blutig.

 

 

Oktober 2020 von Axel Bruss

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