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Das alte Schild


WF Heiko Thiele

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Was hanget dort am Haken
zu früher Morgenstund
ein Schild? Ich konnt’s nicht sagen,
was man drauf lesen kunnt.

Es ist in alter Sprache
gesetzt in wildem Reim.
Vielleicht kündet die Sage
von einer alten Pein?

Ein Muhmchen kam geschlichen
mit einem krummen Stock.
Ihr Haar war ausgeblichen,
zerschlissen längs ihr Rock.

Bot meinen Arm, wie’s Sitte
und half zur nächsten Bank.
Damit sie Durst nicht litte,
reicht ich ihr süßen Trank.

Sie tat sich wohl bedanken
und fragt nach dem Begehr.
Ich wies auf jenen Ranken;
an Deutung trüg ich schwer.

Da sprach sie von so Grafen,
und Taten jammervoll,
von längst vergessnen Strafen
und himmelhohem Groll.

Doch wie ich sie betrachte,
verändert sich ihr Blick.
Das, was ich von ihr dachte,
verfließt nun, Stück für Stück.

Sie ist mitnichten älter
als grad mal zwanzig Jahr,
ihr Wesen, scheint’s, wird kälter
im Nahen der Gefahr.

Von seitwärts kommt gesprungen
ein wilder Reitersmann.
Der greift bald nach der jungen
Maid, nimmt sich ihrer an.

Doch nicht aus edlen Gründen
erheischt er sie sogleich.
Will frönen frei den Sünden,
dort drüben an dem Teich.

Da hilft kein Schreien, Wehren.
Der Jungfrau Licht erlischt.
Ich wollt dazwischen kehren;
mein Augenblick verwischt.

Drauf sah ich Massen strömen,
von Bauern, Landknechtsvolk.
Und Rufe weithin dröhnen,
daß wer wohl büsen sollt.

Ein Jüngling ward gezogen
an einer Kette schwer.
Niemand schien ihm gewogen.
Fand Rettung nimmermehr.

Zum Baum führt man den Knaben,
der ohne jede Schuld.
Den Ritter jedoch gaben
die Dörfler ihre Huld.

Bevor er hängt am Stamme,
der Bursche fluchend ruft:
„Ihr Teufel, ich verdamme
euch ewig in der Gruft!“

Kaum dieses Wort gesprochen,
schon fiel er schwer hinab.
Sein Leben jung zerbrochen,
muß nun ins kalte Grab.

Jetzt schaut man’s Land verwesen.
Kein Halm wächst grade aus.
Des Schnitters breiter Besen
schafft‘s Dorf zum Totenhaus.

Ein Baum allein blieb blühend;
dort wo der Junge hing.
Und eine Tafel mühend,
zeigt wie es damals ging.

Im Schatten find ich wieder
mich in dem heut zurück.
Betrachte meine Glieder
und schätze groß mein Glück.

Das Schild hab ich genommen
und ließ es schreiben neu,
daß Jahre, die noch kommen,
bewahren dieses treu.

 

[2021]

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Und nun wo dir mitnichten,
des Schildes wahrer Sinn,

entbunden aller Pflichten,

so gingest du dahin.

Was mag dich heut  noch grämen,

was zuvor einmal war,

es bräucht sich niemand schämen,

wenngleich wird spät erst klar.

Lieber Heiko, erneut kann ich dich nur beglückwünschen zu deinen vortrefflichen Zeilen!

Liebe Grüße, Uschi

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vor 2 Stunden schrieb Dr. Mowinckel:

...nach einer wahren Begebenheit?

 

Die Stringenz des Versmaßes und des Kreuzreims finde ich beachtlich. Dürfte ich daher für Strophe 2 vorschlagen:

 

Es ist aus fernem Tage,

Gesetzt in wildem Reim.

Mag künden diese Sage

Von einer alten Pein?

Zunächst einmal recht herzlichen Dank für deinen Kommentar.Und auch dafür, daß du dir die Mühe gemacht hast, etwas vorzuschlagen.

 

Übrigens habe ich die Geschichte voll und ganz erfunden.

vor 44 Minuten schrieb Uschi R.:

Und nun wo dir mitnichten,
des Schildes wahrer Sinn,

entbunden aller Pflichten,

so gingest du dahin.

Was mag dich heut  noch grämen,

was zuvor einmal war,

es bräucht sich niemand schämen,

wenngleich wird spät erst klar.

Lieber Heiko, erneut kann ich dich nur beglückwünschen zu deinen vortrefflichen Zeilen!

Liebe Grüße, Uschi

Danke, liebe Uschi!

Mir fällt halt so etwas ein. Und dann fließt es freiweg.

 

Klar sind das alte Geschichten. Aber manchmal sagen sie uns, wie man im Leben aufpassen muß, daß man nicht unter die Räder kommt.

Tschüßi!

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