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Karoline von Günderrode ~ Brief an Clemens von Brentano (1802)


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Frankfurt a. M., 19. Mai 1802

 

den 19. Mai. Es war mit ganz wunderlich zu Muth als ich Ihren Brief gelesen hatte; doch war ich mehr denkend als empfindend dabei; denn es war mir, und ist mir noch so, als ob dieser Brief gar nicht für mich geschrieben sei. So bestehle ich mich selbst. Aber es ist keine künstliche Anstalt daß ich so denke, es ist ganz von selbst so gekommen. Ja ich verstehe den Augenblik in dem Sie mir geschrieben haben; ich bin überhaupt nie weiter gekomen als Ihre Augenblikke ein wenig zu verstehhen. Von ihrem Zusammenhang u Grundton weis ich gar nichts. Es kömt mir oft vor als hätten Sie viele Seelen, wenn ich nun anfange einer dieser Seelen gut zu sein, so geht sie fort, u eine andere tritt an ihre Stelle, die ich nicht kenne, und die ich nur überrascht anstarre. Aber ich mag nicht einmal an alle Ihre Seelen denken, denn eine davon hat mein Zutrauen, das nur ein furchtsames Kind ist, auf die Straße gestosen; das Kind ist nun noch viel blöder geworden, und wird nicht wieder umkehren. Darum kann ich Ihnen auch nicht eigentlich von mir schreiben. Ihren Brief an Bettine über Wahrheit habe ich gelesen und er hat mir viel Freude gemacht und zugleich um einige Ansichten reicher, die mir vorher nur dunkel, u schwankend waren. Bettine wird diesen Brief einschließen. Ich habe sie sehr lange nicht gesehen, sie hat mir auch nicht geschrieben wie sie mir versprochen hatte. Ich bin fleißiger und zeichne auch wieder, kurz ich folge allen Ihren vernünftigen Rathschlägen.

Karoline

Music: Gregor Quendel

Rezitation: Uschi Rischanek

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@Stavanger Nun lieber Uwe, man bedenke diese Zeit und den Umgang gerade zu dieser Zeit miteinander... Da könnte sich so manch einer heutzutage ein kleines Scheibchen abschneiden 😉 

ICH hab fürs Reflektieren zu danken!

 

Liebe Grüße

Uschi

 

PS: Es gibt eine Dauerausstellung zur Deutschen Romantik - vielleicht gerade dort im Romantikmuseum - auf dieser Seite findet sich sehr viel Lesenswertes!

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Hallo Uschi,
spannender Briefwechsel zu dem es im Netz heißt,

"Brentano ließ der 22jährigen kurz nach ihrem Kennenlernen einen Brief zukommen, der alle Grenzen der Schicklichkeit überschreitet. Dieser erotische, vampir-artige Überfall zieht sich über zwei dicht beschriebene Seiten, die dritte Seite aber ist fast leer. Der Nachsatz auf der letzten Seite beginnt mit den Worten: „Waß macht der Brief für eine Wirkung auf dich liebes Günterrödchen.“

Ich werde bei Gelegenheit mal nachlesen, ob was aus den beiden geworden ist.
Danke für den interessanten Anstoß und LG
Perry

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@Stavanger Nun lieber Uwe, dies solltest du unbedingt, ich habe selbst schon mehrfach erfahren, dass manchesmal an Ausstellungen oder Präsentationen Kritik geübt wird und dies dann vor Ort in Natura gar nicht so ist wie zuvor geschildert! Umso mehr, wenn du quasi vor Ort bist! 😉 

 

 

 

@PerryLieber Perry, es ist eben genau dieser Brief den ich hier eingesprochen habe, den sie als Antwortschreiben an Brentano verfasst hatte.

vor 20 Stunden schrieb Uschi Rischanek:

Es kömt mir oft vor als hätten Sie viele Seelen, wenn ich nun anfange einer dieser Seelen gut zu sein, so geht sie fort, u eine andere tritt an ihre Stelle, die ich nicht kenne, und die ich nur überrascht anstarre.

An dieser Stelle ignoriert sie jene Passagen um ihn jedoch gleichermaßen zu analysieren...
 

Besagter Brief Brentanos an sie begann folgendermaßen:

Gute Nacht! Du lieber Engel, ach bist du es, bist du es nicht? so
öfne alle Adern deines weisen Leibes, daß das heiße schäumende
Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen sprizze, so will
ich dich sehen, und trinken aus den Tausend Quellen, trinken
biß ich berauscht bin, und deinen Tod mit jauchzender
Raserei beweinen kann, weinen wieder in dich all dein
Blut, und das meine in Trähnen, biß sich dein Herz wieder
hebt, und du mir vertraust, weil das Meinige in
deinem Puls lebt. — O wenn du mich kenntest, du würdest
den Muth verlieren mich zu lieben, den du nicht fassen
kannst, da du mich nicht kennst.....


Eine für die damalige Zeit sehr sehr ungewöhnliche Frau, deren Texte mich seit jeher überaus faszinieren.
Sie nahm sich letztlich das Leben indem sie sich erdolchte, nicht wegen Brentano sondern aus unglücklicher Liebe zu dem Philologen Friedrich Creuzer! wiki schreibt dazu:

Bereits nach dem Tod ihrer Lieblingsschwester Charlotte 1801 hatte sich Karoline auf der Frankfurter Ostermesse einen Dolch gekauft. Von einem Chirurgen hatte sie sich Rat geholt, wie er am besten gegen sich selbst zu führen sei. Aus unglücklicher Liebe erdolchte sie sich selbst am Flussufer in Winkel im Rheingau. Am nächsten Tag fand man ihre Leiche im Wasser. „Eine tiefe Wunde, nicht ganz ein Zoll lang; der Stich zwischen 4. und 5. Rippe in die linke Herzkammer eingedrungen“, vermerkt das ärztliche Protokoll.

Danke auch dir für dein Reflektieren!
Uschi

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