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rupert.lenz

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Beiträge erstellt von rupert.lenz

  1. Die blöde Dichterei

     

    Wehe, es reimt sich.

    Meistens wirken Gedichte

    dann so angestrengt,

    als müssten sie sich bemühen,

    Gedichte zu sein.

     

    Aber wehe, es reimt sich nicht.

    Dann fragt dich sicher so ein Depp,

    warum es ein Gedicht sein soll,

    denn von selbst hätte er es

    nicht erkannt.

     

     

    Die blöde Dichterei,

    zwei.

     

    Immer wieder wird von mir erwartet,

    dass ich etwas schreibe,

    mit dem ich beweise,

    dass ich wirklich Dichter bin.

    Ich soll dem Leser und der Leserin

    dann möglichst leise

    irgendwas erzählen.

     

    Sie meinen, dass ein Dichter so was tun muss

    um sie zu erbauen,

    denn erst wenn sie erbaut sind,

    sehen sie der Dichtung Wert.

    Das hat schon manche Dichtungen erschwert,

    ein Dichter, der nicht blind

    ist, muss sich quälen:

     

    Verdammt noch mal,

    wenn ihr nicht schon erbaut seid,

    dann muss ich euch erfinden,

    weil es euch dann nicht gibt.

    Und wenn’s euch gibt,

    seid euch doch drüber sicher...

    euch noch mal herzustellen

    ist nicht meine Arbeit,

    und wenn es doch so wäre,

    dann wäre ich kein Dichter !

     

    Oje. Ich fürchte, jemand ist beleidigt

    und wollt was andres lesen

    oder gelesen haben,

    dann bitt ich um Entschuldigung.

    Ach bitte, bringt mich nicht deswegen um,

    doch was ich wie zu sagen

    habe, will ich wählen !

     

    Rupert 12.3.2011

     

     

    Die blöde Dichterei… 3...

    Genialität.

     

    Wie schön.

    Ich habe ein Gedicht geschrieben.

    Ich schau es mir nun immer wieder an.

    Ergötze mich an meiner schieren

    Gen-i-a-li-tät…

    solange, bis mir klar wird,

    dass da irgendetwas fehlt.

     

    Doch was es ist, will sich mir nicht erschließen !

    Nur, dass da etwas fehlt,

    das ist mir klar.

    Wer schmuggelt da, wo’s ursprünglich

    doch göttlich war, den Mangel ein ?

    Ich werd’s doch wohl nicht

    selber sein ?

     

    Ach komm.

    Es wird doch sicher keiner merken,

    es sei denn, er ist so genial wie ich.

    Wenn’s mich nur selbst nicht quälen würde,

    wär es ja nicht schlimm...

    mein Anspruch, der ist leider

    etwas besser als ich bin.

     

    Zumindest lässt er mich niemals in Ruhe.

    Er ist der schlimmste

    Nörgler auf der Welt.

    Falls Du Gedichte schreibst, dann geb

    sie mir bloß nicht zur Rezension,

    wenn Du sie liebst...

    genügt das schon.

     

     

    Die blöde Dichterei...

    Die Dichterfinte

     

    a ) Quarte:

    Der Dichter-Ich

     

    Ich fand grad meine Leidenschaft,

    sie wird mich nie verlassen.

    Ich bring’s mit ihr zur Meisterschaft,

    werd reich sein und berühmt...

    durchs Dichten übers Dichten...

    brauch mich sonst mit nichts befassen.

    Ich meide alle Pflichten

    und bekenne unverblümt:

    Vom Leben braucht man sowieso nichts wissen.

    Es ist doch, ganz genau betrachtet, Langeweile satt.

    Die Dichter haben stets die Welt beschissen,

    als wär es von Belang, was man von ihr beschrieben hat !

     

    Nimm nur mal diesen Blütenzweig

    vom ach so großen Hesse.

    Wer faselt so ein dummes Zeug

    und ist noch bei Verstand ?

    Woran hat er gedacht ?

    Wahrscheinlich an seine Mätresse...

    und was er mit ihr macht

    hat er im Blütenzweig erkannt !

    Die Lyrik sollt ihm zur Entspannung dienen ?

    So liest sich’s auch. Es reimt sich zwar, doch sagt er nicht grad viel.

    Dem Schöngeist ist sein Spiegelbild erschienen,

    nur dass es zur Metapher letztlich doch nicht reichen will.

     

    Und trotzdem tut er eitel so

    als wäre er erleuchtet.

    Die Leser lieben’s sowieso,

    denn er hat es verfasst:

    „Er hat’s gesehn ! Es winkt

    ihm zu ein Strauch, der was bedeutet !

    Im Auf und nieder ringt

    der Geist mit irdischem Ballast !“

    Oh nein. Da schreib ich lieber übers Dichten.

    Dann muss ich dabei nicht so tun, als hätt ich was erkannt !

    Auf Eitelkeit muss ich ja nicht verzichten...

    ich hab mich selbst ja nicht umsonst zum Dichter-Ich ernannt.

     

    b ) Quinte:

    April, April

     

    Au Backe, ich hab Hermann Hesse,

    den ich schätze für so vieles,

    grade hier vor aller Welt

    geschubst von seinem Thron.

    Doch womit kriegt man heute Presse ?

    Reicht es, wenn man ein Genie ist ?

    Nein. Dafür gibt’s noch kein Geld.

    Was macht’s dem toten Hermann schon

    dass ich, ein Nichts, es so probiere ?

    Ich hab da nichts zu verlieren.

    Lob auch ich den „Demian“,

    dann horcht ja keiner auf.

    Aber wenn ich demonstriere

    und es geht wem an die Nieren,

    läuft es vielleicht doch nach Plan

    und’s reicht für manchen Buchverkauf !

    Ich lass mir Zeit, und währenddessen

    darf man mich Banause schimpfen,

    einen, der den Steppenwolf

    unflätigst demontiert…

    Hauptsache, ich hab was zu essen…

    solln sie doch die Nasen rümpfen !

    Eines Tages spiel ich Golf

    und dann erzähl ich ungeniert

    wie ich, verliebt in Hermann’s Schriften,

    voller Stolz die Erstausgabe

    vom Gedichtband, um den’s ging,

    in Zürich noch erstand.

    Zwar zählt ich später ihn mitnichten

    mit zum Besten, das ich habe,

    doch weil ich immer an ihm hing,

    gab ich ihn doch nie aus der Hand !

     

     

    Die blöde Dichterei

    Numero 6:

    Nur ein Klecks

     

    Ein Dichter braucht sich niemals schinden,

    ein Dichter der hat’s gut

    weil er, dem Müßiggang ergeben,

    müßig Gehen tut.

    Der körperlichen Arbeit Schwere

    ist nicht sein Revier,

    er denkt nur nach über das Leben

    und überlässt sie dankend Dir.

    So meint man gerne, denn es künden

    ja von schwerer Arbeit nicht

    die Einsamkeit und inneren Lasten

    hinter dem Gedicht.

    Das Schnorren kratzt an seiner Ehre

    und wird zum Komplex,

    und dabei dann nicht auszurasten

    ist ja nur ein Klecks !

     

    Die blöde Dichterei,

    beschrieben

    mit der Nummer Sieben:

    Vitaminkur.

     

    Heut morgen bin ich aufgewacht

    und wollte etwas schreiben,

    um mir zu zeigen,

    dass ich es seit Gestern nicht verlernt.

    Doch alle Müh hat nichts gebracht,

    es sollte dabei bleiben...

     

    dass letztlich sich nichts reimen wollte !

    Alles platzte aus der Form,

    die Worte wollten sich nicht fügen...

    der Inhalt... solch ein Wirrwarr, wie er

    nur in meinem Kopf

    entstehen kann.

    Ach Mann !

     

    Dann hab ich etwas Obst entkernt,

     

    da ich ja auch was essen sollte,

    danach, die Steigerung... enorm !

    Mit Vitaminen neu geschrieben,

    stand plötzlich ein Gedicht da, lieber

    Himmel, das ist so gut, dass ich sicher nie mehr wieder eins wie dieses

    schreiben kann.

    Drum fang ich morgen wieder ganz von vorne an.

     

    Die blöde Dichterei...

    Erst mit der Acht ist sie vollbracht...

    Ankunft.

     

    Ich hab’s mir anders überlegt.

    Das ist des Dichters gutes Recht !

    Worüber ich auch schreiben möcht’,

    darüber will ich schreiben.

    Vom Dichten hab ich nun genug.

    Ich lös mich jetzt vom Selbstbezug

    und werd ein anderes Thema wählen,

    um dabei zu bleiben.

     

    Was immer mich ab heut erregt:

    Ob es nun gut sei oder schlecht,

    es kommt mir recht. Ich stell’s in Licht.

    Und alle dürfen’s wissen:

    Ein Mann wie ich tut, was er liebt,

    auch wenn es viele andere gibt,

    die gleichfalls sich mit Dichtung quälen...

    obwohl sie’s gar nicht müssen.

     

    Rupert 1.4.2011

  2. Huhu, lass dich nur nicht von den Reimen abbringen, achte jedoch auf dein metrum:

    (Meist ist es so, dass die Leute, die ohne Reime schreiben, es nicht anders können oder nur tölpelhaft.)

    onkie

    Ich wollte hier niemanden vom Reimen abbringen ( zumindest nicht grundsätzlich )...

    Du bringst mich nun dazu, meine "blöde Dichterei" auszukramen und abzustellen ( mal gucken, wo ich das hintu... ), lieber Onkie...

    guck's Dir mal an, ist übers Dichten !

  3. der witz kommt doch gerade dadurch' date=' dass das lyr. ich trotzdem reimt/quote'

     

    das stimmt,

    aber es genügt doch, dass sich alles zuvor reimt und die Struktur in den ersten drei Strophen fest bleibt,

    wieso sie nicht zerbrechen und damit zeigen, dass Du Dich selber meinst ?

    War ja nur ein Vorschlag...

    denn diese Pointe würde mir besser gefallen.

  4. Die Tafelrunde

     

    Die Ritter sitzen an der Tafel

    Bei Gerstensaft und bei Geschwafel

    Des Reiches Feinde sind geschlagen

    Und keiner würde es jetzt wagen

    Die tapferen Helden anzugreifen

    Drum sind sie dabei, auszuschweifen

    In froher Runde lacht man gern

    Man kann schon hell sehn. Doch nicht fern !

    Des Ruhmesliedes letzte Zeile

    Es kündet dann von Langeweile

     

    Und König Artus, der befahl:

    Ein Ziel muss her. Und sei’s ein Gral

    Ein Ding, das man nur suchen muss

    Und Glück verspricht im Überfluss

    Man nennt es heilig. Schon geht’s los:

    Ein güldner Kelch ? Das klingt famos !

    Die Ritter fühlen sich berufen

    Den Pferden schlägt man neue Hufen

    Dann zieht man aus im Dienst für Gott

    Und einsam wird’s auf Camelot.

     

    Nur Artus bleibt allein zurück

    Ob sie’s durchschaun, das Schelmenstück ?

    Er wollte nur alleine sein

    Und sich an ihren Damen freun

    Auch wird, jetzt wo sie nicht mehr da,

    Der Ritter Tafel offenbar

    Sie ist nicht rund, schon eher eckig

    Und vom Gesabber ganz schön dreckig

    Hat, wer die Sage schrieb, gelogen ?

    Hat Artus seine Fans betrogen ?

     

    Oh nein. Man hat nur was verdreht.

    So kommt’s, dass man dies falsch versteht:

    Die Tafelrunde hat’s gegeben

    Nur eben in nem Schloss daneben

    Auch Artus hat ihr beigewohnt

    Und Parzival mit ihr belohnt

    Als der durchschaute, dass der Gral

    Stets nirgends ist und überall

    Des Ritters Weib, die Kunigund,

    die war tatsächlich tafelrund !

     

    Rupert 2003

  5. Jene Mädchen hinter Kutschen

     

    Jenes Mädchen, das der Hochzeitskutsche

    wortlos hinterherklagt,

    ohne sich zu wundern,

    offene Augen, steht es da.

    Jenes Mädchen heißt

    zurückgelassene Zukunft

    abgelegtes Leben

    und sein Blick durchbohrt das Herz

    wenn’s nur der Liebe pochen mag.

     

    Noch regt sich Wut, schon wird sie überrollt

    von gischtbehängten Trauerzügen.

    Was auch dem, der sich eine

    andre Zukunft wählte, bleibt

    an Mitleid geht dahin

    wie jenes Mädchens letztes Hoffen.

    Ich bleib bei ihm stehen

    und immer wieder kommt es mir

    als bessere Wahl in meinen Sinn.

     

    Es bleibt die Frage, auch bei Festen

    gottgesegnet wie sie seien,

    was Menschen feiern und wie sie’s

    zu Wege bringen

    jene Mädchen hinter Kutschen

    nichtmal wahrzunehmen.

    Ist es so gering

    was fühlt und gibt und sterbend

    sich dem Gang der Dinge fügt ?

     

    Es ist vielleicht des Menschen allergrößte Sünde

    minderwertig zu erachten

    was den Dingen sich

    nicht unterordnen lässt

    und ihretwegen abzutöten

    heißt der Vorwand auch Vernunft

    es bleibt doch Mord.

    Wie kann man leben als Verräter und

    sich dann noch seiner Höllen wehren ?

     

    Kann man es, will mir

    das Rühmen solcher Stärke nicht gelingen.

    Was so schwach scheint, dass es leidet,

    ist mir größer.

    Mit jedem Hufenschlag entfernt sich dieser Größe

    mehr, was seiner Liebe zu gehören sich verweigert

    in die Dunkelheit des eignen Ziels.

    Jenes Mädchen ist ein Lichtstrahl

    der von Höherem in Erinnerung bleibt.

     

    Rupert 2-3. 12. 2002

    Thomas Mann zugeeignet,

    da inspiriert von der Schluss-Szene des ersten Teils der alten "Buddenbrooks"-Verfilmung ( mit H.J. Felmy )

    ____________________

     

    Da dies das erste meiner hier abgelegten Gedichte ist und die Wahl gleich auf meinen "persönlichen Favoriten" fiel,

    hier der Kommentar,

    den ich selbst auf FB dazugeschrieben habe:

     

    Zu: Jene Mädchen hinter Kutschen.

     

    Ein imaginärer Dialog.

    ( Groteske )

     

    „Rupert... Rupert ! Aufwachen ! In welcher Zeit lebst Du gerade ?

    Fahren heute noch irgendwo Kutschen rum ?

    Außer zum Sightseeing als Touristenattraktion ?

    Was schreibst denn Du für’n Zeug ?

    Und für wen ?

    Suchst Du Deine Leserschaft im 19. Jahrhundert oder was ?

    Und dann... Mädchen... Mädchen hinter Kutschen...

    toll... das wollte man ja schon immer wissen, wenn da welche sind,

    wahrscheinlich kommen sie in Deiner Fantasie in ganzen Scharen vor...

    und dieser Hümpfelbrümpf ist dann auch noch...

    Dein „persönliches Lieblingsgedicht“ ???

    Verarschst Du uns ? Oder hast Du einen an der Waffel ?

    Welchen Hund willste damit von hinterm Ofen vorlocken ?

    Beschwer Dich bloß nicht, wenn Dich fortan... so drückst Du dich ja gerne aus...

    wenn Dich fortan kein Mensch mehr ernst nimmt !“

     

    „Ach, ich hatte gedacht, es genügt, dass mal Kutschen gefahren sind,

    um sich hier hineinzuversetzen... mir dünkt ich hätte mich wohl geirrt.

    Natürlich ist meine Fantasie voller Mädchen... aber die stehen da nicht

    unbedingt hinter Kutschen. Eher stehe ich da hinter ihnen...

    wenn ich aber da drüber schreibe... na ja, dann klingt auch meine Sprache

    wahrscheinlich mehr wie die anderer Männer heutzutage...

    falls mehr dabei rauskommt als primitive Urlaute...

    klar, die können auch ein Gedicht sein... und natürlich

    nehme ich mal wieder alle hops, das ist gar nicht mein Lieblingsgedicht.

    Mein Lieblingsgedicht muss schließlich „die Tafelrunde“ sein...

    Weil ich mich als Gralssucher darin wiederfinde...

    Oder wenigstens was anderes, gleichermaßen politisches...

    Oder was dezent aber pointiert humorvolles wie „Zurückgeworfen“.

    Weil das so erbaulich ist...

    So Sachen wie Jene Mädchen schreibe ich nur, um mich drüber

    totzulachen, weil’s so saukomisch ist, erst Recht, wenn’s dann jemand

    ernst nimmt. Im Grunde lebe ich damit meinen Hang zum Trivialen aus.

    Und natürlich mach ich so was, um einen Job als Autor für Telenovelas

    a la Sturm der Liebe zu ergattern.

    Und um dem geneigten, anspruchsvollen Leser auch noch

    das letzte Quäntchen Bereitschaft zu nehmen, sich

    weiter mit meinem Geschreibsel auseinander zu setzen.“

     

    Stattdessen aber... ( Achtung, die Groteske ist vorbei ! ):

     

    Dies ist es und wird es wohl für mein ganzes Leben lang bleiben,

    „das Gedicht“, das ich schreiben wollte und dessentwegen ich

    wahrscheinlich überhaupt je angefangen habe, Gedichte zu machen.

    Ich glaube nicht, und dies mit 100 % Überzeugung,

    dass mir je ein besseres gelingen wird oder auch nur eins,

    das in seiner Bedeutung für mich in seine Nähe kommt.

    Vielleicht kennt der ein oder andere Leser dieses Kommentars,

    was ich hier jetzt versuche, zu beschreiben.

    Es gibt Gefühle, die verfolgen einen ein Leben lang.

    Sie treffen einen, wenn sie wiederkehren, bis ins Mark,

    aber man kann einfach nicht ausmachen, woraus genau sie

    bestehen, man fasst dabei kaum einen Gedanken

    und schon gar nicht hat man Worte für sie.

    Dann verschwinden die Gefühle wieder, und man konnte

    nichts davon festhalten, obwohl man wenigstens eine Spur davon

    übrig haben möchte, um ihren genauen Auslösern auf die Schliche zu kommen.

    Der logische Denker in mir sagt dann jedes Mal,

    dass es doch möglich sein muss, da ich fest an das Prinzip

    von „Ursache und Wirkung“ glaube.

    Also wartet man auf den Moment, in dem es erneut geschieht,

    um doch etwas davon zu erhaschen und so fest zu halten,

    dass man es in Worte zu fassen vermag,

    den Moment, in dem einem ein Licht aufgeht, das es ermöglicht,

    die Ursache für die Gefühle so zu erschauen, dass man sie

    auch selbst – zumindest in sich – wieder hervorrufen kann.

     

    Und genau so war es mit diesem Gedicht.

    Die Gefühle, die ich hier meine, sind eine tiefe und schwere

    Melancholie, die mich in bestimmten Situationen immer wieder

    überkam. Eine Trauer – viel mehr als Traurigkeit – die ich

    nicht mitteilen konnte, die mich zwang, mich abzukapseln

    und das Weite zu suchen, weil ich mich bis in die Grundfeste

    meines Menschseins erschüttert sah.

    Ich hatte einfach keine Ahnung, weshalb genau sie kam,

    wenn sie kam. Ich wusste nur, dass sie durch eine Art der

    Unmenschlichkeit ausgelöst worden sein musste, die mich

    persönlich am allermeisten verletzt.

    Ich hatte auch wirklich keine Sehnsucht nach der Wiederkehr

    dieser Verletzung, konnte mich aber darauf verlassen:

    Irgendwann kommt sie wieder, diese Melancholie.

    Und deshalb wartete ich dann doch darauf,

    um bitte, bitte endlich für mich klar zu sehen, was es ist.

    Denn es war alles andere als vorhersehbar.

    Ich meine... wenn sie gekommen wäre durch Fernsehnachrichten,

    bei Kriegsbildern oder Katastrophen, wenn sie wenigstens gekommen

    wäre bei distinktiven Abbildungen von Dingen, die für mich dem

    „Bösen“ zuzuordnen sind...

    aber nein, nenne man es Stumpfheit, doch oft nimmt nur noch

    mein Intellekt die Dinge als „negativ“ wahr, aber

    emotional bleibt längst eine verlässliche Schutzwand bestehen.

    Bei Spielfilmen, die Krieg und Brutalität beinhalten, sowieso.

    Es mussten bestimmte Faktoren zusammenfinden,

    subtilere Formen des menschlichen Versagens oder Unwillens,

    damit es mich „überfiel“. Eine „Psychokiste“ also.

     

    Und dann, eines Nachts, kam dieser Moment.

    Wie immer, völlig unerwartet, aber so, dass ich endlich

    meine „Gedankenfinger“ an die Gefühle heften konnte,

    und plötzlich ging es wie von selbst:

    „Jene Mädchen hinter Kutschen“ ist die in Worte gefasste

    Melancholie, die mich so viele Jahre immer wieder überfallen

    hatte, und nicht nur das, dies Gedicht fasst auch die

    Ursachen zusammen.

    Es war mir also gelungen.

    Aber wie ?

    Ich schulde meinen Dank – für den Rest meines Lebens –

    erstens: dem großen deutschen Schriftsteller Thomas Mann,

    von dem ich bisher kein einziges Buch gelesen habe.

    Immer noch nicht. Ich habe „Angst“ davor... wie immer,

    wenn es sich eher um „große Schinken“ handelt.

    ( Die Überwindung, die es mich kostete, „Die Brüder Karamasov“

    überhaupt in Angriff zu nehmen, und mich dann durch mehrere Werke Dostojewskis zu kämpfen, hat diese „Angst“ eher verschlimmert, egal, wie sehr die Lektüre sich

    dann für mich gelohnt hat... letztlich fand ich den „Idioten“ am Besten, gefolgt von

    „Rodon Raskolnikov ( Schuld und Sühne ) “, und den erschütternden „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“. Aber das größte Lesevergnügen

    hatte mir, wie schon so oft, eher kurzes bereitet: „Bobok“, „Das Krokodil“... ).

     

    Ich will... aber ich will oft doch nicht so sehr, dass ich mich der Lektüre

    dann stelle, ich schieb’s vor mir her und lese lieber Gedichte oder Kurzgeschichten.

    So ist’s eben auch bei Thomas Mann... ich hab den „Untertan“ von Heinrich Mann

    gelesen... der „Rest der Familie“ muss seither warten, so interessant es auch sein mag. Und sicher hat Thomas den Ruf, der „Wichtigste“ zu sein.

    „Der Zauberberg“ wird sicher mein „Einstieg“.

    Aber ich schulde ihm den Dank für die „Buddenbrooks“,

    denn dieses Buch ist die Grundlage für das, was geschah.

    Zweitens schulde ich meinen Dank den Leuten,

    die damals dieses Buch verfilmten,

    mit Hans Jörg Felmy, Lieselotte Pulver und Gustav Knuth.

    Explizit jenen, denn in der Neuverfilmung ( die mir auch gut gefiel )

    kommt diese Szene nicht vor...

    und ich weiß nicht mal, ob Thomas Mann sie in seinem Buch tatsächlich

    beschrieben hat, oder ob es der – geniale – Einfall des

    Filmregisseurs war, um den „ersten Teil“ seiner Verfilmung

    mit ihr abzuschließen.

    Aber da kommt sie eben. Und sie macht mich fertig.

    Ich habe also, spät in der Nacht und weil ich nichts besseres zu tun

    wusste, diesen Film angesehen.

    Ich bin mir fast sicher, dass ich ihn „längst kannte“, aber es muss viele,

    viele Jahre hergewesen sein, dass ich ihn sah.

    Also erschien er mir fast „neu“. Und hielt mich vor der Glotze.

     

    Die Leistungen der Schauspieler... beeindruckend.

    Ich meine... solche Besetzungen, Nadja Tiller war ja auch dabei,

    und Boy Gobert, sind mit Sicherheit ein Traum für jeden Filmgourmet.

    Ich finde übrigens, dass wir in Deutschland nicht nur großartige Schauspieler und Schauspielerinnen in der Vergangenheit haben, sondern dass wir stolz sein dürfen,

    auf die Generationen, die nachkamen, auch wenn sich bei den Filmproduktionen

    fürs Fernsehen einiges an Verflachung eingestellt hat... es soll halt möglichst wenig Geld kosten... aber es heißt ja oft, dass es keine „Typen“ mehr gebe...

    und gerade in Deutschland ist das einfach nie wahr gewesen...

    man denke nur an Armin Rohde, Michael Mende, Ulrich Noethen, Edgar Selge,

    Manfred Hoppe oder den wunderbaren Ulrich Tukur, der jetzt sogar das „Tatort“ - Gucken wieder zum Pflichttermin macht.

    Aber natürlich „musste“ ich diesen Film dann anschauen, in dem so viele große Leinwandstars aus der Generation meiner Eltern sich ein Stelldichein gaben.

    Und wurde, da der „zweite Teil“ der „Buddenbrooks“ erst in der darauffolgenden Nacht gezeigt wurde, mit diesem Bild „ins Bett geschickt“:

    Dieses Mädchen hinter der Hochzeitskutsche...

     

    Und so konnte ich sie nicht mehr aufhalten, diese Melancholie.

    Ich sah nur noch die „abgelegte Geliebte“ des letzten Firmenleiters

    aus Thomas Mann’s Familienchronik, wie sie da hinter der Kutsche

    steht und ihr hinterher schaut, darin ihr verflossenes, kurzes Glück

    zusammen mit einer „ihm standesgemäßen“ Braut.

    Ich konnte nicht zu Bett gehen. Ich konnte gar nicht schlafen.

    Ich wusste, dieses Mädchen da,

    es ist meine Melancholie. Also nahm ich Papier und Stift zur Hand.

    Und ich fand endlich einen Weg, sie in Worte zu fassen, diese Melancholie...

    Mit Hilfe dieses Bildes. Es wurde mir klar:

    Sie ist ein Mensch. Ein Mensch, der mit seiner ganzen Hingabe auch ganze

    Risiken eingeht und aus den dümmsten Gründen „verliert“,

    Gründe, für die er selbst nichts kann. Gründe, die ihm

    als Realisten in ihrer drohenden Konsequenz zwar bewusst sein müssten,

    aber doch...

    Man hofft mit ihm, man fühlt mit ihm, man verliert mit ihm.

    Gegebene Liebe, die dann nichts mehr wert sein soll,

    bzw. den Preis darstellt für das, was andere machen

    oder meinen, machen zu müssen.

    Der „Geber“ steht im Regen.

    Toll, wie in den „Buddenbrooks“ dann, im zweiten Teil, gezeigt wird, welche Sinnlosigkeit daraus erwächst. Es ist der Wendepunkt, der Beginn

    des Untergangs, nicht nur im unternehmerischen Sinn.

    Natürlich befriedigt das den Gerechtigkeitssinn... wie sich hier

    dann, urkatholisch als Sühne begreifbar,

    eine Katastrophe nach der anderen einstellt.

    Aber das Opfer... es erscheint umso sinnloser, und das bleibt

    als tiefer Stachel in der Seele, so etwas kann niemals befriedigen.

    Es hätte anders kommen können, völlig anders, für alle Beteiligten,

    auch für Schwester und Bruder des Konsuls.

    Und zwar so, dass selbst der Untergang der Firma inklusive

    Verlust aller Privilegien nicht derart ins Gewicht gefallen wäre.

    Man hätte sich menschlich verhalten können und es wäre

    die Menschlichkeit geblieben. Das „Leben“ des Erbprinzen und Konsuls:

    Eine „Höllenfahrt“ hinein in eine absolute Sinnlosigkeit, die mehr ist

    als schicksalhafte Tristesse... und beginnt mit der Hochzeitsreise... phow !

    In Wahrheit hat er einzig davor gelebt. Er lässt sein Leben zurück

    mit „jenem Mädchen hinter der Kutsche“ !

    So also kommt die Untat zurück zum Täter...

     

    Ich erkannte die Ursache(n) für meine Melancholie aber schon

    bei der Analyse dieser Schlüsselszene in jener Nacht.

    Und kam zum Schluss, dass es Mord ist.

    Teil zwei des Films, in der nächsten, überraschte mich dann

    nicht mehr, ich hab ihn eher erlitten als genossen...

    ich hab’s über mich ergehen lassen. Dieses jämmerliche,

    nur noch in die Länge gezogene Ende eines Menschen,

    hervorragend gespielt von Felmy. Und der Zusammenbruch

    um ihn herum, die Bankrotterklärungen, eine nach der anderen.

    Aber... ich werde nicht mehr von dieser Melancholie verfolgt.

    Seither.

    Ich kann sie dennoch jederzeit wieder „haben“.

    Es genügt, „Jene Mädchen hinter Kutschen“ zu lesen.

    Nicht, dass ich das oft tue. Ich habe wirklich keine Sehnsucht

    danach, diese innere Wunde erneut aufzureißen und zu spüren.

    Aber ich kann es. Und das ist wichtig für mich.

    Ich habe mir das ermöglicht mit dem Gedicht... zur Konfrontation,

    zur Selbstkonfrontation und –Erkenntnis und damit als

    Hilfe zur Angstbewältigung.

    Es ist – selbstverständlich – Thomas Mann zugeeignet.

    Denn ohne ihn wäre mir das nicht gelungen.

    Oder ich hätte noch viel länger auf den Moment warten müssen.

    Ob mir dann aber ein solches Gedicht aus der Feder geflossen wäre ?

    Komischerweise ist gerade dies, mein Lieblingsgedicht ( unter den eigenen ),

    gar nichtmal so nahe an meinem Lieblingsdichter Rilke.

    Aber vielleicht ist es ja – neben all den angeführten Gründen –

    auch deshalb mein Lieblingsgedicht.

     

    Euer Rupert.

     

    P.S.:

    Sollte auch Euch beim Durchlesen diese Melancholie erwischen,

    dann wisst ihr wenigstens, warum.

    Und dann nehmt es bitte persönlich ( und mir nicht übel ):

    Ich bin Euer Bruder. Denn das kennzeichnet uns zusammen bis in die

    Tiefe der „Seele“... es ist wie ein Brandzeichen, oder ?

    Es würde mich freuen, wenn Ihr mich dann als Bruder

    annehmt, in dem ihr hier bekennt, meine Schwester oder mein Bruder zu sein...

    Dann bin ich nicht so allein... mit dem, was mein Herz so sehr verletzen kann.

    Wenn es auch vielleicht nicht viele sind, wenn es auch nur ein Mensch ist,

    bitte, bitte: bekenne Dich hier. Ich sage jetzt schon: Herzlichsten Dank.

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