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Nachts, wenn alles schläft


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Nachts, wenn alles schläft

 

 

Eine große Unruhe breitet sich in mir aus. Sie ist spürbar. Greifbar.

 

Ein Etwas.

 

Ein Gürtel der mich schnürt und mich dennoch nicht von der Last der düsteren Gedanken befreit, sondern sie festhält und lebendig macht.

Dieser Aufruhr in mir ist ein lärmendes Tier, das nach mir schnappt und mich hinab zieht in die dunklen Tiefen meines Ichs.

 

Bin voller Besorgnis und Selbstzweifel. Bin Prometheus, der an den Berg gekettet und vom Adler der Leber beraubt, zur Untätigkeit verdammt ist.

 

Es muss heute Nacht gelingen. Die Welt ist eigensinnig und zerstörend, doch sie wird von mir hören und mich im Gedächtnis behalten.

 

Reglos stehe ich am Fenster und schaue hinaus. Die Dunkelheit legt sich über das Leben und die Landschaft.

Die vormals grünen Wiesen sind nun grau. Die Bäume in ein mattes braun getaucht, haben ihren Sinn und ihre Helligkeit verloren.

Sie helfen uns nicht mehr beim Atmen. Sind nun selbst bedürftig.

 

Mutlos sinke ich auf den alten, knarrenden Stuhl neben mir. Die Sitzfläche wölbt sich nach unten und ächzt und seufzt unter der Belastung. Sie wird brechen und mich auf den nackten Boden stürzen lassen. Sodann, ich Staub werde und ins Vergessen hinabsinke.

 

Dies ist die kalte Wahrheit. Doch nicht heute. Nur nicht heute.

 

Das lasse ich nicht zu.

 

So stehe ich also wieder am Fenster und erwarte das Unwetter.

 

Alles ist vorbereitet.

 

Der Kadaver liegt auf dem Tisch. Er ist festgeschnallt. Der Hauch des Todes fließt durch den Raum und setzt sich in den kahlen Wänden fest.

Heute Nacht werde ich ihn durchbrechen und besiegen.

Das ewige Leben ist mein Ziel. Es zu erreichen, nur eine Frage von Stunden.

 

Ein Sturm zieht herauf. Er peitscht und schlägt die Bäume wund.

Ich wandere auf und ab in meinem Laboratorium. Die Welt mag sich winden und strecken. Sie wird erkennen, das ich ein großer Meister meines Faches bin.

Das Erdenrund, wird dann nur einen Namen rufen:

 

 

 

Frankenstein!

 

 

 

 

Es ist noch Zeit.

 

Das Grollen und Donnern der Naturgeschütze ist noch weit und so will ich etwas zu meiner Person berichten.

 

Beginnen wir bei meiner Geburt 1862. Auf der Isle of Wight.

 

 

6

 

 

Es war ein schöner Ort. Beschaulich und ruhig. Eine Insel. Sie lag an der Südspitze Englands und ist 35 km lang und 20 km breit.

Eine eigene Welt auf der Trolle und Hexen wohnten.

Die Bewohner dieser kleinen Insel, in der Nähe von England, waren redliche und freundliche Leute, die jeder Mann wohlgesonnen und die Sonne im Herzen zu haben schienen. Immer bereit einander zu helfen und mit einem wohlmeinenden Wort, dem Anderen, ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern.

 

Jedenfalls auf den ersten Blick. Denn, wie es nun mal in unserer Welt so ist, zeigt sich die wahre Fratze erst, wenn wir genauer hinsehen.

Unter dem Puderzucker des Lächelns und der Freundlichkeit, offenbart sich

das Dasein von einer gänzlich anderen Seite.

 

Meine Mutter war eine wunderschöne Frau, mit wachem Geist, die sich in einen versoffenen, hergelaufenen Hausierer, namens George verliebte.

Ein Hallodrie Erster Klasse.

Immer zu einem Scherz aufgelegt, hielten ihn seine Saufkumpane für einen vorzüglichen Unterhalter und klugen Mann.

In seiner Freizeit, die er sich reichlich nahm, befasste er sich mit dunklen Machenschaften.

In der Alchimie und alten Beschwörungsformeln fand er seine Bestimmung.

Den Stein der Weisen wollte er finden, um Gold zu machen.

Er wurde hinter vorgehaltener Hand von allen belächelt, verteufelt und gebrandmarkt und die Spießbürger, aus dem Dorf, mieden ihn.

Spazierte er auf der rechten Seite des Bürgersteiges gingen sie auf der Linken.

Stand er in einem Laden, um einzukaufen, wurde er nicht mit einem

>Guten Morgen<, sondern mit abschätzigen Blicken bedacht.

Das betrübte ihn sehr und er versuchte sein Leben zu ändern, da auch meine Mutter unter der Ablehnung litt.

Ja, er gab sogar das Trinken auf und half bei manch großem Projekt für die Allgemeinheit. Doch, bevor es auch nur die Möglichkeit gab, das Blatt zu wenden, stürzte er vom Dach der Scheune und ertrank im Ententeich, während ein paar dumme Hühner zusahen.

Die hießen Waltraud, weil die sich nur im Wald traut, und Irmgard.

Die Töchter der Wacholder Liesl und strohdumm. Statt meinen Vater herauszuziehen und ihm so das Leben zu retten, liefen sie in den Wald und spielten Rotkäppchen.

 

Tiere gab es es auf dem Hof nicht, weil die Bauern arm waren.

Die waren so arm, das sie ihr Toilettenpapier vom Nachbarn leihen mussten.

Das bestand hauptsächlich aus dem Guardian. Eine Zeitung, die wenig Bilder und viel Text besaß und somit für alle, bis auf den Gutsherrn, nicht in Frage kam.

 

Tja. Meine Mutter musste nun in ihrem hochschwangeren Zustand arbeiten und das fiel ihr sehr schwer, denn sie schleppte Tag für Tag große Milchkannen aus der Scheune in ein Nebenhaus, um es dann in kleine Flaschen zu gießen und an die umliegenden Haushalte zu verteilen.

Ihre einzige Freude war der Guardian, bei dem sie immer so tat, als würde sie ihn nur für die Sauberhaltung ihres, ihr wisst schon was ich meine, benutzen.

Doch sie las Zeile für Zeile und vergrößerte ihr Wissen jeden Morgen, um ein weiteres Stück.

Da sie klug war, wusste sie genau, das Intelligenz bei den Anderen Unsicherheit und noch mehr Dummheit hervorrief.

 

An einem Freitag, war es dann soweit. Mir wurde die Zeit im Mutterleib zu langweilig, also beschloss ich mal nachzuschauen, was mich draußen erwartete.

An jenem 13. des Monats, kurz vor Mitternacht, lag ich in den Armen meiner Mama und fühlte mich warm und sicher.

 

So würde es immer sein. In meiner Welt hatten Lügen und Verderbtheit keinen Platz. Kein Wunder, ich war gerade mal 2 Minuten alt.

Es wurde berichtet, das sich am Tag meiner Geburt die Sonne verdunkelte.

Die Katze des Bauern Anton Porridge verlor ein Auge und die Kühe der

Familie Milkcoast, bei der meine Mutter arbeitete, gaben keine Milch mehr.

Ich glaube, es wäre vermessen daran zu glauben, das ich daran einen Anteil hatte. Obwohl sich bald herausstellte, das ich ein überaus schlaues Bürschchen war, verlief meine Kindheit glücklich und lehrreich.

 

Lesen und rechnen lernte ich mit drei und mit sieben widmete ich mich der Integralrechnung.

Die Bibel las ich an einem Wochenende und fand sie sehr unterhaltsam.

Mit vier konnte ich diverse Sonette von Shakespeare hersagen und Mozarts Entführung aus dem Serail fehlerlos auf dem Spinett spielen.

Mit fünf lernte ich die großen Philosophen kennen und lieben.

Ich war mit neun Jahren in der Lage komplizierte, mechanische Dinge und Spielereien zu erfinden und wuchs in einem abgeschlossenen, geräumigen Keller unseres Hauses auf.

 

Ich wurde von meiner Mutter dort unten gefangen gehalten, aber sie versicherte mir immer wieder, das es nur aus Liebe und zu meinem Besten geschehen würde.

 

Als sie in einer frostigen Winternacht, am heiligen Abend starb, bemerkte ich das Erste mal, das kein Spiegel in unserem Haus an den Wänden hing und alle glatten Flächen entfernt wurden waren.

 

Ich begrub meine Mutter unter der alten Eiche, die sie so sehr liebte und sang, zum Abschied ein Lied, das sie mir immer vorgesungen hatte, wenn ich traurig im Bettchen lag und meine Gedanken keine Ruhe gaben:

 

„Nachts, wenn alles schläft und der dunkle Vorhang sich schließt, kommen die Geister und bevölkern unsere Welt. Sie jagen und necken kleine Buben, die sich an das Wachsein klammern, drum schlafe mein Kindchen, schlaf` ein.“

Mutlos und deprimiert streifte ich durch das Haus.

Die Möbel befanden sich in einem desolaten Zustand. Ebenso die Räume selbst. Tapeten, die in langen Streifen von den Wänden perlten und Wasserhähne die sich tropfender Weise des Wassers in ihnen entledigten.

Auf meinem Gang durch dieses alte, in allen Fugen, krächzende Haus und begleitet von umher schwirrenden Staubpartikeln, die sich im Sonnenlicht tummelten, fand ich in der Diele einen Spiegel aus blank poliertem Stahl.

So kalt und hart, wie diese Welt in der ich mich nun zurecht finden musste.

Mit meinen Fingern fuhr ich über die glatte Fläche und schaute hinein.

 

Dieser erste Blick, auf mich selbst, schockte mich aufs Äußerste.

Ich war ein hässlicher Gnom.

 

1,43 groß.

Ein deformierte Kopf.

Augen die in unterschiedlichen Höhen in den Schädel eingelassen waren.

Runzelige, alte Haut. Ich war mir sicher, das meine Mutter die Rinde von einer uralten Eiche geliehen hatte, um sie mir über das Gesicht zu ziehen.

Ein paar lange, schwarze Haare, die mutlos von meinem verbeulten Schädel herabhingen und sich strähnig, würgend um meinen Hals legten.

Die verbogene Nase und der Riss, welcher senkrecht durch mein Gesicht lief, erlaubte es mir nur durch den Mund zu atmen.

Mein fliehendes Kinn hob die Hasenscharte, die meine Lippen, teilte umso mehr hervor.

Der Buckel führte zu ständigen Schmerzen in meinem Rücken und erlaubte es mir nicht mich komplett aufzurichten.

 

Die einzige, schöne Besonderheit an diesem entstellten Körper waren meine seelenvollen, hellblauen Augen.

 

 

 

6

 

 

 

Die Welt mag jammern und sich vor Schmerz verzehren. Sie mag lachen und sich lieben. Letztendlich führt alles Lebende nur ein begrenztes Dasein.

 

Mit dem Skalpell ritze ich diese Worte in meinen Arbeitstisch und freue mich auf die Möglichkeit diesen Lehrsatz für alle Zeiten zu ändern und Lügen zu strafen.

 

Vielleicht wird es mir sogar möglich sein, meine Mutter zu erwecken.

Vielleicht!!!

 

Die Tür öffnet sich und Lord Byron tritt unaufgefordert in mein Reich. Er ist ein reicher, ungehobelter Kerl, der von allen bewundert und geliebt wird.

Er verkörpert all das was ich abgrundtief hasse.

 

Er ist, wie mein Vater. Mit dem Unterschied das Byron reich und erfolgreich ist. Dies blieb meinem Vater, aufgrund seiner Dummheit, verwehrt.

Byron ist ein echter Lord. Ein Dichter und Schriftsteller. Ein schöner Mensch, aber innen drin verfault und liederlich. Er benutzt die Frauen. Sie sind für ihn nur Objekt und niemals Wesen.

Sein absonderlicher Geschmack, hinsichtlich sexueller Lust mag manchen in seiner Fantasie beflügeln. Ich finde es nur ekelerregend und abstoßend.

Leider zieht er auch Mary Shelley in seinen Bann.

 

„Guten Abend mein hässlicher Freund.“ ,begrüßt er mich aufs aller freundlichste.

„Sir.“ ,sage ich nur knapp.

„Schön hast du`s hier. Erinnert mich an den Friedhof in Paris.“ ,redet er weiter.

„Ja. Paris ist schön.“

„Du weißt nichts von Paris oder Schönheit. Du bist das Schoßhündchen von Mary. Nichts weiter.“ ,erklärt er mir.

„Sicher.“ ,erwidere ich.

„Die Welt, mein Freund, ist ein Scherbenhaufen und wir sind die Totengräber.“

 

Ich sage nichts darauf und hoffe, das er wieder geht.

 

Doch er steht einfach da und schaut nachdenklich aus dem Fenster. Sein grünes Samtjacket, würde eine Familie 12 Monate ernähren und am Leben halten.

Aber Seinesgleichen schert sich nicht um diese Art Banalitäten.

 

Er ist die Sonne, um den sich alle anderen, unwürdigen Planeten drehen dürfen.

Der König, bei dem alle kuschen und niederknien müssen, um seine Befehle entgegenzunehmen.

 

Für mich ist er nur das Furunkel am Arsch einer 5 Pence Hure, wie ein anderer hundsgemeiner Schweinepriester im Zirkusfrack immer sagte.

 

„Das Licht, Fritz. Das Licht scheint für alle gleich, aber die meisten sehen nur die Dunkelheit. Ich nicht. Ich BIN die Dunkelheit.“ ,sagt Byron.

 

Nun ja. Er ist ein ekelhafter Mensch, aber er weiß es und ist konsequent in seinem Denken und Tun. Das sollte einem Bewunderung abnötigen.

Tut es, aber nicht.

 

Ich antworte nicht. Mein Blick irrt im Zimmer umher und bleibt hängen.

 

Die Öllampe am Fenster ist verrußt. Mühsam erhebe ich mich und gehe langsam, mit schmerzendem, krummen Rücken darauf zu.

Eine Motte versucht verzweifelt den Glaszylinder zu durchdringen, um an das Licht zu gelangen. In der Hoffnung Göttlichkeit oder einen Sexualpartner zu finden. Sie weiß nicht, das sie verbrennen würde.

Ihre Unwissenheit schützt sie vor der Idiotie und der Traurigkeit des Lebens und führt sie fröhlich in den Tod.

 

Lord Byron hilft ihr und hebt den Zylinder.

 

Gierig stürzt sie sich hinein.

 

Erst sind es nur die Flügelspitzen. Sie glimmen und fangen schließlich Feuer.

Einem Streichholz gleich, das entzündet und fortgeworfen wird fällt es in die Tiefen des ewigen Schlafes.

Wie einst Tantalos, der den Göttern Nektar stahl, um sich zu bereichern.

Als König und Sohn des Zeus, glaubte er seine Gier nach Reichtum zu befriedigen und ungestraft davon zu kommen.

Dies wurde ihm schließlich zum Verhängnis.

 

Zur Strafe stellten sie ihn gebunden in einen Teich. Doch er konnte weder seinen Durst noch seinen Hunger stillen und so litt jeden Tag furchtbare Qualen.

 

Nun brennt die Motte lichterloh und rast dem Boden entgegen.

Er zertritt sie mit dem Fuß und lacht.

 

„So, mein Freund, endet unser aller Leben. Ein bisschen vorgegaukelte Liebe.

Ein paar Lügen, die das Leben erträglicher machen, um dann mit flammendem Schwert unterzugehen.“ ,sinniert er vor sich hin und verlässt mich.

 

Ich bin froh, wieder allein zu sein.

 

Der Mond zeichnet sich schwach hinter einer Wolkenwand ab.

 

Ein leichtes Abendmahl steht für mich bereit:

 

Ein halbes Glas Wein.

Etwas Brot, das doppelt gebacken wurde.

Feinstes Olivenöl, in das ich die abgerissenen Brotfetzen tauche.

Salz und Pfeffer, um ihnen und meinem Leben etwas Würze zu geben.

 

Ich zerkaue es genüsslich und langsam. Genieße jeden Bissen und freue mich über jede kleine angenehme Abwechslung, die meine Studien und Experimente für ein Augenblinzeln unterbrechen.

 

Doch ich darf nicht ruhen und mich der Völlerei hingeben.

 

Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und doch nistet sich Einsamkeit in mir ein.

Ein kleiner Vogel landet erschöpft und durchnässt auf dem Fenstersims.

Er kommt aus der Finsternis. Seine Schwingen, matt und müde, wollen sich dem ewigen Schlaf ergeben. Sein kleines Herz schlägt noch schwach in seiner Brust.

Er ist mein Phönix. Im Feuer verbrennend und auferstehend.

 

Er ist mein Zeichen. Wird ER überleben, werde ich es auch.

 

Ich hole ihn herein und bereite ihm ein warmes Nest aus meinem roten Schal.

 

Mary Shelley gab ihn mir, als ich in ihre Dienste trat.

 

Sie wurde abgeschreckt und angezogen von meiner Statur und meiner Abartigkeit.

 

Ich wurde ihr Faktotum.

 

 

 

6

 

 

Da meine Mutter nun tot war, musste ich hinaus in die Welt um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Doch wer stellte einen verunstalteten Zwerg, der kein Handwerk gelernt hatte wohl ein?

 

Niemand!

 

Wie der Zufall oder die Vorsehung es wollte, zog ein Schausteller durch unser Dorf. Fröhliche Musik begleitete diesen Zug der Abnormitäten und Abenteuer Schau. Ich schloss mich ihnen an.

 

Wir hatten verschiedene Attraktionen im Gepäck:

 

Einen schwarzen Afrikaner, der nur einen Lendenschurz aus Leopardenfell trug und ständig einen Schnupfen mit sich herum trug. >Kiano<

Eine Riesenmaus, die eigentlich eine Bisamratte war. >Mello<

Einen Hummerjungen, der statt Hände, Zangenähnliche Auswüchse an den Armen besaß. >Grady Stiles<

Eine vierbeinige Frau mit langem schwarzen Haar. >Myrtly Corbin.<

Zwei siamesische Kampfhunde, die zusammengewachsen auf die Welt gekommen waren. >Remus & Romulus<

 

Und mich, den Mann mit den zwei Gesichtern und den traurigen Augen. >Fritz<

 

 

 

6

 

 

 

Ich bin sehr durstig und schenke mir ein Glas Wasser aus der Karaffe nach.

Sie ist aus Bleikristall und wunderschön. Ein Geschenk von Lady Shelley.

Ich kann sie gut leiden und sie mich auch.

Sie hat ein Verhältnis mit Lord Byron. Es ist keine Liebe, sondern eine Art der grausamsten Abhängigkeit. Er behandelt sie, wie seinen Hund und sie scheint es zu genießen. Er nennt sie Justine. Es erinnert mich an das Buch von de Sade das er vor dreißig Jahren als Gefangener in der Bastille schrieb.

Ein krankes, perverses Machwerk, das sich sicher auch im Bücherschrank von Byron befindet. Dieser Filou treibt sich nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch bei den Frauen rum. Manche munkeln gar, das er Erfahrungen mit Männern sammle.

 

Das ist nicht nur merkwürdig, sondern auch strafbar und käme es heraus, würde er sicher am Galgen baumeln.

Auf der anderen Seite, werden reiche Leute nicht gehängt. Sondern nur von Ihresgleichen verachtet.

Und das ist wohl ebenso schlimm für sie.

 

Heute beim Mittag sah ich ihn mit Lady Macbeth, einer vollbusigen, breithüftigen, sinnlichen Highländerin in der Küche schwatzen.

 

„Gefällt ihnen der Braten?“ ,fragt sie flüsternd.

„Er riecht wundervoll. Wie alt ist er?“ ,entgegnet er.

„Nun, ebenso so alt, wie ich selbst. Natürlich.“

„Ist er denn schon reif genug für meinen Gaumen?“

„Das kommt auf ihre Erfahrung mit dieser Art Genüssen an.“

„Oh, ich bin sehr erfahren. Besonders meine Zunge vermag die Würze genau

zu erkennen.“

„Aber sie wissen, das dieser Braten einem anderen Mann gehört.“

„Um so anregender ist der Genuss an ihm. Sagen wir um Mitternacht.“

„Die Zeit der Geister? Haben sie denn keine Angst, von ihnen fortgerissen zu

werden?“

„Die einzige Furcht, die mich begleitet, ist, den Braten ohne Lust und Freude

zu genießen.“

„Dann sei es so. Um Mitternacht.“

 

Die Geilheit troff aus jedem ihrer Worte.

 

Er schaute sie dann an, wie ein wildes Tier und sie genoss diesen Blick und ein Zittern, das das Unterkleid zum Rascheln brachte, ging durch ihren Leib.

 

 

 

 

6

 

 

 

 

In dem Schaugeschäft verdiente nur einer wirklich Geld.

 

Ein schrecklicher Mensch, der sich den Namen Othello gegeben hatte.

Seine Haut besaß diese dunkle Färbung, wie sie manchmal Italiener aufwiesen und seine dunklen, gefühllosen Augen schauten gefährlich in die Gegend.

Die großen Hände konnten sich zu Fäusten ballen und mit gemeiner Gewalt auf alles Lebende eindreschen.

Er zeigte sich gern mit freiem Oberkörper. Ein dichter Pelz bedeckte die Haut und sein Schweißgeruch lockte allerlei Getier, doch das schien ihn in keiner Weise zu stören. Im Gegenteil, er ließ sie gewähren und sie dankten es ihm mit reichlich Nachkommen.

So wurde auch er zur Attraktion in unserer Abarten Schau.

 

Er nannte sich selbst:

 

Othello – Der lebende Tierpark!

 

 

Es gab einen Zirkushund, den alle Lysander nannten. Eine zerzauste, kleine, allerliebste Promenaden Mischung, die bei jedermann beliebt war.

Nur nicht bei unserem Direktor. Er nannte ihn nur Köter oder saublöder Scheißhaufen der jedem vor die Füße läuft.

Mit seinen schweren Lederstiefeln trat er jeden Morgen nach dem Hund.

Und jeden Morgen jaulte das arme Tier fürchterlich auf. Manchmal nahm er einen Stock zu Hilfe, doch wich der Hund, seinem Herrn nicht von der Seite.

Im Gegenteil, je mehr Schläge er bekam, desto anhänglicher wurde er.

 

Wir lebten in alten Wagen, die von ebensolchen alten Gäulen gezogen wurden.

Mit denen wir über das Land fuhren und auf Jahrmärkten unsere Missgestaltungen zeigten.

Die Menschen ängstigten sich vor uns und waren gleichzeitig magisch von dem Grauen angezogen. Sie schrien und lachten und bewarfen uns mit Essensresten.

So, als wären wir Zootiere, die in einem Gehege wohnten.

Niemals hielten sie uns für Menschen, die auch Gefühle hatten.

Die ebenso gern lachten wie sie. Die hin und wieder weinten und sich stritten.

 

Wir alles hassten es, uns so zu zeigen, doch unser Direktor sorgte mit Schlägen, Versprechungen und Erniedrigungen für eine Umgebung der Angst und so taten wir, was von uns gefordert wurde.

Für ihn waren wir ein undankbares, dreckiges Pack.

 

Was blieb uns anderes übrig, als bei ihm zu bleiben, wenn wir überleben wollten?

 

Othello nannte sein “Theater“:

 

 

Die Mumien, Monstren und Mutationen Schau!

 

 

An einem Tag im Mai, es hatte die ganze Nacht geregnet, fing Othello schon am Morgen an zu trinken. In seinem Wagen sang und lachte er, doch wir wussten genau, das es nur eine Frage der Zeit war, da er zu uns kommen würde, um uns zu beschimpfen und zu prügeln.

 

Für ihn waren wir nur Mittel zum Zweck. Abschaum. Nicht viel besser, als Sklaven. Dreck, den er in seiner Großzügigkeit aufnahm und zu etwas Brauchbarem formte.

 

Er prahlte oft damit, seine Frau umgebracht zu haben.

 

„Das Leben ist, wie das Leben eben ist.“ ,sagte er dann immer.

 

An einer dünnen Silberkette trug er ein Medallion um seinen breiten Hals.

Wir beobachteten, wie er, oft stundenlang, vor dem aufgeklappten Bild hockte.

Wie er es stumm anstarrte und der Groll in ihm wuchs.

Wie der Hass in ihm emporstieg. Auf seine Frau, auf die Welt, auf Uns.

Wie er dann weinte er und den Hund fast tot schlug.

 

Dann wischte er sich den Rotz von seiner Nase und seinem Kinn und scholt den Hund, das der ihn wieder dazu gebracht hatte ihn zu schlagen und das er genau so wäre wie seine Frau. Ungehorsam und betrügerisch.

Nie habe ihn jemand geliebt, obwohl er jedem wohlgesonnen sei.

Aber damit sei Jetzt Schluss.

 

Wir wussten nicht in welcher Welt er lebte, aber es musste ein Gefängnis für ihn sein, aus dem er keinen Ausweg wusste. Er war ein Gefangener seiner Brutalität und seiner Einsamkeit.

 

Früher, als außergewöhnlicher Magier, hatte er ein großes Publikum und wurde von allen bewundert, nur nicht von seiner Frau. Die verachtete ihn aufgrund seiner Grobschlächtigkeit und seiner Dummheit. Das alles konnte er vertragen, doch, als er von dem Fehltritt seiner Titania erfuhr, steckte er sie in seine Zauberkiste und sägte sie in der Mitte durch.

 

Da war dann Schluss mit lustig.

 

Er konnte fliehen, aber seine blutige Tat folgte ihm. Die konnte er nicht abschütteln. Die haftete an ihm, wie Pech.

 

In den Tiefen seiner selbst versteckte er die Gedanken daran und tat alles, um zu überleben. Mehr und mehr starb das Gefühl für Andere in ihm ab.

Er stahl, log und betrog und fand immer einen Weg den Anderen noch kleiner und armseliger zu machen, als er ihn vorfand.

In der Gosse, war er der König. Doch selbst dort erntete er von den Elenden der Straße nur Verachtung.

 

Ich dachte an Victor Hugo, der sagte:

 

„Jeder von uns ist sein eigener Teufel und wir machen uns diese Welt zur Hölle.“

 

Othello tat dies nicht nur für sich, sondern auch für alle Anderen, denen er begegnete. So säte er das Böse und erwartete eine reiche Ernte.

 

In Boston erstach er einen Mann, weil der ihm seine Hure weggenommen und schlecht über seine Frau geredet hatte.

Denn da sie ja nun tot war, erhob er sie zur Göttlichkeit und besten Frau von allen. Sie wurde zu seinem Ideal, dem er erfolglos nacheiferte.

Schließlich verließ er Amerika und ging nach England.

 

Er traf auf die Monstrositäten Schau und verdingte sich als stärkster Mann der Welt. In stabile Ketten eingeschnürt und in einen Wassertank geworfen, sprengte er das Eisen im letzten Moment von seinem Körper und befreite sich.

Nach einige Wochen, war der Besitzer der Schau verschwunden und Othello übernahm das Geschäft und uns.

 

Seinem Wesen nach, war er der Antichrist und ich glaubte ich müsste ihn irgendwann umbringen, um unser Elend zu beenden.

 

 

 

 

6

 

 

 

 

Nachts, wenn alles schläft ist es am Schönsten. Da ist die Welt nicht da. Ich bin allein und glücklich mit mir selbst. Ich höre meinem Atem zu und spüre, wie die Welt sich dreht.

 

Es klopft an der Tür und Little Willy schlendert herein. Er ist der 18 jährige Gärtner und ein gutaussehender, junger Mann. Überhaupt scheint der Haushalt von Marie Shelley nur aus schönen Menschen zu bestehen.

Für eine abscheulich aussehende Intelligenzbestie, wie mich, verdammt frustrierend.

 

Meine Mutter sagte immer:

 

„Verliere nie den Mut, mein Junge, wie dunkel auch die Zukunft ist.“

 

Doch ich verlor ihn oft und fürchtete einzuschlafen und nie wieder zu erwachen.

 

„Ich wäre gern so schlau, wie du.“ ,spricht Little Willy, nachdem er sich in den Sessel vor den Kamin gesetzt hat und seine Füße dem Feuer entgegenstreckt.

„Und ich hätte gern deine Haare, dein schönes Gesicht und ein Lächeln das mich jeden Morgen begrüßt. Dann würden mich die Leute Lieben und ich wäre glücklich.“ ,erkläre ich ihm.

 

Er streckt sich genüsslich in dem Sessel und gähnt.

„Ach, hübsch zu sein, ist auch kein Zuckerschlecken. Alle sehen nur den schönen Schein, aber niemand interessiert sich für meine Person. Was ich denke. Was ich fühle. Was ich bin. Ich weiß. Ich bin dumm, aber ich kann nichts dagegen tun.

Und Gott hat es gefallen, es mich merken zu lassen. Ich bin der unglücklichste Mensch auf Erden. Alle begehren nur meinen Körper.

 

Da musste ich lachen. So ist es wohl. Jeder glaubt der eigene Buckel sei größer, als beim Anderen.

 

Für einen Moment vergesse ich mein abscheuliches und missgestaltetes Gesicht.

 

„Du bist nicht dumm. Du weißt nur wenig Willy. Das ist ein Unterschied. Du hast ein feines, aufrichtiges Wesen und das bewundere ich.“ ,sage ich ruhig.

 

Ich setze mich zu ihm an das Feuer und strecke meine krummen Beine aus.

 

Der Schöne und das Biest.

 

Ich lächle und fühle mich sehr wohl. Das ist selten.

 

Ein schweres Grollen ist zu hören und zuckende Blitze sind in der Ferne zu sehen.

 

Die Apokalypse? Das Ende? Der Anfang? Gott?

 

Ich lache und stelle IHN mir vor. Auf einem Thron, inmitten seiner Engelsschar. Mit wallenden, weißem Haar und mal stechenden, mal gütigen Augen.

 

Die Reichen und Mächtigen haben sich IHN ausgedacht, um uns besser kontrollieren zu können. Man kann es ihnen nicht übel nehmen.

Jeder will über den Anderen Kontrolle ausüben.

Die Mutter über das Kind. Die Frau über den Mann und umgekehrt.

Der Wolf über das Schaf.

Und genau das sind wir. Schafe auf einer Weide und ER ist der Schäfer.

 

Nein. Ich glaube nicht an IHN. Ein frommer Kinderwunsch. Eine Strafe.

Ein Hirngespinst.

 

Gott hat uns nie verlassen. Er ist nie dagewesen.

 

Dicke, helle, elektrische Stränge zerschneiden das Dunkel und treffen die Erde.

 

Es wird heute Nacht klappen. Die Blitzantennen stehen dicht an dicht auf dem Haus und werden die Elektrizität in mein Labor und meinen Leichnam leiten.

„Sie wollen, das ich mich vor ihnen entkleide und mich präsentiere, wie eine Weihnachtsgans.“ ,sagt Willy auf einmal und sein leerer Blick findet keinen Halt in meinem Labor.

„Wer will das?“ ,frage ich ihn.

„Lord Byron und alle anderen. An jedem Mittwoch ruft mich Lady Shelley zu sich und badet mich. Sie berührt mich überall und sagt und muss sauber und hübsch für alle sein.

Ich will das eigentlich gar nicht, aber sie redet solange auf mich ein, bis ich ja sage. Und dann tun wir die Dinge, die nur Eheleute miteinander tun.“

 

 

 

 

6

 

 

 

 

In einer nebligen Nacht sangen wir traurige Lieder und dachten über das Leben nach und wie es mit unserem und seinem weitergehen sollte. Es wurde Zeit, das Othello andere Wege ging. Wir beschlossen ihn umzubringen.

 

Es gab diverse Möglichkeiten

 

„Schlagen wir ihn auf den Kopf und vergraben ihn.“ ,sprach der Hummer Mann aufs geradewohl heraus.

„Wir können ihn nicht umbringen. Wer versorgt uns dann?“ ,stellte Myrtly Corbin fragend fest.

„Wi sin di Attraktion in di Schau.“ ,sagte schließlich Kiano, der Afrikaner und schnäuzte in sein weißes Taschentuch.

„Genau. Wir brauchen ihn nicht.“ ,meinte ich.

„Ich bringe ihn um. Lasst mich es tun. Ich hasse ihn am meisten.“ ,sagte Hummer Mann.

„Du hast nicht mal Hände.“ ,warf ich dazwischen.

„Ich werde immer auf meine Entstellungen reduziert, sogar von dir. Vielleicht sollten wir dich auch gleich umbringen.“ ,entgegnete er.

„Jungs. Wir müssen zusammen halten. Bei allen Revolutionen ist es immer eine Gruppe die die Ketten sprengt. Der Einzelne bewirkt gar nichts.

„Ha jeman noch n Taschetuch?“ ,fragt Kiano verschnupft dazwischen.

 

Myrtly reicht ihm ihr eigenes, Spitzen besetztes Tuch, das mit dem Monogramm

A P I G bestickt ist.

„Was bedeutet das? A PIG? Ein Schwein?“ ,fragte er.

„A Penis Is Great.“ ,erklärt sie trocken.

 

Wir sind verwirrt. Pause. Schließlich lacht sie und sagt:

 

„Ihr Dummköpfe. Ich weiß es nicht. Es war ein Geschenk meiner Mutter an meinen Vater.“

 

Wir lachen auch und sind froh das Myrtly die Situation entspannt hat.

 

 

 

6

 

 

 

Little Willy steht auf und richtet seine Kleidung. Er wird im Salon erwartet.

 

„Blumen gießen.“ ,sagte er lachend.

 

Ich weiß Bescheid. Habe noch nie Blumen gegossen, oder das Feld beackert. Niemand will jemanden wie mich als Gärtner.

 

Willy geht und ich wandere unruhig im Labor umher. Prüfe nochmals alle Apparaturen. Alles muss ungehindert fließen können. Alles muss an der richtigen Stelle sein. Alles hat seinen Platz in dieser Welt.

Auch ich bin nur ein Rädchen in diesem Erdenlauf. Manche sind winzig klein. Andere riesig. Manche scheinen unbedeutend, doch jeder hat seine Funktion und Aufgabe. Ich bin der Impuls in diesem Räderwerk und wird mir mein makabres Meisterstück gelingen, bin ich Gott!

 

 

 

 

6

 

 

 

An einem Morgen. Der klar und rein in die Welt gestellt wurde, stand Othello auf der obersten Stufe seines Wagens und sang ein altes irisches Lied.

Die Flasche Rum in seiner rechten Hand führte er in den Pausen immer wieder an seinen Mund, um in vollen Zügen diesen rauen Gaugler und Lügner schöner Welten in sich hineinzugießen.

Da es in der Nacht zuvor geregnet hatte rutschte er auf der obersten Stufe weg, schlug mit dem Nacken auf der hölzernen Kante auf und brach sich sein schäbiges Genick.

 

Tja. Das war es dann. Wir verbrannten ihn mitsamt dem Wagen und verstreuten uns und ihn in alle vier Winde.

 

Grady Stills, der Hummer Mann hielt noch eine Abschiedsrede.

 

„Vor langer Zeit, gab es einen König, der so grausam war, wie nur Könige es vermögen. Die Knechte wollten ihn töten, doch das Schicksal spielte die Trumpfkarte und so schied der Despot aus ihrem Leben und gab ihnen die Freiheit, nach der so lange hungerten.“

 

Dem hatte niemand etwas hinzuzufügen, außer Kiano, der dreimal nieste und seinen Schnodder auf dem Weg verteilte.

Grady rutschte darauf aus und brach sich einen Arm.

 

Myrtly sagte: „Lieber arm dran, als Arm ab.“

 

Wir lachten und ein ein paar Minuten später verloren wir uns aus den Augen.

 

 

 

6

 

 

 

Lady Shelley tritt herein und geht zum Fenster. Sie erblickt den roten Schal und den darin liegenden Vogel. Erstaunt streichelt sie das Tier und macht kleine Schritte. Ohne Ziel. Ohne Sinn.

Sie ist unruhig und erregt. Sie kann nicht auf einer Stelle stehen bleiben.

Streift den Stuhl und den Tisch mit ihrem Becken. Atmet tief ein und mit einem Seufzen wieder aus.

Ihr Körper ist angespannt und kraftvoll. Dann wieder weich und flehend.

 

Schließlich setzt sie sich und presst die Beine aneinander.

Ihr Blick gleicht umherirrenden Lichtern auf der Suche nach der Dunkelheit.

„Wird es gelingen Fritz? Wird mein Sohn leben?“ ,fragt sie, wohl wissend um die Antwort.

„Ja. Sie werden ihn bald in ihren Armen haben und mit ihm sprechen können.“

„Ach lieber Fritz. Ich bin verzweifelt. Was mache ich nur, wenn er wieder fortläuft, oder Lord Byron auf ihn einschlägt?“

„Ihr müsst euch von diesem Menschen trennen. Er ist ein schlimmes Individuum.

Ein Tier.“

„Ich kann nicht. Ich brauche ihn.“

„Er ist nur ihre Droge. Ihre Sucht. Er wird alle in den Abgrund reißen, die sich ihm anvertrauen.“ ,rede ich auf sie ein.

„Ich weiß und trotz allem, bin ich nur durch ihn. Er ist meine Sonne.Meine Luft.“

 

Ein letztes Mal geht ihre Hand zum Vogel. Selbstvergessen. Unbedeutend.

 

Sie schüttelt ihren Kopf und geht hinaus. Alle die kommen, gehen wieder.

 

Niemand bleibt.

 

 

 

6

 

 

 

Ich reiste quer durch das Land. Versuchte auf irgendeine Weise klar zu kommen. Zu überleben.

Aufgrund meiner Hässlichkeit unterstellten mir die Leute Boshaftigkeit und ich konnte nie lange an einem Ort bleiben.

Fühlte mich, wie die faule Frucht an einem Apfelbaum. Von allen gemieden und verabscheut. Doch auf die eine oder andere Art gingen alle den gleichen Weg. Alle würden verschlungen werden und als stinkendes Häufchen wieder auf der Wiese landen. Nichts weiter als Dünger für die nächste Generation von Äpfeln.

Natürlich wussten sie das nicht. Sie wetteiferten, um den besten Platz an der Sonne und jeder wollte noch süßer sein, als sein Nebenbuhler.

 

Ich würde nie dazugehören. Ich sah früh und mit aller Klarheit, wo mein Platz war und so konnte ich an den Dingen wachsen die mir lagen. Der Physik und der Biologie. So ließ ich alle Schmähungen und Kriechertum beiseite und folgte meinen eigenen Idealen.

Ich baute mir meine eigene Welt und meine eigene Vision.

Die, des modernen Prometheus.

Am Tage verbarg ich mich und in der Nacht wanderte ich weiter, um irgendwo eine neue Heimat zu finden.

Die Traurigkeit und Einsamkeit fraß immer mehr von meiner Zuversicht.

 

Nach einigen Wochen führte mich ein kleiner Waldweg zu einer Hütte, in der ich einige Tage nächtigte. Dann kamen Jäger und ich floh Richtung Westen.

Der Nebel versteckte die Landschaft und so ging ich blind, auf unsicheren Wegen, meiner Bestimmung entgegen.

 

Schließlich kam ich an jenen geheimnisvollen Ort und tappte direkt ins Moor.

Mein Körper drohte darin zu versinken. Bald steckte ich, bis zum Hals in dieser tödlichen Umklammerung.

Es erschien mir lächerlich auf diese Art sterben zu müssen und ich musste lachen, während mein Körper tiefer und tiefer sank.

 

Die Sonne ging auf und wärmte mein Gesicht. Sollte dies tatsächlich das Letzte sein, was ich auf dieser Welt fühlte?

Der Morast berührte meine Unterlippe, da spürte ich etwas Festes unter meinen Füßen, das mir das Leben rettete.

Mit einem kräftigen Stoß meiner Beine schob ich mich seitwärts und bekam einen Ast zu fassen, welcher einem verbrannten, menschlichen Unterarm glich.

An ihm zog ich mich, Zentimeter für Zentimeter heraus.

Irgendetwas hatte sich um meinen Knöchel gelegt und hielt mich fest umklammert. Immer wieder machte ich, aufgrund der Anstrengung, eine Pause und begann dann das Spiel von neuem.

Es brauchte einige Zeit, bis ich mich aus dem Sumpf befreite und als ich,

schwer atmend, auf festem Grund lag, bemerkte ich eine Hand, die sich um meinen Knöchel gelegt hatte.

Mit großer Mühe konnte ich die Finger, knackend, öffnen und floh voller Ekel und Panik von diesem Ort des Grauens.

 

Die Leiche ließ ich im Moor zurück, doch ließ mich der Gedanke daran nicht los.

 

Wurde er ins Moor geworfen oder fiel hinein?

Kam er aus der Gegend, oder war er ein Streuner?

Ein Straftäter, Vergewaltiger oder Mörder?

Nun ja. Vielleicht, war er auch nur ein Wanderer der vom Weg abgekommen war.

 

Er ertrank auf furchtbare Weise und seine Lungen füllten sich mit dem Schlamm. Seine Gesichtszüge waren gleichmäßig und eben. Fast schien es, als würde er jeden Moment die Augen öffnen und fortgehen. Seine Finger, schlank und klein, waren die eines Jungen. Oh. Wie grausam doch das Schicksal ist.

Mühsam schleppte ich mich zu einem Anwesen, wurde dort von Mary Shelley aufgenommen und fand dort eine Zuflucht vor den Unbilden der Welt.

 

 

 

6

 

 

 

„Ich habe mich nie richtig bedankt, das du meinen Jungen im Moor gefunden und zu mir zurückgebracht hast.“ ,flüstert Lady Shelley.

„Sie haben mir diese Labor eingerichtet.“ ,antworte ich aufrichtig und dankbar.

„Ein kleiner Lohn. Ich war gemein zu dir.“

„Ich bin ein abstoßendes Ding.“

„Nein. Du bist mehr Mensch, als alle anderen auf meinem Gut.“

„Sie sollten sich von Lord Byron trennen. Er tut ihnen nicht gut.“

„Ich weiß. Aber ich komme nicht dagegen an. Ich liebe ihn doch.“ ,seufzt sie.

„Davon verstehe ich wohl nichts, aber wenn DAS Liebe ist, habe ich wohl nicht viel verpasst.“

 

Sie lacht. Es ist schön sie lachen zu hören. Wie ein kühler Sommermorgen.

 

„Ich hatte mal einen Freund, der hielt sich Trüffelschweine.“ ,sage ich. „Er war ein schrecklicher Mensch. Betrog und belog seine Frau und seine Freunde. Hat immer nur auf seinen eigen Vorteil geschaut. Er war der Bürgermeister der Stadt und hat meine Mutter manchmal besucht. Nachts, wenn alles schlief.

Er lieferte die besten Trüffel des ganzen Landes und alle bewunderten ihn dafür.

Sie haben in ihm immer einen großartigen Menschen gesehen.

Ich sah immer nur den Bigamisten und Heuchler. Ich habe ihn gehasst.“

„Byron ist nicht, wie er. Byron hat eine gute Seele.“ ,flüstert sie.

„Byron und Lady Macbeth treffen sich und tuen Dinge miteinander.“ ,sage ich.

„Ja. Ich weiß.“ ,entgegnet sie und verlässt mich wieder.

 

 

 

6

 

 

Mary Shelley päppelte mich wieder auf. So wie man es mit jungen Hunden tut, wenn sie in einen See gefallen sind.

Sie gefiel sich in der Rolle der liebevollen Mutter, die ihr Junges gerettet hatte. Ich war dankbar am Leben zu sein. Dankbar, diesen ganzen Wahnsinn hinter mir zu haben.

 

Ich brauchte Ruhe.

 

Sie besaß eine große Bibliothek in der ich erst stöbernd, dann vertiefend meine Stille fand.

Ich lernte viel über Luigi Galvani der 1780 erkannte, das durch das Leiten von Strom in tote Extremitäten diese zu zucken begannen.

Er vollzog dieses Experiment an Froschschenkeln.

Wenn das möglich war, konnte es doch auch geschehen, das wir einen Menschen erwecken.

 

Hatte er das Elixier des Lebens gefunden und nur noch nicht richtig eingesetzt?

 

Die Monate vergingen und ich übernahm verschiedene Aufgaben.

 

Ich wurde ihr Faktotum. Ein, immer zur Verfügung stehendes Wechselbalg, das nicht murren und zaudern durfte, wollte es weiterhin ein unbedeutendes Teil ihrer Gesellschaft bleiben.

 

An jenem schicksalhaften Abend traf ich Lady Shelley weinend im Garten, an der alten Eiche. Unter Tränen gestand sie mir das sie als Mutter und Ehefrau versagt hatte. Sie betrog ihren Ehemann mit Lord Byron seit Jahren und stünde ihm für alles zur Verfügung, was er von ihr verlangte.

Ihr 12 jähriger Sohn sei hinter dieses Geheimnis gekommen und Lord Byron wollte ihn totschlagen, um es zu bewahren. Doch ihr Sohn floh und seit dem hatte sie nicht eine einzige Nachricht von ihm erhalten.

Das war vor genau einem Jahr.

Ich erzählte ihr von der kleinen Hand im Moor.

In einer mondhellen Nacht gingen wir an die Stelle und zogen ihren Jungen heraus.

 

Er schien in einem hervorragenden Zustand zu sein und so säuberten wir ihn und bewahrten seinen leblosen Körper an einem kühlen Ort auf, damit die Fäule nicht nach ihm griff und für weitere Experimente und der Zufuhr des Stromes unbrauchbar machte.

 

Wir sorgten zusätzlich für Eis, doch wir bemerkten das dies nicht reichte, also füllten wir eine Wanne mit dem Schlamm und legten ihn hinein.

Für ihn stand die Zeit nun still und sobald ich soweit war, würden wir ihn ins Leben zurückholen und Lady Shelley könnte endlich wieder glücklich sein.

Sie weinte bitterlich und hoffte inständig auf ein Wunder. Ich sagte meine Studien zur Erweckung eines Menschen seien schon sehr fortgeschritten, doch ich bräuchte ein Labor und mindestens ein weiteres Jahr.

 

So bekam ich alles was ich brauchte und machte mich sogleich an die Arbeit.

 

 

 

 

6

 

 

Allein.

 

Der Vogel in dem Schal schläft tief und fest.

 

Der Sturm. Er ist direkt vor uns. Die Blitze schlagen schon in der Nähe ein.

 

Eine halbe Stunde.

 

Dann ist es so weit.

 

6

 

 

Zu jener Zeit hielt Lady Shelley viele Soirées ab. Zu diesen Abendgesellschaften lud sie Dichter, Philosophen und Schriftsteller ein.

Ich durfte hin und wieder für Unterhaltung sorgen. Sang ein lustig Lied oder trug Passagen aus den Stücken von Shakespeare vor.

 

Diese Gesellschaft, war wie ein geheimer Zirkel und nannten sich:

 

 

 

 

 

 

 

Ihre Satzung klammerte jedwede Moral aus. Jeder sollte nur seiner Lust und seinem Wohlbefinden folgen.

Sie bestimmten einen Käpt`n der den Verlauf des Abends bestimmte.

 

Manchmal feierten sie einfach und manchmal lasen sie Geschichten berühmter Autoren vor. Shakespeare war ihr bevorzugter Schreiberling.

Ich konnte ihm nie etwas abgewinnen.

Ja. Gute Story`s. Aber einfach zu geschwollen. Und dann das ewige Geschwafel von Liebe und Tod.

Ich habe nur einmal geliebt und sie verloren. Das Schlimmste, das mir je passiert ist. Da habe ich mir geschworen, das nie wieder erleiden zu wollen und mein Herz für diese Reize verschlossen.

 

Am 31.12.1816 feierten sie einen Kostümball. Zum Thema hatten sie sich den Sommernachtstraum von Shakespeare, gewählt.

 

Diese Komödie schrieb er 1596. Also vor genau 120 Jahren.

 

Das Stück spielt im alten Athen und einem Zauberwald. In drei Tagen und drei Nächten soll sich ein Herrscherpaar vermählen.

Es gibt auch einen Blasebalgflicker in der Geschichte und jemanden der eine Mauer spielt.

 

Warum sollte jemand eine Mauer spielen oder den Mondschein?

 

Naja, die Frage ist wohl ebenso sinnlos, wie:

 

Warum unterwerfen wir uns der Qual der Liebe?

 

Ich musste den Puck spielen. Das war der Hofnarr. Den wollte ich aber nicht,

doch, als ich es sagte, schlug mir Lord Byron mit einer Reitgerte ins Gesicht.

Lady Shelley bekam die Rolle der Elfe Bohnenblüte und alle anderen Namen schienen mir ebenso nutzlos. Wer wollte schon Spinnweb oder Motte heißen.

Doch Byron war der Käpt´n an jenem Abend und so mussten sich alle fügen.

 

Sie lachten und tranken und spielten und taten so, als wären sie jemand anders.

Also genauso wie jeden Abend. Denn niemand zeigte je sein wahres Gesicht.

 

Der Abend schritt weiter fort und ich hörte kehliges, wollüstiges Lachen. Immer wieder verschwanden Hände unter den Kleidern der Frauen.

 

In einem gesonderten Raum, aus dem kein Laut drang, zogen sich einige zurück, um sich körperlich näher zu kommen.

Immer wieder riefen sie nach dem Gnom. Nach mir.

 

Ich sollte ihnen Wein über die nackten Leiber gießen und anderen die Füße waschen. So, wie Jesus es vor 1800 Jahren tat.

Süßlicher Geruch zog in meine Nase und es fiel mir schwer den Würgereiz zu unterdrücken.

Schweiß und Körpersäfte aller möglichen Art wechselten den Besitzer.

 

In der darauffolgenden stürmischen Nacht erzählten sie sich Schauergeschichten und riefen einen Wettbewerb aus.

Denn nur reiche Menschen müssen sich Geschichten über Tod und Verderben erzählen. Bei den Armen ist es tägliche Wirklichkeit.

Der Säugling, der im Kindbett stirbt.

Der Mann der von der Leiter fällt und nicht mehr arbeiten kann.

Die Frau die sich prostituieren muss, um die Familie durchzubringen.

 

Den Leuten aus der einen Gesellschaft, war das natürlich völlig fremd und so ersannen sie Vampir Geschichten und Wolfsgeheul.

Der Gewinner könne bei dem Verlag von Mr. Woolcraft damit rechnen, das seine Geschichte am 1. Januar 1818 verlegt werden würde.

 

Sie hatten also ein Jahr Zeit in dem sie ihren Phantastereien nachgehen konnten.

 

 

 

6

 

 

 

Sanft streiche ich dem leblosen Vogel über das Gefieder. Er atmet nicht mehr.

Zu schwer war wohl das Leben und so bleibt ihm nur der Tod.

Ich decke den schweren roten Schal über seinen kleinen Körper und gehe zu meinen Apparaturen, denn nun ist es soweit...

 

Blitze schlagen neben dem Haus ein und und Donner bringt die Luft zum Schwingen.

 

Auf dem Dach ist ein langer Eisenstab der die Energie in mein Labor und den noch kalten Körpers des Sohnes lenken wird. Ein Blitz schlägt in die alte Eiche ein und sie brennt lichterloh.

Im blendenden Schein des Feuers erwarte ich den Nächsten.

In einem Knall fährt er hinein und ich schleudere durch die Gewalt des Blitzes durch den Raum und bleibe, umgeben von geborstenen Glas, bewusstlos auf dem Boden liegen.

 

6

 

 

 

Im Hoffnungsjahr 1817 schrieb Marie Shelley an ihrem Roman und nahm mich zum Vorbild.

 

Frankenstein

 

 

 

6

 

 

 

 

Es klopft an der Tür und Littly Willy kommt herein. Mühsam setze ich mich auf, um gleich darauf zum Leichnam zu eilen.

Der Körper ihres Sohnes liegt noch immer leblos auf der Bahre, doch hat der Blitz die Haut verbrannt und Höllengeruch erfüllt den Raum mit der Pestilenz

des Todes.

 

Ich habe versagt.

 

Dies ist wohl das Ende meines Abenteuers. Einen neuen Prometheus wollte ich erschaffen. Aber, ich habe nur Hoffnung gesät und eine arme Seele wird nun wohl gänzlich brechen.

Der Tod kann nicht besiegt werden. Er ist der Gleichmacher. Kennt weder arm noch reich. Noch Gut und Böse.

 

Betrübt sitze ich vor meiner Leiche. Sie ist erhitzt und beginnt zu faulen.

 

„Herr Frankenstein. Wir müssen den Körper loswerden.“ ,flüstert Willy.

„Ich weiß mein Freund. Ich weiß.“ ,entgegne ich ihm tonlos.

 

Little Willy schaut hilflos auf mich und dann den Körper.

 

„Decken wir ihn zu und bringen ihn hinunter. Nimm die Schaufel mit. Er hat ein ordentliches Grab verdient.“ ,sage ich zu ihm.

 

Wir bringen ihn, in ein Leichentuch gewickelt, in den Garten.

Dort hebt Willy ein Loch aus.

6 Fuß lang, 3 Fuß breit und 4 Fuß tief.

 

Der Morgen beginnt zu wachsen und die Sonne kriecht hervor.

 

Wir legen ihn hinein. Ein Kreuz dazu. Mag es ihm nützen oder nicht.

Ich bin ein Frevler, doch wenn es eine Macht gibt, die ihn schützt und Ruhe schenkt, so will ich ihm es nicht verwehren.

 

„Nun denn. Mach es gut und geh hinüber in die andere Welt. In dieser gab es keinen Platz für dich. Magst es drüben besser treffen. Du bist frei.“ ,raune ich.

 

Willy weint.

 

Die Welt wird von mir hören und es nicht glauben. Doch wir wissen, was geschah.

 

So lebt denn Wohl. Ich will versuchen mein Glück zu finden.

 

Und Frieden.

 

So es ihn, in dieser Welt, überhaupt noch

gibt.

 

 

Lebt wohl.........................

 

 

 

 

 

 

 

 

November 2020 von: Axel Bruss

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