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Die Qualität und der Tod

Der Direktor der mittelständigen Reichhard GmbH Gerätebau, war gerade dabei gewesen, während seiner Lektüre des Morgenblatts sich darüber aufzuregen, dass diese Schwachköpfe eine Rote zur Arbeitsministerin gemacht hatten. War dieses Land noch zu retten? Sie taten alles, um den Unternehmern Steine in den Weg zu legen, dachte er sich. War es denn nicht schon jetzt schwer genug, die deutschen Arbeitnehmer und Angestellten überhaupt zum Arbeiten zu bewegen? Musste da jetzt noch eine Rote daran arbeiten, das Arbeitsvolk mit Zugeständnissen zu verwöhnen und zu hätscheln und deren Arbeitsunlust noch zu steigern? Er überlegte schon seit geraumer Zeit, den Firmensitz in die USA zu verlegen, wo man, wie ihm ein amerikanischer Geschäftsfreund erzählte, die Arbeitnehmer als trainierte Affen bezeichnete und auch so behandelte. Wenn jetzt auch noch die Gewerkschaften neuen Zulauf erhielten, sähe er sich gezwungen, die Zelte in Deutschland abzubrechen. Just in dem Moment seiner größten Aufregung trat seine Tochter, welche in der Firma das Personalbüro leitete, in sein Büro und überbrachte ihm die Botschaft vom Tode der Frau Kleinert.

Gestern Mittag sei Frau Kleinert noch in das Personalbüro gekommen, um sich über den immensen Druck zu beschweren, der auf ihr laste. Diesen Druck hielte sie bestimmt nicht mehr lange aus, hatte sie gesagt und sie sei dabei völlig aufgelöst und zeitweise auch ganz fahrig und unfokussiert gewesen. Viele Qualitätsmängel habe es in letzter Zeit bei ihr gegeben, geradezu gehäuft hätten sich diese denn der Qualitätsmanager des Unternehmens, Helge Herweg, stünde ihr ständig auf den Füssen und belauere sie, das sei doch nicht zum Aushalten, sagte sie und die Chefin müsse ihr da helfen, in dieser Sache. Aber die Personalchefin sah sich da außerstande, für Frau Kleinert die Elektrohilfskraft etwas zu tun, denn Frau Kleinert wisse doch, so führte die Personalchefin ihr gegenüber aus, dass das diesjährige Audit des TÜV bevorstände am nächsten Montag und alles müsse dann aufs Genaueste geregelt und geordnet sein, um nicht das Zertifikat als TÜV-geprüfte Firma zu verlieren. Außerdem müsse doch Frau Kleinert einsehen, dass sie es war, die im letzten Jahr bei dem letztjährigen TÜV-Audit durch Unachtsamkeit fast eine Qualitätsabweichung herbeiführte, die den TÜV-Auditoren Herrn Meyer bestimmt gezwungen hätte, das Zertifikat wieder einzuziehen. Frau Kleinert hatte im letzten TÜV-Audit ein nicht kalibriertes Messgerät auf ihrem Werktisch liegen gehabt und hätte nicht der Qualitätsbeauftragte der Firma, Herr Herweg, dieses Gerät gerade noch bevor der TÜV-Auditor es sah verschwinden lassen, dann wäre es zum Äußersten gekommen und die Firma stünde nun ohne Zertifikat da, was auf dem Weltmarkt ein erhebliches Hindernis darstelle, das nachgerade einen weltweiten Vertrieb der Geräte der Firma praktisch unmöglich machen würde. Dieser Fehler der Frau Kleinert, die ja nur eine Elektrohilfskraft sei, war existenzbedrohend gewesen und alle hundertfünfzig Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Sie habe, so führte die Personalchefin weiter aus, Frau Kleinert in die Schranken gewiesen und von ihr gefordert, die Vorgaben des Qualitätsmanagementsystems der Firma genauestens einzuhalten, worauf Frau Kleiner grußlos und unter Tränen ihr Büro verließ. Heute Morgen sei sie von Frau Kleinerts Sohn telefonisch darüber unterrichtet worden, so sagte die Personalchefin, dass er seine Mutter an einem Hosengürtel erhängt im Schuppen, in welchem Brennholz und Gartengeräte gelagert seien, gefunden habe.

Daraufhin bestellte der Direktor sofort den Qualitätsmanagementbeauftragten hoch in sein Büro. Er hatte diesen Mann, der eigentlich gar nicht die Voraussetzungen für so einen
Posten hatte, denn er war vom Auftreten und von der Persönlichkeit her gar nicht markant und wirkmächtig genug, um solch ein Amt überhaupt auszufüllen, aus Ermangelung eines anderen Kandidaten, denn keiner wollte diesen Job machen, zum Qualitätsmanager gemacht.
Wie oft hatte der Direktor den Herrn Herweg anhalten müssen, strenger und sachlicher aufzutreten gegenüber dem Personal, um dieses anzuspornen, eine gute Qualität zu produzieren und nicht nachzulassen, auf die Kundenzufriedenheit hinzuarbeiten.

Herweg musste sich praktisch total umkrempeln in seiner ganzen Art und unter der Anleitung des Direktors und mithilfe einiger entsprechend teurer Fortbildungen beim TÜV wurde aus dem Jeans- und Turnschuhträger Herweg ein halbwegs ansehnlicher Anzugträger, beinahe eine Respektsperson. Selbst Herwegs Frau war überrascht gewesen und hatte gesagt, er, Herweg, stelle sogar schon ein bisschen etwas dar in seinem Anzug, wo er doch sonst ein Mann sei, der praktisch nicht auffiele und den kaum einer je ernst hätte nehmen können.
Deswegen war es ja Herweg auch oft passiert, dass er vielleicht etwas zu hart auftrat in seiner neuen Rolle, dem Personal gegenüber, weil die ihn doch noch von früher kannten und jetzt Respekt zeigen mussten vor ihm und dem Qualitätsmanagementsystem. Jetzt jedoch, in dieser ernsten Situation nach dem Tod der Frau Kleinert, kamen dem Direktor schon Bedenken, ob Herweg nicht den Bogen überspannte und nicht die von ihm, dem Direktor und seinem QM-Amt praktisch geliehene Macht ausgenutzt habe, um eine unschuldige Frau in die Krise zu treiben. Gerade Menschen, die nie den Umgang mit Macht einstudieren konnten, weil sie nie eine gehabt hatten, neigten ja dazu, ihre Möglichkeiten, die sich ihnen auf einmal boten, total auszunutzen und zu übertreiben. Herweg wisse doch, wie es mit Hitler war, so erklärte der Direktor, der zunächst auch ein Nichts war und als er an die Macht kam zum größten Tyrannen seit Menschengedenken wurde. Der Direktor selbst hatte jedenfalls, so sagte er, nicht erwartet, Herweg würde Machtmissbrauch betreiben. Man müsse noch hoffen, die Frauenbeauftragte mache nicht noch das Fass auf, hier sei eine Frau von einem Chauvinisten in die Enge getrieben worden, aus weiß Gott welchen Gründen. Man müsse nun den Ball flach halten und die Meinung im Unternehmen verbreiten, Frau Kleinert habe ihren Selbstmord aus rein privaten Gründen begangen, was ja wahrscheinlich auch stimmte, denn sie sei doch kürzlich erst geschieden worden. Ja, bei genauerer Betrachtung des Falls sei ja auch durchaus anzunehmen, so der Direktor, Frau Kleinert habe aus rein privaten Gründen die Nerven verloren. Es käme jetzt darauf an, so schärfte der Direktor Herweg ein, den Eindruck der vollkommenen Schuldlosigkeit dem gesamten Personal gegenüber aufrecht zu erhalten. Kein Verdacht dürfe auf Herweg und das QM-System fallen. Es sei doch auch abstrus annehmen zu wollen, ein QM-System, welches doch nur dazu da sei, das Personal anzuhalten, qualitativ hochwertig und ordentlich zu arbeiten, um Kundenzufriedenheit zu erlagen, könne einen Menschen wie die Kleinert in die Enge treiben und zu so einer Tat anstiften.

Herweg müssen nun den Kopf gegenüber dem Personal hochhalten und den Eindruck eines Mannes mit reinem Gewissen vermitteln, sagte der Direktor, denn würden diese erst einmal Wind davon bekommen und nur ahnen, Herweg sei schuld, dann könne sich Herweg ja vorstellen, dass seine Tage hier in der Firme gezählt seien, denn die würden ihn fertigmachen und in der Luft zerreißen. Es wäre klar, dass ein Mann wie Herweg, der aufgrund seiner einfachen Herkunft und schlichten Erziehung von Haus aus nicht zum Befehlen geschaffen sei, dann ziemlich schnell unter dem Druck und Ansturm des gereizten Personals zusammenbrechen würde.

Herweg schlief in dieser Nacht sehr schlecht und am morgen bügelte ihm seine Frau seinen besten Anzug noch einmal auf, denn er musste gerade jetzt etwas darstellen. Er musste jetzt Stärke zeigen, die niemand von ihm je erwartet hätte. Seine und ihre Existenz hingen davon ab, schärfte ihm seine Frau ein. Dass die Schuldenlast des Hauses schwer auf ihnen laste, wisse er ja selbst und einen Verlust seines Jobs mit wenig Hoffnung in der momentanen Arbeitsmarktsituation einen Neuen zu finden, gerade für ihn, der ja auch nicht mehr der Jüngste sei und in Bewerbungsgesprächen immer so nervös, dass er kaum etwas Besonderes rüberbringen könne, das brauche sie ihm doch nicht zu sagen, sagte seine Frau. Mit einem Hilfsarbeiterjob könne er die Existenz von seiner Frau und sich doch nicht sichern. Also es sei klar, was heute auf dem Spiel stünde, mahnte ihn seine Frau zum Abschied.

Als Herweg auf dem Firmenparkplatz, der extra für ihn reserviert war, denn ein Qualitätsmanager hat freilich einen eigenen, parkte, wurde er schon vom Sohn der Kleinert abgefangen. Seine Mutter habe einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er, Herweg und das QM-System der Firma Reichhart als der Grund für ihre Verzweiflungstat angegeben sei.
Er habe, so sagte der Sohn der Kleinert zu Herweg, dem Betriebsrat der Firma eine Kopie des Briefes vorgelegt, mit der Bitte, das Personal der Firma Reichhart über diesen Sachverhalt zu unterrichten.

Herweg stieg daraufhin ohne Worte in seinen Wagen ein und fuhr mit recht hoher Geschwindigkeit davon. Die Polizei fand seinen Wagen praktisch um eine Ulme gewickelt in einem nahen Waldstück.

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Geschrieben
vor 2 Minuten schrieb Ostseemoewe:

Lieb Hera

Du hast eine sehr authentische Erzählweise und ich bin überzeugt, diese tragischen Geschichten in dieser nach immer mehr Kapitel strebenden Wirtschaft gibt es und sie verschärft sich. 

Liebe Grüße Ilona 

Vielen Dank, liebe Ilona.

 

Bis auf den letzten Satz, habe ich alles so ähnlich erlebt.

 

Liebe Grüße

Hera

 

 

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