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Lamento dell’Anoressia - Ein Gedicht


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Lamento dell’Anoressia - Ein Gedicht              

 

Mittwoch; 20.07.2022

Mailand

 

Die Dämmerung brach bereits über die

norditalienische Stadt Mailand herein

und kleidete den Himmel in ein

lavendelfarbiges Gewand ein,

das sich bis zum Horizont erstreckte

und die Hauptstadt der Lombardei sanft

umschloss.

 

Die letzten Sonnenstrahlen tauchten den

prächtigen Duomo di Milano, der

aus rosa-grauen durchsetztem Marmor

bestand, in ein sandsteinfarbenes Licht,

das sich mit dem milden violetten

Himmel kontrastierte.

 

Zusätzlich glänzte der gepflasterte Domplatz,

der auf Italienisch den schlichten Namen

Piazza del Duomo bekam, im schwachen

Sonnenglanz, sodass dieser den Schein

erweckte, dass das Licht auf die kostbaren

und kühlenden Regentropfen fiel,

wobei es seit Wochen nicht mehr

geregnet hatte.

 

Die Stadt an sich versank zunehmend

in einem sanften Abendschlummer,

die feucht-gemäßigte Klimazone

machte sich bemerkbar und sorgte wie

an den Tagen zuvor für eine feierliche

und ausgelassene Stimmung,

die für Italien besonders

charakteristisch ist.

 

Mittlerweile wurde der lavendelfarbige

Himmel durch ein kräftiges indigoblau

ersetzt, sodass einem ein unvergesslicher

Blick in die flimmernden Sterne

gewährleistet wurde.

 

Viele Italiener trafen sich bei den

milden zwanzig Grad in den grünen Parks

der Stadt oder versammelten sich in

den zahlreichen Restaurants und

ließen gemeinsam mit ihrer Familie

oder ihren Freunden den Abend

ausklingen.

 

Inzwischen war es 21:36 Ortszeit als

Casimira und Valentiano De Rosa

die Via Romagnosi entlangliefen und

das edle und sehr beliebte

DeRos Restaurant betraten.

 

Ihre Tochter, Smeralda Di Marco,

welche am Fenster saß und die beiden

bemerkte, stand von ihrem Stuhl auf

und lief ihren Eltern entgegen.

 

 „Es ist so schön euch

wiederzusehen“, sagte Smeralda und

umarmte zuerst ihren Vater und dann

ihre Mutter.

 

„Wir freuen uns auch dich zu sehen,

Smeralda“, antwortete er lächelnd

und schaute sich im Lokal um,

da er in diesem Restaurant zum

ersten Mal war.

 

„Kommt, setzt euch zu uns“, forderte

Smeralda ihre Eltern auf, sodass den

beiden nichts übrigblieb als ihrer Tochter

zum Tisch zu folgen.

 

Als die De Rosas am Tisch ankamen,

stand Salvatore Di Marco, der bis eben

in einem Gespräch mit seiner Tochter

Leanora Cantara vertieft war, auf und

reichte sowohl Casimira als auch

Valentiano die Hand.

 

Leanora tat es ihm gleich, wobei

sie auf ihrem Stuhl sitzenblieb,

ihre Großeltern aber anlächelte.

 

„Setzen Sie sich bitte“, entgegnete

ihr Schwiegersohn und wies mit

einer knappen Handattitüde die beiden

daraufhin, dass sie sich

setzen durften.

 

„Es ist so schön euch zu

wiedersehen“, sagte Leanora und

strich ihr aschbraunes Haar aus

ihrem sanften Gesicht.

 

Ihre dunkelbraunen Augen,

die schon fast schwarz wirkten,

unterstrichen ihre Freunde

besonders.

 

„Wollt ihr was trinken?“, bot Smeralda

ihren Eltern an.

„Wir waren nämlich schon so frei und

haben uns schon Wasser und

Prosecco bestellt.

 

Wenn ihr Wein oder was anderes

trinken wollt, dann könnt ihr

ruhig bestellen.“

 

„Nein, alles gut. Du weißt doch,

dass dein Vater kein Alkohol mehr

trinkt und dass ich diesen bitteren,

ja schon brennenden Geschmack

einfach nicht leiden kann“,

erklärte Casimira, während

ihr Gatte bloß zustimmend nickte.

 

„Gut. Dann würde ich vorschlagen,

dass wir das Essen bestellen,

oder was meint ihr?“

 

 „Ja, könnt ihr machen. Casimira

und ich nehmen das schlichte

Menù del giorno“, sagte Valentiano

und räusperte sich.

 

„Wisst ihr schon, was ihr

nehmt?“, fragte Casimira und schaute

in die Runde, wobei sie nach

einiger Zeit ihren Eidam

fokussierte und ihren Blick

nicht mehr von ihm abblies.    

 

„Ich nehme die Orecchiette con

cime di rapa e vongole“, entgegnete

Salvatore und goss sich

Wasser in sein Glas.

 

„Und ihr, Leanora.

Smeralda?“

 

„Ich würde das Ricetta del misto

tiepido di mare nehmen.

Und du, Mama?“, erwiderte das

Mädchen mit sanfter Stimme.  

 

Smeralda schlug nochmal die

Speisekarte auf und überflog diese,

da ihr der Namen des Gerichts

unbeabsichtigt entfallen war.

 

„Ah, da ist es… Ich nehme das

Linguine all‘ Astice.“

 

„Sieht also so aus, dass wir

bereit wären, das Essen zu bestellen“,

antworte Salvatore und schaute sich im

Restaurant nach einem Kellner um.

 

Ein Kellner bemerkte den wartenden

Gast und eilte sofort zu seinem Tisch.

 

„Sie wollen bestellen?“, fragte der

Kellner und setzte sein

Kugelschreiber,

den er klicken ließ, auf sein

Notizbuch.

 

Es brauchte nicht mehr als zwei

Minuten, als der Cameriere die

ganze Bestellung aufnahm und

den Vermerkzettel in seiner

Hosentasche verschwinden ließ.

 

„Gut. Wünschen Sie noch eine

passende Flasche Wein zum Essen

oder ist das alles?“

 

„Das ist alles“, erwiderte Salvatore

und lockerte seine mitternachtsblaue

Krawatte, die zu seinem eisweisen

Anzug nicht nur optisch, sondern auch

geschmacklich passte.

 

„Das Essen kommt dann in

ungefähr zwanzig bis fünfzig Minuten“,

fügte der Kellner hinzu und verließ,

ohne ein weiters Wort zu ergänzen,

den Tisch.  

 

Es mussten ungefähr fünf Minuten

verstrichen sein, als Salvatore

von seinem Stuhl erhob und

sich neben ihn stellte.

 

Er räusperte sich, was dazu

führte, dass alle Gespräche

am Tisch verstummten.

Alle richteten erwartungsvoll

ihre Blicke auf Salvatore.

 

„Bevor das Essen kommt, will

ich ein paar Worte zum heutigen

Abend sagen.

Ich weiß, ich bin kein guter Redner,

deswegen werde ich mich auch

kurzhalten.

 

Meine Mutter, Celenta, von der

ich euch lieb grüßen soll, schrieb

mir grade, dass sie mit meinem

Vater, Fernando, auf der Autostrada A4

im Stau stehen, da sie meine jüngere

Tochter, Catarina, von einer Freundin

abholten.

 

Deswegen ist es nicht klar, ob sie

noch zum Essen kommen.

So viel zu Punkt eins.

 

Jetzt kommt der zweite und somit

der letzte Punkt auf der heutigen

Tagesliste.

 

Es freut mich sehr, dass ihr es

einrichten konntet, euch an

diesem ganz besonderen Tag zu

versammeln.

 

Denn heute vor genau zwei Jahren

haben Smeralda und ich geheiratet.

Und aus diesem Grund will ich

mich nicht nur bei dir Smeralda

für dein damaliges Jawort,

sondern auch bei euch,

Casimira und Valentiano,

für euere Zustimmung bedanken.

 

Deswegen habe ich für euch eine

Überraschung, allerdings ist mir

grade aufgefallen, dass ich diese

im Kofferraum vergaß“, sagte Salvatore

und fuhr sich peinlich berührt durch

sein Haar. „Ich bin gleich zurück.“

 

Die Gäste brachen in ein schallendes

Lachen aus, das aber nicht zu

lange andauern durfte.

 

Smeraldas Ehemann eilte aus dem

Restaurant und überquerte

geistesabwesend die Straße, da

er auf der anderen Straßenseite

geparkt hatte.

 

Unkonzentriert wie er war, bemerkte

er nicht das Auto, das auf ihn mit

hoher Geschwindigkeit zufuhr.

 

Er hatte keine Zeit mehr dem Fahrzeug

auszuweichen, sodass der Wagen direkt

in ihn reinfuhr.

 

Der Gatte prallte mit seinem ganzen

Körpergewicht gegen die Windschutzscheibe,

glitt die Motorhaube hinunter und fiel

auf den Asphalt, wo er

regungslos dalag.

 

Der Fahrer, der zu diesem Zeitpunkt

ohne leuchtende Scheinwerfer fuhr,

bremste und sprang sofort aus

seinem schwarzen BMW ALPINA

B8 Gran Coupé heraus und kniete

sich zum Verletzten,

um den Puls zu fühlen.

 

Er war schwach, aber

noch vorhanden.

 

„Merda“, fluchte der Fahrer als

er Salvatores entstellten Körper

erblickte.

 

Sein Gesicht war blutverschmiert,

seine Nase, auf der eine Brille thronte,

war deformiert, wohlmöglich war

sie auch gebrochen.

 

Zudem wies er am ganzen Körper

tiefe Fleischwunden auf,

deren freigesetztes Blut seinen

einst strahlenweißen Anzug

bordeauxrot verfärben ließ.

 

„Scheiße, was habe ich bloß

angestellt?“, krächzte der Autofahrer

entsetzt und wählte gleichzeitig

die 118, die ihn augenblicklich

mit der Notarzt-Einsatzleitstelle

verband.

 

„Notarzt-Einsatzleitstelle Mailand.

Was ist Ihr Notfall?“, meldete

sich eine ältere Herrenstimme.

 

„Kommen Sie umgehend in die

Via Romagnosi.

Ich habe einen Mann angefahren.“

 

 

Berlin; 06.01.2023

 

 

 

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