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Für immer zerborsten

 

I

Es war ein seltsames Gefühl dem trostlosen Alltag zu entfliehen,

wobei es sich wie ein krampfhafter Versuch anfühlte, den

Krallen des Lebens zu entweichen.

 

Der melancholische Frühling, der mit einem Hauch vom

süßen Trübsal über Berlin lag, erweckte in mir den spärlichen

Eindruck, dass nun auch dieser an einer Magersucht erkrankt

war, da dieser monoton und mit einem vernachlässigten Ausdruck

über der Stadt wie ein Laken hing und scheinbar jeden mit seiner

trostlosen Depression ansteckte.

 

Er hinterließ eine Art Bild, das er zwar mit blühenden Blumen

gezeichnete hatte, um darin seine tiefe Traurigkeit zu verstecken,

doch der florierende Versuch seine Angst zu verstecken, schien wie

Quecksilber zu zerlaufen, da der Himmel seit Tagen und seit etlichen

Wochen mit diesem undurchdringlichen Grau getränkt war.

 

Die Magersucht des Frühlings ging schließlich so weit, dass er sich

jeden Tag ein bisschen mehr verlor, bis er schließlich den Kontakt

mit den Menschen abbrach und die starre Grauheit der

Selbstverletzung ihn vollständig zerfraß.

 

Die Menschen, die immer noch vom trüben Herbst und

vom tückischen Winter angeschlagen waren, erhofften

sich vom Lenze die ersten klaren Sonnenstunden, wobei

auch dieser die verlorene und im Grau ertrunkene

Lebensfreude schlussendlich verweigerte.

 

 

II

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich im

Zug saß und die müden Felder sah, die im Lichte wie

angelaufenes Silber glänzten und scheinbar im Takt mit dem

Regen tanzten.

 

Ich bekam erneut den Eindruck, dass der Frühling

an einer schweren Depression litt, da dieser ohne einen

ersichtlichen Grund in ein hysterisches Weinen ausbrach und

die brandenburgischen Länder und Erden mit seinen

Tränenperlen ertränkte.

 

Die dichten Nebelschwaden, die die Wälder vermeintlich

kleideten, prangten und glommen im schwachen Licht wie

Seide und hinterließen einen trüben Einblick darauf, was

mich auch im Spreewald erwarten würde:

Eine grazile Melancholie, die sich aus dem Elend und der

Vergänglichkeit gewoben hat.

 

 

III

Es fühlte sich seltsam an, wieder in Lübbenau zu stehen.

Mich durchzog ein Hauch von Befremdung, die einer

ungnädigen Angst glich.

 

Lag es daran, dass ich mir mal wieder Vorwürfe machte?

Oder lag es daran, dass ich mir diesmal die schlimmsten

Szenarien ausmalte und diesen zu meinem Leidwesen

auch Glauben schenkte?

 

Oder lag es einfach an der Tatsache, dass ich Angst hatte,

ein Mädchen zu begegnen, deren Leben ich beinah

vollkommen zerstörte?

 

Auch wenn sie mir meine Tat verziehen hat,

kann ich mir selbst diese Tat nicht vergeben.

Warum auch?

Ich war halt einer der drei Gründe,

wieso sie sich das Leben nehmen wollte.

Ich war daran schuld, dass ich ihre Liebe nicht

erwidern konnte…

 

 

IV

Es ist eigentlich schon recht paradox, dass,

wenn mich Mädchen lieben, dann kann ausgerechnet ich

ihre Liebe nicht erwidern. Wenn jedoch ich Mädchen

liebe, dann können sie meine Gefühle nicht erwidern.

 

Ist das Rache?

Oder doch Schicksal?

Ich weiß es nicht.

 

Doch ich wünschte, ich wüsste die Antwort.

So unglaublich sehr.

 

Inzwischen stand ich in der historischen Altstadt und

schaute dem verträumten Brunnenplätschern zu.

Die nassen Granitsteine glänzten wie Eis.

 

Dasselbige traf auch auf die daneben stehende Kirche

zu, die teilnahmslos auf dem Platz thronte und vom

Morgen geküsst und umarmt wurde.

 

Ich schaute mich um und betrat diese, wobei ich mich

im Gebäude noch fremder fühlte.

Die Kirche hatte scheinbar die Heiligkeit verloren,

denn ich fühlte mich noch leerer als zuvor.

 

Ich seufzte und ließ mich auf eine Holzbank fallen.

Ich fühlte mich erschöpft.

Und das sah man mir auch an.

Ich schaute mich um, doch meine

übermüdeten und mit tränengefüllten Augen

brannten, als ich das Kerzenlicht sah.

Ich seufzte erneut und schloss die Lider.

 

Ich erinnerte mich an einen Satz, der

während eines Streits fiel.

 

„Da wir beide ohne uns nicht leben

können, wäre es besser, wenn wir

sterben“, sagte sie und ich hörte

ihre weiche, aber schrille Stimme in

meinem Kopf.

 

„Nein“, hörte ich plötzlich meine

dumpfe Stimme in meinem Kopf

das Wort ergreifen.

 

„Ich will nicht sterben,

aber unsere Liebe ist hier das Gift.

Und sie verlangt von uns beiden, dass

wir sterben. Und nicht du.“

 

 

Berlin-Biesdorf-Süd;

09.02.2024

 

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