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Hera Klit

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Beiträge erstellt von Hera Klit

  1.  


    Es war schon fünf nach zwölf und ich bekam immer noch kein Auge zu. 
    Morgen sollte Vaters Fünfzigster gefeiert werden, da würde ich viel Kraft und innere Stärke benötigen.

    Man kann sagen, das war gewöhnlich der denkwürdigste Tag des Jahres,

    an dem die Spannungen zwischen Vater und mir regelmäßig bis zum Siedepunkt anstiegen.
    Meine Schwester hatte längst die Flucht ergriffen, doch ich hing mit meinen inzwischen einundzwanzig Jahren

    immer noch in diesem Haus fest.

    Ich empfand dieses Haus, mein Vaterhaus, als einen Käfig, aus dem ein Entrinnen unmöglich schien. 
    Zu allem Unglück war der Käfig nicht einmal vergoldet.

     

    Dabei hatte zwischen Vater und mir alles so gut begonnen.

    Ich war ein großes, schweres, rosig-gesundes Baby gewesen, anscheinend genau der Stammhalter,

    den er sich so sehr wünschte. Es wurde berichtet, er soll bei meiner Geburt vor Glück geweint haben. 
    Das Glück hielt nicht lange an, denn ich entwickelte mich leider nicht in der von ihm gewünschten Weise.

    Er war groß und stark und schön und schwarzhaarig und sah in jungen Jahren aus wie Elvis.

    Ich blieb klein und blond und schwächlich und sah bald aus wie Mutter in jungen Jahren.

    Ironischerweise kam meine Schwester ganz nach ihm.

    Sie versuchte eine Zeit lang der gewünschte Stammhalter zu sein.

    Der Versuch misslang, denn sie verfügte nicht über den dafür erforderlichen Penis.

    Sie verließ früh ihr Elternhaus und ihre größte Stärke war es,

    unglückliche Liebschaften mit verheirateten Männern vom Zaun zu brechen, bei denen sie regelmäßig mächtig draufzahlte.

    Aber das ist eine andere Geschichte.

     

    Ich besaß nicht den Mut und die Todesverachtung, die Vater von einem richtigen Jungen erwartete.

    Einmal stellte er eine lange Leiter an das Haus und befahl mir hochzuklettern. 
    Da ich unter Höhenangst litt, kam ich nur wenige Sprossen hoch, bis die Angst mich übermannte.

    Ich blieb stehen und verlangte, heruntergehoben zu werden.

    Er schüttelte angewidert den Kopf und sagte, es sei erbärmlich, wie ich an meinem bisschen Leben hinge.

     

    Wir hatten eine Landwirtschaft und ich musste schon früh hart arbeiten,

    Seite an Seite mit meinem von mir als übermächtigen empfundenen Herrn Vater.

    Niemals gelang es mir auch nur annähernd auf irgendeinem Gebiet an seine Leistung heranzukommen.

    Überall blieb ich weit hinter seinen Erwartungen zurück. Er gab mir keine Chance.

    Mich einmal gewinnen zu lassen, wie man es gewöhnlich mit einem Heranreifenden tut,

    kam ihm nicht in den Sinn. Er beabsichtigte scheinbar nicht, in mir so etwas wie Hoffnung auf Erfolg aufkeimen zu lassen.

     

    Es wurde mit den Jahren mehr und mehr deutlich, dass er es bedauerte,

    keinen würdigen Sohn und Nachfolger gezeugt zu haben. Er verlegte sich letztlich darauf,

    mich mit Verachtung zu strafen. Ich konnte tun, was ich wollte, es genügte nicht.

    Wollte ich ihm bei der Feldarbeit gar eines meiner liebsten Hölderlingedichte vortragen,

    dann lehnte er barsch ab. Er las in seiner Jugend nur Tarzancomics, das genügte ihm, um zu dem Mann zu werden, der er war.

     

    Dem Großvater war Hölderlin noch ein Trost gewesen. Er trug ihn im Tornister mit in einen
    ungerechten Krieg, in dem man ihn zwang, unschuldige Menschen zu erschießen.
    Lange verurteilte ich ihn dafür, bis ich einsah, welchen Mut es erfordern würde,

    den eigenen Genickschuss dem Schießen auf Fremde vorzuziehen.

    Fremde zudem, die dem allgemeinen Konsens nach als Feinde ausgemacht waren.

    Irgendwann wurde ich Realist genug, um einzusehen, dass ich in dieser Situation womöglich genauso gehandelt hätte.
    Alles andere sind Taten von Helden. Aber Helden sind oft wahnsinnig und mithin auch äußerst selten.

     

    Großvater zahlte für seine Taten, auch wenn sie nicht aus ihm selbst entsprangen,

    mit seinem Leben und kam nie zurück, er blieb verschollen, weit im Osten.

    Ein vergilbter Zettel mit der Nachricht seines leichten Todes und ein Brief,

    der mit einigen Hölderlinzeilen schloss, waren die letzten Zeugnisse von ihm, die Großmutter wie Schätze bewahrte.
    Zeitlebens hing sie seine Anzüge zum Lüften raus und kontrollierte seine verbliebenen Socken auf Löcher.

     

    Das Fehlen der Großväter meiner Generation lieferte uns Enkel schlecht erzogenen Vätern aus

    und dieser Umstand ist, glaube ich, in seiner Tragweite nie ausreichend beleuchtet worden.

     

    Mein Vater gehörte zur vaterlosen, erfolgreichen Nachkriegsgeneration,

    die Deutschland wieder aufbaute und die die romantische Landwirtschaft umkrempelte,

    um sie auf den Siegeszug der industriellen Revolution zu führen.

    Er gab die Pferde des Urgroßvaters unter dessen Tränen ins Schlachthaus

    und zwängte die freiheitsliebenden Hühner in Legebatterien.

    Er begradigte und vermehrte die Felder und betonierte den Hof.

    Exzessives Düngen und massivster Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wurden seine Säulen der Betriebsführung.

    Das Wort Umweltschutz war damals noch nicht erfunden worden.
    Als ich anfing, laut über biologischen Landbau nachzudenken,

    wurde ich endgültig zu Vaters Widersacher, dem der Hof nie in die Hände fallen dürfe.

    Er sorgte dafür, dass ich über den Status eines Knechtes auf dem Hof nie hinauskam.

     

    Wenn ich heute an meinen Vater zurückdenke, nachdem er die Welt bereits verlassen hat,

    sehe ich ihn hoch droben auf seinem sonnengelben, mächtigen Mähdrescher, mich keines Blickes würdigend fahren,

    während ich unten herumwusele, um abtrünnige Ährengarben in das gefräßige, ratternde Mähwerk zu reschen.

    Er würde niemals angehalten haben wegen mir. Auf ein Heruntersteigen durfte nicht gehofft werden.

     

    Wie aus Verzweiflung begann ich irgendwann, mich so zu verhalten,

    wie ich annahm, dass Vater es am meisten hassen würde. Besonders weibisch, linkisch und unmännlich.

    So war mir wenigstens ab und zu seine Aufmerksamkeit sicher, wenn es auch eine Aufmerksamkeit voller Verachtung war.

    Wer seinem Vater nicht genügt, der genügt der Welt nicht.

    Ich war kein Sohn, mit dem man im Wettstreit mit anderen Bauernpatriarchen auftrumpfen konnte. Ich musste unerwähnt bleiben.

     

    In der Schule war ich stets der Kleinste, in der langen Reihe ganz hinten eingeordnet

    und die Tanzstunde machte ich nicht mit, weil es kein Mädchen gab, das kleiner war als ich.

    Keine hätte auf mich als Tanzpartner herabschauen wollen.
    Vater war seinerzeit Tanzkönig gewesen, die entsprechenden Bilder schmückten noch immer den Kaminsims. 

     

    Einen bemerkenswerten Erfolg errang ich beim Theaterspielen in der Schule.
    Besonders in komischen Frauenrollen wusste ich zu gefallen.

    Mir war es egal, warum sie lachten, Hauptsache, ich war der Anlass des Lachens.

     

    Da es die Tradition in unserem Hause verlangte, dass alle an Vaters Geburtstag irgendetwas Einstudiertes darbringen sollten,

    um Vater zu ehren, musste auch ich etwas vorweisen. Irgendwann erkannte ich darin die Chance, mich selbst zu präsentieren. 

    Deswegen schlüpfte ich in Frauenrollen, das lag mir am nächsten.

    Gleichzeitig war ich mir sicher, damit Vaters ungeteilte Aufmerksamkeit und Ablehnung zu bekommen.

     

    Letztes Jahr hatte ich eine Donna Summer Parodie hingelegt.

    Ich performte ihren Skandaltitel „Love To Love You Baby“, vor Vater und einer großen Anzahl von Gästen.
    Mein Livegesang mit den lasziven Stöhneinlagen brachte Vater fast ins Grab.
    Mutter flehte mich danach an, keine Frauenrollen an Vaters Geburtstag mehr zu bringen,

    es stünde sowieso nicht gut um sein Herz. Sollte ich ihn auf dem Gewissen haben wollen,

    müsse ich nur so weiter machen. Es erstaunte mich schon, dass sie so an seinem bisschen Leben hing.

    Da ich es letztlich nicht übertreiben wollte, studierte ich für dieses Jahr Mutter zu Liebe, eine Mick-Jagger-Parodie ein. Der war ja nur so eine Art Frau.

     

    Morgen würde der Tag sein, an dem ein von allen hochgeschätzter, ehrbarer Mann gefeiert werden würde, der im Leben alles richtig gemacht hatte.
    Da ich in dieser Nacht vor Vaters Geburtstag noch immer nicht einschlafen konnte, beschloss ich mir ein Gina Wild Video anzuschauen

    und mich etwas in sie hineinzuversetzen und dabei zu entspannen.

    Die Gina war eine Frau, die ich zu gerne parodiert hätte und zwar mit allen Einzelheiten.

    Ich musste allerdings den Ton ganz leise stellen, denn im Nebenzimmer waren Onkel Heribert

    und Tante Mimmie aus der DDR einquartiert, sie verpassten Vaters Geburtstag nie.
    Alle wussten, dass Onkel Heribert ein Mann war, der nur aus gesellschaftlichen Konventionen heraus geheiratet hatte.

    Darüber durfte aber nicht geredet werden.
    Überflüssig zu erwähnen, dass er bei meinem Vater in keinem hohen Ansehen stand.

     

    Ich war so leise es irgend ging, aber dennoch klopfte es an meiner Zimmertür.
    Es war Onkel Heribert im Schlafanzug, der auch keinen Schlaf finden konnte, wegen des bevorstehenden Stresstages.

    Er frage sich, welche Frauenparodie ich wohl dieses Jahr zum besten geben würde und könne darüber einfach nicht einschlafen.
    Ich gestand ihm eingeknickt zu sein und mich für Mick Jagger als bisexuellen Kompromiss
    entschieden zu haben. Das enttäuschte ihn nicht wenig. Wieder ein Mann, den ich enttäuschen sollte? 

    Er hätte mich als Donna Summer sehr genossen, den Gesang, das Stöhnen und das aufregende Outfit.

    Gerade die silbernen Overknee-Stiefel hätten mir so gut gestanden.
    Ob ich die wohl noch besäße? Ich hatte sie natürlich noch, solche Perlen der Schuhmacherkunst wirft man ja nicht weg.

    Das gesamte Donna Summer Outfit lag noch in meinem Schrank. Ich war gerne bereit,

    es auf seinen speziellen Wunsch hin noch einmal anzuziehen und die Donna Summer für ihn zu machen.

    Ich tanzte ein bisschen und ich sang und ich stöhnte dazu ganz lasziv, aber leise, um Tante Mimmie nicht aufzuwecken. 
    Es wurde dann doch noch eine schöne Nacht. Wir machten durch bis um drei Uhr

    und hatten unsere kleine gemeinsame Revolution gegen das Establishment, von der niemand etwas erfuhr. 

     

    Am nächsten Tag beschloss ich, wegen Übermüdung dieses Jahr gar keine Parodie zu bringen, nicht einmal Mick Jagger.

    Man muss auch den Mut haben, sich gelegentlich einmal zu verweigern.

    Vater hingegen verlebte einen entspannten, glücklichen Tag.

     

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  2. vor 2 Stunden schrieb Rudolf Junginger:

    Hallo Hera Klit,

     

    mir gefällt deine autobiographische Geschichte sehr gut, weil sie sehr authentisch und lebensnah geschrieben ist. Auch reicht die scheinbar nur oberflächliche, geschickt in die Erzählung eingewobene Beschreibung der beiden Geschäftspartner als Hauptcharaktere der Geschichte mE aus, um deinem Literaturstück so etwas wie eine Moral oder Erkenntnis bezüglich Vorurteil und Oberflächlichkeit herauszulesen.

     

     

    Ganz zu Anfang wird Zelko als ein gutbürgerlich angepasster Mann in geordneten Familienverhältnissen beschrieben, während du das LI in einer gesellschaftlich weniger akzeptierten "wilden" Ehe mit Tochter lebt - was, im Rahmen konservativer Gesellschaftserwartungen, eventuell als eine Form von Leichtsinnigkeit gewertet werden könnte. 

     

     

    Beim Weiterlesen erfährt man aber, dass das LI sehr verantwortungsbewusst denkt und sich auch im Handeln von solchen Gesichtspunkten leiten lässt. 

     

     

    Das schleierhafte Zustandekommen des Kontaktes und folglich der Aufträge, lässt aber anklingen, dass Zelko in Wirklichkeit unter Umständen bereit ist, sich auf Kompromisse einzulassen und vielleicht hinter der Maske seiner Gutbürgerlichkeit, sogar ein "wilderes" Familienleben führt als das LI.

     

     

     

    Im weiteren Verlauf erfahren wir, das es Zelko, der allem Anschein nach, die Normregeln der Gesellschaft strikt einzuhalten scheint, eigentlich jemand ist, der, eventuell unter vorsätzlicher Ausnutzung seines rechtlichen Statuses, bereit ist, alle Risiken außer acht zu lassen, um seine persönlichen Ziele zu erreichen.

     

    Obwohl Zelko Zeuge einer sexuellen Belästigung des LI von Seiten eines Kunden wird, versucht er das LI unter allen Umständen zum Besuchen eines Networking-Events zu überreden, der vom handstreichlich werdenden Chef des Kundenunternehmens ausgerichtet wird und der der Firma einen großen Auftrag einbringen bzw. für die Zukunft des Unternehmens von Bedeutung sein könnte.

     

    Dies obwohl er sich offensichtlich an der für ihn anstößigen androgynen Natur des LI's zu stören zu scheint. 

     

    Das LI lehnt den Vertragsentwurf letztendlich ab. Die Gründe dafür, welche aus dem Vertragsinhalt und den damit verbundenen Haftpflichten für das hauptverantwortliche LI resultieren könnten, bleiben aber ungenannt. Wir wissen auch nicht, ob das LI die Einladung zur Party annahm oder nicht.  

    Wir erfahren aber im abschließenden Satz, dass die vom LI als Freundschaft beschriebene Zweckbeziehung zwischen Zelko und dem LI, mit der Betriebsschließung endete. 

    Es stellt sich dabei heraus, dass das am Anfang der Geschichte als eher unstet und leichtfüßig beschriebene LI eigentlich konservativere innere Werte pflegt, als der anfänglich als konservativ beschriebene Zelko.

    Deshalb interresant zu Lesen und nachdenklich stimmend. 

     

    Liebe Grüße

    Rudolf

     

    Vielen Dank für deinen Kommentar Rudolf.

     

    Richtig, wir erfahren nicht, ob das LI die Einladung annahm und auch nicht, warum der Auftrag nicht angenommen wurde.

    Die Risiken hätten aber zu 100 % bei dem LI gelegen.

     

    Auch eine Freundschaft kann sich als nicht tragfähig erweisen, wenn das Verhalten der Beteiligten nicht den Vorstellungen

    und Wünschen entspricht.

     

    LG Hera

  3. vor 19 Minuten schrieb Carlos:

    Ok, den Charakterzug, den du von diesem Mann beschreibst, ist nichts Besonderes. Die meisten Leser würden das als "normal" einstufen. 

    Auch mich langweilen Krimis. Dieses Genre wurde von Edgar Allan Poe kreiert mit seiner Erzählung "Der Doppelmord in der Rue Morgue".

    Heute glaubt jeder einen Kriminalroman schreiben zu müssen.

    Nach wie vor sind die ersten, mit seinen Antihelden Detektiv Figuren Dashiell Hamett und Raymund Chandler, die besten.

    Buddenbrooks ist die Geschichte von Thomas Manns Familie.

    Er soll homosexuelle Neigungen gehabt haben, darüber schreibt er aber nur indirekt, in seiner Novelle "Der Tod in Venedig". Es geht um einen alternden Schriftsteller, der sich in einen Knaben verliebt.

    Die Novelle wurde meisterhaft verfilmt von Luchino Visconti.

     

    Ich schreibe die Dinge auch, weil die meisten Leser es als normal empfinden ein bisschen homophob zu sein.

    Ich will eine Lanze für das dritte Geschlecht brechen.

    Den "Tod in Venedig" habe ich gerne gelesen, ich habe mich allerdings gewundert,

    dass Thomas Mann mit diesem starken Tobak so glimpflich durchkam.

    Ich möchte mit so einem Stoff nicht in Verbindung gebracht werden.

  4. vor 20 Minuten schrieb Carlos:

    Immer wenn man Autobiographisches verrät, muss man damit rechnen, dass man nicht verstanden bzw missverstanden wird. 

    Generell, wenn überhaupt, interessiert die Leser Beichte von berühmten Personen. 

    Ich brauche dir nicht zu erzählen, was die Leute gerne lesen ... Krimis, zum Beispiel. 

    Oder lustige Sachen. Et cetera.

    Um den Charakter deines Ex Geschäftspartners, ohne dass du sagst "er war verlogen, kleinkariert, etc.", damit sich die Leser eine eigene Meinung über ihn bilden, müsstest du viel mehr schreiben, einen Roman quasi. Nur, lohnt sich der Aufwand? 

     

    "Mich sprachen höchstens mal Männer auf der Straße an. Zelko wunderte sich nicht wenig darüber und schaute mich nachher immer so seltsam an, als wisse er nicht mehr, was er von mir halten solle und ob ich seine Achtung noch verdiente. Um solche Missgeschicke künftig zu vermeiden, könne er mir nur raten, etwas gegen mein weibisches Aussehen zu tun. Es sei auch ungeschickt, bei meinem zu prallen Hintern auch noch knallenge Röhrenjeans zu tragen. Ich hütete mich davor, ihm zu gestehen, dass ich solche „Missgeschicke“ irgendwie genoss."

     

    Diese Passage sollte über Zelkos Charakter Auskunft geben.

     

    Fast alle Schriftsteller verwenden autobiografisches Material.

    Thomas Mann und Hermann Hesse genauso wie Hölderlin und Bukowski.

    Sonst kann man nicht authentisch schreiben.

     

    Krimis langweilen mich leider ganz besonders.

  5. vor 14 Minuten schrieb Carlos:

    Wenn du die Szene gegen Ende, mit diesem Mann mit dem Staubsauger weglässt, bleibt nur eine INTERNA, sprich, eine längere Erklärung des Warums die Firma schließen musste, weil du dich weigerst, den für dein Empfinden zu großen Vertrag anzunehmen. 

    Die Preisgabe der intimen, überraschenden Situation macht die Geschichte nicht besser.

    Es war ganz anders in deiner vorherigen Geschichte, da war eine Entwicklung zu einem sich aus dem Ganzen ergebenden Ende.

     

    Natürlich ist die Geschichte autobiografisch.

     

    Ich habe sie hauptsächlich geschrieben, wegen der Staubsaugerszene und wegen der Einladung,

    die ich tatsächliche erhielt. Darauf war ich schon stolz, immerhin war es eine Einladung von dem Chef einer Frankfurter Künstleragentur. 

     

    Der Knackpunkt an der Geschichte ist für mich, dass Zelko mein Anderssein im Grunde nicht respektierte, bestimmt sogar verachtete,

    aber als es für die Firma nützlich war, verlangte er es praktisch von mir.

     

    Vielleicht habe ich das nicht deutlich genug gemacht.

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  6. vor 15 Minuten schrieb Carlos:

    Damit meine ich deine lyrische Begabung, dein Talent, deine Ehrlichkeit, deine Offenheit. Und auch was du in der Gesellschaft erreicht hast, dass du studiert hast und zwar was Praktisches, nicht Soziologie oder Politik, sodass dann als Taxifahrer endest. 

    Wie du in der Lage bist, etwas an einer Decke zu bohren und gleichzeitig den entstehenden Staub zu saugen. 

    Andererseits, du tust öffentlich was andere im Verborgenen.

    Das ist auch bewundernswert.

    Ich wollte nicht zu deiner Erzählung einfach ein Like geben oder ignorieren. 

    Es liest sich wie eine Eintragung in einem Tagebuch bzw ein Kapitel einer Autobiographie. 

     

    Also zu trocken?

  7. vor 15 Minuten schrieb Carlos:

    Es freut mich zu sehen, dass du meine Worte verstanden hast, wie ich sie meinte, was nicht selbstverständlich ist. 

    Allgemein gesagt habe ich von dir den Eindruck eines wunderbaren Menschen, der sich selbst das Leben kompliziert macht. 

     

     

    Vielleicht ist das gerade das Wunderbare?

    Ich bin nicht hier, um es mir oder irgendjemand leicht zu machen.

  8. vor 13 Minuten schrieb Carlos:

    Liebe Hera,

    es fällt mir schwer die Person, die du beschreibst, einzuordnen. 

    Angenommen dies wäre das Erste, dass ich von dir lese, ohne Nichts von dem Autor zu wissen. Ok, wenn es zu der Szene gegen Ende, mit dem Staubsauger, kommt, würde ich die Welt nicht verstehen.

    Auch wissend, was du über dich früher erzählt hast, fällt mir immer wieder schwer diese zwei oder drei Facetten deiner Persönlichkeit in einer Person vereint zu sehen. 

    Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich bestimmte Denkschablonen in meinem Kopf habe.

    Ich bewundere deine Intelligenz und dein praktisches Denken, was du auch von staatlichen Stellen, sprich Titeln beglaubigt bekommen hast.

    Du weißt, dass ich nicht prüde bin und offen sage, was ich von deinen Schriften halte. Du weißt, dass ich dich akzeptiere wie du bist, genauso wie ich alle anderen akzeptiere wie sie sind bzw ablehne, weil sie eitel, arrogant oder einfach dumm sind.

    Und trotzdem, ich sage es dir ganz ehrlich, weil ich dich schätze und bewundere, ohne den Anspruch dich ändern zu wollen, ich für mich, wie in einem Wunschtraum, mir würde es gefallen, wenn du mal aufwachen würdest und, mit deiner Frau und deiner Tochter eine Urlaubsreise planen würdest. Und dein Elektrogeschäft florieren würde.

    Und alles andere wäre nur ein Traum gewesen.

    Liebe Grüße 

    Carlos

     

     

    Ja, lieber Carlos,

     

    dann wäre ja alles hübsch in Ordnung und keiner bräuchte sich mehr Sorgen zu machen.

     

    Leider ist es nicht ganz so einfach.

    Ich will schreibend die ganze Problematik von allen Seiten beleuchten.

    Es gibt viele Gleichgesinnte, die mir bezeugen genau zu verstehen, um was es mir geht.

    Eine elegante Lösung habe ich bisher selbst noch nicht gefunden.

     

    LG Hera

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  9. vor 9 Stunden schrieb Elmar:

    menschlicher Fehlbarkeit und Schwäche i

    Vielen Dank Elmar, für deinen ausführlichen Kommentar.

    Ich konnte die ganze Zeit leider nicht antworten, weil mein System  nicht funktionierte.

     

    Die Moralvorstellungen der Menschen ändern sich mit dem Zeitgeist.

     

    Was vor 2000 Jahren mal "Sünde" war, kann durchaus heute erlaubt oder gar gewünscht sein.

     

    Ich glaube, diejenigen, die behaupten, wer sich selbst nicht verurteilt ist ohne Sünde

    liegen gar nicht so falsch.

     

    LG Hera

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  10. Zelko und ich führten einen Elektrofachbetrieb. Wir waren Studienkommilitonen gewesen. Unser Spezialgebiet war der Verkauf und die Montage von Satellitenanlagen. Bevor sich Kabel-TV in unserer Region durchsetzte, verdienten wir eigentlich recht gut damit.
    Das waren ein paar fette Jahre im halben Luxus.
    Da sich unsere Geschäftsräume mietfrei in den Räumlichkeiten des ehemaligen Bauernhofs meiner Eltern auf einem kleinen Dorf in der Nähe von Frankfurt befanden, hielten sich unsere Ausgaben in Grenzen.
    Umgebaute Stallungen waren Werkstatt und Lager und den großen Partyraum im Keller meines Elternhauses hatten wir als Büro eingerichtet. Wir machten das Ganze nicht zum Spaß, sondern um uns und unsere Familien zu ernähren. Zelko war verheiratet und hatte zwei Kinder, ich lebte in wilder Ehe mit einer Tochter. Ich versprach meiner Frau zu heiraten, wenn die Zeit günstig sei und die Auftragslage es zuließe.
    Als zweites Standbein neben den Sat-Anlagen erledigten wir als Subunternehmer Aufträge für eine Frankfurter Architektin. Die Babascheck. Eine sehr attraktive, fast mondän wirkende Tschechin. Sie hatte sich in Frankfurt einen Namen gemacht und man munkelte, dass bei ihrem Aufstieg ihre Schönheit nicht ganz unwichtig gewesen sein soll. Meistens bekamen wir von ihr nur Montageaufträge für erlesene italienischen Designer Lampensysteme. Ich mochte diese Aufträge nicht besonders. Wir mussten dann immer nach Frankfurt rein und in irgendwelchen Schickimickiläden den Edelmonteur spielen. Kein Stäubchen Schmutz durfte gemacht werden dabei. Immer musste man mit rechts bohren und mit links den Bohrstaub aufsaugen, unter den kontrollierenden Augen gut betuchter, überempfindlicher Auftraggeber. Das war anstrengend.
    Der Kontakt zur Babascheck war über Zelko zustande gekommen. Die beiden hatten eine Vergangenheit, das war mir schon klar, aber welche, habe ich nie herausbekommen.
    Sie gingen recht vertraut miteinander um. Manchmal fast zu vertraut. In dem Zusammenhang muss man wissen, dass auch mein Freund und Geschäftspartner Zelko außergewöhnlich attraktiv war. Gelegentlich kam ich mir neben ihm ein bisschen wie ein Mauerblümchen vor, das muss ich gestehen. Jedenfalls habe ich mehrfach erlebt, dass Frauen ihn auf offener Straße ansprachen, das ist mir eigentlich nie passiert. Mich sprachen höchstens mal Männer auf der Straße an. Zelko wunderte sich nicht wenig darüber und schaute mich nachher immer so seltsam an, als wisse er nicht mehr, was er von mir halten solle und ob ich seine Achtung noch verdiente. Um solche Missgeschicke künftig zu vermeiden, könne er mir nur raten, etwas gegen mein weibisches Aussehen zu tun. Es sei auch ungeschickt, bei meinem zu prallen Hintern auch noch knallenge Röhrenjeans zu tragen. Ich hütete mich davor, ihm zu gestehen, dass ich solche „Missgeschicke“ irgendwie genoss.
    Zelko war väterlicherseits Bulgare. Er hatte aber einen Makel, denn im Gegensatz zu mir verfügte er nicht über ein Diplom und so war ich der Ingenieur mit der Lizenz, an dem die ganze rechtliche Sache hing. Würde irgendwas schief gehen, bekämen sie mich dran. Eine Betriebshaftpflicht über 2 Millionen beruhigte mich nur mäßig. Manchmal, wenn ich alleine war, hatte ich Panikattacken.
    In letzter Zeit gab es Spannungen zwischen Zelko und mir. Der Grund war ein von der Babascheck in Aussicht gestellter Großauftrag für uns. Das Neu-Isenburg-Zentrum, ein großes Einkaufszentrum, sollte renoviert werden, von Grund auf. Die Babascheck war die leitende Architektin und wollte uns für die gesamten Elektroarbeiten als Subunternehmer unter Vertrag nehmen. Meiner Meinung nach war unsere Firma dafür viel zu klein und das Risiko war mir zu groß. Wir hätten dann viele Leiharbeiter beschäftigen müssen, auch das missfiel mir. Außerdem wollte ich nicht ganz in die Hände der Babascheck fallen, ich kannte Firmen, denen das zum Verhängnis geworden war. Zelko wollte den Auftrag unbedingt und redete bei jeder Gelegenheit auf mich ein. Meine Panikattacken häuften sich. Ich hoffte, nie wieder etwas von der Babascheck zu hören.
    Doch dann gab sie uns einen Auftrag für die Montage zweier Lampensysteme in einer Künstleragentur in Frankfurt, bei persönlichen Freunden von ihr. Da wir unsere zwei pakistanischen Elektrohelfer so was nicht machen lassen konnten, fuhren Zelko und ich selbst hin. Unsere Pakistani schraubten unterdessen eine Sat-Anlage auf ein Dach in meinem Heimatdorf.
    Die ganze Fahrt über redete Zelko auf mich ein, wegen des Großauftrags im Neu-Isenburg-Zentrum. Ich sah mich außerstande klein bei zu geben, ich hatte nicht sein sonniges Gemüt. Er blendete für meine Begriffe sämtliche Gefahren einfach aus.
    Natürlich war die Künstleragentur ein Hochglanzladen, wie zu erwarten. Die beiden Chefs, zwei Mittfünfziger in feinstem modischen Zwirn, beobachteten misstrauisch jeden einzelnen Handgriff, den wir taten. Es sollte in beiden Chefbüros eine aufwendige Lampenkonstruktion direkt über den Schreibtischen der Bosse montiert werden.
    Zelko arbeitete in dem einen Büro, ich in dem anderen.
    Ich stand auf der Leiter und bohrte mit rechts und hielt links dabei den Staubsauger nahe ans Bohrloch, um nur ja kein Stäubchen herunter rieseln zu lassen und der Herr des Büros sprang unter mir, zwischen meinen Beinen herum und beobachtete mein Tun.
    Fast rutschte mir der Staubsauger aus der Hand. Da sagte der Chef von unten, "Das Saugen kann ich doch übernehmen.“, und reckte dabei seine Hand zu mir hoch. Ich gab ihm den Sauger, was sollte ich tun. Zu meinem Erstaunen begann er aber mein Hosenbein unten einzusaugen. Ich hielt dies zunächst für ein Versehen. Aber dann riss er den Saugstutzen los und saugte sich sogleich weiter oben an meinem Bein wieder fest. Das konnte eigentlich kaum noch ein Zufall sein. Ich konnte nicht weiter bohren, ließ die Maschine aber laufen. Ich stand oben und musste zusehen wie er sich immer höher an meinen Beinen festsaugte, blob, blob, blob..., bis er in meinem Schritt angekommen war. Das schmerzte schon etwas. Ich zuckte merklich zusammen.
    Dies schien ihm eine helle Freude zu bereiten, jedenfalls lachte er dabei diebisch wie ein Kind, das etwas Verbotenes tut. Er stellte den Sauger aus und ich die Bohrmaschine.
    Ich war etwas perplex und konnte nicht recht einordnen, was da geschah, deswegen ließ ich es sogar geschehen, dass er mich wie zur Entschuldigung für die zugefügten Schmerzen im Schritt sanft rieb. Er bedauere es, mich vielleicht verletzt zu haben. Dann fragte er mich, was ich am Wochenende vor hätte, er gäbe eine kleine Party für ausgesuchte Gäste. Seine Hand blieb dabei konsequent in meinem Schritt.
    Erst jetzt bemerkte ich Zelko und den zweiten Boss in der offenen Tür stehend, beide mit überrascht staunenden Gesichtern.
    Auf der Heimfahrt empfahl mir Zelko die Einladung anzunehmen. Meine Frau müsse davon ja nichts erfahren. Eine Ablehnung könne womöglich Staub aufwirbeln. Möglich, dass der Babascheck dann sonst was zugetragen würde, um sie gegen uns aufzubringen.
    Sogar der Großauftrag könne daran scheitern.
    Ich musste mir das Ganze noch überlegen.
    Eines Tages kam der Vertragsentwurf für den Großauftrag.
    Ich lehnte dankend ab.
    Zwei Jahre später schlossen Zelko und ich die Tore unseres Betriebes für immer.
    Seitdem haben wir keinerlei Kontakt mehr miteinander gehabt.

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  11. vor 10 Minuten schrieb Carlos:

    Liebe Hera,

    nicht Jesus salbte die Füße der Sünderin, sondern umgekehrt.

    Und als er ihr sagte, sie soll gehen und nicht mehr sündigen, war früher, in einer anderer Situation, als Menschen sie besteinigen wollten weil sie beim sündigen ertappt worden war. Jesus sagt zu diesen Menschen: "Wer frei vom Sünde ist, der werfe den ersten Stein". Und anschließend zu ihr, als die, die sie besteinigen wollten schweigend weggegangen waren: "Wo sind die, die dich besteinigen wollten? Gehe und sündige nicht mehr ". 

    Wie du siehst, ich musste gleich Jesus im Schutz nehmen. Jener Mensch hat nichts mit seinen Vertretern am Hut. 

    Deine Geschichte liest sich wie eine aus Boccaccios Dekameron.

    Liebe Grüße

    Carlos

    Vielen Dank lieber Carlos. Das meinte ich ja eben, dass er sagte, sündige nicht mehr,

    statt zu sagen, du hast keine Sünde begangen.

     

    LG Hera

  12. vor 2 Minuten schrieb Hase:

    Hallo @Hera Klit,

    Ich glaube der, der zu sein man bestimmt ist, ist man in seinem tiefsten Innern bereits, war man immer, und wird man auch immer sein. Man muss nur den Entschluss wagen, und vor allem den Mut aufbringen, sich selbst einzugestehen, wer man ist, und diesen Menschen anzunehmen.

     

    Ich habe deinen Text sehr gerne gelesen,

     

    Viele Grüße,

    Hase

    Erkenne dich selbst, klingt unheimlich einfach, ist es aber oft leider nicht.

     

    Vielen Dank.

     

    LG Hera

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  13. vor 15 Minuten schrieb gummibaum:

    Liebe/r Hera Klit,

     

    sehr amüsant zu lesen. Der Durchbruch zur andern Seite muss ja nicht unbedingt geistiger Natur sein.

     

    Grüße von gummibaum

     

     

    Vielen Dank. LG Hera

    vor 5 Minuten schrieb Herbert Kaiser:

    Der Mensch ist ein Sucher, zeitlebens, wenn er sich nicht im Irdischen gänzlich verloren hat. Castaneda und später Esoteriker waren auch meine Wegbegleiter - vor allem Osho hatte es mir angetan. Und nach einigen Satsangs wurde mir klar, dass von außen dir niemand etwas geben kann, kein Guru und kein Erleuchteter - der Mensch ist schon vollkommen in seiner Unvollkommenheit. Ein Durchbruch zur Transzendenz scheint erst mit dem physischen Tod zu erfolgen.

     

    Deine Zeilen sind so ehrlich geschrieben, dass ich nur zustimmend nicken kann!

     

    Ganz liebe Grüße 

    HERBERT

    Ich fühle mich von dir verstanden. Vielen Dank dafür.

     

    LG Hera

  14. Durchbruch zur anderen Seite

    Ich war damals schwer auf der Suche. Was ich suchte, hätte ich keinem genau erklären können,

    nicht mal mir selbst, aber es waren Zeiten, in denen es schick war, ein Sucher zu sein.

    Man wollte durchbrechen auf die andere Seite und vernachlässigte deswegen diese Seite erheblich.

    Ich las Castaneda und nahm mir Don Juan zum Lehrer. Ich versuchte es mit Steiner und der Theosophie,

    erlangte aber trotz intensiven Bemühens keine Erkenntnis wie auch immer gearteter höherer Welten.

    Nisargadatta erklärte mir, ich sei schon erleuchtet, doch ich fühlte es einfach nicht.

    Wohin ich mich auch wandte, sie konnten mir nicht helfen, mein Schleier vor der Wirklichkeit blieb hartnäckig bestehen.

    Und ich litt weiter an dieser Wirklichkeit, der irgendetwas fehlte, um mich glücklich zu machen.

    Ich fühlte mich unpassend in dieser Welt, nichts konnte mich wirklich zufriedenstellen.

    Ich war verheiratet und wir hatten ein Baby, aber weder die Ehe noch das Vatersein erfüllten mich in meinem tiefsten Inneren.

    Da blieb immer diese undefinierbare Sehnsucht in mir.

    Eigentlich war ich in diese Ehe hineingerutscht, wie das vielen Lebensunschlüssigen geschieht.

    Andere übernehmen für sie die Entscheidungen. Meine Frau gestand mir einmal, dass gerade meine unmännliche Art sie bewogen habe,

    mich auszusuchen, denn sie litt damals noch an einer gescheiterten Ehe mit einem machohaften Tyrannen. Ich gestand ihr nicht,

    dass ich heimlich Hormone nahm, um meine Unmännlichkeit zu erhalten, warum auch, sie hätte es nicht verstanden,

    eigentlich verstand ich es ja selbst nicht. Ich selbst glaubte damals nicht wirklich bei einer Frau das finden zu können, was ich suchte.

    Deswegen suchte ich spirituell.

    Buddhismus, Hinduismus, Lamaismus, all die Hilfen, die bei vielen anderen fruchteten, holten mich nicht raus aus meinem Dilemma,

    sodass ich mich eines Tages auf die Idee verstieg, einem westlichen Menschen und Europäer wie mir musste das zu fern liegen,

    ich sollte es mit dem heimischen, in Europa tief verwurzelten Christentum versuchen.

    Da ich mit einem Kumpel aus dem Elektrotechnikstudium eine kleine Elektrofirma betrieb und somit mein eigener Boss war

    und meine Zeiten frei einteilen konnte, beschloss ich mich nebenher in Theologie einzuschreiben, denn es würde mir möglich sein,

    mich für die wichtigsten Vorlesungen und Seminare frei zu machen. Meiner Frau blieb nichts anderes übrig,

    als der Sache zuzustimmen und unsere Tochter war noch zu klein, um Zweifel daran anzumelden.

    Meine Frau musste auch tolerieren, dass ich in dieser Zeit meinen ehelichen Pflichten nicht nachkam,

    denn ich fühlte mich so heilig und berufen, dass ich mich zu solchen profanen Dingen nicht hergeben wollte.

    Ich glaube, es war ihr ganz recht, in Ruhe gelassen zu werden.

    Jede Taube, die in Sichtweite vor mir landete, erachtete ich als ein Zeichen des Heiligen Geistes.

    Ich fiel dann innerlich auf die Knie und bedankte mich für seine Zustimmung zu meinem eingeschlagenen Weg.

    Ich versuchte es jetzt mit der Abgeschiedenheit Meister Eckhardts und der Einfachheit des Franz von Assisi,

    der seinem Vater die Klamotten vor die Füße warf, um aus der Tretmühle auszusteigen.

    Christliche Armut wurde mir zum Lobenswertesten und Erstrebenswertesten.

    So vorgestimmt erschienen mir die nun besuchten Vorlesungen und Seminare der Theologie zu irdisch,

    zu pragmatisch und akademisch zweckorientiert.

    Nur ein Seminar bei einem durchgeistigten, greisenhaften Professor, der oft über die Übel der Welt zeterte,

    erreichte annähernd die Reinheit und Erhabenheit, die mir vorschwebte.

    Hier fühlte ich mich angekommen und verstanden. Ergriffen lauschten ich und wenige Gleichgesinnte seinen weisen Worten.

    Er würde mir die Tür öffnen, das fühlte ich. Jeden Dienstagmorgen fand das Seminar in einem feudalen Haus an der Stadtparkmauer statt.

    Danach irrte ich immer noch eins, zwei Stunden durch den Park, weltabgewandt, entrückt und über das Gehörte sinnierend.

    Ich fühlte, der Schlüssel wurde mir gereicht, ich musste ihn nur noch rumdrehen. Das ging eine ganze Weile so, bis ich anfing, erste Zweifel zu hegen,

    denn die Tür wollte wieder nicht aufgehen.

    Und so saß ich bald nur noch nach jeder Seminarstunde auf einer Parkbank herum und schaute von Mal zu Mal verzweifelnder in die Baumkronen.

    Plötzlich sprach mich jemand an: „Da ist, glaube ich noch jemand, der kurz davor ist, tiefe Erkenntnis zu gewinnen.“

    Ich blickte in das freundliche Gesicht eines älteren Kommilitonen,

    den ich vom Sehen aus dem Seminar kannte und der sich auch gleich neben mich setzte und sich als Hubertus, vorstellte.

    Er sei nur als Gasthörer eingeschrieben und studiere als Rentner nur interessehalber.

    Zunächst fühlte ich etwas Ablehnung in mir, zum einen, weil ich gerne allein gelassen wurde und zum anderen,

    weil ich Leute, die so eine Sache nicht ernst nahmen, grundsätzlich nicht respektieren konnte.

    Bei seiner weiteren Rede jedoch wurde mehr und mehr deutlich, dass er auf seinem spirituellen Weg doch schon viel weiter gekommen war als ich.

    Ich hörte dies aus versteckten Anspielungen und halbverborgenen Offenbarungen, die er fast achtlos in das Gesprochene einflocht.

    Kurz, er war der erste noch lebende Mensch, dem es seit gefühlten Ewigkeiten gelang, mich für sich zu interessieren.

    Wir diskutierten fortan viel über den Stoff des Seminars und kamen zur gemeinsamen Erkenntnis der Unzulänglichkeit desselben.

    Bald wurden für mich unsere Treffen im Park wichtiger als das eigentliche Seminar davor.

    Ich konnte Hubertus so viel fragen über Dinge, die mir am Herzen lagen, und er hatte eigentlich immer eine befriedigende Antwort darauf.

    Zum Beispiel hatte ich mich immer gefragt, warum Jesus der Sünderin zwar die Füße salbte und ihr ihre Sünden vergab und sie aufforderte,

    nun nicht mehr zu sündigen, aber warum er überhaupt ihre Taten als Sünde verstand und somit brandmarkte.

    War Jesus wirklich so leibfeindlich und moralisierend gewesen und bestand er darauf, sich zu mäßigen?

    Hubertus erklärte mir jedoch, dass dies eine von vielen Stellen der deutschen Bibel sei, die durch Übersetzungsfehler verfälscht wurden.

    Jesus sei ein lebenslustiger Mensch gewesen, der auch die Freuden des Leibes genossen hätte, wie jeder natürliche, gesunde Mensch.

    Dadurch fiel viel Bedrückendes von meinem Herzen ab und ich rückte näher auf der Bank an Hubertus meinen Erlöser heran.

    Ich fühlte mich angenommen und er schien mich annehmen zu wollen. Es entwickelte sich eine richtige Freundschaft,

    aber nicht eine Freundschaft von Gleichen, sondern eine Freundschaft von einem Hinaufblickenden zu einem gütig Lenkenden.

    Bald lud er mich zu sich nach Hause ein, er hatte eine Wohnung ganz in der Nähe.

    Ich staunte nicht schlecht über seine Belesenheit, er besaß alle wichtigen spirituellen Schriften und hatte sie sämtlich gelesen und verinnerlicht.

    Ich verbrachte meine Dienstagnachmittage von nun an gewöhnlich bei ihm.

    Es stellte sich heraus, dass er zunächst Masseur gelernt und nachher noch eine Heilpraktikerausbildung im Geiste des Paracelsus absolviert hatte.

    Ich fand, es sei an der Zeit, die Sache mit den Hormonen zu gestehen. Ich tat es angsterfüllt, denn ich glaubte, er würde mir die Tür weisen, für immer.

    Doch es geschah nichts dergleichen, im Gegenteil, er gab mir bessere. Welche die wirkliche Wirkung zeitigen würden. Er hatte seine Quellen.

    Er hielt mein Tun für richtig, denn man dürfe sich seiner wahren Natur nicht in den Weg stellen.

    Ich wusste nicht recht, was meine wahre Natur seiner Meinung nach sein sollte, gab ihm aber wie immer recht.

    Er schmunzelte, als ich ihm gestand, noch nie Bartwuchs gehabt zu haben und dies auch nicht zu wollen.

    Er hatte einen gepflegt aussehenden geschlossenen Bart, wie ich ihn bei Männern schon immer anziehend fand.

    Und die Wochen und Monate gingen ins Land und unsere Vertrautheit miteinander wuchs.

    So hatte ich letztlich nichts dagegen, von Hubertus während unserer Diskussionen im Nacken und auf den Schultern massiert zu werden.

    Es löste sich mache hartnäckige Verspannung unter seinen kundigen starken Händen.

    Ich setzte mich dann immer vor ihn, zwischen seine Beine auf seinem breiten Ledersofa.

    Selbst als er mir eines Tages gebot, zur intensiveren Einwirkung seiner Hände, mein Hemd doch lieber auszuziehen, gestand ich dies bereitwillig ein.

    Er war doch professioneller Masseur und die massieren doch immer direkt auf der nackten Haut.

    So konnte er auch meine Haut zuvor einölen, was zusätzlich sehr gut tat und die heilende Wirkung noch verstärkte.

    Selbst meine Frau begann sich in der Zeit über mein, sich mehr und mehr aufhellendes Wesen zu freuen

    und schrieb dies der Wirkung meines Theologiestudiums zu. Sie freute sich, dass ich wohl das Richtige für mich gefunden hatte.

    Und so glitten die Hände von Hubertus weiter, jeden Dienstag über meinen mittlerweile schon recht entspannten Nacken

    und meine bereits geschmeidigen Schultern, während wir über spirituelle Erkenntnisse plauderten.

    Doch eines Tages fanden seine Hände ihren Weg zu meinem, sich inzwischen dank der Hormone recht deutlich abzeichnenden Busen

    und er flüsterte mir ins Ohr, sie seien wie Rehzwillinge, die unter Rosen weiden und mich überlief ein zarter,

    überwältigender Schauer bis in meine tiefsten Zonen hinein, sodass ich mich zu ihm umdrehte und ihm küssend in die Arme sank.

    Es zeigte sich, dass er mir auch auf diesem Gebiet schon weit voraus war und ich musste ihm nur folgen, um mein bisher nur erahntes Ziel zu erreichen.

    Er war der Wissende und Kundige auch hier und ich konnte mich in der Art einer Frau fallen lassen und alles erfahren und erfühlen.

    Und all dies war keine Sünde, denn Jesus hatte uns ja bereits verziehen.

     

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  15. vor 8 Minuten schrieb Carlos:

    Liebe Hera, 

    ich bin noch vom Feiern etwas lädiert, mein Hirn will noch nicht so richtig arbeiten.

    In den letzten beiden Strophen sagst sehr subtil die Veränderung, die die Zeit bei dir gebracht hat. Und dieses "neben der langsam verblassenden Erinnerung an dich" ist unheimlich gut. Es ist etwas jenseits der Melancholie und der Traurigkeit.

    Und wie sich alles relativiert.

    So, jetzt habe ich, annähernd, gesagt, was ich sagen wollte.

    Machs gut.

    Carlos

     

     

    Weil wir noch weniger hatten. LG Hera

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  16. vor 1 Minute schrieb Ostseemoewe:

    Liebe Hera

    Du hast einen Weg gezeigt der das Altern erträglich macht. Vielleicht ist es sogar eine Möglichkeit mit gemeinsamen Erinnerungen alleine dann die Wege zu gehen. Ich wünschte es mir.

    Dir wünsche ich ein gutes neues Jahr 

    Liebe Grüße Ilona 

    Danke gleichfalls Ilona, alles Gute. LG Hera

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  17.  

    Schon als junges Paar gingen
    wir gerne im Kurpark spazieren.

     

    Wir trafen viele alte
    Paare aus den 
    Seniorenresidenzen am Park.

     

    Und sie kramten für uns ihre
    langsam verblassenden Erinnerungen
    hervor, von verliebten Jahren,
    Karrieren, Kindern, Hunden
    und dem trostlosen gemeinsamen Altern.

     

    Wir waren stets sehr gerührt und betroffen und
    nahmen uns fester an die Hand.

     

    Heute gehe ich wieder öfter alleine durch
    den Park und ich höre immer noch
    die gleichen Geschichten.

     

    Aber sie kommen mir 
    neben der langsam verblassenden Erinnerung
    an dich, gar nicht mehr so trostlos vor.


     

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  18. vor 4 Stunden schrieb Carlos:

    Liebe Hera,

    ich würde den letzten, erklärenden Vers, weg machen.

    Es ist eigentlich kein Vers, sondern eine Bemerkung die das Gedicht schwächt.

    Ja, aus der Druckfassung lasse ich es evtl. raus.  LG Hera

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  19. Faschingsdienstag


    Als ich ein zartes Knäblein war, gab es einen
    Tag im Jahr, auf den freute ich mich wie Bolle.

     

    Das war der Faschingsdienstag.
    Da ging es ab im großen Saal der Dorfkneipe,
    gerade bei uns gegenüber.

     

    An dem Tag tobte ich mich jedes Jahr fast
    bis zur Besinnungslosigkeit aus.
    Meist ging ich als Cowboy mit zwei schweren Colts an der Seite.
    Ich verfolgte Mädchen durch den Saal, durch den Hof
    bis in den Mädchenkloflur hinein.
    Unablässig ballernd aus zwei heißen Rohren.
    Leider war meine Munition oft schon nach einer Stunde verbraucht.

     

    In den letzten Jahren ging ich aber immer öfter als Indianer hin.
    Das seidig glänzende, lange Haar, so fand ich, stände mir gut.
    Trotzdem genügte mir das Tomahawk nicht.
    Eine Pistole hatte ich dabei.
    Mit der musste ich mich aber ständig gegen ballernde,
    angreifende Cowboys erwehren.
    Ich löste womöglich ihren Killerinstinkt aus.

     

    Doch dann stieß ich auf die Pippi Langstrumpf 
    Bücher, ich verschlang sie alle.
    Pippi faszinierte mich.
    Sie war ein Mädchen, aber stark.
    Kurz: Ich wollte dieses Jahr als Pippi zum Fasching.
    Mutter zögerte lange, gab meinem Flehen aber nach.

     

    Und da stand ich nun unter dem Schmunzeln der anderen Mütter
    als Pippi auf dem Parkett, an meinem Faschingsdienstag.
    Diese roten Haare mit abstehenden Zöpfen,
    die Sommersprossen und die langen Strümpfe.
    Ich war die Pippi.
    Eine Waffe hatte ich allerdings nicht dabei. 
    Mutter meinte, das passe nicht zu Pippi.

     

    Kaum war ich auf dem Parkett, stürzte sich eine
    Schar wild gewordener Cowboys auf mich.
    Ich musste flüchten, ich hatte kein Schießeisen.
    Sie verfolgten mich durch den Saal, durch den Hof
    bis in den Flur des Mädchenklos hinein.

    Sie machten ihre Kanonen vor meinem Gesicht
    leer bis zur letzten Patrone.

     

    Das war eine ganz neue Erfahrung für mich.


     

  20. vor 12 Minuten schrieb Rudolf Junginger:

    Jah Man, Hera,

     

    "Love the life you live. Live the life you love". Das will ich dir und allen anderen für das neue Jahr  wünschen - einen guten Rutsch.

     

    LG

    Rudolf

    Danke gleichfalls mein Lieber. LG Hera 

  21. vor 5 Stunden schrieb herr-kules:

    Rinderwahn

     

    Es ist zu vermeiden

    dass Kühe leiden,

    wenn sie nur in Stellen stehen,

    bevor sie dann zum Schlachthof gehen,

    um dort in großen Mengen

    abzuhängen.

     

    Besser ist es doch.

    wenn sie auf Weiden liegen,

    Kälbchen kriegen

    und auch länger noch,

    am wiederkäuen

    sich erfreuen.

     

    PS.

    Schön  wär`s

    es liegt nur die

    die es auch will,

    um sich zu wärmen

    auf einen Grill.

     

    herr kules

    Ich als Vegetarierin, kann die Notwendigkeit des Grills nicht sehen. LG Hera 

  22. vor 2 Stunden schrieb Darkjuls:

    Weil sie schwer trägt an der Zeit

    in der Gefühle wortlos schreien

    ihr nur noch Erinn´rung bleibt

    Schatten ihre Seele zeichnen

     

    Allein zu leben, fade schmeckt

    Farben sich im Grau vereinen

    sie sich vor der Welt versteckt

    dort den Kummer zu beweinen

     

    Fehlt das Wertvollste im Leben

    ist Verlust nicht zu beschreiben

    wird sie tonlos Auskunft geben

    die Liebe sich in Trauer kleiden

     

     

    "Die Zeit heilt alle Wunden. " klingt unheimlich banal, besonders am Anfang, aber mit der Zeit gesteht man sich ein, dass es stimmt. LG Hera

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