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Dein Leben beginnt dich gerade wieder Stück für Stück zu zerlegen.
Dabei fiel es mir schon immer schwer, lebenswertes in deinem Lebenslauf zu finden. Deine Eltern wurden nicht müde, dir zu zeigen, wie wenig sie dich wollten. Aber weil du schon mal da warst und Ressourcen verbrauchtest, die sie eigentlich nicht hatten, durftest du jeden kargen Krümel abarbeiten, während sie sich in ihrer Nutzlosigkeit suhlten.

Auf engstem Raum musstest du sie Tag für Tag und Nacht für Nacht ertragen und bedienen. Sie nach ihren perversen Liebesspielen reinigen und füttern, immer zur Stelle sein, wenn sie mit dem Finger schnippten. Deine Jahre kannten einfach keinen Sommer bei so viel sozialer Eiseskälte. Erstaunlich, wie ein junger Mensch eine solche Hölle ertragen konnte. Wahrscheinlich lag es daran, weil es deine Normalität war und du nicht kanntest, wie es eigentlich sein sollte.

Obwohl sie dich vor dem freien Leben so gut wie möglich verbargen und wie ein Tier hielten, war eine totale Abschottung nicht möglich. Besonders wenn sie sich ihren Exzessen hingaben und tagelang im Delirium versanken. Dann war deine Zeit gekommen, die Welt in einem bescheidenen Rahmen zu erkunden. Bruchstücke von Normalität aufzusammeln und tief in dir wie einen Schatz zu verbergen und an den dunklen Tagen von ihnen zu zehren. Sie waren deine Seelennahrung. Auch die wenigen Momente von Zuneigung, wenn du besonders gefügig warst, ließen dich erahnen, dass unter dem Blau des Himmels mehr sein musste als das, was man dich erfahren ließ.

Eines Tages kam es, wie es kommen musste und deine Erzeuger fielen ihren schmutzigen und billigen Drogen zum Opfer. Du fandest sie verkrampft und in ihrem eigenen stinkenden Unrat liegend, tot vor. Nur eine einzige Träne hattest du für sie übrig, bevor dich das Jugendamt von der einen in die nächste Hölle schickte.

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In deinem zweiten Zuhause, dem Weisenheim, solltest du lernen, was Gewalt heißt und was diese mit einem Menschen anrichten konnte. Du schautest in die Abgründe von Gier und Neid, schmerzvoll brachte man dir bei, dich in eine Hierarchie einzuordnen, dir deinen Platz zu erkämpfen. Langsam wurdest du dir deiner Stärke und Macht bewusst und zum ersten Mal in deinem Leben kostetest du von ihr. Fordertest von Unterlegenen den Gehorsam, den du anderen entgegenbringen musstest, die über dir standen. Zwangst, andere dich zu lieben, auch wenn du ihrer Liebe schnell überdrüssig wurdest, weil du sie nicht ertragen konntes. Selbst wenn sie echt war!

Es waren Jahre des Wachsens, wenn sie auch alles andere als schön und heimelig waren, gingst du gestärkt aus ihnen hervor, wurdest zum Teil Mensch. Erkanntest deine Stärken und Schwächen, die vor und Nachteile sozialer Bindungen, was liebe bedeuten konnte, wenn sie ehrlich war und wie viel Kraft in ihr lag. All das ließ dich erst begreifen, was deine Peiniger dir jahrelang angetan und verwehrt hatten. Jetzt wusstest du, deine bis dato chaotische Gefühlswelt einzuordnen und auf wenn du diesen tiefen unterschwelligen Hass in dir projizieren musstest, um nicht zu zerbrechen. Du warst kurz befreit und das Blau des Himmels ließ dich hoffen, irgendwann zu erblühen, und all das erlebte einfach hinter dir zu lassen.

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Doch das Schicksal hatte anderes mit dir vor, zeigte dir den Himmel von seiner dunkelsten Seite, indem er dir die einzige Person nahm, die dir das Gefühl gab, was Familie bedeuten könnte, obwohl du keinerlei Vergleichsmöglichkeit hattest. Du spürtest einen Schmerz in deiner Brust und einen Riss in deinem Herzen. Die Erkenntnis traf dich wie ein Schlag. Trotz deiner unmenschlichen Vergangenheit warst du zu einer Bindung fähig, die über das Überleben hinausging. Du nahmst in deiner Verletztheit und Hilflosigkeit Reißaus, verkrochst dich in der Natur, um dich dem Schmerz zu ergeben, der nun unzähligen Tränen Ausdruck verlieh.

Dein Überlebensinstinkt weckte dich irgendwann aus deiner Trauer und du hattest keinerlei Ahnung, wie lange du in deiner Ohnmacht gefangen warst. Es musste weiter gehen, dass stand außer Frage, wie wusstest du allerdings nicht. So taumeltest du durch die Welt auf der Suche nach einem neuen Platz für dich, denn es gab kein Zurück. Ziellos führten dich deine Pfade, auf denen du Erlerntes vertiefen konntest. Du überprüftest deine Wirkung auf andere Menschen genauso, wie du im Gegenzug erforschtest, ob du noch einmal eine tiefere Verbindung nach deinem Verlust aufnehmen könntest. Deine Analysen hinterließen ein zweispaltiges Bild deiner selbst in dir, aber am Horizont lichteten sich die Wolken und ein zartes Blau schien direkt in dein Herz zu strahlen und dir neuen Mut einzupflanzen.

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Hallo Melda-Sabine,

vor 12 Stunden schrieb Melda-Sabine Fischer:

Ich hoffe, es gibt eine Fortsetzung, lieber @Freiform.

im Augenblick leider nicht, ich hatte mal eine begonnen, aber dann den Faden verloren. Deshalb wollte ich mal schauen, ob ein Leser etwas damit anfangen kann. Ich habe es mir notiert und vielleicht fällt mir zeitnah dazu etwas ein. Danke für dein Interesse!

Dankeschön! :smile:

@Melda-Sabine Fischer@Gina@Skalde
 

Grüßend Freiform

 

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