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Der vierte Advent

 

 

Nun brennt schon die vierte Kerze und in ein paar Tagen ist Weihnachten. Kurt schaut ein wenig traurig auf den schlichten Kranz. Er ist zwar erst 6Jahre alt, doch er weiß, dass die Eltern kein Geld haben um sich Besseres zu leisten. Die Mutter hat den Kranz aus Stroh gebunden und mit ein wenig Tannengrün umwickelt, das sie von einer Kiefer beim Nachbarn abgeschnitten hat. Das Stroh ist nur spärlich bedeckt und lugt zwischen den Kiefernadeln hervor. Die Kerzen sind noch die vom Vorjahr. Mutter lässt sie an Adventssonntagen nur für kurze Zeit brennen. Schleifen fehlen. Nur ein paar Kiefernzapfen liegen zur Zierde in der Mitte des Kranzes.

Früher waren die Adventskränze immer toll. Kurt kann sich noch gut erinnern. Leuchtend rote dicke Schleifen verzierten jede Kerze und kleine Engelchen thronten auf dem dichten Tannengrün. Die Strohsterne dafür hatten sie abends gebastelt und Lieder dazu gesungen, bis die Sirenen die weihnachtliche Stimmung zerstörten. Ungläubig schauten sich die Eltern damals an. Der Vater nahm den Jungen auf den Arm und sie rannten los.

 

Ein Fliegerangriff!

 

Es ist das Jahr 1943, mitten im zweiten Weltkrieg. Viele Häuser liegen schon in Schutt und Asche. Hoffentlich wird ihr Heim nicht zerstört. Immer diese Angst nicht mehr nach Hause zu können, kein Zuhause mehr zu haben.

Bei einem der letzten Flugangriffe passierte es dann. Mitten in der Nacht musste die kleine Familie erneut um ihr Leben rennen. Viele Menschen trafen sich im nahen Schutzbunker und schickten Stoßgebete in den Himmel. Stunde um Stunde harrten sie in den unterirdischen Räumen aus, bis Entwarnung kam.

Die Nacht war dunkel, viel dunkler als sonst. Damit die Bomber ihr Ziel sahen schmissen vorausfliegende Piloten Leuchtmittel ab, die wie brennende Christbäume aussahen. Es galt alles zu zerstören! Bei einem der letzten Angriffe in der Nacht wurde auch das Haus, indem die jungen Familie lebte zerbombt. Mit Tränen in den Augen standen alle Bewohner davor. Wo sollten sie nun in der bitterkalten Nacht bleiben. Sie hatte nichts mehr, nur noch das was sie am Leibe trugen. Der Weg zur Notbaracke fiel ihnen schwer. Sie ist überfüllt! Hunderte von Menschen auf kleinstem Raum. Kranke, wie auch die Gesunden. Epidemien sind vorprogrammiert. Schnell entschlossen sich Vater und Mutter die zerstörte Heimat zu verlassen.

Irgendwie bekam es der Papa hin einen kleinen Handkarren zu bauen und erbettelte das Nötigste für Frau und Kind. So machten sie sich auf den beschwerlichen Fußmarsch in eine neue Heimat. Wohin? Sie wussten es nicht.

 

Irgendwann erreichten sie nach tagelanger Reise einen Ort der ihr zu Hause werden sollte. Es erschien ihnen wie das Paradies. Nichts war zerstört worden. Das kleine Dorf liegt ein wenig versteckt zwischen den Bergen. So gut versteckt, dass sie vor den Luftangriffen verschont worden waren. Herzlichst wurden sie von den Dorfbewohnern aufgenommen und Jeder gab das ab, was er entbehren konnte.

Doch Arbeit gab es hier für den Familienvater nicht. So blieb ihm nichts anderes übrig sich als Tagelöhner in der nahe gelegenen Stadt zu verdingen. Sie hatten gerade genug um sich über Wasser zu halten.

 

An das alles muss Kurt denken als er die 4.Kerze brennen sieht und darauf wartet, dass sein Papa endlich von der Arbeitsuche nach Hause kommt. Er ist noch ein kleiner Junge, doch der Krieg hat ihn zu einem kleinen, ernsten Erwachsenen gemacht der das Lachen verlernt hat.

Trotz des Krieges, der traurigen Erlebnisse und der Armut in der er aufwächst freut er sich auf Weihnachten. Einen Wunschzettel hat er nicht geschrieben und dennoch wird ihm sein sehnlichster Wunsch erfüllt werden. Kurt wird in den nächsten Tagen ein Geschwisterchen bekommen. Vielleicht sogar an Weihnachten. Es wäre sein eigenes Christkind! Er freut sich unsäglich darauf endlich ein großer Bruder zu sein.

Doch ein zweites Geschenk bekommt er dennoch. Seine Eltern sagten ihm, dass das Kriegsende naht. Die Zeit der jahrelangen Angst um Leib und Leben, wie Hab und Gut wird endlich ein Ende haben.

 

© Sternwanderer

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Wenn man das liest, liebe @Sternwandererin, muss man sich glatt schämen, wenn man derzeit immer wieder über alles und jedes rumjammert. Uns geht es trotz allem doch immer noch gut, und vieles können wir selbst für unsere glücklichen Momente tun, ohne dass wir -wie im Krieg- von anderen drangsaliert werden.

 

Danke, dass Du mich daran erinnert hast, denn auch ich neige derzeit zum Jammern. 

 

Melda-Sabine

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Liebe @Sternwandererin - mein Mann ist 1939 geboren und war ebensolch ein Junge, der die Vertreibung, die Flucht miterleben musste. Unglaubliche Geschehnisse hat er als 6-jähriger miterlebt, die eingebrannt sind und nie vergessen werden können. Und du wirst es nicht glauben, seine Mutter war auch schwanger, als sie über harte Ackerfurchen robben musste, um nicht erschossen zu werden. Was ganz besonders war, dass er bei dieser Flucht über den Acker aufrecht gegangen ist. Die Eltern waren so verängstigt und mit sich beschäftigt, dass sie ihm zwar zuriefen, auf allen Vieren zu kriechen. Aber er hat es nicht getan. Und obwohl die Schüsse von allen Seiten hallten, traf ihn keine Kugel. Sollte ihm keine treffen. Damit ich heute mit ihm so glücklich sein kann.

Deine Geschichte hat mich zutiefst berührt. Danke dafür.

LG Sonja

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Hallo meine Lieben,

 

ich danke euch für euer Interesse an meiner kleinen Geschichte.

 

Wie sagte ein Politiker dieser Tage: Das ist das härteste Weihnachten –

 

Warum soll es das härteste Weihnachten sein? Nur weil wir nicht wie gewohnt das Weihnachtsfest begehen können?

 

Der Politiker dachte nicht an die vielen Menschen die in kriegerischen Krisengebieten leben, an all das enorme Leid, die Armut und Not verteilt über die Welt.

 

Bei der Aussage musste ich schlucken und mir fiel meine alte Geschichte wieder ein. Und ich denke: DAS waren harte Weihnachten –

 

 

 

 

Liebe @alter Wein  liebe @Melda-Sabine Fischer  und liebe @Sonja Pistracher

 

meine Schwiegereltern waren auch aus Schlesien geflohen.

 

Mein Schwiegervater gehörte mit seinen 14Jahren zu den jüngeren Kindern seiner Eltern und berichtete von seinen Fluchterlebnissen nur, dass auch von seinen Geschwistern (sie waren 13Kinder) nicht alle die Flucht überlebten.

 

Meine Oma berichtete, dass der amerikanische Soldat teilweise schlinmer war als der russische

, was die Misshandlungen bzw. Vergewaltigungen anging.

 

Mein Vater, der mit 20Jahren in sibirischer Gefangenschaft war, hat zeitlebens die Geschehnisse dort nicht verwunden.

 

Wie gut, liebe Sonja, dass dein Mann heil über den Acker gekommen ist.

 

Ja, liebe Melda, uns geht es gut und haben keinen Grund zu klagen.

 

Ich bedanke mich für die stillen „Gefällt mir“ bei: @Gina  @anais  und  @Freiform

 

 

LG Sternwanderer

 

 

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