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Der Heuchler


Marc Donis

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Der Heuchler

 

I

Ein Mann, er steht, so krank und bieder,

er sich regelrecht verneigt,

zum Brunnen schaut er völlig nieder,

so steht er da und förmlich schweigt.

 

Ein Stab, den hält er in der Linken,

das Wasser bloß so sanfte fließt,

dieses ist er nun bereit zu trinken,

der Schmerz, es drückt wie ein Biest.

 

So beugt er sich mit krankem Rücken,

das Wasser sich so kalt ergießt,

das Glas beginnt er reinzudrücken,

sodass das Wasser ins Glase fließt.

 

So führt er dann das wohl zum Munde,

und trinkt es dann trotz Pein und Galle,

dann blickt er auf des Bechers Grunde

und trinkt den Becher dann alle.

 

Der Frost durchzieht Mark und Rippen,

das Eisen sich im Munde legt,

der Mann, er leckt sich seine Lippen,

sodass sein Arm sich erneut bewegt.

 

Das Glas beginnt er still zu tauchen,

ins Wasser mit seiner Fingerkralle,

die Heilung scheint er sehr zu brauchen,

so fließt es sanft, das Wasserstrahle.

 

Den Prozess wiederholt er, denselben,

und trinkt erneut das Wasser zart,

er streicht seine Haare, die vergelben,

das Wasser tropft auf seinen Bart.

 

Schließlich krampfen die Finger, seine,

die Finger mit der kranken Gicht,

das Wasser glättet nur die Steine,

doch seine Schmerzen scheinbar nicht.

 

So steht er da und förmlich sinnt,

reibt sein Gesicht aus festem Eiter,

er trinkt nochmal, das Wasser rinnt,

so geht der Mann dann schließlich weiter.

 

Sein Gang gebückt, er hält den Stab,

und läuft mit schwankem Schritt,

er stützt sich ruhig darauf ab,

der Pein nimmt ihn förmlich mit.

 

Und schließlich bleibt er einfach stehen

und blickt in den tiefen Pramen,

er kann sich selber nicht verstehen,

woher die Schmerzen bloß entstammen.

 

Seit Jahren hat er die Beschwerden

und trotzdem ist er nicht deren Herr,

es ist der Pein auf tausend Erden

und täglich wird er immer mehr.

 

Es quält den Mann, so sehr vergebens,

ob am Morgen, Tage oder Nacht,

es mildert seinen Wunsch des Lebens,

das Biest war bereits in ihm erwacht.

 

So bleibt ihm nichts als nur zu hoffen,

dass etwas wohl den Schmerz verdrängt,

wie sehr wohl die Schmerzen zoffen,

was ihn innerlich erhängt.

 

Ein junger Mann sieht den Alten,

der auf den Stufen ruht und steht,

er sieht den Pein und seine Falten,

sodass er zu diesem geht.

 

So spricht er also, nun der Junge,

er bezieht sich auf die Leiden,

er setzt an mit gescheiter Zunge,

die Worte klingen seiden.

 

–  „Was es gilt, nun zu bewahren,

ist ein tückisches Konzept,

vielleicht liegt es an den Jahren,

Zeit ist ein schmerzliches Rezept.

 

Wie geliebt auch so genossen,

alles ist ein zäher Traum,

auch wenn die Tränen nun umflossen,

zieht der Tod Baum zu Baum.

 

Mag es sein so ziemlich kränklich,

Pein und Gift, wird zur Gefahr,

Toll und Gicht, wie sehr bedenklich,

schlimmer als ein schlicht‘ Gemahr.“

 

Der Greis beginnt sein Kopf zu schwenken

und verharrt so gänzlich stumm,

er versinkt in karges Denken,

doch dreht sich dann gewisslich um.

 

Die Augen nur sich mild bewegen,

ganz aufgeregt wie aus der Norm,

so wenig spricht dem Wohl dagegen,

so gibt er nach – Der blassen Form.

 

– „Nun höre, Mann, wohl diese Zeilen,

die Wahrheit hier, sie ist geheim,

das Wasser, dort, es wird dich heilen,

es lindert dich und deinen Seim.

 

Gehe jetzt, gar ohn‘ Bedenken,

geh‘ zur Höh‘, zu dessen Quell‘,

das Wasser, dort, es wird dir schenken,

die Heilung – Und das sehr schnell!

 

Nun gehe jetzt, du bist im Stande,

trink‘ das Wasser, diesen Punsch,

doch halt dich fern vom Felsenrande,

sonst fällst du tief mit deinem Wunsch.

 

Jetzt kommt der Mahn, den wahrlich schätzen,

auch wenn es scheint, so sehr von dannen,

der Weg dorthin, bemüht, die Verletzen,

denn den Pfad musst du dir selbst bannen.“

 

 

Am 03.10.2023 auf der Fahrt zwischen Karlovy Vary nach Ústí nad Labem im

Streckenabschnitt zwischen Klášterec nad Ohří und Ústí nad Labem angefangen,

in Berlin-Neukölln am 05.10.2023 beendet.

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