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Geschichte für einsame Nächte: "High Life" in Eiserfeld


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„High Life“ in Eiserfeld

 

In den siebziger Jahren war es ähnlich schwer wie heute, wollte man bei einem Job Wechsel ein Zimmer finden. Wohnungen gab es nur große, und die waren für einen Berufsanfänger nicht geeignet und nicht bezahlbar.

Die Zielgruppe der Singles war damals noch nicht erfunden, die Scheidungsraten noch nicht so hoch, so dass ein spezieller Markt für Wohnungen um die 40 - 50 qm, wie es sie heute gibt, noch nicht wirklich existierte.

Mit Hilfe meines Arbeitgebers fand ich ein kleines Zimmer, von etwa 10 - 12 qm Größe, im Dachgeschoss eines kleinen Privathauses mit schrägem Dach und natürlich keinem separaten Eingang. Ich musste das Haus also durch den Eingang des Vermieters betreten und dann innerhalb des Hauses nach oben gehen, eine Vorstellung, die einem 25jährigen eigentlich gar nicht gefällt, da er sich immer unter Beobachtung wähnt. Man war doch nicht von zuhause in eine fremde Stadt gezogen, um sich wieder unfrei zu fühlen.

 

    Was würde passieren, wenn ich erst in der Nacht, vielleicht angetrunken, nach Hause käme? Ein Mädchen mitbringen unvorstellbar. Außerdem existierte noch der Kuppeleiparagraf, der es Eltern und auch Vermietern untersagte, Mitglieder des jeweils anderen Geschlechtes in einer Wohnung übernachten zu lassen. Punkt zehn Uhr abends hatte jeder Besucher gleichwelches Etablissement zu verlassen.  Glücklicherweise waren meine Vermieter eigentlich „unsichtbar“, so dass ich mich nicht beschweren konnte. Einmal im Monat sprachen sie mich an, ob denn alles in Ordnung sei oder ob sie mir in irgendetwas behilflich sein könnten. Ansonsten sah und hörte ich nichts von ihnen. Hilfreich war sicher auch, dass ich beruflich häufig unterwegs war und deshalb nicht permanent anwesend war.

Die Enge meiner Unterbringung führte dazu, dass mir häufig „die Decke auf den Kopf fiel“ und ich mich in eine im Umfeld liegende Kneipe, in der man auch vernünftiges Essen oder auch nur ein Bierchen bekam, oder eine der örtlichen Discotheken flüchtete. Da ich immer eine Nachteule war und problemlos mit        5 - 6 Stunden Schlaf auskam, waren alle meine guten Vorsätze mich schon um zehn oder elf Uhr zu Bett zu begeben, “verlorene Liebesmüh“. Ich hatte, trotz anspruchsvoller beruflicher Herausforderungen, immer das Gefühl, abends eigentlich noch nichts erlebt zu haben und machte mich zu Fuß oder mit dem Auto auf den Weg, angenehme Gesellschaft zu suchen und mich auszuleben.

    Dauerhafte Partnerschaften musste ich mir sowieso aus dem Kopf schlagen, da ich viel zu häufig, manchmal über Wochen deutschlandweit für die Firma unterwegs war und gerade in der ersten Anstellung, auch nicht sicher war, ob ich auf Dauer in Siegen bleiben würde.

 

So wurde vor allem die Disco so etwas wie meine zweite Heimat. Dort konnte ich schnell Kontakt finden, da es in Eiserfeld wohl noch andere Menschen gab, die sich von ihrem täglichen Leben nicht ausgefüllt fühlten. An der Bar fand man zumindest immer einen männlichen oder weiblichen Gesprächspartner.  Sie kamen auch aus unserem Unternehmen. Ich hatte sie meist im Büro oder der Kantine kennengelernt.

     Im Gegensatz zu den meisten Männern tanzte ich gerne und gut. Deshalb fand sich meist eine Partnerin, die bereit war, mit mir eine“ flotte Sohle“ aufs Parkett zu legen. Da ich die Frauen nicht „anbaggerte“, sondern, wie jeder sehen konnte, Spaß am Tanzen hatte, konnte ich mit der Zeit auch mit den jungen Frauen tanzen, die mit ihrem Partner da waren, deren Partner aber nicht tanzen wollten oder konnten:

Er hatte dann seine Ruhe und sie in mir eine ungefährliche “Wunscherfüllung“, für alle Beteiligten eine “Win - Win Situation“.

Ich hatte dadurch ausreichend Bewegung als Ausgleich für den Sitzmarathon im Büro oder in Meetings und lernte, auf unverfängliche Art und Weise, einige ansprechende und nette Frauen kennen.

 

Mit der Zeit hatte ich mich auch mit Andrea, der Bedienung des Lokals, in dem ich häufiger essen ging, angefreundet. Wenn die Hauptessenszeit abends vorbei war, setzte sie sich zu mir, und wir hatten ausreichend Gelegenheit uns miteinander zu unterhalten. Sie war unkompliziert, humorvoll und gescheit. Als wir feststellten, dass auch sie gerne tanzte, holte ich sie häufig nach ihrem Dienst so zwischen   elf Uhr abends und Mitternacht ab, und wir fuhren in die Disco bis gegen zwei oder der drei Uhr morgens. Unser Verhältnis war bis auf den Körperkontakt beim Tanzen „platonisch“, vielleicht auch deshalb, weil es keinen geeigneten Ort gab, an dem man ungestört und menschenwürdig „Mehr“ hätte ausprobieren können.

    Da ich am Wochenende regelmäßig nach Köln fuhr, um meine dortigen Freunde und Kontakte nicht zu verlieren, und auch für die Firma viel unterwegs war, hatten wir vereinbart, wenn möglich, Zeit miteinander zu verbringen, ohne daraus jedoch ein festes Verhältnis entstehen zu lassen. Keiner fragte den anderen, was er in der Zwischenzeit, wenn wir uns nicht sehen konnten, mit wem getrieben oder nicht getrieben hatte.

 

    Eines nachts   bat sie mich, sie mit dem Auto nach Hause zu bringen, da ihr Auto in der Werkstatt zur Reparatur sei. Sie hatte, ähnlich wie ich, ein Einzelzimmer in einem Einfamilienhaus im Eiserntal, etwa 6 km von Eiserfeld entfernt, das, in einer Reihe von fünf oder sechs einzelnen Häusern, entlang der Straße stand. Das Tal war kurvig und ziemlich eng, die Straße von allen Häusern gut einsehbar.

  

     Als wir vor der Haustür hielten, um uns zu verabschieden, bat sie mich, den Motor abzustellen, da ihre Vermieter und Nachbarn alles Fremde mit Argwohn beobachten würden. Nächtlicher Lärm sei davon nicht ausgenommen.

Dieses offensichtliche Misstrauen war ein Teil der Mentalität der Siegerländer, die über Jahrhunderte ihre Methoden der Eisenerzverhüttung sorgfältig schützten. Nur ausgesuchte Fuhrknechte durften mit Erlaubnis der Obrigkeit mit ihrem Gefährt die Gegend verlassen. Fremde waren grundsätzlich verdächtig und als potentielle Spione nicht gerne gesehen. Deshalb bekam man auch noch in den Siebzigern schlecht Kontakt zu den Einheimischen.

 Jetzt, da wir kein Aufsehen mehr erregen konnten, unterhielten wir uns noch eine Weile angeregt. Es gab eine Menge Dinge, die uns gemeinsam interessierten und von denen wir uns gegenseitig berichteten.

Plötzlich legte Andrea mir den Arm auf die Schulter, zog meinen Kopf zu sich hin und flüsterte mir ins Ohr:

     „Hast Du auch Lust? Komm doch noch mit mir aufs Zimmer. Wir müssen allerdings sehr leise sein. Spätesten um fünf Uhr musst Du auf jeden Fall wieder weg sein. So gegen sechs Uhr fahren die Menschen hier zur Arbeit. Ich möchte keinen Ärger mit meiner Vermieterin bekommen.“

    Welcher junge Mann hätte das Angebot einer gutaussehenden und, vielversprechenden Partnerin schon ausgeschlagen? Ich hatte ja keine anderen Verpflichtungen. Also nickte ich zustimmend. Wir öffneten vorsichtig die Autotüren, stiegen aus, drückten sie leise zurück ins Schloss, huschten durch den Vorgarten zur Haustür, die sich lautlos öffnen ließ und schlichen auf Zehenspitzen in ihr Zimmer, um miteinander zu schlafen.

 

Wie verabredet, verließ ich Andrea rechtzeitig, um mit meinem Auto, das jetzt im Morgenlicht blöderweise gut sichtbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, nach Hause zu fahren.

Draußen suchte ich vergeblich nach meinem Autoschlüssel. Verdammt noch mal…! Wie ich schockiert feststellte, hatte ich meinen Schlüssel, im Auto stecken gelassen und wir beide die Türen verriegelt (was damals noch möglich war). Wirklich peinlich, zurück ins Haus konnte ich jetzt auch nicht mehr.

 

    Tolle Situation, so richtig auf dem Präsentierteller und keine Möglichkeit zu entkommen. Was also tun? Das Autofenster einschlagen? Den Wagen aufbrechen?

Ein gefundenes Fressen für die Nachbarn, die umgehend die Polizei gerufen hätten.

Mir fiel ein, das ich auf der Hinfahrt im Nachbardorf, so etwa 2 km entfernt, ein Telefonhäuschen gesehen hatte. Also machte ich mich schleunigst zu Fuß auf den Weg, um von dort aus meine Autowerkstatt anzurufen. Was blieb mir auch anderes übrig.

Gottseidank gab es in dem Dorf eine Bushaltestelle, bei der ich mich etwas geschützt unterstellen konnte, bis die Werkstatt um sieben Uhr öffnete. Meine Sportjacke, die die Kälte abgehalten hätte, hatte ich natürlich auch im Auto gelassen.

 

Der Kundendienst zeigte Verständnis und versprach, mir schnellstens zu helfen. Warum ich mich gerade dort weggeschlossen hatte, interessierte sie nicht.

Eine halbe Stunde später holte mich ein KFZ Mechaniker ab und wir fuhren gemeinsam zu meinem Auto, das er, wie jeder geübte Autodieb, problemlos in Sekundenschnelle öffnen konnte. Ich bedankte mich und machte, dass ich schleunigst wegkam.

Jetzt, so spät am Morgen, waren die Häusle Besitzer allerdings schon alle auf der Arbeit, so dass unsere „Öffnungsaktion“ auch keine Zuschauer mehr fand.

 

Mein Arbeitgeber, den ich, weil ich eigentlich schon um 8 Uhr im Büro hätte anwesend sein müssen, beim Umziehen von meinem Zimmer aus anrief, brauchte ich nicht einmal richtig anzulügen: Autopanne als Verspätungsgrund war doch glaubwürdig und in diesem Falle zweifellos auch noch zutreffend.

 

   Sechs Monate später fand ich endlich eine kleine Wohnung in einem Appartementhaus in Siegen, das mir weitere peinliche Situationen ersparte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Thomas W. Bubeck                 “Buntes Leben“    21

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Lieber @Tobuma,

Eine sehr unterhaltsame Geschichte die ich ausgeprochen gut finde, wessen ich gerne folgte bis zum glücklichen Ende.

Du nimmst den Leser mit nach Eiserfeld.

Wir befinden uns in den siebziger Jahren und erfahren wie die Mentalität herrscht.

 

Es gab noch Respekt, Rücksicht, Achtung und Vertrauen im grossen Stil zwischen Menschen ob Fremde oder Bekannte Personen, ein gutes Miteinander wurde immer gepflegt. Es besteht kurz gesagt Recht und Ordnung Tag und Nacht. Aber auch Skepsis gegen Fremdlinge. (Excuse me daß ich ein bissel vom Thema an dieser Stelle abschweifte. Da brannte mein Heimweh nach Deutschland kurz mit mir durch) 😉

 

Wir erfahren mit welchen Herausforderungen das LI als junger Mann in sein soziales Leben konfrontiert wird, eingeschränkt der umständehalber und berufsbedingt. Aber das Leben will gelebt werden und kennt Wege!

 

Beim Lesen kam ich mir vor als wäre ich in der Zeit zurückversetzt und habe das LI über die Schulter geschaut. 

Prima geschrieben!

Liebe Grüße, Donna

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Hallo Donna, hallo Carlos,

Danke für Eure motivierenden Kommentare. Ich glaube, es ist wert, den Blick auch einmal zurück in die Vergangenheit zu werfen, und sei es nur um der jüngeren Generation zu zeigen,dass das , was sie für selbstverständlich halten, noch garnicht solange selbstverändlich ist z.B.als ich um die dreissig war : musste der Mann die Erlaubnis geben, wenn die Frau mitarbeiten wollte, es gab noch keine Anti Baby Pille, der Kuppeleiparagraf untersagte,"fremde" Personen bei sich oder in der Familie übernachten zu lassen, Homosexualität war bis 1972 unter Strafe gestellt, danach erst ab 18 Jahren erlaubt usw. Weltweit sieht man gerade, wie schnell solche Errungenschaften wieder eingeschränkt werden können,wenn rechte Kräfte an die Macht kommen.Deshalb "wehret den Anfängen", auch wenn die Kinder (wahrscheinlich wie wir früher auch) sich lieber nicht mit der Vergangenheit beschäftigen, die leider allzu schnell wieder Gegenwart werden kann.

Liebe Grüße

Tobuma

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