Zum Inhalt springen

An mich der Brief


Empfohlene Beiträge

An mich der Brief - Dieses erstickende Herz

 

Wie ist es eigentlich ohne Ängste, ohne Emotionen und ohne Sorgen zu

leben? Es gleicht sich bereits einem automatisierten Prozess, den ich tagtäglich

ausführe: Ich wache jeden verfickten Tag auf, quäle mich zur Schule, bekomme

dort Nervenzusammenbrüche und erleide schlussendlich auch Panikattacken,

die während des hochkommenden Selbsthasses und des Selbstzweifels das meinige

Herz und die meinige Seele vergiften.

 

Es fühlt sich an, als verliere ich derzeit die Kontrolle über mich und über mein Leben.

Jede Entscheidung erweist sich als falsch.

Und jeder Gedanke, den ich zunächst als rettenden Anker, sogar als Fels in der tosenden

Brandung ansah, hinterlässt im Nachhinein noch tiefere und brennendere Wunden und

entblößt sich als versagender Fehltritt.

 

Ich fühle mich im Leben gefangen.

Als wäre das Zuhause, in dem man eigentlich Freiheit spüren sollte, ein Gefängnis.

Mittlerweile wurde das Dichten zu meinem Brot und die Lyrik zu meinem eisigem

Wasser, die mich wohl kläglich versuchen, am Leben zu halten, auch wenn es

so verdammt paradox klingen mag.

 

Ich will leben. Doch ich kann es nicht. Ich mache das nicht mit Absicht.

Vielleicht wird es auch enden. Vielleicht auch nicht. Wer weiß? Bleibt es so?

Für immer?

 

Und ich werde das so lange nicht tun können, bis ich meinen

eigenen seelischen Frieden gefunden habe.

So lange werde ich mich auch quälen.

Ich versuche schon das Schlechte zu verdrängen, aber wie soll das

funktionieren, wenn ich mich schon an das Leiden gewöhnt habe?

 

Es gleicht schon einer wahrlichen Versuchung, den Schmerzen zu widerstehen,

doch ist man nur einmal in den Genuss der Trauer gekommen, dann ist man

gewiss doch verloren, denn es gibt halt kein Entrinnen mehr.

Es gibt weder ein Entweichen noch ein Entfliehen, denn es gleicht einem

unbrechbaren Zauber, einem unbrechbaren Schwur, welcher sich über den

ganzen Körper ausbreitet und alles lebende bis zum letzten Tropfen aussaugt.

 

Vielleicht bleibt es für immer so, denn ich merke langsam, wie

ich mein Leben verliere.

 

Wie ich meine Gefühle und meine Seele verliere.

Und wie ich mich jeden Tag ein bisschen mehr verliere.

Es fühlt sich an, als bestände ich aus Eis und Sand.

Während dieses Eis kontinuierlich schmilzt, bricht der Sand durch die

tosenden Wassermassen, die vom Gewässer abgetragen und

abgeschliffen werden.

 

Freunde sagen, dass ich dieses Eis und diesen Sand zu meinem eigenen

Vorteil nutzen soll, damit ich mir nicht selbst schade.

Doch ich stehe mir die ganze Zeit selber im Weg. Das aufgetaute

Wasser, das sich in Gegenwart von Sand vermischt, sollte ich nutzen,

damit ich Mauern errichten kann, die meine zerbrechliche Seele

schützen können.

 

Doch es gibt Leute, die in das Leben kommen, um die mühsam errichteten

Mauern niederzureißen.

Umso paradoxer erscheint es mir, wenn solche Leute einem dann vorschreiben,

wie man sich in der jeweiligen Situation zu fühlen hat, als wüssten sie es

besser als ich selbst.

 

Als wüssten sie es besser, wie ich mich grade fühle.

Und solche Menschen gewähren einem nicht, missbilligen sogar schon,

die Freude und die Hoffnung, die sie selbst nicht mehr im Herzen tragen.

 

Und so langsam verstehe ich, wieso verzweifelte Menschen zu Alkohol

und Drogen greifen: Sie wollen sich nicht selbst töten, sondern lediglich die

Stimme in ihrem Kopf, die zu ihnen furchtbare Zeilen spricht.

Es sind Zeilen, die von integer und intriganter Heimtücke und vom

zunehmenden Hass geleitet und heimgesucht werden, was einen

wie eine schwere Krankheit befällt und die eigene Seele dann schließlich,

als wäre sie an Lepra erkrankt, in tausend kleine Mosaikglasbruchstücke

zerfällt, die vom inneren Sand abgeschliffen werden, bis nichts als

Elend innerhalb des Körpers bleibt.

 

Ich erinnere mich daran, als wir noch Kinder waren und über die gelacht

haben, die sich das Leben nehmen wollten. Wir waren wohl noch zu jung

und zu naiv gewesen, weil wir das nicht verstanden, wie das möglich sei,

dass es Leute unter uns gab, die den Tod einfach dem Leben vorgezogen haben.

Doch heute wollen wir es selber tun, weil wir den Krallen dieser elendigen und

giftigen Welt einfach nur entfliehen wollen.

Und umso erschreckender ist die Tatsache, dass es immer mehr junge Menschen

gibt, die unsere Gedanken, unsere Gefühle und unsere Wünsche teilen.

 

Doch tagsüber bin ich stolz darauf, dass ich in meiner schwersten Zeit nicht

mit dem Rauchen anfing, doch nachts, wo die schrecklichsten Gedanken

und die Dämonen der Vergangenheit wieder aufwachen, bereue ich diese

Entscheidung zu tiefst. Und das ganze erzählte ich einmal einem Therapeuten,

der mich nicht mal anschaute, und schließlich ein ausdrucksloses Gesicht

aufsetzte, wobei er lediglich ein gelangweiltes und abwesendes

„Okay“ von sich gab.

 

Mir ist kalt und das wird auch so bleiben,

sterbe ich wohl am Dichten und Schreiben,

halten die Schmerzen mit Wunden darauf,

doch zu viel Liebe gibt den Widerstand auf.

 

Berlin-Biesdorf-Süd;

31.01.2024

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

  • Antworten 0
  • Erstellt
  • Letzter Kommentar

aktivste Mitglieder in diesem Thema

Beliebte Tage

aktivste Mitglieder in diesem Thema

Du möchtest dich an der Unterhaltung beteiligen?

Du kannst direkt mit in die Diskussion einsteigen und einen Beitrag schreiben. Anschließend kannst du ein eigenes Autoren-Konto erstellen. Wenn du schon ein Autoren-Konto hast, Logge dich ein um mit deinem Konto an der Diskussion teilzunehmen.

Gast
Schreibe hier deinen Kommentar ...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung wiederherstellen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.


×
×
  • Neu erstellen...

Wichtige Information

Community-Regeln
Datenschutzerklärung
Nutzungsbedingungen
Wir haben Cookies auf deinem Gerät platziert, um die Bedienung dieser Website zu verbessern. Du kannst deine Cookie-Einstellungen anpassen, andernfalls gehen wir davon aus, dass du damit einverstanden bist.