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Der Himmel hängt nass in seinen Angeln, regengrau trieft er aufs Wellblech, blechernd, wellenbrechend. Der Mann kauert unter seinem Unterschlupf und lauscht dem trommeln, dem herabfallen der großen Tropfen am Rande des Daches. Regengischt sprüht ihm unter die tief ins Gesicht gezogene Kapuze und benetzt seine krausen Brauen mit einem klammen Film. Die tiefen Furchen unter seinen Augen lenken die Tropfen wie Tränen über sein Gesicht. Sein Wellblech als Meeresboden, Wattenmeer, ein Relief aus Rost und Regen wie seine Fingerkuppen. Seine Haut fester und wetterbeständiger als seine Kleidung, trotzt er der Nacht bis diese plötzlich krachend zerreißt, in Einzelteile zerspringt und donnernd zu Boden fällt. Epileptisch. Die Regentrommel gespenstig gleichmäßig, schwillt das Unwetterorchester erneut an und entlädt sich zuckend nahe seiner Behausung. Der Blitz am Himmel wie ein elektrotödliches Spinnennetz zerfasert sich ins nichts, erblasst und stubbst  grollend den Donner in seine Richtung, dieser türmt sich auf, rollt auf ihn zu und brüllt ihm hemmungslos ins Gesicht. Der Mann schnürt die Fetzen seiner Klamotte enger um seine Taille, buckelt seine große Gestalt schildkrötig zusammen, das Kinn auf seine angewinkelten Knie gestützt. Ausharrend. Leere von Haut benetzt. Sehende Augen die blind sind. Raue Fingerspitzen welche die metallische Kälte nicht mehr spüren. Sekundenplötzlich leuchtet sein Elend vor all dem Metall, zucken die Blitze arthritisch durch seinen Körper, schmerzend. Schmerz der nicht da ist, wenn man seine Existenz nicht sieht. Schmerz der nicht existiert wenn man ihn nicht sieht. Er, der nicht existiert. Er, der existiert weil es schmerzt.  Der Schmerz, der nur in ihm existiert. Er, der nur im Schmerz existiert.

 

Der Schrottberg vor ihm blitzt wunderschön bei jeder elektrischen Entladung, als wäre er der Mond. Angestrahlte Schönheit in der verschorften Verderbtheit. Rostiger Tetanus als biologischer Schutzmantel an allen Spitzen, ragt er Krakengleich abweisend in alle Himmelsrichtungen. Unbezwingbar instabil. Kraus und chaotisch. Metallisch und blechern. Der Donner grollt durch ihn hindurch wie der Wind durch ein Glockenspiel. Der Wind pfeift Metallarien.

Der Schrott der ihm Leben schenkt.

 

Noch vor dem Gewitter hatte er sich angepirscht, matsch blubberte bei jedem Schritt unter seinen quergelaufenen Sohlen. Mit dem Kopf im Nacken staunte er über den sich mit jedem Schritt auftürmende Berg aus Metall. Ehrfürchtig blieb er am Fuße stehen und blinzelte. Vorsichtig kam er näher, streckte seine hornhäutige Hand aus und berührte demütig ein herausragendes Metallrohr. Sanft fuhr er dessen Rundung entlang, die Furchen seiner Fingerabdrücke scharrten über das Material, zersplitterten. Ruckartig zog er seine Hand zurück und saugte den kleinen Blutstropfen zwischen seine Lippen, metallisches Blut, so oder so.

Mit auf dem Rücken verschränkten Armen schwelgte er weiter, umrundete, inspizierte, schnupperte. Etwas verkeilt, jedoch nicht unerreichbar, erspähte er ein intakt erscheinendes Blech. Er schlich darauf zu, räumte mit seinem Fuß vorsichtig ein paar Hindernisse aus dem Weg. Höflich ruckelte er an dem Blech, die Umgebung quietschte. Er klopfte, es hallte in tausend Tönen zurück. Er sah sich um, er war ganz allein. Das Blech ragte zu weiten Teilen heraus, er könnte es packen. Trockene Nächte in greifbarer Nähe. Er ruckelte etwas fester, begann es händeringend zu umschlingen und zerrte, der Metallberg stöhnte und ächzte als würde sich ein schlafender aufraffen. Der Metallmann erwachte zum Leben, der Schrott rutschte in verschiedene Richtungen, es klirrte Ohrenbetäubend. Die Stille zerriss den Lärm.

Blechernd waberte der Wind.

Der Mann besah sein Blech, schleifte es emsig von dem zu neuer Form erstarrten Berg hinfort. Der aufgerauhte Wind zog an seiner Kleidung, lies das sperrige Blech unter seinen Armen tanzen und bäumte sich in dessen Wellen. Mit großer Anstrengung schleppte er es in seine Nische, hievte es mit letzter Kraft auf seine schutzgebende Querverstrebung und kauerte sich darunter als der Wetteruntergang begann.

 

Er sitzt und wartet, lauscht und leuchtet, blitzt und donnert, die Augen stets auf seinen Schrott gerichtet. Er sieht zu wie der Regen das Metall umschmeichelt, wie aus den Rohren kleine Rinnsale fließen, sich in matschigen Untiefen braune Pfützen bilden. Wie aus vielen kleinen Pfützen eine große wird. Wie die Farbe der Pfütze sich verändert, wie sie blitzt wenn der Himmel brennt. Er betrachtet die Silhouette seines Schrottes in der Dunkelheit.

Plötzlich steht der Schrotthaufen in Flammen. Ein riesiger, sonnenheller vom Himmel gefallener Stachel rammt sich in die Spitze des Berges und läuft glühend über das gesamte Metall, perlt hinab wie der Regen zu vor, liebkost alle Nischen des Schutts und zerfließt im Boden. Der Donner kracht gegen das Metall, verfängt sich, elliptisch, ohrenbetäubend schlägt es ihm kreisrund ins Gesicht, geblendet, taub. Betäubt in elektrisierter Schockstarre, die Augen fest zusammengekniffen, sein Schrei im Krach verhallt. Eine riesige Faust schlägt ihm von innen an die Brust, hämmert den Takt seiner Angst. Sein Atem rasselt und stößt sakkadierte Tröpfchen in den Regen, kleine Lebenswölkchen in der klirrenden Luft. Er atmet den Regen und der Regen inkorporiert ihn. Der Regen benetzt seine Luftröhre, fließt ihm durch die Lunge und hinterlässt ihn atemlos.

 

Der Regen und die Zeit zergingen in eine Ahnung von nasser Luft als er sich endlich traut an den Rand seines Unterschlupfes zu krabbeln. Eine Sanftmütigkeit hatte sich in das Wetter geschmiegt die sich eisern auf seine Brust legt, versöhnlich und behutsam wiegt ihn der Wind. Langsam schlurft er in Richtung Schrottberg, vorsichtig doch stetig zieht es ihn an diese gefühlte Hitze die von dem bereits erkalteten Metall ausgeht. Eine neugierige Wärme fährt ihm die immerkalten Knochen hinauf, seine Wangen brennen einen rötlichen Schimmer in sein graues Gesicht. Ängstlich hastet er stolpernd dem Schutt entgegen, er beginnt zu  rennen, den zerrauften Berg zu erklimmen. Rost und Eisen schneiden ihm durch die Haut, durchdringen seinen Körper mit einer warmen buttrigkeit. Blutend ächzt er hinauf. Metall staubt zur Seite, er hastet von Stück zu Stück, alles wankt und wackelt. Ineinander verkeilte Teile rutschen herab, lösen sich und formieren sich neu. Das Metall unter ihm fließt als wäre es Lava. Alles um ihn herum ist Lärm, alles bewegt sich, die Welt bietet ihm keinen Halt mehr, sein Kopf dreht sich schneller als die Erde. Die Luft kreischt metallisch, der Wind atmet Spähne in seine Augen. Er weint. Er brüllt. Er rutscht, seine Sohlen fetzen über schrottige Rauhheit, angsterfüllt schlägt er um sich, bekommt ein Gitter zu fassen, der Körper reißt an seinem ausgestreckten Arm, er droht zu fallen, keuchend rappelt er sich hoch, klettert manischpanisch durch den Schrott. Alles an ihm hämmert. Sein Herz eine Eisenfaust, kontrahiert sich quietschend, sprengt die Ketten zu seinen Eingeweiden. Krachend fällt Schrott zur Seite. Er gräbt sich immer tiefer in den Berg, baggert um sich, der Schmutz scheppert unter seinen krustigen Fingernägeln, Blut, Regen, Rost und Schweiß rinnen hinab und für das Auge ganz verdeckt unter all dem Schrott, wohlig behütet unter Schutt und Asche, greift er tief hinab und birgt fürsorglich in seinen schmutzigen Händen, ein schlagendes Herz.

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