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Fahrt durch die Mongolei


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Der alte Russe langweilt mich mit seinem Gelaber. Ich hab irgendwo den Faden verloren zwischen seinen Familiengeschichten und Wirtschaftskrisen. Hin und wieder schimpft er auch über den Westen und lobt Putin für dies oder jenes. Mir ist das Scheißegal. Er kann von mir aus seine Stiefel oder sonst etwas küssen! Bring mich einfach nur zu den Nomaden verdammt!

„Vodka?“

„Hm?“

„Vodka? Vodka! Willst du Vodka?“

„Her damit!“, bin zwar kein großer Trinker, aber diesen Schluck hatte ich nötig. Boah! Das ist selbst gebrannter Fusel! Das kracht in den Schädel und schmettert ganz ordentlich. Er lacht und macht mehrere Schlücke ohne abzusetzen. Ich lache auch. Wir verstehen uns prächtig. Im Radio läuft leise russische Opernmusik. Er dreht das kleine alte Ding am wackeligen Regler voll auf und singt aus voller Kehle mit. Ich muss gestehen, dass ist ziemlich cool.

Kennengelernt hab ich ihn in der Heimat. Ein Arbeitskollege, den man wegen seines zügellosen Trinkverhaltens entlassen hat. Dann hat er mich gefragt ob ich ihn nicht in die Heimat begleiten wollte, nach Kasachstan.

„Was? Ich dachte du bist Russe?“

„Ich bin Russe! Geboren in Kasachstan!“

„Aha. Ok.“

Sicher hat er mir seine Familiengeschichte auf der endlosen Fahrt durch die staubigen Straßen Kasachstans einige hundert Male erzählt, behalten hab ich davon trotzdem nur wenig. Sein Akzent schlägt mehr als die Hälfte der verständlichen Sätze tot. Nach 3 Tagen Fahrt durch trockenes Niemandsland und halt an zwielichtigen Tankstellen die mitten in diesem Nirgendwo einfach so herumstehen, haben wir endlich die Grenze zur Mongolei passiert. Dort wartet ein Nomadenstamm und ein alter Falkner auf mein Erscheinen. Meine neue Gastfamilie für die nächsten zwei Wochen. Noch aber ist nichts von irgendwelchen Jurten zu sehen. Hin und wieder wilde Pferde, Gras, Steine, Gras, ein Autowrack neben der unebenen Straße, Gras und äh, Gras. Und die Berge in der Ferne. Langsam wird es dunkel. Im Radio das mehr rauscht als läuft, spielt nun eine mongolische Metalband. Er dreht nochmal auf. Der Regler bricht ganz ab und er blickt ihn mit ehrlicher Verwunderung an, als hätte er es niemals kommen sehen. Ich rolle die Augen und rutsche hin und her auf dem Sitz. Rückenschmerzen, Arschschmerzen, Beinschmerzen, Kopfschmerzen, Sodbrennen. Und ständig schaukelt die alte Schrottlaube -von Tesa zusammengehalten- wie ein abgefüllter Gaul. Jetzt fängt er an mir die gegröllten Texte dieser Band zu übersetzen. Natürlich nur bruchstückhaft und ständig korrigiert er sich.

„Sex trocknet das Blut auf deinem Schwert. Dschinngins Khan ist… Gott. Wir werden irgendwann wieder ganz Europa beherrschen. Die ganze Welt beherrschen. Heiliger Krieg! Heiliger Krieg!“

Ich brumme nur. Die Musik ist Scheiße, aber der traditionelle Kehlkopfgesang der in die Lieder eingebaut ist, zwischen monotonen trägen schweren Gitarren und einem merkwürdigen Rhythmus, der ist cool.

Dunkel wird es. Das schwache Licht bei uns reicht nicht zum lesen. Das Radio tot. Der Russe sagt auch nichts mehr. Zappenduster ist es! Die Nächte hier draußen sind der Hammer! Besonders wenn kein Mond scheint.

„Wie lang dauert das noch?“

„Morgen. Morgen früh sind wir da.“

„Erst Morgen? Du hast doch gesagt wir schaffen es heute noch gegen Mitternacht? Seufz…“

Er sagt nichts mehr, blickt stur nach vorne. Ich drehe mich mit einer dünnen dreckigen Stoffdecke zugedeckt um und versuche zu schlafen. Beim Versuch wird es wohl auch dieses Mal bleiben. Die eisige Luft hat sich hier drinnen fest gebissen. Heizung gibt’s keine. Natürlich nicht. Gerade als ich wieder in meinen Dämmerhalbschlaf fallen will, hält er plötzlich an.

„Pinkelpause.“

Ich reib mir die Augen und erhebe mich stöhnend und bibbernd. Der viele Vodka auf dieser Fahrt diente weniger dem Genuss, als dem Zweck die fehlende Heizung zu ersetzen. Schließlich stehen wir pinkelnd jeweils auf unseren Straßenseiten. Ich blicke auf während ich das dürre Gras tränke. Die kalten Sterne leuchten wie geschliffene Juwelen. Klar und messerscharf rein und ungetrübt. Je länger ich hineinblicke in diese Schwärze über mir, desto mehr hab ich das Gefühl eingesogen zu werden, zwischen all die tausend kalten Lichter. Dann beim Abschütteln fällt mein Blick auf gelbliche Lichter in der Ferne unter den Bergen.

„Hey! Schau mal da! Sind das Hütten dort draußen?“

„Hütten? Ja Hütten. Jurten! Jurten! Da sind es!“

„Also sind wir doch schon da.“

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N'abend Peter! 

 

Ja den Paul N. vermisse ich irgendwie. Nicht seine Gewohnheiten, nicht seinen Geruch, aber... keine Ahnung was, aber es fehlt eben. Wenn ich wieder treffe, und ihn der Alk bis dahin nicht besiegt hat, dann fahren wir raus zu den Dörflern und Jurtenbewohnern in den Steppen Kasachstans. 

Natürlich wird das so ablaufen wie in der Geschichte oben. Jede andere Erwartung wäre illusorisch.

 

LG JC

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