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Schmuddelkind

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Alle erstellten Inhalte von Schmuddelkind

  1. Vielen Dank für die Komplimente, Lisa und Sonja! Magst du es mal einstellen? Das finde ich nämlich interessant, weil ich auch zuweilen Menschen mit Bäumen gleichsetze. Habe mal ein Gedicht geschrieben, in dem das LI ein Baum ist, in dessen Rinde der Name der Angebeteten eingraviert ist. Danke auch für das allgemeine Lob. Ich dachte gar nicht, dass ich hier so gut formuliert hätte. Die langen Schachtelsätze sind zwar bewusst konstruiert, um die Verschränktheit der beschriebenen Phänomene zu unterstreichen, aber ich weiß, dass es viele Leser gibt, die sich mit solch langen Sätzen schwer tun. Daher freut es mich besonders, dass diese Sätze dich nicht abgeschreckt haben. LG
  2. Derjenige bedenke, der sein Boot nicht achtet, wenn der Blick zum Hafen geht, dass eins jedoch nur festgeschrieben steht: Das Leben selbst - ein Umweg hin zum Tod.
  3. Danke für deinen erheiternden Kommentar zu meinem beunruhigenden Gedicht, liebe sofakatze. Ja, es ist ein schmaler Grat zwischen zivilisationsbildender Spezies und totem Fisch. Schade, dass wir nicht den Landhüpfer kennen, dem wir dafür danken können, die kognitiven Grundlagen gelegt zu haben, dass wir ihm überhaupt danken können. Gute Gesellschaft, eine Flasche kühlen Weißweins und springende Fische im Fluss. Aber bitte mit Weißwein! LG
  4. Die Toleranz der Selektion ist klein. Als unsre Ahnen einst an Land gesprungen, besaßen sie zu ihrem Glück schon Lungen. Sonst dürften wir jetzt tote Fische sein.
  5. Vielen Dank für deine straffe, aber das Gesagte umfassende Zusammenfassung, lieber gummibaum! Mich fasziniert seit jeher, wie in der Natur alles so komplex miteinander verwoben ist, wie alle Dinge einander bedingen. Das Gefühl der Bewunderung dafür wollte ich durch meine Version dieses Mythos verbildlichen. Danke für dein Lob, Lena! LG
  6. Lieber Feuerfunke, ich freue mich, dass der Funke bei dir übergesprungen ist und du dies durch ein hübsches Wortspiel mitteilen konntest. Lieber Hayk, vielen Dank für deine ausführlichen Gedanken zum Text und dass du mit uns den Bezug zu deinem Leben teilst. Außerdem danke, dass du das Gedicht noch einmal in Erinnerung gerufen hast. Es ist auch leider nicht selbstverständlich. Im Verhältnis zu den Schwiegereltern können viele Probleme auftreten: Eifersucht, Beschützerinstinkt, Minderwertigkeitsgefühle... Die Palette der potentiellen Beziehungsprobleme zu den Schwiegereltern ist unüberschaubar. Da braucht man schon viel Glück, an die richtigen Schwiegereltern zu geraten, zumal man sich ja einen Partner aussucht und eben nicht die Schwiegereltern. Diese werden dann einfach "mitgeliefert". Aber: Ich gehe fest davon aus, dass du ein guter Schwiegervater bist, der das Wohl des Liebespaars im Sinn hat. Kann ich mir bei dir gar nicht anders vorstellen. Das sicherlich, zumindest wenn die Sicht der Schwiegereltern nicht durch andere Ängste getrübt ist. Aber ja, das ist natürlich eine gute Voraussetzung für ein gesundes Auskommen. Ja, es gibt nichts Schöneres, als sich am Glück anderer zu erfreuen. Alles andere setzt einen nur zum Rest der Welt in Gegnerschaft. Danke, dass du diese großen Worte Schillers beigefügt hast! LG
  7. Danke, Darkjuls und gummibaum! In der Tat fehlen einem manchmal die Worte bzw. sind sie zu mächtig, um sie zu sagen. Dann kann man nur schweigen und wenn das Schweigen zu offensichtlich ist, bleibt einem wohl nur noch, das Schweigen selbst zu thematisieren. Ich mag zuweilen solche Gedichte, die vorgeben, nichts zu sagen. LG
  8. Lieber Freiform, lieber gummibaum, vielen Dank, dass ihr euch für diesen Dialog die Zeit genommen habt. Ich freue mich, dass der Text euch unterhalten hat. Für die Kreativität kann ich beinahe nichts. Ich habe mich nur irgendwann gefragt, warum im Wort Single-Börse die Börse enthalten ist und was das eine eigentlich mit dem anderen zu tun hat. Schon hat mein Gehirn Pirouetten gedreht und diese kleine Absurdität kam heraus. Allerdings! Ich war selbst überrascht, dass die beiden Gesprächsgegenstände im Grunde austauschbar sind. LG
  9. Vielen Dank, alter Wein! Der Trost, dass eine Geschichte fiktiv ist, lässt es zu, dass wir uns leichter auf Themen einlassen, die sonst zu schwer zu verdauen sind. Doch wenn man sich näher damit beschäftigt und die Wahrheit in der Fiktion erkennt, kann das ein ziemlicher Schlag mit dem Hammer sein. Leider gibt es solche Begebenheiten tatsächlich und ich kann deinen Wunsch verstehen, es wären nur Geschichten. Danke fürs Lesen und dass du der Geschichte Tiefgang attestiert hast. LG
  10. Deine Wurzel, die die Welt, trinkend aus dem Erdverbunde, tief und fest zusammenhält, kräftigt deinen Stamm vom Grunde. Krone, die den Himmel trägt, um von seiner Kraft zu zeugen, wird von diesem angeregt, in den Raum empor zu steigen. Und ich lag zu deinen Füßen, wo ich deine Ruhe fand, und mir fielen deine süßen Früchte einfach in die Hand. (Aus dem Fundus)
  11. Schmuddelkind

    Single-Börse

    Nachrichtensprecherin: ...Und damit zur Börse, wo, wie man hört, viel Bewegung am Markt ist, Ferdinand Feierabend. Börsen-Korrespondent: Guten Abend, Klara Klar. Ja, das ist richtig. Neuesten Schätzungen des Instituts für Panikmache zufolge, verliebt sich dort alle 11 Minuten ein Single. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen - alle 11 Minuten eine Transaktion. Da besteht natürlich die Gefahr, dass sich eine riesige Blase aufbläht und irgendwann in sich zusammenfällt, zumal einige Anleger sich wohl in einen Algorithmus verliebt haben. N: Aha, gibt es dafür denn schon konkrete Anzeichen? B: Die gibt es allerdings. Bestes Beispiel dafür aktuell ist der Lebensmittel-Riese Peter, über den Experten schon vor einem Jahr gesagt haben, er sei einfach zu breit aufgestellt und er müsse schlanker werden, um für Anleger attraktiv zu sein. Diese Verschlankung hat jetzt, wenn man den neuesten Zahlen von Peter im aktuellen Börsen-Bericht Glauben schenken mag, stattgefunden - sogar in erheblichem Umfang und schon schnellt die Aktie in die Höhe. Peter kann sich vor konkreten Angeboten zur Zeit kaum retten. Allerdings, wie das bei diesen Börsen-Berichten immer ist, darf bezweifelt werden, ob diese Zahlen auch so stimmen. Da könnte es schon passieren, dass die Anleger am Ende ihr blaues Wunder erleben. N: Und auch das werden wir natürlich im Auge behalten, genau wie die jüngste Entwicklung im Fall des Startup-Unternehmens Nadine. Gibt es diesbezüglich eigentlich etwas Neues? B: Nun, Nadine hat ja jüngst die Kooperation mit dem Internet-Mogul Sebastian aufgekündigt, weil dieser in einen Ausspähskandal verwickelt ist. Jetzt sucht Nadine aber bereits nach einem neuen langfristig strategischen Partner. Dass dies aber bereits so schnell nach der Trennung von Sebastian erfolgt, verunsichert viele Anleger, die erst einmal eine langfristig konstante Ausrichtung sehen möchten und daher reagiert der Markt hier vorerst noch zurückhaltend. N: Da also weiterhin eine verfahrene Situation. Aber wie man hört, gibt es Neuigkeiten von Andy. B: Ja, allerdings. Der Andy-Konzern scheint wohl sehr an einer Fusion mit dem Erotik-Anbieter Susi interessiert zu sein. Da hat aber der Mutterkonzern Brigitte im Moment noch etwas dagegen, da Brigitte einen Image-Schaden befürchtet. Brigitte so wörtlich: "Flittchen kommen mir nicht ins Haus!" Nun muss Andy also erst einmal Überzeugungsarbeit leisten, denn so lange er unter Brigittes Dach agiert, hat der Mutter-Konzern natürlich ein Veto-Recht. Eine Alternative wäre natürlich, sich von Brigitte zu lösen, aber da bereits seit 35 Jahren dieses Abhängigkeitsverhältnis besteht, darf bezweifelt werden, ob der Konzern auf eigenen Beinen überhaupt überlebensfähig wäre. Und mit diesen Aussichten zurück ins Studio. N: Danke nach Frankfurt!
  12. Lieber gummibaum, ich hatte deinen Text schon einmal an anderer Stelle gelesen, aber wieder war ich machtlos angesichts des lustigen Gegensatzes zwischen nüchternem Fachvokabular und allzu bekanntem Inhalt. Ich schmeiß mich weg. Jetzt verstehe ich auch, warum man sich testen lassen muss, wenn man aus "Risikogebieten" nach Hause kommt. Da hilft dann nur noch Quarantäne. LG
  13. Vielen Dank, Lena! Traurige Geschichten aus dem Leben schreibe ich zuweilen sehr gerne, auch wenn ich sonst oft absurde Geschichten mag und mit Übertreibungen arbeite. LG
  14. Schmuddelkind

    Unwetter

    Vielen Dank gummibaum! Freut mich sehr, dass dich die Idee überzeugen konnte. Den Wechsel in der Metrik hast du wirklich schön gedeutet. Ja, ich denke, so hatte ich es auch gemeint: Zuerst baut sich Spannung auf (elektrisch und seelisch); dann wird alles entladen. LG
  15. Schmuddelkind

    Unwetter

    In weite Ferne schweift mein Blick. Die heiße Luft hält mich gefangen und drückt den Atem mir zurück. Wie ist's dir wohl dabei ergangen? Und langsam schiebt ein Konterfei aus Wolken sich geradezu aus der Unendlichkeit herbei; und irgendwo dahinter: du! Und plötzlich von irgendwo flackert der Himmel. Ein wütendes Grollen erschüttert das Land. Und wieder ein Leuchten, ein wildes Gewimmel. Verzweifelt ergeben sich Wolken dem Brand. Die Zweige und Äste sind nicht mehr zu halten und überall knarrt es im düsteren Wald. Ein Baum wird vom Blitz in der Mitte gespalten. Ach Liebste mir, hoffentlich seh ich dich bald! (Aus dem Fundus)
  16. Vielen Dank fürs Lachen und deinen Vorschlag, liebe Lichtsammlerin! Cool, dass du diese vielleicht nicht sofort intuitiv zugängliche Idee verstanden hast und sie dein Gefallen fand. Dachte mir einfach nur, dass die Selbstreferentialität des Textes irgendwie lustig sein könnte. Das ist eine großartige Idee, genau aus den von dir angeführten Gründen! Vielen Dank! Habe deinen Vorschlag gleich übernommen. Das will ich doch auch sehr hoffen. LG
  17. Danke, dass du mir meinen Clickbait-Versuch nicht übel nimmst, Joshua. LG
  18. Ich las in der Autorenliste ein dreifaches "liest ein Gedicht", gestand mir ein, wie gern ich wüsste: Führt mich die Software hinter's Licht? Drum klickte ich darauf und sah, .........dass es nur Clickbait war.
  19. Vielen Dank für eure Worte der Zustimmung und Bekräftigung, liebe Lisa und lieber Freiform! Ja, diese Art von Gewalt ereignet sich leider tagtäglich, oft ist der Anlass dazu nichtig oder gar nicht gegeben. Was diese Geschichte wohl so drückend schwer macht, ist zudem die Perspektive, dass nicht wirklich etwas dagegen unternommen werden kann, denn Said ist gestorben trotz (oder gerade wegen) Normans aufrichtiger Haltung und seines Entschlusses, das Richtige zu tun. Was die Geschichte wohl letztendlich sagt: Es gibt nichts Richtiges im Falschen. Solange die politische Kultur so beschaffen ist, dass Hass einen Nährboden findet, wird es immer einen Weg für politische Verfolgung geben - egal ob in Pakistan oder Deutschland. Zu einem solchen Gedanken sind erschreckend wenige Leute in der Lage: "Wenn ich in der Haut desjenigen stecken würde, den ich gerade angreife..." Ist ja im Grunde ein einfacher Gedanke, aber wenn man das nicht im Kleinkindalter verinnerlicht, wird daraus später wohl auch nichts mehr. Danke! Ich freue mich sehr, dass dir diese Geschichte so zusagt, obwohl sie natürlich bleischwer ist. Naja, das ist immer so eine Sache mit der Wirksamkeit von Literatur (oder Kunst im Allgemeinen). Diejenigen, die aus so einer Geschichte lernen sollten, könnten es nicht und diejenigen, die es könnten, müssten es nicht. Hab mal gelesen: "Wenn Bücher die Welt verändern könnten, wäre es schon geschehen." Bin da eher skeptisch, dass Kunst mehr bewirken kann, als dass sich Menschen darin wiedererkennen. Aber ich habe große Wertschätzung für deine Sichtweise und bin dir ob deines Wunsches, diese Geschichte möge mehr Leser bekommen, sehr dankbar. LG
  20. Hallo avalo und vielen Dank für dein Lob bzgl. der Ästhetik der Zeilen! Bin mir nicht sicher, in welche Richtung deine Deutung ging, aber ich wollte das Gefühl (eines Mannes oder einer Frau vermitteln), das den Wunsch begleitet, einen Abschied nicht vollziehen zu müssen bei der Notwendigkeit, sich eben doch verabschieden zu müssen. Im Abschied selbst ist ja schon die Aussicht auf die Zeit der Trennung enthalten, die dem LI schon während der letzten zweisamen Momente eine Vorahnung der Einsamkeit vermittelt. LG
  21. Vielen Dank, Sonja! Eine andere, unerreichbare Dimension - ja so erscheint einem die Vergangenheit manchmal. Es ist nicht einfach zu verstehen, dass man die Gegenwart nicht einfach festhalten kann, dass sich alles verändert, das Meiste langsam und unmerklich, aber gerade deshalb ist man irgendwann so überrascht, wie nach Jahren alles so anders ist, wenn man an vergangene Tage zurückdenkt - wie man selbst vielleicht ein anderer geworden ist. Zeugnisse der Vergangenheit - alte Fotos, alte Briefe - können einem daher ziemlich tief durch Mark und Bein gehen. LG
  22. Nun sitz ich über deinen alten Briefen. Ich bin schon längst nicht mehr, wem sie einst galten. Und doch entsteigt ein Zittern jenen Tiefen. Wer mag derartig Aufgewühltes halten? In deinen Worten - deinem Meer - dort schliefen Gezeiten, die urewigen Gewalten, die mich dereinst aus meinem Schlummer riefen und wohl noch immer in den Träumen walten. Wärst du jetzt hier, ich wüsst dir nichts zu sagen. Gingst du dann fort, so fiel's mir wieder ein. Wer soll die Unzulänglichkeit ertragen? Wie einen Brief aus beinah fremden Tagen - der könnte auch an mich geschrieben sein - so schließ ich dich in mein Erinnern ein. (Aus dem Fundus)
  23. Schmuddelkind

    Laufen!

    Es ist so früh, dass die Stadt noch nichts vom Tage ahnt. Als der weiße Transporter anhält, erhebt sich Norman mit demselben Schwung vom Beton-Poller, mit welchem sein Rucksack auf seinen Rücken gerät; da ist Matze schon im Begriff auszusteigen. "Moins, Norman." "Morgen. Was haben wir heute? Wieder ein Baumarkt?" "Leider nein", erklärt Matze, während er die Schiebetür des Transporters öffnet. "Aber immerhin Rucksackware." Er öffnet einen der Kartons, die sich im Laderaum mannhoch aufstapeln und die grünen Flyer kommen zum Vorschein. "Der III. Weg?! Ich soll Nazi-Werbung in Oberschöneweide austragen, mitten im Nazigebiet?" "Norman, Job ist Job." "Für dich vielleicht, Matze. Ich will nicht nur von, sondern für etwas leben." "Meinst du, ich finde das schön? Du weißt, wie die Auftragslage ist. Die bescheuerten Wahlen retten mir gerade den Arsch und euch allen den Job. Da kann man nicht wählerisch sein?" "Wählerisch? Du meinst aufrichtig. Ich mache das nicht." "Norman!" "Nein, ich trage die Scheiße nicht aus." "Dann muss ich dich abmahnen. Du lässt mir keine Wahl." "Matze, du weißt, dass ich bei jedem Wetter austrage. Ich hab mich nie beschwert, auch nicht bei Überstunden oder Achtfach-Verteilung. Aber das mache ich nicht. Mahn mich halt ab, wenn du es für richtig hältst. Ist mir egal." "Norman, jetzt warte doch mal! Norman!" Aber da ist der Verteiler schon auf dem Weg und lässt sich nicht einmal bewegen, zurückzublicken. "Scheiße verdammt!", flucht sein Chef. Sogleich greift er zum Handy und wählt... "Said? Morgen! Du, eine Bitte: Könntest du nach Schöneweide kommen?... Sehr schön. Was meinste, wie lange du brauchst?... Eine Stunde? OK, bis dann!" Wie immer steht Said ein Lächeln im Gesicht, als er sich Matze mit ausgreifender Hand nähert. "Morgen, Boss." "Morgen, Said. Klasse, dass du so kurzfristig einspringen kannst. Hast was gut bei mir." "Keine Problem, Boss." Matze gibt ihm die Pakete, die er sogleich in seinem Rucksack verstaut. "So, das sind etwa 750 Stück. Sollte erstmal reichen. Kuckste, dass du in drei Stunden fertig bist. Dann setze ich dich um." "Alles klar, Boss." "Hast du einen Schnappi dabei?" "Ja." "Guter Mann! Wirste hier brauchen. Bis später! Hau rein!" Wenn Said Prospekte verteilt, trägt er in seinem Gesicht, in seiner Körperhaltung, in seinem zügigen, aber nicht nacheilenden Schritttempo stets die Würde eines Menschen, der um den Wert dienender Hingabe weiß. Auch ergreift er mit Freude die Gelegenheit, ungestört denken zu können. Er denkt an Pakistan. Was er jetzt wohl in Pakistan tun würde? Dort hat vor einer Stunde die Schule begonnen und er würde jetzt unterrichten. Er würde den Schülern vielleicht Trigonometrie beibringen. Manche von ihnen würden später einmal Architekten werden und wenn sie dann beiläufig den Sinus-Satz anwenden, würden sie möglicherweise mit Dankbarkeit an ihn zurückdenken. Diese Dankbarkeit erfährt er als Prospektverteiler freilich nicht. Oft wird er von oben herab behandelt oder wegen seiner störenden Tätigkeit ermahnt oder gar angebrüllt. "Egal", sagt er zu sich selbst. "Du arbeitest nicht, damit die Menschen dankbar sind. Das Leben selbst ist der Dank, seitdem du geflüchtet bist. Pakistan hat dir deinen Glauben nicht verziehen. Aber Deutschland kennt keinen Glauben, keine Kasten. Deutschland kennt nur harte Arbeit. Und hart will ich arbeiten. Ich bin kein Lehrer. Ich bin Verteiler. Das ist alles, was wichtig ist. Und das Beste, was ich daraus machen kann, ist gut zu verteilen. Ich muss schnell laufen, muss mein Tempo finden. Gestern war ich zu langsam. Aber gestern war gestern. Was kümmert mich gestern? Heute werde ich schneller sein. Heute werde ich 100 Flyer mehr verteilen als gestern. Die meisten werden die Flyer ohnehin wegwerfen. Das tut doch nichts zur Sache. Es geht nicht um die meisten. Es geht auch nicht um die wenigen, die die Flyer lesen. Es geht nicht einmal um die Flyer. Es geht um das Laufen, um das Vorankommen. Es geht darum, etwas zu tun. Und mit Liebe tue ich es, weil es mich ausmacht. Ich bin ein Verteiler." Er nimmt den Schnappi aus seiner Hosentasche und denkt unweigerlich daran, wie Norman ihm zum ersten Mal zeigte, wie man ihn aus einer Plastikflasche herausschneidet, wie man ihn abrundet, dass er die Form eines Schuhlöffels hat. "Es gibt keinen Menschen, der mich nichts zu lehren weiß", denkt er. Nun schiebt er den Schnappi in den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen hindurch und tastet sich zum Schloss hin. Klick! Das befriedigende Gefühl, wenn sich die Tür öffnet, vermischt sich inzwischen immer seltener mit dem Schuldbewusstsein, eingebrochen zu sein und wenn doch, erklärt er es sich wieder: "Du hast keine Zeit zum Klingeln. Du bist Verteiler. Du willst deine Sache gut machen." Unauffällig lässt er den Schnappi wieder in seine Gesäßtasche gleiten, während er in den Hausflur huscht. Als er die Flyer in die Briefkästen wirft, denkt er wieder an Pakistan. Er denkt an seine Familie. An seinen Vater, an dessen Beerdigung er nicht teilhaben konnte. Dies wird er sich nie verzeihen. Auch an seine Mutter denkt er, die ohne ihren Mann und ohne ihren Said auskommen muss - oh, wie gerne würde er wieder von ihrem Chicken Saag kosten! Vor allem aber denkt er an seine Frau Fatma und seinen Sohn Zia, die nicht mitkommen durften nach Europa. Dass Zia inzwischen schon drei ist und er ihn noch nie auf dem Arm halten konnte, kann er nur ertragen, indem er so wenig wie möglich daran denkt. Aber er denkt oft daran. Das würde er Fatma heute Nachmittag sagen, wenn sie wieder skypen und sie würde ihre Tränen zurückhalten. Er würde das erkennen und darüber weinen, sie damit zum Weinen bringen und dann würde Zia ins Bild geraten und freudestrahlend "Abba" rufen, woraufhin Said seine Tränen wegwischen würde und mit Zia herumblödeln würde. Fatma würde laut los lachen und Zia mit ein paar Spielsachen ablenken, damit sie stundenlang mit ihrem Mann reden kann. Wie immer würde er das Gespräch beenden mit den Worten: "Nur noch ein paar Jahre, dann hole ich euch nach Deutschland" Und sie würde antworten: "Ich bin nur froh, dass es dir gut geht." Als er aus dem Mehrfamilienhaus heraustritt, wird er durch die Worte eines Fremden aus seinen Gedanken gerissen: „Hast dich wohl verlaufen, Kanacke, wa?“ Die Stimme gehört zu einem der drei Männer, die sich ihm von der Seite nähern. Glatzen, Springerstiefel, wütende Gesichter und kantige Nazi-Symbolik an ihrer Kleidung wirken fast bedrohlicher als ihre Worte: „Um ein paar tausend Kilometer, würd ick schätzen. Sollen wir dir helfen, nach Hause zu finden? Hier sammeln Deutsche Flaschen, weil Bimbos wie du ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“ „Keine Problem, Sir. Ich gehe“, antwortet Said in demütigem Tonfall. Einem der drei jungen Männer ist es ein Bedürfnis, nachzulegen: „Du bist in unserem Viertel. In unserem Land. Verpiss dich sofort!… Na, wird‘s bald?!“ Sogleich fängt er an, auf Said zu zu rennen, sodass dieser unweigerlich davon läuft. Während er um die nächste Ecke biegt, hört er, wie sein Verfolger mit harten Schritten wieder abbremst. Die drei Männer lachen schadenfreudig. Als Said an der nächsten Haustür angelangt, hält er inne und versucht, die Situation zu reflektieren. Sie wollten ihm wohl nur einen Schrecken einjagen, denn sie haben offensichtlich die Verfolgung aufgegeben. Also nimmt er wieder seinen Schnappi und setzt seine Arbeit fort. „Det gloob ick ja nich!“, hallt es ihm von der Kreuzung herbei. „Der Kanacke bricht ein.“ Sofort rennen die Männer Said entgegen. Während er in den Hausflur eilt, hofft er, dass die schwere Holztür schnell genug wieder zufällt. Doch da stürmen die Männer schon hinein. Der erste schlägt Saids Kopf gegen einen Briefkasten und tritt ihm gegen das Knie, woraufhin Said zu Boden sackt. Als die anderen beiden nachkommen, treten sie zu dritt auf Said ein. Sie lassen nicht von ihm ab, als seine Stirn merklich eingedrückt ist. Noch ein paar mal treten sie auch zu, nachdem das Leben aus ihm gewichen ist und eilen schließlich davon. Im tiefroten Blut, das das Mosaik im Hausflur bedeckt, liegen grüne Flyer mit der Aufschrift: „Multikulti tötet.“
  24. Vermutlich ist das Gefühl, dass einem etwas fehlt, einfach drängender als das Gefühl der perfekten Harmonie und Vollständigkeit.
  25. Naja, wenn sie dich so sehr berührt haben, dass dir dazu die Worte fehlen, muss man ja auch nichts weiter dazu schreiben. Fühle mich geehrt. Danke! Aber das würde metrisch nicht funktionieren. Da muss man schon mal ein Wort etwas beschneiden. Das "wollte" sieht es mir gewiss nach. LG
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