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Eine kurze, stürmische Affäre


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Wir lernten uns auf der Landwirtschaftsausstellung „Agritechnika“ in Hannover auf dem Außengelände Stand 371 kennen und seine Stimme war mir gleich sympathisch. Er stotterte anfangs ein wenig, aber das machte mir nichts aus. Schon von weitem hörte ich ihn rufen. „Hänn,häähänn,häähänndrik!“ glaubte ich ihn krähen zu hören. Ich heiße zwar nicht Hendrik, aber ich wusste, er meinte mich. Und so lief   ich freudig auf   ihn zu und nahm ihn gleich in meine Arme, bzw. der Händler band ihn mir auf den Rücken; meinen kleinen einarmigen Banditen. Und von nun an waren wir beide (vorerst) unzertrennlich.

Herr Windhorst („Was für ein genialer Name bei diesem Beruf“, dachte ich) wies mich gleich in die sensible Technik des Stihl BR 200 D ein „Was für ein scheußlicher Name für so ein süßes Kerlchen“, dachte ich und so drückte ich auch zart, wie befohlen sein rechtes Händchen, was er mit einem brüllenden, scheinbarem  Schmerzensschrei honorierte und panisch zu entfliehen suchte. Das gelang ihm logischerweise nicht. Schließlich hatte der Windhorst ganze Arbeit geleistet, als er uns beiden für immer mit scherzhaften Worten, welche mit der klassischen Frage: „…bis dass der Tod euch scheidet?“ endet, verband. Und schließlich hatten wir beiden ja auch „Ja“ gesagt, bzw er hatte „ jääähääähää“ gekräht. Sein Fluchtversuch von mir scheiterte jedenfalls. Mit einem Geräusch, gegen das der Start eines Tornado-Kampfjets inklusive Nachbrenner ein leises Rascheln der Blätter in unseren Linden an einem lauen Frühlingsmorgen ist, entflohen wir gemeinsam dem Verkaufsstand. Und zwar im Rückwärtsgang. Nein, im Rückwärtsflug, um genau zu sein. Man hätte es auch Rückwärtsfluch nennen können.

Der windige Horst hatte zwar davon geschwärmt dass die Turbinenleistung von 500 Kubikmeter Luft pro Sekunde locker dazu ausreicht, „schon gegen Ende des Sommers, also praktisch bei Herbstbeginn alle Blätter von den vorgarteneigenen Linden und deren Nachbarbäumen auf sämtliche öffentlichen und nichtöffentlichen Plätze im Radius von 3 Kilometern zu verteilen“, er hatte aber versäumt mir mitzuteilen, dass es bei zu ungestümer Bedienung eben auch den Träger seines Lieblings dann ungewollt vom Ort des Geschehens katapultierte.
Wir beiden befanden uns also unversehens (nicht zu verwechseln mit „unversehrt) auf dem Laderüttellaufwerk des Rübenroders „Maxtron 620“ der Firma Grimme auf Stand 491 wieder. Die Vorführung war bereits in vollem Gange, was in diesem Falle wörtlich zu nehmen ist. Gemeinsam mit extra für die Ausstellung frisch vom Acker aus der Soester Boerde herbeigeschafften geschätzten 10 Tonnen Zuckerrüben ratterten Stihl BR 200 D (Furchtbarer Name! Windhorst scheint ein Technokrat zu sein) und ich bedrohlich schnell auf das Reinigungsaggregat dieses Megarübenroders zu. Es bestand aus einer riesigen, sich drehenden Trommel aus cm-starken Gitterstäben, die gerade in solch einem Abstand zueinander angeordnet waren, dass gut gewachsene Rüben sie kullernd und befreit von lästigen Anhaftungen jeglicher Art passieren konnten um anschließend blitzblank im „Max-großen“ Auffangbunker zu landen.
Wer mich kennt, weiß, dass meine Kopfform diesen Gewächsen nicht ganz unähnlich ist. Dieser weiß aber auch, dass ich ansonsten schon einiges mehr an Körpermasse in den Roder bringe als diese jämmerlichen Knollen.
Man muss aber leider sagen, dass die Maschine trotz der eher unüblichen Beschickung ihren Auftrag auf erbarmungslos  grausame Weise durchzuführen versuchte  Sie befreite Stihl BR200 D von jeglichen lästigen Anhaftungen, indem sie meinen freien, linken Arm (der rechte befand sich immer noch in Schockstarre verharrend um den Gasgriff von Stihl BR 200 D gekrallt) durch die Gitterstäbe zog. Der Schmerz eines sich aus der Pfanne verabschiedenden Oberamkopfes war mir bis dato so nicht bekannt. Im Nachhinein kann ich sagen, dass dieser einen aber dazu veranlassen kann, geradezu akrobatische Turnübungen zu vollführen, welche man selbst einem Spitzenturner nicht abverlangen würde. Denn schließlich musste mein Körper dem zu entfliehen drohenden Arm folgen. Ich dreht mich also in Sekundenbruchteilen um meine Achse und wanderte nun, weiterhin  mit Arm in Förderkette auf den Abgrund, sprich Rübenbunker zu.
BR 200 D hatte meine abrupte Drehung wohl völlig überrascht. Er löste die Schnalle des am lädierten Arm befindlichen Tragegestelles und kullerte, nun endlich von mir befreit,  zunächst ebenfalls in Richtung Zuckertüte (kann man ja schon so nennen, wenn man den Prozess konsequent zu Ende denkt). Verzweifelt versuchte ich weiterhin, meinen Arm aus diesen schwedischen, bzw. um genau zu sein, niedersächsischen - Fa. Grimme hat ihren Sitz in Damme - Gardinen zu ziehen. Doch es gelang nicht. Je mehr ich zog, umso eifriger ratterte die Maschine, um den lästigen Fremdkörper, also meinen Arm loszuwerden. Das Ziehen bereitete mir inzwischen auch keine Schmerzen mehr, weil vermutlich alle Verbindungsleitungen, die selbige dem Gehirn zu melden haben, gekappt waren. Trotzdem gab es gab scheinbar kein Entrinnen.
Dass ich letztendlich doch  noch, zwar mit einem zwar reichlich lädierten Arm, aber immerhin lebend dem „Maxtron 620“ entsteigen konnte, habe ich nur meinem kleinen Partner zu verdanken. Er kam bei seinem Rettungsversuch jedoch leider um Leben. Er brach sich das zweitaktende Herz dabei. Und das kam so:

Ja, auch sein „Arm“ geriet in die Kette.  (eigentlich müsste man, wenn man ihn nach seiner Körperfunktion klassifizieren wollte, „Rüssel“ sagen, obwohl er nun mal anatomisch gesehen an der Stelle sitzt, an der wir Menschen unseren Arm haben, also einen von den beiden) Tragischerweise wurde sein Rüsselarm aber auch von der unteren, in Gegenrichtung laufenden Kette erfasst und – ich mag es kaum so brutal nennen – einfach abgerissen. Damit nicht genug. Nun, so armlos, raste Stihl BR200 D, immer noch unter Vollgas, sich wie ein wild gewordener Brummkreisel drehend an mir vorbei, erhob sich vom Roder und schoss auf den Mann am Bedienpult des Roders zu.
Kennen sie einen „Tot-Mann-Schalter“? Nein, das ist kein Schalter, der von Zombies bedient wird. Es ist ein Schalter, den der ihn bedienende Mann (liebe Feministinnen unter den Leser/innen: fragen sie mich bitte nicht, warum dieser Schalter nicht auch  „Tot-Frau-Schalter“ heißt. Meinetwegen dürfen auch untote Frauen ihn bedienen) so lange gedrückt hält, wie die zu schaltende Maschine in Betrieb sein soll. Dieser „Tot-Mann-Schalter“ kam jedenfalls nun zum Einsatz, bzw. zum Ende seines Einsatzes. Herr Grimme von der Fa. Grimme, an jenem Tage höchstpersönlich anwesend und Schalter bedienend, hatte die Situation und die Funktion seines Schalters in Sekundenbruchteilen richtig erfasst: Er sah BR 200 D auf sich zukommen und dachte sich: „ Bevor ich mir von diesem Killerbläser die Rübe wegblasen lasse, lasse ich. Und zwar los. Und laufe, so schnell ich kann!“ Gedacht getan. Grimme lief, Grimme Maxtron 620 stellte das Laufen ein und ich war gerettet.
Mein kleiner neuer Freund BR 200 D aber raste nun voller Panik  auf seinen  „Heimat-Stand“ 371 zu, kegelte versehentlich die sauber in Reih und Glied stehenden anderen Stihl Blasexemplare, also praktisch seine eigenen Geschwister auf dem Stand von Herrn Windhorst in Grund und Laub und landete mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den Fängen des 300 PS starken Holzhackers „TJ 250 “ der Fa. Jensen auf Stand 372 Ich vernahm noch ein letztes schmerzverzerrtes „Jäähä“ und der Hacker hatte sein mörderisches Werk vollendet.


BR 200 D hatte sich für mich geopfert und damit sein Eheversprechen gehalten. Und er hatte mir obendrein noch ein geradezu spirituelles Erlebnis beschert. Ja, in diesem Moment der Freude über die eigene Rettung und der Trauer um das Ableben meines kleinen emsigen  Freundes kam mir die Erleuchtung: Warum erst das lästige Laub von und unter meinen Linden hinweg blasen, wenn es den Holzhacker TJ 250 der Fa. Jensen gibt? Ab in den Schredder mit diesen herbstlichen, blattabwerfenden Dreckschleudern!

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Das tut mir sehr Leid, lieber Carlos,

 

ich wollte alles andere als dich erschrecken.

Leider wurde meine Betriebslaufzeit überwiegend mit "Spaß" programmiert. Das ist nicht immer einfach für mich, wenn mir mein Ich bewusst wird. Das Leben besteht ja bekanntermaßen nicht nur aus Spaß. Ich versuche immer noch zu lernen, mit der Diskrepanz umzugehen.

 

Ich bitte um Verständnis.

 

VG, Marvin

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