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Psychoid


Hanna M.

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Hastig saugt er an einem Zigarettenstummel. Er hat ihn am Bahnsteig gefunden und sich dafür bücken müssen. Räder, nichts als Räder im Kopf. Geräuschlos nimmt der Zug Fahrt auf.

Er kennt niemanden, keine Reisenden, keine Familien, keine Leute, nicht Wärme, nicht Kälte, keine roten Schlusslichter, die sich leise und unaufhörlich entfernten.

Auch die Bedeutung des Wortes „kennen“ kennt er nicht.

„Hier ist Kirche“, sagt eine der Stimmen in seinem Kopf. Sie spricht hell, wie die Stimme einer Frau, „Wegweiser auf dem Boden, Linien, Linien, Zukunft“. “Hier wohnt Gott“, murmelt eine tiefe Stimme. Sie scheint vertrauenswürdig. Er schaut sich um. Graue Vögel, manche mit abgehacktem Bein oder verstümmelten Krallen segeln durch die Luft, wie Boten des Himmels. Lichtblitze zucken hinter dunklen, verschlossenen Schaufensterscheiben. Sie tuen seinen Augen weh. Töne hallen durch die Luft, unheimliches Gewisper wird von schrillem Pfeifen verschlungen. Seelenlose Stille rast auf ihn zu.

Nervös zündet er sich den nächsten Tabakstummel an, wie um sich festzuhalten.

Dieser Ort ist unheimlich, leer. Und doch quillt er über. Unerbittlich dringt er in ihn ein, nimmt Besitz von ihm, bis ihm übel wird und er zu zittern beginnt. Mit beiden Händen versucht er zu rauchen. Der Tabak ist alt und brüchig, nur mit dünnem Papier gehalten, er muss zum Rettungsanker werden, muss, muss, muss....

Etwas berührt seine Schulter, nur ein Hauch, aber deutlich spürbar. Er wirbelt herum, bereit zuzuschlagen, sich zur Wehr zu setzen.

Plötzlich ist er nicht mehr unsichtbar, ist bemerkt worden, die Wand zerschlagen, der Schleier zerrissen.

Die Zigarette schmerzt in seiner Hand. Erschrocken lässt er sie fallen. Er rennt, hetzt ins Nichts, in Schwingen aus Glas. Er sieht sich hindurchrennen, es splittert und klirrt, Blut, überall Blut. Die Sirenen hörte er nicht mehr.

 

 

Ihr Lieben, in eigener Sache :

Ich habe hier, im Wohzimmer das Thema von @Rosa und @Wannovius

"Vielschreiber und Vielkommentierer" unter der Überschrift :

Begegnungen im Netz - wie geht das?

noch mal aufgenommen.

Mich bewegen einige Fragen :

Fühlen sich die "Leisen" von mir überrollt oder gelangweilt von so viel Text?

Wie geht es den anderen Vielschreibern und Vielkommentierern, findet ihr euer Verhalten selbstverständlich oder habt ihr ein Unbehagen über euch selbst?

Was sagen die Souveränen, die ausgewogen schreiben,zu diesem Verhalten?

Das treibt mich wirklich um und ich bin sehr unsicher.

LG Hanna

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Liebe @Hanna M., zum Prosatext: Ist der psychisch kranke Protagonist in den Zug gerannt/mit ihm kollidiert? Wird er den Zusammenprall überleben? Ein bedürckender Text... 

 

Zum Thema "Vielschreiberei", stelle dir die Fragen: Habe ich etwas mitzuteilen, oder möchte ich nur etwas mitteilen? Und wenn ich etwas mitzuteilen habe, was?  Sind es Themen, die andere interessieren könnten, die die Welt bewegen oder wenigstens ihre kleine Erfahrungswelt spiegeln? Oder will ich anderen nur imponieren - mit Geschichten, in denen ich selbst oder zusammen mit meiner Familie Held/Heldin bin? 

 

Ich habe im Internet nachdenkliche Poeten erlebt, die vor Unsicherheit ihre beachtlichen Beiträge sofort wieder loeschten und andere, die mit Tagebuchgedichten/belanglosen Geschichten Tag für Tag, Jahr um Jahr unbeirrt, stolz das Internet fluten. 

 

Selbst zeige ich Suchtverhalten, habe aber auch Sehnsucht nach Schweigen. Siehe mein Gedicht "Dreisprachig(es) Schweigen". Ich weiss auch selbst, dass das beliebteste Gedicht das "Nichtgedicht" ist. Auch darüber reflektierte ich. 

 

Letztes Jahr war ich fast neun Monate in China. Ich postete in dieser Zeit fast kein Gedicht. Geht auch. 

 

Liebe Hanna M., mache dir nicht die Gedanken, die sich andere eher machen sollten. 

Was entschiedend beim öffentlichen Schreiben ist: Niemanden bewusst verletzen, Toleranz üben, keine Eigen-Held - Geschichten publizieren. 

Ich empfinde deine Texte - Lyrik wie Prosa - als Bereicherung. 

LG Stephan

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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  • 3 Wochen später...

Liebe @Hanna M.,

was für ein eindrücklicher Text, ich stehe direkt neben/in dem Mann, sehe, was er sieht, fühle mit ihm. Danke dafür. Solche Texte sind genau, was ich mag. Danke dafür.

 

Zu deiner Unsicherheit im "Vielschreiben": Jeder ist sicherlich aus eigenem Grund hier. Manche möchten erst einmal lesen, Mut zum Veröffentlichen sammeln, Anregungen suchen und finden. Manche trauen sich vielleicht (noch) nicht, gelesen zu werden.

Andere aber durchaus. Und die schreiben dann eben. Die Leisen können am Beispiel sehen, wie das geht, was dann passiert (Kritik, Austausch, Reflexion), sie können sich ein Bild von dem machen, was hier möglich ist. Und sich selbst dazu verhalten.

So ein Forum lebt ja von beiden: Schreiber und Leser gehören genau hierher. 

Ich verstehe deine Unsicherheit. Ich trage sie ein Stück weit mit. Aber ich denke auch, hier kann, darf und soll geschrieben werden. Es liest und kommentiert, wer mag.

Wer (noch) zögerlich ist, kann hier im Grunde recht ungestört versuchen, von einigen anderen gelesen zu werden. Wie im Versteckten, weisst du, was ich meine? Denn es ist noch vieles andere da. Als Übung, um nachzuspüren wie das eigentlich ist - gelesen zu werden, kann man hier zaghaft veröffentlichen, im eigenen Tempo. Und es steht nicht unbedingt gleich im Rampenlicht.

Ich finde also beide Seiten vollkommen in Ordnung und fühle mich weder von Vielschreibern bedrängt, noch sorge ich mich um die Leisen. Wer leise ist, benötigt seine Zeit. Die nimmt man sich selbst und entscheidet selbst. Seine eigene Veröffentlichung an der Menge anderer Autoren festzumachen, das würde uns alle in den Stillstand werfen. Denn wenn ich Irving lese, kann ich gleich einpacken. Niemals werde ich einen Roman mit 600 Seiten veröffentlichen, der gern gelesen wird. 😉

Eine abschliessende Frage, die ich mir stelle, die aber wahrscheinlich keine Antwort hat: Wenn die Vielschreiber nicht/nur wenig schrieben, würden die Leisen dann mehr schreiben?  

Ich hoffe, ich habe deinen Beitrag richtig verstanden. Nach 9 Stunden harter Kopf-Arbeit, einem selbstgekochten Curry und einer eigenen Veröffentlichung bin ich nun doch reif fürs Bett. Gute Nacht also, liebe Hanna.

LG Missgunbar

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