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Der Garten jenseits der großen Esche


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Das ist ein Gartenstuhl

 auf dem niemand sitzt

denn es ist Winter

und der Garten von gefrorenem Schnee gepudert

weil die Nacht klirrend kalt war

 

Neben dem Stuhl liegt ein Stapel Zeitungen

ohne jede Botschaft an uns

denn wir sind nur die Beobachter

 

Hier hat die Frau gesessen

früh an jedem Morgen

immer eine Zigarette in der Hand

 

Als sie gefunden wurde

standen wir abseits

die Fäden ruhten in unseren Händen

die miteinander verschränkt blieben

 

Jetzt sind wir die einzigen

die den Garten noch besuchen

er ist zum Urwald geworden

zarte Kleider verfangen sich im Gestrüpp

ungeschützte Haut wird blutig gerissen

und verheilt schlecht

 

Da steht der alte Gartenstuhl

vom Schnee befreit

und nach wie vor einladend

seine Gegenwart ist verwoben

mit der Vergangenheit

und die Zukunft wird uns nicht überraschen

denn im Aschenbecher auf dem Beistelltisch

brennt eine Zigarette herunter

der Stapel Zeitungen ist angewachsen

obenauf die heutige Ausgabe

 

 

 

 

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Hallo, Marcel,

 

deine Zeilen gefallen mir sehr gut, und ich bin überrascht, dass noch niemand sich dazu geäußert hat!

 

Nach und nach verdichtet sich das Bild, und man erkennt, dass auf dem Stuhl in der romantischen Umgebung eines üppigen Gartens (Zeitungen und Aschenbecher vermitteln neben der Aussage auch noch einen gewohnten, harmonischen Ablauf des Morgens gleich einem Ritual) eine Frau unbemerkt - vielleicht erfroren - verstorben ist. Tragisch ist, dass "wir" es in der Hand hatten, sie davor zu bewahren: 

Am 14.1.2023 um 17:50 schrieb Marcel:

die Fäden ruhten in unseren Händen

 

Die Hände blieben und waren miteinander (auch mit denen der Verstorbenen) verschränkt - wir hatten eine unausgesprochene Verantwortung. -

 

Das folgende Bild mit den "zarten Kleidern" und der "ungeschützten Haut" ist auch sehr ergreifend. Wer auch immer mit "wir" hier konkret oder allgemein gemeint ist, fühlt sich schuldig, ist dünnhäutig geworden, weil er nichts unternommen hat und es geschehen ließ; die blutende Verletzung empfindet man fast wie eine Sühne.

 

Danach "repariert" sich das Bild, das Leben geht weiter, nimmt seinen Lauf: Andere Leute sitzen auf dem Stuhl und tun das Gleiche.

 

Ein aufmerksamer oder sensibler Beobachter - vielleicht einer, der es weiß - denkt beim Anblick des Gartenstuhls an das Ereignis:

Am 14.1.2023 um 17:50 schrieb Marcel:

seine Gegenwart ist verwoben

mit der Vergangenheit

 

Dein Gedicht war heute mein Highlight! Danke!

 

Lieben Gruß N.

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