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Die Vertreibung aus dem Paradies


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I

 

Als das erste Menschenpaar

frisch von Gott erschaffen war,

durfte es im Garten Eden

frei mit seinem Schöpfer reden,

 

wie ein Kind zum Vater spricht,

mehr aus Liebe denn aus Pflicht.

Auf ein schönes Fleckchen Land,

angelegt von seiner Hand

 

und vom Morgentau benetzt,

hat ihr Vater sie gesetzt,

dazu ihrem jungen Leben

einen Ratschlag mitgegeben:

 

"Pflegt nun diesen reichen Garten!

Esst von Früchten aller Arten!

Nur am Baume der Erkenntnis -

dafür bitt ich um Verständnis -

 

dürft ihr nicht das Obst berühren.

Keine Macht soll euch verführen!

Euer Glück liegt sonst in Scherben

und ihr müsstet leider sterben.

 

Was das heißt? Das zu erfahren,

davor will ich euch bewahren.

Freut euch herzlich nun an allem,

was ich schuf, euch zu Gefallen!"

 

II

 

In des Edengartens Mitte,

zwischen Sandelholz und Quitte,

steht ein Apfelbaum, der fast

bricht an seiner Früchte Last.

 

Eva kennt wohl diesen Ort,

war schon oft des Mittags dort,

denn nicht weit von jener Stelle

rieselt eine kühle Quelle,

 

und sie wäre wohl auch heute,

da sie sich aufs Baden freute,

ohne sträfliches Verlangen

an dem Baum vorbeigegangen.

 

Da - im dichten Laub der Mispeln

hört sie ein gedämpftes Lispeln:

"Sieh doch diese schöne Frucht,

dieses Gartens größte Wucht!

 

Schmeckst du ihren süßen Saft,

hat dein Denken neue Kraft,

wirst du unbestechlich sein.

Sei nicht schüchtern! Beiß hinein!"

 

Lautlos gleitet aus den Hecken,

reich geziert mit schönen Flecken,

eine Teppichpythonschlange,

aber Eva wird nicht bange:

 

"Sage mir, wer bist denn du,

und was zischst zu mir da zu?

Weißt du nicht, dass dieses Obst,

das du so verwegen lobst,

 

uns der Vater streng verbot?

Ich und Adam wären tot,

müssten unser Leben lassen,

wagten wir, es anzufassen."

 

"Sterben müsstet ihr mitnichten!

Nein - ihr könntet weise richten,

lerntet Gut und Böse kennen,

dürftet selbst euch göttlich nennen!"

 

Eva kann nicht widerstehen,

sich noch einmal umzusehen.

Was ist dran an den Gerüchten?

Welche Kraft steckt in den Früchten?

 

Wie sie an den Zweigen hängen,

sich wie goldne Kugeln drängen!

Sollte man nicht doch probieren?

Was denn sollte schon passieren?

 

Also wird die Frucht berührt

und getrost zum Mund geführt.

Schmeckt sie bitter oder fade?

Wohnt im Innern eine Made?

 

Nein, sie mundet in der Tat

unvergleichlich delikat.

Davon muss auch Adam kosten!

Schon rennt Eva Richtung Osten.

 

wo ihr Gatte ruht im Grase.

Unter die verwöhnte Nase

hält sie ihm die süße Scheibe,

dass er sie sich einverleibe.

 

Wie die zarte Schale knackt!

Plötzlich sehn sie: Sie sind nackt.

Bisher war, bei aller Lust,

ihnen dieses nicht bewusst,

 

und nun blicken Frau und Mann

sich mit großen Augen an.

Adam rupft mit rascher Hand

provisorisch als Gewand

 

schnell zwei frische Feigenblätter,

und er fühlt sich schon als Retter.

Doch wie schlägt nun das Gewissen

nach dem unerlaubten Bissen

 

ihm und seiner Gattin jetzt!

Beide laufen wie gehetzt,

als im Wind die Wipfel rauschen,

Wolken sich am Himmel bauschen.

 

Zitternd steht das Schilf am See.

In die Hecken flieht ein Reh.

Tief ins Erdreich kriecht der Wurm.

Ihrem Vater scheint der Sturm

 

voller Kraft voraus zu wehen,

doch sie wollen ihn nicht sehen.

Was nun wird er sie wohl fragen,

was nur sollen sie ihm sagen?

 

III

 

Unter Eichen, unter Buchen

wollen sie Verstecke suchen.

Da bemerken sie verschreckt:

Vater hat sie schon entdeckt!

 

Beide stehen starr und stumm

ganz verzagt vor ihm herum.

"Warum flieht ihr, meine Kinder?

Fühlt ihr euch vor mir als Sünder?

 

Und was sollen diese Feigen?

Wollt ihr euch denn nicht mehr zeigen,

wie ich euch erschaffen habe,

wohlgestalt mit jeder Gabe?"

 

Adam senkt die Augenlider,

findet seine Sprache wieder:

"Ach, wir sind zutiefst erschrocken,

als wir plötzlich ohne Socken

 

unser Bild im Teich erblickten,

wo wir Lotosblüten knickten..."

Noch mehr Worte braucht es nicht,

weil ihr Antlitz Bände spricht.

 

Längst schon weiß Jehova Gott

alles über dies Komplott,

und nur Augenblicke später

spricht er zu dem Übeltäter:

 

"Schlange, ich hab wohl durchschaut,

wer da steckt in deiner Haut.

Ja, du bists, mein Widersacher,

mein Verleumder und Verlacher

 

schon von allem Anbeginn,

denn ich kenne deinen Sinn.

In der bunten Schuppenhülle

kamst du in des Gartens Fülle,

 

um die Menschen aufzuspüren

und sie listig zu verführen.

Dennoch, gräuliches Reptil:

Du verfehlst zuletzt dein Ziel.

 

Künftig sollst du Erde kauen,

nicht mehr in den Himmel schauen.

Doch der Mensch, der heute weint,

sei ab jetzt dein größter Feind.

 

Liegst du träge zwischen Halmen,

wird er dir das Haupt zermalmen.

Dafür wirst du dich erfrechen,

in die Ferse ihn zu stechen."

 

Zu dem Menschenpaar gewandt,

gibt Jehova nun bekannt:

"Ich entlasse euch , ihr Beiden,

denn ihr schafftet mir nur Leiden,

 

habt mein einziges Gebot

übertreten ohne Not.

Darum, ihr verirrten Schafe,

wartet nun auf euch die Strafe:

 

Eva, sei nun deinem Mann

untertan im Zweigespann. 

Wächst ein Kind dir unterm Herzen,

dann gebärst du unter Schmerzen.

 

Aber Adam - ja, auch du

findest nie mehr Rast und Ruh.

Disteln soll dein Acker tragen

und du sollst dich schwitzend plagen,

 

bis du wieder wirst zu Staub,

zu des dunklen Grabes Raub."

Als gesprochen dieser Bann,

sieht er sie noch einmal an,

 

mustert nun ein wenig milder

seine blassen Ebenbilder,

schenkt den beiden Biberfelle -

und entfernt sich auf der Stelle.

 

Für ihr unbedachtes Handeln

lässt er seine Kinder wandeln

in ein ungewisses Land,

öde, leer und unbekannt.

 

Schweigend über Stein und Dorn

richten sie den Schritt nach vorn,

wenden keinen Blick zurück

auf ihr rasch verwirktes Glück.

 

Beide wurden in die Welt

als Erwachsene gestellt,

lernten nichts in jüngsten Jahren,

weil sie niemals Kinder waren.

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Hervorragend, lieber Cornelius,

 

wie das Gebot Gottes,  der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies hier zu poetischer Dreieinigkeit gefunden haben.

 

Locker rollt das gesamte Geschehen von einem Ereignis ins nächste, bleibt spannend und witzig und immer in eine dichte Atmosphäre gebettet.

Originell auch der Schluss, der den Nachteil zeigt, erwachsen auf die Welt zu kommen (ohne wie das Vorbild allwissend zu sein).

 

Mit großer Freude gelesen.

Liebe Grüße von gummibaum

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Hallo Cornelius,

 

ich schließe mich den Kommentaren der Kollegen uneingeschränkt an. Eine wahrhaft witzige und insgesamt glänzend in Form gesetzte Komposition.

Eine Frage bleibt für mich allerdings seit frühester Kindheit immer noch unbeantwortet.

Wieso hat der allwissende Gott dies nicht alles schon vorhergesehen und verhindert?

Oder hat er es etwa vorhergesehen und trotzdem nicht verhindert?

Dann wäre allerdings er die wahre Schlange.

 

Grüße,

Aries 

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vor 8 Stunden schrieb Aries:

 

Eine Frage bleibt für mich allerdings seit frühester Kindheit immer noch unbeantwortet.

Wieso hat der allwissende Gott dies nicht alles schon vorhergesehen und verhindert?

Oder hat er es etwa vorhergesehen und trotzdem nicht verhindert?

 

Hallo Aries,

 

genau diese Frage stelle ich mir auch, und sie wird wohl unbeantwortet bleiben.

 

@Stavanger : Danke für den Hinweis, der Tippfehler ist korrigiert...

 

@gummibaum und @Sidgrani : Freut mich, wenn die Schlussstrophe eure Zustimmung findet. Sie ist meine einzige eigene Zutat (alles Übrige habe ich nur im Detail etwas ausgeschmückt), aber ich zweifle, dass strenggläubige Menschen sie goutieren würden...

 

Bei euch allen möchte ich mich ganz herzlich für die schönen Kommentare bedanken. Ich bin nahezu überwältigt von der Resonanz auf dieses Werk. In meinem Fundus befinden sich noch weitere von biblischen Geschichten angeregte Balladen, die jetzt nach mehrfacher Überarbeitung allmählich die Gestalt angenommen haben, die mir vorschwebte. Wenn mir niemand Einhalt gebietet, werde ich sie hier nach und nach vorlegen. Als nächstes wäre die Sintflut an der Reihe...

 

Grüße

Cornelius

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Hallo Cornelius,
auch in meinem Fundus gibt es einige "Paradiesgedichte", aber an dein meisterliches Vertreibungsepos kommen die nicht heran. 😉
So fasse ich mich kurz
 

neues paradies

 

wie wäre es

mit einer neuauflage des paradieses

nur diesmal reißen wir

der schlange den kopf ab

machen string tangas aus ihrem leder

wer hat schon jeden tag

lust auf äpfel

LG
Perry


 

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