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Meine Muse


Onegin

Empfohlene Beiträge

Wenn ich mir die Bürste

durchs schüttere Haar ziehe

 

entdecke ich
zwischen zu vielen Schuppen 

 

manchmal ein Zettelchen 

mit Versen 

in blassblauer Frauenhandschrift 

 

Das Zettelchen stecke ich 

in die Gesäßtasche meiner Hose 

 

Die Bürste lege ich dankbar

auf die Konsole zurück 

 

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Hallo Carlos, 

 

ich habe den Werfel sogar gelesen. In grauer Vorzeit, war glaube ich etwas süßlich. mein kleines Gedichtlein hier ist sehr ironisch und vielleicht auch etwas böse. Hier auf poeten.de gibt es sehr viele Autoren, die sich in Empfindsamkeitswettbewerben überbieten und die Darstellung ihrer privaten Emotionen schon für Poesie halten. Wenn es nur so einfach wäre! Da setze ich gerne mal einen Kontrapunkt. 

 

Beste Grüße 

Onegin 

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Hallo, Onegin,

 

dein Gedicht und auch deine Antwort an Carlos hat mich eine Weile intensiv beschäftigt, und ich habe meinen ersten Kommentar gelöscht. Du schreibst, dass es ironisch und sogar böse ist. Ja, so kann man es lesen. Aber, ich entdecke, wenn ich so will, auch die schöne Seite: ein Kompliment an die sensiblen Verse einer Frau, die von widerwärtigen "Schuppen" (den Kommentaren?) gereinigt werden und erst dann genießbar sind. Was ist dann mit der "Gesäßtasche", in die die Verse (oder doch die Kommentare von "blassblauer Frauenhandschrift?) voller Verachtung wandern?

 

Geschickt verpackt und verstrickt, und doch bleibt die Gefahr, dass eine Bürste alles über einen Kamm schert.

 

LG Nesselröschen

 

 

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Hallo Nesselröschen

 

 

ja, Du hat recht, es steckt noch mehr dahinter. 

 

Das Gedicht steht natürlich in einer Tradition, die auch von der Kahlschlag-Lyrik der unmittelbaren Nachkriegszeit herkommt.

 

 

Günther Eich: Latrine 

 

-Urhebergeschützter Text entfernt! 

MfG die Moderation JC-

 

 

Daten sind meine "Schuppen" und die "Gesäßtasche" ja  noch geradezu freundlich. 

 

 

Sowohl bei Eich aber auch in "meine Muse" geht es um Desillusionierung. Eich war bezüglich der kulturellen Tradition desillusioniert, die den Absturz in den gesellschaftlich organisierten Massenmord nicht verhindert hat. Bei. mir geht es, viel weniger rigoros, um einen desillusionierten Blick auf die Muse. Die Muse steht für das , was man in Creative writing Seminaren genau nicht lernen kann: Die Kreativität. 

 

Die Musen sind in der griechischen Mythologie weibliche, göttliche Figuren. Und es hat zudem besonders in Deutschland eine Tradition der Sakralisierung von Dichtung gegeben (Hölderlin, George, Rilke...), in der dem Dichter die Rolle des Sehers und Quasi-Priesters zufiel. Dazu ist "meine Muse" ein ironisches Gegenstück. 

 

Die blassblaue Frauenhandschrift ist die Handschrift der Muse. Aber die Qualität ihrer Eingebungen hält sich nur auf der Höhe einer etwas kitschigen Werfel-Novelle. Ebenso ist der Dichter alles andere als eine priesterliche Gestalt, sondern ein älterer Mann mit Haarproblemen. 

 

Aber das ist ja nur die eine Seite. Es gibt auch eine schöne Seite, wie du schreibst:  Tatsächlich findet sich ja unversehens und wundersamer Weise ein Zettelchen mit Versen auf der Bürste und die mögen wohl sanft & sensibel & weiblich sein. (wobei es sich hier um ein überholtes Frauenbild handelt, es wird jedenfalls von meinen Erfahrungen mit beiden Geschlechtern nicht gedeckt.) Zudem weiß der Dichter genau, was er trotz allem der Muse verdankt. Er legt ja auch die Bürste "dankbar" zurück. 

 

Das Gedicht ist also doppeldeutig und das macht es zunächst schwer verständlich. In der Antwort auf Carlos habe ich das Wort "böse" zu seiner Charakterisierung benutzt. Na, das war wohl etwas zu viel des Guten: Es ist allenfalls ein wenig boshaft und ich hoffe, es gefällt dir trotzdem.

 

Liebe Grüße 

 

Onegin 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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