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Schmuddelkind

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Alle erstellten Inhalte von Schmuddelkind

  1. Schmuddelkind

    Tag sechs

    In einem Anfall spontaner Rebellion gegen die Langeweile habe ich heute in den sozialen Netzwerken gepostet, dass Forscher herausgefunden hätten, der Corona-Virus werde durch Blickkontakt übertragen. Man könne sich vor einer Infektion schützen, indem man mit geschlossenen Augen durch die Welt gehe. Noch ehe ich mein "April, April!" darunter setzen konnte, wurde meine Fantasie zur Realität der Sicherheitsdürstigen. Auf Youtube sah ich Online-Tutorials, wie man sich mit geschlossenen Augen im Raum orientieren könne. In den Foren bildeten sich zwei Lager. Lager A: "Blickkontakt ist ein soziales Grundbedürfnis. Das lasse ich mir durch kein Virus der Welt verbieten. Macht endlich die Augen auf!" Lager B: "Wenn es nur darum ginge, den eigenen Tod zu bevorzugen, sei dir das zugestanden. Aber Blickkontakt ist eben verantwortungslos und sollte schnellstmöglich verboten werden." Bundespressesprecher Seibert erklärte in einer Pressekonferenz: "Zwar tappt man, was die Erforschung des Virus angeht, noch im Dunkeln und sichere Erkenntnisse über die Verbreitung des Virus sind derzeit noch nicht zu erwarten. Allerdings ist die Bundesregierung nach Rücksprache mit führenden Virologen zu dem Schluss gekommen, dass eine Übertragung des Virus durch die Augen nicht zu erwarten sei." Zu diesem Zeitpunkt wurde schon der erste Fall von panischer Selbstblendung berichtet. Dummheit ist viraler als jeder Virus.
  2. Ich könnte dir doch alles sagen. Nur eines bleibt geschwiegen. Es greift nach dir, doch bleibt im Vagen, bis Worte mir versiegen. Es tut so gut, mit dir zu sprechen, einander zu begreifen. Nur warum muss die Stimme brechen, wenn wir die Wahrheit streifen?
  3. Schmuddelkind

    31.3.2012

    Liebe Babsi, du hast sicher recht: die wahre Bedeutung ihrer Worte könnte ich wohl nur erfahren, wenn ich mit ihr spräche. Allein - wie oft kann ein Herz brechen, ehe es zugrunde geht? Stattdessen sitze ich also seit gestern über ihren Brief und deute jedes einzelne Wort. Ich analysiere, kombiniere und fantasiere, doch statt das Undeutliche in einen Sinn zu fügen, werde ich mir selbst ganz undeutlich. Was hat es zu bedeuten, wenn sie über ihre Entscheidung "nachdenkt"? Heißt es "überdenken"? Oh, für einen Augenblick bin ich der glücklichste Mensch der Welt, ehe der Verstand einwendet: Aber warum schreibt sie, sie hätte mich nicht verdient? Vielleicht bedeutet "nachdenken" also reflektieren und in dieser Reflexion hat sie ihren Frieden mit dem gegenwärtigen Zustand gefunden. Wie kann ich wieder so hochmütig sein und glauben, sie könne es anders sehen? Dennoch drängt sich mir dann aber die Deutung auf, sie wolle mich einladen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Was soll "verdienen" überhaupt bedeuten? Hat man nicht den Menschen verdient, der sich nach einem sehnt, gerade weil er sich nach einem sehnt? Treffen dort nicht Ursache und Wirkung in einem Punkte zusammen? Ist das nicht das Erfüllende an der Liebe, dass sie keines äußeren Anlasses bedarf, dass sie sich aus sich selbst heraus entfaltet? Ach, ich drehe mich im Kreise - und wenn ich noch so klug wäre, drehte ich mich nur umso schneller im Kreise. Liebe kann doch nicht in solch komplexen Gedanken gedacht werden. Man kann sie nur geschehen lassen. Wie kann ich mich erdreisten, ihre Gefühle in meine Gedanken zu zwängen? Doch es zerreißt mich - die Ahnungslosigkeit, dieses... ach! Beschränktheit und Unendlichkeit und ich dazwischen! Reift in dir auch zuweilen der Wunsch, dich für einige Zeit aus deinem eigenen Leben zurückzuziehen, um dann wieder einen Blick hinein zu wagen und festzustellen, ob es inzwischen richtig erscheint, wieder du selbst zu sein?
  4. Schmuddelkind

    Tag fünf

    Nachdem der Winter ausgefallen war, schneit es nun zum Frühlingsbeginn. Die Menschen auf der Straße verziehen das Gesicht darüber in erkennbarer Empörung, fast so, als glaubten sie, ihr Gesichtsausdruck könnte irgendetwas an der Willkür höherer Mächte ändern. Hier drinnen ist es mir hingegen völlig egal, ob es schneit, regnet oder stürmt. Ich bin über das Wetter erhaben. Genau genommen bin ich über all eure Belange da unten erhaben. Gesteigerte Grundaggressivität, sinkende Aktienkurse, Hamstereinkäufe, aufgeblähter Organschwarzmarkt - geht mir alles am Arsch vorbei. Ich bin ein Gott und lebe von euch entrückt in meinem absolut ereignislosen Himmel. Huldigt mir und lasst euch von meinem Segen infizieren! Ich führe euch in mein Himmelreich und setze euch die Corona der Absolution auf! Wahrlich, ich sage euch. Gesegnet seien die Umtriebigen; denn sie werden in Quarantäne ruhen. Gesegnet seien die Hungernden; denn sie brauchen kein Klopapier. Gesegnet seien die Toten; denn sie können nicht sterben.
  5. Lieber Hayk, das ist natürlich doppelt traurig, dass der blöde Virus dir nicht nur bzgl. des Osterfests, sondern auch bzgl. deines Geburtstages einen Strich durch die Rechnung macht. Wenn wir unsere Tränen kombinieren, können wir damit vielleicht eine Wanne füllen und den Wein heben wir dann für die Blumen auf. Ach, diese Tage fühlen sich auch seltsam an. Habe kaum Arbeit, kann aber mit der unangeforderten Freizeit auch nicht wirklich etwas anfangen, außer Gedichte über Mordgelüste gegenüber dem Osterhasen zu schreiben. Dir alles Gute und kommendes Oster- und Geburtstagsfest wird ja nicht das Letzte sein. LG
  6. Des Tages schönster Augenblick: wenn du mir schreibst "Gut Nacht!" Dein Wunsch ist mit dem ganzen Glück der Nähe sanft bedacht. Das Schlimmste jeden Tag für mich: wenn du mir schreibst "Gut Nacht!", weil Einsamkeit unweigerlich den Abend dunkel macht. Da dieses Wort dein letztes ist, rührt es mich so sehr an. Doch ist es auch besonders trist, weil nichts mehr folgen kann.
  7. Keine Sorge! Wenn der Spannungsbogen den Tiefpunkt erreicht hat, werde ich den Blog einstampfen.
  8. Erst ab Tag vier war mir langweilig genug, um meine Langeweile zu verschriftlichen. Nun könnt ihr euch an meiner Langeweile erfreuen.
  9. Schmuddelkind

    Es reicht

    Dann fahren vielleicht weniger Leute mit dem Auto und die Unfallzahlen sinken, was dann wieder weniger Panik zur Folge hat, sodass sich irgendwo ein gesundes Panik-Fahrverhaltens-Gleichgewicht einstellt.
  10. Schmuddelkind

    Tag vier

    "Bloß nicht den Verstand verlieren! Bloß nicht den Verstand verlieren! Bloß nicht den Verstand verlieren!", bete ich mir immer wieder vor, während ich die Dielen zähle. Schmuddi, du bist doch verrückt! Geh lieber mal ans Fenster! Da kommst du auf andere Gedanken. Der Typ im Kapuzenpulli trägt eine Packung Toilettenpapier - scheiß Angeber! Ansonsten sind die Straßen so leer, dass Berlin auch gut ohne auskommen könnte. Wie eine Stadt ohne Straßen wohl aussehen würde? Das wäre dann wohl ein einziges, riesiges Haus. Dann wäre es auch nicht so schlimm, das Haus nicht verlassen zu können. Ach, das ist überhaupt das Blöde an der Quarantäne, dass man nicht mehr rauskommt. Ob es verantwortungslos wäre, ein Inserat zu schreiben? "Biete Aussicht auf Corona-Infektion gegen soziale Interaktion." Wenn der Verrückte freiwillig zu mir kommt... Ist vielleicht gar nicht so verrückt. Lieber jetzt anstecken, als in ein paar Wochen, wenn die Krankenhäuser überlastet sind. Diese Gedanken sind selbst mir zu absurd und so falle ich wieder zurück in die Langeweile. Es ist so langweilig, ich würde sogar arbeiten gehen, um etwas zu tun. Ich könnte ja mal meine Mutter anrufen... Nein, dafür ist mir nicht langweilig genug. Ach, ich werde einfach wieder die Dielen zählen. Das verliert eigentlich kaum an Reiz.
  11. Und wer ist Schuld daran, dass Lars nicht lesen kann? Ich denk, ihr wisst es schon: Evolution! Insofern ist das eine Evaluation durch Unterlassen. Lesenswerter Kurztext, lieber Emil! LG
  12. Schmuddelkind

    Es reicht

    Lieber Carlos, das Gedicht gefällt mir sehr, weil es zeigt, was es beschreibt, bzw. hält, was es verspricht. Insofern hat gerade die Auslassung des auszulassenden Wortes einen interessanten Effekt. Ich frage mich übrigens auch, eigentlich schon vor deinem Gedicht, aber durch dein Gedicht wurde die Frage in mir nochmal aufgeworfen, warum das Ding so heißt. Ich fand die Strophe besonders prägnant, in der beschrieben wird, dass sich der Virus wichtiger fühle als Krebs, weil wir ihm die Krone aufsetzen. Das regte mich zunächst zum Schmunzeln und dann auch gleich zum Nachdenken an: Krebs ist und bleibt ja weiterhin eine weit verbreitete und gefährliche Krankheit und das wird auch nach der Corona-Krise so sein, auch in Jahren noch, wenn von Corona hoffentlich längst nicht mehr die Rede sein wird. Im Moment denkt aber vermutlich niemand an Krebs, weil der Virus eben so präsent ist. Aber wenn man mal darüber nachdenkt, ist es eine gewisse Ungerechtigkeit, dass die Millionen anderer Todesarten vor der Plötzlichkeit der Pandemie in den Hintergrund rücken. Ich bin dafür, dass wir unsere Panik gleichmäßig auf alle Gefahrenherde verteilen. LG
  13. Schmuddelkind

    30.3.2012

    Liebe Babsi, da sich das Osterfest allmählich nähert, fragte sie, wie ich Ostern denn verbringen wolle und sogleich überschlugen sich ihre Worte und sie schien nicht die Macht besessen zu haben, ihren Text zu ändern - oder sie will ganz ehrlich sein oder ich lese wieder zu viel hinein: dass dies doch der Tag habe werden sollen, an welchem wir uns gesehen hätten, dass sie zu Ostern ganz allein sein werde, dass wir einander vielleicht ein anderes Mal besuchen sollten, wie bemerkenswert sie es finde, dass ich trotz allem noch immer an ihrem Wohlergehen interessiert sei und wieviel ihr unsere Freundschaft bedeute und dass ich überhaupt ein ganz besonderer Mensch sei, was sie dazu veranlasst habe, wieder über ihre Entscheidung nachzudenken: "Ich hätte dich überhaupt nicht verdient." Was soll das alles heißen? Ist dies Trost? Ist dies Folter? Ist dies Bedauern? Verzweiflung? Hoffnung? Und doch erkannte ich mich in den Wirren ihrer Worte wieder. Ach, so viel tröstende Vertrautheit in der Verwirrung! Und doch so viel Schmerz in ihrem Trost! Und Nähe! Ja, Nähe in unserem Leid! Ich übte mich in Zurückhaltung und schrieb lediglich, dass ich zu Ostern ebenfalls allein sein werde und verschwieg ihr meine Gründe und sah, wie ihre Einsamkeit die meinige spiegelt, so wie mein Verlangen ihre Zerrissenheit, ihre Zerrissenheit mein Leid spiegelt. Irgendwo in diesem Spiegelkabinett sah ich mich zu ihr aufbrechen, dass die Welt an mir vorüberrauschte, während ich ihr immer näher kam und alle die Widersprüche der Wirklichkeit, Sehnsucht und Geborgenheit, Unrast und Ruhe, Tag und Nacht und Dunst und Regen, sich in einem Kuss vereinten. Jedoch wusste ich, dass so sinnhaft nur Träume sein können und beließ meine Antwort dabei. Stattdessen schrieb ich ein Gedicht: Dein Trost Dein Trost ist Grund, warum ich leide. Drum tröste mich noch öfter, herzlich, wahr! Denn wenn wir uns umarmen, beide, dann bin ich deinem Busen ach so nah.
  14. Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren! Wow! Ein größeres Lob kann man nicht bekommen. Das ist richtig. Nicht umsonst ist in so vielen Sprachen im Wort für Freund das Wort "Liebe" enthalten: ami, amicus, amigo und auch im Deutschen war es bis vor wenigen hundert Jahren üblich, einen guten Freund seinen Liebsten zu nennen. Natürlich gibt es zwischen freundschaftlichen und Liebesbeziehungen Unterschied, nicht darin, wie man seine Zuneigung ausdrückt - mit einem guten Freund zu schlafen, ist wohl eher ungewöhnlich. Aber ich urteile nicht über Menschen, die ihre Gefühle ausdrücken, gleich wie schräg das von außen aussehen mag. LG
  15. Vielen Dank, ihr Lieben! Dieses Osterfest wird sich wohl anders anfühlen. Dies habe ich versucht, mit diesem Gedicht einzufangen. Cool! Freut mich sehr, dass es bei dir ankommt. Mensch, das ist ja ein cooles, optimistisches Erwiderungsgedicht. Danke! Gute Idee! Da kann man sich zuerst be- und dann ertrinken. Danke! Wer Ideen hat, dem genügen die paar Quadratmeter in der Quarantäne. Wer sich in seinem Kopf nicht zurechtfindet, dem ist die Welt nicht genug. LG
  16. Netflix, putzen, Blumen gießen... Dieses Osterfest wird ärgerlich. Denn aus Langeweile könnte ich den Osterhasen glatt erschießen. Maßlos werd ich mich betrinken; dann verstecke ich das Klopapier und die Eier, bunt bemalt, vor mir. Finde sie erst, wenn sie stinken. Und ich schreib dir eine Karte, denn ich wäre dir so gerne nah. Doch aufgrund der Ansteckungsgefahr werfe ich sie weg und warte.
  17. Liebe Lotte, ich hoffe ja mal nicht, dass wir italienische Verhältnisse bekommen und Ärzte sich zur Entscheidung genötigt sehen, die Alten oder die Jungen medizinisch zu versorgen. Aber solche Ungerechtigkeiten liegen ja tiefer und werden in solchen Ausnahmesituationen nur auf die Spitze getrieben. Auch ohne Corona-Krise ist Armut ein langsamer, unsichtbarer Tod, über den niemand redet. Jedenfalls hast du starke Worte für diese Ungerechtigkeiten gefunden. Die Allusion an Orwell ("nur sind manche gleicher, eben") finde ich gelungen. Zwar hat Orwell den Satz auf den vermeintlich real existierenden Sozialismus gemünzt, aber zumindest im Gesundheitswesen schreibt unsere Gesellschaft sich ja auf die Fahne, das Leben aller gleichermaßen zu schützen (und dies ist ja letztendlich in der Menschenwürde begründet), aber letztendlich wird wohl nicht wirklich jedem geholfen werden können, wenn es hart auf hart kommen sollte. Da kann man nur hoffen, dass keine zynischen Entscheidungen getroffen werden. LG
  18. Liebe sofakatze, als ich vor Kurzem gedankenschwer, wie wohl Viele dieser Tage unterwegs sind, durch einen Park ging und wenigstens für einen Moment den Kopf hob und die Bäume frisch sprießen und die Sträucher und Blumen blühen sah uns weiter aufblickte zum blauen Himmel, erkannte ich, dass in diesen kleinen, unscheinbaren Dingen dennoch Glück liegt. Diese Erfahrung erkenne ich auch in deinem Gedicht wieder. Klar, ein Frühlingstag hält den Tod nicht auf. Aber im Leben bestehen nun einmal Leid und Glück gleichberechtigt nebeneinander und wenn einem nach Frühling ist, sollte man ihn sich nicht durch die Nachrichten verderben lassen, wie man eben auch umgekehrt nicht die Augen vor dem Unrecht verschließen sollte, nur weil es einem gut geht. Mir imponiert in diesem Gedicht, wie so oft bei dir, wie du mit Worten spielst, welche Verknüpfungen du erschaffst, um eine Stimmung zu transportieren. Formulierungen wie "golddurchwirktes rot" ziehen mich daher besonders an, weil sie in ihrer Einzigartigkeit einen einzigartigen Vorgang sehr genau wiedergeben. Verzeih, dass ich diesmal zum Gedicht selbst gar nicht so viel zu sagen hatte. Aber dieses Gedicht hat mich eher dazu eingeladen, mich in die Stimmung fallen zu lassen und auch in mein Erinnern ähnlicher Momente einzutauchen. Dafür danke! LG
  19. Lieber Hayk, wie du die im nahen Wandel (und der Liebe) begründete Hoffnung der allgegenwärtigen Angst vor Krankheit und Tod entgegenstellst, ist sehr überzeugend, auch weil du diesen Gegensatz sprachlich unterstreichst. Insbesondere fällt mir diesbezüglich die beschwingt Verniedlichungsform "Weilchen" auf (und "Veilchen" ist zwar ein Eigenname, klingt aber eben auch recht verniedlicht), wo du zuvor mit ernüchternden Worten von "Masken" und "Siechtum" ein gegenwärtiges Schreckensszenario gezeichnet hast. Gut gelungen jedenfalls! LG
  20. Hallo Elmar, dein Gedicht hat mich sehr angesprochen. Gilt gemeinhin das Bewusstsein als Phänomen, das die Welt im Laufe der Jahrmillionen durch natürliche Prozesse (z.B. Evolution) hervorgebracht hat, so stellst du diesen Vorgang hier auf den Kopf: Das Bewusstsein ist zuerst da und erschafft die "Wirklichkeit" in sich. Diese Sichtweise ist zwar nicht die herkömmliche Sichtweise, aber lässt sich nun auch nicht ohne Weiteres entkräften. Die Annahme, dass es überhaupt eine Außenwelt gibt, beruht ja auf unserem Vertrauen auf unsere Sinnesorgane und kann ohne unser Bewusstsein gar nicht das Licht der Welt erblicken. Die letzten vier Verse habe ich als zusammenhängend gelesen, wozu mich auch der Titel verleitet hat: Wenn ich die Augen schließe (wenn auch nur für einen Wimpernschlag), habe ich für einen kurzen Augenblick das "Weltbild". Gibt es in dieser Zeit überhaupt eine Welt? Würde Schrödinger sagen. Die Welt ist tot und lebendig zugleich? Eine Überlagerung möglicher Zustände, von denen nur einer realisiert wird, wenn ich die Augen wieder öffne? Interessanter Gedanke! LG
  21. Oh, vielen Dank für die vielen Reaktionen, ihr Lieben! Liebe sofakatze, dafür hast du den verspürten Mangel an Emoticons ja mehr als kompensiert durch deine ausführliche Beschäftigung mit meinem Gedicht. Danke dafür! Stimmt. Der Zeitungsverteiler selbst begegnet den meisten Menschen ja auch nur als eine Rolle. Er wird auf seine Funktion reduziert. Hier geht es aber um seine tatsächlichen Gedanken, um sein Leid, seine Freude, seine Liebe, sein Menschsein eben. Den Kreuzreim hatte ich zwar sehr intuitiv angewandt, aber ich denke, dass deine Gedanken schon darauf zutreffen. Beim Kreuzreim ist es ja überdies auch so, dass sich die Reime abwechseln wie die Schritte (des Zeitungsverteilers). Und da musste ich auch darüber nachdenken: Vermutlich verschlimmern die schwierigen Umstände, die körperliche Qual etc., die Sehnsucht des LI. Man könnte ja meinen, wenn man gerade mit seinem unmittelbaren Leid beschäftigt ist, lenkt dies zumindest von dem Fehlen des geliebten Menschen ab. Aber ich glaube tatsächlich, dass dieser Mensch dann umso mehr fehlt, weil seine Anwesenheit die Situation zumindest erträglicher machen würde. Sie könnte ihm Trost geben, könnte seine Arme massieren etc.. Da war ich wohl versehentlich genial. Eigentlich sollte es nämlich nicht "Nähe", sondern "Mühe" heißen. Habe den "Fehler" auch bemerkt, wohl während du deinen Kommentar geschrieben hast und habe ihn sogleich korrigiert. Nachdem ich deinen Kommentar gelesen habe, fand ich aber deine Interpretation so überzeugend und so viel reicher als meine ursprüngliche Idee, dass ich mich dazu entschlossen habe, doch wieder zur "Nähe" zurückzukehren. Danke dafür! Das hast du sehr schön erklärt und ich schätze, dass das auch tatsächlich der Sinn des Gedichts ist. Es ist eine Einladung, das LI auf seinem Weg zu begleiten, ohne falsches Versprechen, dass alles immer gut sein wird, sondern mit der Aussicht, dass das Teilen von Freud und Leid das eigentliche Glück ist. Ja, da scheint eine interessante, ambivalente Bindung zwischen dem Zeitungsverteiler und Karren zu sein und somit wohl auch zwischen dem Menschen und seiner Arbeit. Ja, und vom Wunsch nach Zärtlichkeit in einer harten Zeit, schätze ich. Die Situation verschlimmert sich, aber die Hoffnung wächst. Im Grunde erträgt er sein Leid mit Würde, weil er weiß, dass seine Geliebte auf ihn wartet, für ihn da ist, auch wenn sie körperlich gerade nicht anwesend sein kann. Das sehe ich genauso, lieber Carlos. Die Sinnlichkeit ist zwar in der Regel ein Bestandteil einer innigen Liebe, aber nur insofern, wie sie ja den generellen Wunsch nach Nähe und Einfühlung ausdrückt, wie es beispielsweise auch Worte, Gesten und Perspektiven tun. Das ist vermutlich ein universelles Gefühl, das sich auch gar nicht immer auf einen Menschen beziehen muss, liebe Letreo. Manche haben ja eine nicht geringere Sehnsucht nach Orten. Das freut mich sehr. Ach, das hast du so schön geschrieben. Ja, das Teilen ist wohl ganz wichtig und vermutlich geht es in diesem Gedicht in erster Linie darum. LG
  22. Liebe Letreo, danke für dein Lob! Ja, Sehnsucht ist ein Schmerz, aber ein Schmerz, der im Glück begründet ist. Das macht es zugleich schlimmer und erträglicher. LG
  23. Hallo Carlos, wie bei Krimis versucht ja bei Gedichten auch jeder den "tatsächlichen" Hergang für sich zu rekonstruieren. Nur anders als bei Krimis gibt es bei Gedichten natürlich keine eindeutige Wahrheit. Insofern bin ich immer glücklich, wenn sich jeder auf seine Weise meine Gedichte zurechtreimt, solange es sich auch wirklich auf mein Gedicht reimt. Das würde ich in der Absolutheit nicht sagen. Es gibt auch wundervolle Gedichte über glückliche, erfüllte Liebe. Aber ich gebe dir insofern recht, dass unerfüllte Liebe schon den "spannenderen" Stoff bietet. Ich finde es auch tatsächlich tröstend, wenn es mir nicht gut geht, in den Texten anderer zu sehen, dass mein Gefühl auch da draußen in der Welt ist. Daher mag ich wohl auch generell lieber traurige Gedichte und Geschichten. LG
  24. Danke für das Lob! Achso, inhaltlich. Was meinst du, stört daran? Aber wenn du "eingeräumt" schreibst, klingt das fast so, als wäre es mir peinlich, dass es an den Haaren herbeigezogen ist. Gerade die Absurdität macht das Gedicht doch aus, auch diese überzogenen Formulierungen: "belasten" statt "stören". Es geht ja gerade darum, dass das LI in seiner Depression ein überzeichnetes Bild von der Abwendung der Welt hat. :<} Danke! Ja, Humor generell ist das Pupsloch der Seele. Zuweilen ist schwarzer Humor auch wirklich lebensrettend, finde ich. LG
  25. Vielen Dank, liebe Anonyma! Ja, die Vermeidung von Inhalt beim Produzieren von Worten ist auch Politikern nicht ganz fremd. Wohl auch aus gutem Grund. Wenn sich ein Politiker mal zu einem konkreten Satz wie "Jedem wird geholfen" versteigt, wird er gar daran gemessen. Wenn man dann tagelang den Laptop angeschaltet lassen muss, um seinen Platz in der Warteschlange für die Corona-Soforthilfe für Selbstständige nicht zu verlieren und den Laptop schließlich in einem Tobsuchtsanfall in den Häcksler wirft, weil man ihn reflexhaft am dritten Tag doch ausgeschaltet hat, kann es unter Umständen passieren, dass dieser Politiker nicht wieder gewählt wird. Das wäre eine echte Tragödie. Ja, dazu sind v.a. drei Methoden hilfreich: 1. Passivkonstruktionen - denn hier kann man sehr gut das Subjekt (und damit den Verantwortlichen) unter den Tisch fallen lassen. 2. Substantivierungen - sie beschreiben eine Tat wie einen selbstläufigen Prozess statt als Ergebnis einer individuellen Entscheidung. 3. Verwendung von Wörtern, die sowohl eine umgangssprachliche, als auch eine fachsprachliche Bedeutung haben. Ich denke, Sprache prägt das Denken. Zuweilen stelle ich mir vor, dass diese Leute irgendwann eine ironische Distanz zu sich selbst entwickeln, bis sie sich selbst als so beliebig sehen wie den prätentiösen Quatsch, den sie von sich geben. Wobei ich es selbst gar nicht so gesehen habe, dass das LI vom Wesen her so ist. Das ist halt nicht seine genuine Reaktion, sondern er handelt unter dem Druck der äußeren Umstände, möchte gerne seiner Geliebten mitteilen, wie sehr er sich nach ihr sehnt, aber das Büroumfeld lässt eben solche Einblicke in das Gefühlsleben nicht zu. Das Ergebnis dürfte aber dasselbe sein. Ist halt nicht gerade sexy, wenn man gesagt bekommt, dass sich die Positionen decken (naja, kommt wohl darauf an, was mit Positionen gemeint ist). Klingt ganz gut. Ich schätze, das nehme ich so und überlege auch mal weiter wegen "gut und gern". Danke! LG
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