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Im Schützengraben


Jan Fischer

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Schützengraben

 

An Weihnachten seid Ihr wieder daheim, hatten sie gesagt, in vier Wochen habt Ihr die verfluchten, gottlosen Franzmänner besiegt, hatten sie gesagt...

Und nun hocken wir seit Monaten fest im schlammigen Schützengraben. Man nennt es Stellungskrieg. Gestern haben wir einhundert Meter gewonnen, heute hundert verloren, und dabei sterben wir hier wie die Fliegen. Sturm! Hatte der Hauptmann geschrien, neben mir mein Kamerad Franz, der mir zurief: „Nur Mut!“ Doch als ich wieder hinsah, war auf einmal sein Gesicht nicht mehr da, ein Schrapnell hatte es in Brei verwandelt. Niemand von Euch zu Hause kann sich vorstellen, wie entsetzlich, grausam und voller Schrecken wir hier dem Tod ins bleiche Antlitz blicken, und das zwanzig mal jeden Tag. Explosionen, junge Kameraden, die, furchtbar langsam sterbend, dahin scheidend im Stacheldraht gefangen, nach ihrer Mama schreien. Manche von ihnen, und es werden immer mehr, sind ja fast noch Kinder, Kanonenfutter.

Wer hier keinen Todesmut hat, keinen dicken Schutzpanzer um die Seele trägt, wird, wenn er nicht stirbt, wahnsinnig vor Angst im Trommelfeuer. Die Momente, wenn wir den Sturmbefehl bekommen, wir aus dem feuchten GRABen mitten ins Maschinengewehrfeuer der Franzosen laufen, um einige Meter Boden zu gewinnen, sind unbeschreiblich, voller Grauen. Und doch gibt es, gerade hier, Momente, in denen ich mich extrem lebendig fühle, wo doch dort drüben der Tod auf mich wartet, eine Zigarette rauchend, oder in den kurzen Feuerpausen.

Ich erinnere mich noch an die Botschaften, die sie mit Kreide auf die Wände der Transportzüge gekritzelt hatten: "Jeder Schuss ein Russ`, jeder Stoß ein Franzos`, auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze."

Wenn wir geahnt hätten, was uns hier erwartet...

Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben...

Die besten, die Jüngsten von uns gehen hier zugrunde, zu tausenden, ohne je bei einer Frau gelegen zu haben, aus der Schule gerissen, den Kopf voller Lügen über Ehre, Vaterland und glorreichen Siegen.

Gottesmänner auf beiden Seiten der Front predigen: „Gott ist bei Euch, auf Eurer Seite.“ Hier protestantisch, dort katholisch. Wo ist denn dieser Gott? Wie kann er zulassen, was hier Unaussprechliches geschieht, an jedem Tag, zu jeder Stunde?!

Ich werde nie wieder derselbe sein, zu grausam, was mir hier widerfährt, wenn ich zu Hause bin, wenn ich überlebe. Ich habe gehört, dass es immer mehr Verletzte, Heimkehrer gibt, die wahnsinnig wurden, unkontrollierte, zwanghafte Tremor-Bewegungen machten, sogenannte Zittermänner.

Ein Erlebnis hat mir nochmal deutlich gemacht, dass wir hier gegen unsere Brüder kämpfen und nicht gegen unsere Feinde. An Heiligabend, zur Nacht, war plötzlich Stille, die Kanonen, die Maschinengewehre schwiegen, wir zündeten Kerzen an, und auch drüben sahen wir kleine Lichter herüber scheinen. Zwei besonders mutige Kameraden, einer Franzmann, einer deutsch, trafen sich in der Mitte und tauschten Wein und Kuchen. Joyeux Noel! Fröhliche Weihnachten! Wir sangen, tranken und aßen. Beim nächsten Morgengrauen ging der Wahnsinn weiter...

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Hallo Jan Fischer, dein Text ist sehr eindringlich geschrieben. Und ja, man kann ihn sich kaum vorstellen, diesen Wahnsinn. Um so mehr sollte uns Menschen daran gelegen sein alles zu tun, um Krieg zu verhindern! Dein Text erinnert mich an einen Kriegsfilm, denn ich kürzlich geschaut habe.

 

Lieben Gruß und ein freundliches Willkommen!

 

Letreo

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Vielen lieben Dank für Eure Kommentare.

Es lag mir am Herzen, etwas über den Wahnsinn zu schreiben, der in jedem Krieg vorkommt. 

Es hat ja auch gerade eine erschreckende Aktualität bekommen.  Und das 3. Reich, mit dem ich mich als junger Mann sehr intensiv beschäftigt habe, hat auch viel zu meinen Depressionen beigetragen. 

Liebe Grüße an Euch alle!

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Guten Tag Jan,

Dein Text ist unendlich beklemmend - und es gelingt Dir, die ganze Intensität "rüber zu bringen".

Es ist unglaublich, dass im 21. Jahrhundert immer noch Krieg gemacht werden muss ....dass die Menschen über diesen Grad an Blutrausch, Machtbesessenheit und Dummheit immer noch nicht hinaus sind.

 

ja, die Schicksale unserer Eltern und Großeltern haben auch uns die Enkelkinder_Kinder traumatisiert.

 

Bei mir ging das soweit, dass ich lange Jahre von Ostpreußen, der Heimat meiner Mutter, als meiner verlorenen Heimat dachte und empfand. Und auch Depressionen sind mir nicht fremd.

 

Als ich einmal .... während meiner langen langen Spurensuche , die Bilder von Nazideutschland malte, ergriff mich eine riesige Woge an "Soldatenherrlichkeit" ...fast fühlte ich mich marschieren .... mitgerissen vom Größenwahn

Zu Deinem Text, den ich auch literarisch gut finde, möchte ich noch anmerken,

wie sehr der Soldatenjargon in unsere Alltagssprache übergegangen ist .
Ist es nicht absurd, wenn ein Chef seine Angestellten auffordert, zu einem bestimmten Problem "Stellung zu beziehen". Oder wenn sich Mitarbeiter hinter einer Argumentation verschanzen usw. usf. . Vllt. sollte man_frau_sprachbereinigertool neben der Idee  vom Gendern id Sprache auch mal diesen alten Dreck beseitigen.

 

Auch ich habe geschrieben über den Krieg --- viel und immer wieder. Vermutlich geht er nie wirklich verloren, wenn er die ganze Kindheit über präsent war.

 

 

 

Sternenherz

 

 

 

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